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37

»Schicken Sie mir keine Briefe mehr,« sagte Fräulein von Horst. »Mama paßt wie ein Schießhund auf, und da die Lektüre für sie wohl nicht bestimmt ist –«

»Nein, nein,« antwortete ich und wurde rot wie ein Schuljunge.

Wir waren das erste Mal allein und schritten durch das Brandenburger Tor in die Charlottenburger Chaussee. Ich berührte mit meinem Finger die ihrigen, und sie ließ es wortlos geschehen.

»Fräulein, Fräulein …«

Sie sah mich groß und traurig an.

Ich wollte sprechen und vermochte es nicht. Mein Herz war übervoll. Zu Hause der teuerste Mensch dem Sterben geweiht – und mir zur Seite das Wesen, dem jeder meiner Gedanken gehörte.

»Fräulein,« hub ich nach einer langen Weile wieder an, »was soll denn daraus werden. Ich habe Sie so unsinnig lieb –«

Sie entzog mir ihre Hand, aber der Ausdruck ihrer Züge blieb tapfer und gütig, und ihre Augen leuchteten wie Edelsteine.

»Ich schreibe ein Buch,« fuhr ich mit schwerer Zunge fort, »das ist in wenigen Wochen fertig, und in ein und einem halben Jahr kann ich, wenn Sie Wert darauf legen, meinen Doktor gemacht haben. Fräulein von Horst, ist es ein Verbrechen, daß ich Sie liebe?«

Sie blieb mitten auf dem Wege stehen und verschränkte ihre Arme, als wollte sie den Schlag ihres Herzens zurückhalten.

»Hören Sie mich ein Weilchen ruhig an,« sagte sie, und mir schien es, als ob ihr junger, starker Körper von einem leisen Beben geschüttelt wurde, »und«, fuhr sie fort, »lachen Sie mich nicht aus, auch wenn Ihnen, was ich sage, töricht klingt.«

»Seien Sie getrost, ich werde gewiß nicht lachen,« entgegnete ich, und eine schmerzliche Ahnung ergriff mich. Bevor sie noch den Mund auftat, las ich aus ihrem Antlitz, daß sich in dieser Stunde mein Schicksal entscheiden würde.

Das Fräulein suchte erst nach Worten, ehe sie zögernd begann: »Nämlich, das habe ich Ihnen nie erzählt, im vorigen Winter hat mich der Papa das erste Mal zu Hofe geführt und dem alten Kaiser vorgestellt – und der Kaiser hat mir die Backe gestreichelt und mich unter das Kinn gefaßt. Um Gottes willen,« unterbrach sie sich, »spotten Sie auch in Gedanken nicht darüber – ich könnte es nicht vertragen. Auf mich hat des Kaisers Freundlichkeit einen großen Eindruck gemacht, ich war von seiner Güte so gerührt, daß ich mich sehr, sehr zusammennehmen mußte. Vielleicht können Sie das nicht verstehen – aber es ist einmal so. Und nun stellen Sie sich vor, der Papa müßte vor den Kaiser hintreten und sagen: ›Majestät, halten zu Gnaden, ich möchte gehorsamst melden, daß sich meine Tochter Ulrike mit dem Kandidaten F. H. verlobt hat‹ – ziehen Sie Ihr Gesicht nicht so drohend in Falten – es gilt, dem Leben ins Antlitz zu schauen. Der Papa würde sich eher eine Kugel durch den Kopf schießen, als vor den Kaiser mit diesem Bekenntnis hintreten. Ach, begreifen Sie mich doch ein ganz klein wenig. Ich weiß alles, was Sie mir entgegenhalten werden. Ich könnte, wenn meine Liebe stark genug wäre, Papa und Mama verlassen, mit Ihnen ein Dachstübchen bewohnen und dennoch glücklich sein. Sehen Sie, das ist grundfalsch, ich habe Sie lieb, sehr, sehr lieb, und ich fühle trotzdem, daß ich über Papa und den Kaiser nicht hinwegkomme, denn Papa und der Kaiser sind sozusagen, von allem anderen abgesehen, für mich das Preußische, das mir im Blute steckt. Ach Gott,« fuhr sie hilflos fort, »wie soll ich mich Ihnen nur verständlich machen. Der Papa ist Offizier gewesen, der Großpapa hat eine Division geführt. Der Urgroßvater war Regimentskommandeur und stand bei den Ulanen. Mit einem Wort, soweit ich zurückdenken kann, waren die Horsts Offiziere, und ich meine, der Papa hat wohl recht, wenn er behauptet, ich könnte gar nichts anderes werden als eine Soldatenfrau und müßte Preußen sechs Offiziere schenken. Er versteift sich auf die Zahl sechs – um wieder gutzumachen, was er verabsäumt hat. Und«, schloß sie, die Stimme dämpfend, »so wird es kommen.« Und noch leiser setzte sie hinzu: »Es wird keine leidenschaftliche Liebe sein – ich werde einem tüchtigen Offizier folgen – und meine Aufgabe« – sie lächelte kaum merklich, »zu erfüllen trachten. Lieber, Lieber, schauen Sie nicht fort. Sehen Sie mir gerade ins Auge. Können denn ein Mann und ein Mädchen nicht als gute Kameraden auseinandergehen?«

Sie blickte mich fest und mutig an – während ich trotzig den Kopf schüttelte und des Sturmes Herr zu werden suchte, der erbarmungslos niedermähte, was in meinem Herzen aufgeblüht war.

Ihre Miene umwölkte sich, und mit tieftrauriger Stimme sagte sie: »Ich werde Sie nie – niemals vergessen. Und Ihre Bücher werden in mir singen und klingen. Und wenn mir ein besonders schönes Wort auffällt, werde ich sehr, sehr stolz sein und im stillen bei mir denken: als er dieses niederschrieb, hat er an dich gedacht. Keines Ihrer Bücher soll meinen Namen tragen – aber auf jeder Seite werde ich ihn lesen – und immer werden meine Gedanken bei Ihnen sein – und Sie werden es fühlen, mein teurer Freund, auch wenn wir fern, ganz fern voneinander sind. Und nun reichen Sie mir ein letztes Mal die Hand – und leben Sie wohl!«

Ich gehorchte ihr willenlos – und ehe ich mich's versah – küßte sie mich zum ersten Male und sah mich groß und ernst an – dann verließ sie mich eiligen Schrittes.

Noch heute habe ich es in der Erinnerung, daß ihr Gesicht ganz blaß geworden war, während mir ihre Augen klar und durchsichtig wie funkelnde Kristalle erschienen.

Ein paar Wochen später brachte mir Knut ein Zeitungsblatt, in dem stand zu lesen, daß sich Ulrike von Horst mit dem Rittmeister Friedrich von Drenkwitz verlobt hatte.


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