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13

In der Folgezeit verdoppelte der Freund mir gegenüber seine Aufmerksamkeit und Güte gleichsam, als hätte er etwas an mir gutzumachen. Ich brachte jede freie Stunde bei ihm im Hause zu, und an einem Abend wurde ich Zeuge eines Vorfalles, den ich nie mehr vergaß.

Aus dem Herrenzimmer drangen laute und erregte Stimmen an unser Ohr. Walter und ich horchten ängstlich auf.

Nach einer Weile wurde es wieder still. Unser aber hatte sich eine beklemmende Furcht bemächtigt, die noch gesteigert wurde, als die Mädchen mit erschreckten Gesichtern zu uns kamen.

»Was war denn das?« fragte Else Senz.

Walter zuckte schweigend die Achseln.

»Wir wollen hinaufgehen,« sagte meine Schwester Helene, aber die Freundinnen baten flehentlich, sie jetzt nicht zu verlassen.

So blieben wir.

Um uns die Zeit zu verkürzen, las ich aus einem Buche von Walter Scott vor. Niemand hörte jedoch recht zu.

Und auf einmal begann der Spektakel von neuem.

»Komm mit,« sagte Walter.

Wir schlichen uns auf den Zehen zu dem Rauchzimmer und lugten durch die Türspalte. Da saßen die Herren an einem großen Spieltisch – unter ihnen befanden sich ein paar Offiziere in prächtigen Uniformen.

Vor jedem der Spieler lagen Goldstücke aufgehäuft und blaue Scheine, oder mit Zahlen beschriebene weiße Zettel. Die Karten wurden durcheinander geworfen, und die Herren stritten sich laut. Einer der Offiziere wandte sich hochroten Gesichtes direkt an Herrn Senz und rief mit durchdringender Stimme: »Ich behaupte, hier wird falsch gespielt.«

Herr Senz erwiderte in schneidendem Ton: »Hüten Sie Ihre Zunge, Herr Baron – es könnte Ihnen teuer zu stehen kommen.«

Der Offizier brach in ein geräuschvolles Lachen aus.

»Sie wollen mir doch nicht etwa drohen?« fragte er höhnisch.

»Fassen Sie meine Worte auf, wie Sie wollen,« entgegnete Herr Senz.

Nun gingen alle Stimmen wirr durcheinander, und es schien einen Moment, als ob die ganze Gesellschaft handgemein werden wollte.

Walter und mir schlotterten die Knie.

Frau Senz kam plötzlich auf uns zu und riß uns beide von der Tür fort. Wir sahen gerade noch, wie die beiden Offiziere das Zimmer verließen, und hörten, wie sie krachend die Flurtür hinter sich zuschlugen.

Walter Senz fiel mir schluchzend um den Hals. Jeder Blutstropfen war aus seinem Gesicht gewichen, das mir weiß wie Kalk erschien.

»Du armer, armer Junge,« flüsterte ich und blickte scheu zu Frau Senz, deren vergrämtes Gesicht mir plötzlich um viele Jahre gealtert erschien.

Als wir in unser Zimmer kamen, schrien die Mädchen laut auf, und nur mit Mühe und Not gelang es uns beiden, sie zu trösten.

Aus dem Spielgemach riefen die Herren mit lauter Stimme nach Champagner. Gleich darauf knallten die Pfropfen, und wir wähnten mit unseren durch die Angst geschärften Ohren von neuem deutlich das Rollen des Goldes zu vernehmen.

Die Mädchen zitterten an allen Gliedern.

Und als nun gar vom Flure aus gellend die Glocke ertönte, schluchzten sie laut auf.

Nun stürzten wir hinaus und sahen zu unserem Schrecken einen Polizeileutnant in Uniform.

Aus dem Spielzimmer wurden hastige Geräusche vernehmbar, als ob Gold und Karten in aller Eile beiseite geschafft würden.

Herr Senz verhandelte mit dem Leutnant, und er sowohl wie die übrigen Herren sprachen fortgesetzt auf ihn ein.

»Geht schlafen, Kinder,« sagte Frau Senz zu uns mit tränenerstickter Stimme.

Die Mädchen ließen meine Schwester nicht los.

»Du mußt heute nacht bei uns schlafen,« flehten sie angsterfüllt.

Helene tauschte mit mir einen Blick des Einverständnisses und blieb.

Ich drückte Walter die Hand und verließ in tiefer Trauer an diesem Abend das Senzsche Haus.


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