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Tagebuchblätter von Grete Senz.

Meine Seele und mein Leib gehören Leutnant Dorn. Hier steht es geschrieben mit roten Lettern auf bleichem Papiergrund. Und die Buchstaben lachen mir entgegen. Die Feder ist mit meinem Herzblut getränkt. Ich bin sein Weib – und er gehört mir, er ist mein Mann. Ich bin ledig aller feigen Ängste und Selbstvorwürfe. Ich dehne meine Glieder und recke mich in die Höhe, als ob ich über mich selbst hinausgewachsen wäre. In Seligkeit habe ich meine Arme um ihn geschlungen und Glück gegeben und Glück genossen. Lieber Gott, ich danke dir! Was gehen mich Welt und Menschen an. Dieses Schicksal war mir von Gott bestimmt – ich habe mir mein Glück genommen.

Wer an der Tafel des Lebens sitzt und hungert, ist ein armer, armer Narr. Nun mag Else getrost ihr weißes Brautkleid anziehen – und den Myrtenkranz auf ihre blonden Locken setzen. Ich beiße die Zähne zusammen und halte still. Von Staats und Kirchen wegen mag sie seine Frau werden. Ich füge mich darein, ich schließe fest die Augen – will von dem Elend nichts sehen und nichts hören, ich jage die häßlichen Gedanken in die Flucht, die mein armes Hirn martern.

Vor Gott bin ich sein Weib – und Gott war, bevor es einen Pfaffen und ein Standesamt auf dieser Welt gab. Dies ist mein Trost.

Ich buche eine persönliche Erfahrung, die etwas Schreckhaftes in sich birgt. Der Mensch, der auf Grund einer innerlichen Notwendigkeit sich außerhalb der bürgerlichen Gesetze stellt, wirft in einer halben Stunde die sittlichen Normen über Bord, die man ihm eingeimpft und während seiner Jugendjahre ihm Tag für Tag eingebläut hat. Es ist entsetzlich, wie die Kraft unserer Eltern und Erzieher an der uns eingeborenen Natur zerschellt. Oder könnte man den Satz nicht mit besserem Recht anders wenden, würde er nicht richtiger lauten: Es ist eine Tragik unseres Daseins, daß man uns in den Jahren des Werdens und Wachsens in törichter Verblendung mit Aberwitz und Unsinn vollpfropft und uns an eine Kette unseliger Vorurteile legt, die schwache Wesen ihr ganzes Leben hindurch hinter sich herschleifen, während es zum Kennzeichen des persönlichen Menschen gehört, sich von seinen Fesseln zu befreien. Was geht mich die Erziehung des Menschengeschlechtes an? Ich gehe den mir von Gott gewiesenen Weg. Ich trage den Kopf hoch, ich wiege mich in meinen Hüften und bin von einem Frohsinn, den ich nie vorher gekannt habe.

Ich bin mir darüber klar: wüßten die Menschen, was ich getan, ich wäre in ihren Augen nicht nur das gefallene Geschöpf, das, wie Kandidat Kern sagen würde, an den Grundpfeilern der sittlichen Ordnung gerüttelt, sich an dem Heiligtum der Familie vergangen hat – nein, damit wäre das Urteil über mich noch nicht gesprochen – ich wäre eine Verbrechernatur, die in ihrer Sinnenlust das Glück der Schwester in tausend Scherben geschlagen hat. Beruhigt euch, ihr guten Seelen. Else wird ihren eigenen Herd haben und mit hochrotem Kopf die dampfende Suppenschüssel Leutnant Dorn auf das weiße Linnen setzen. Was fragt ihr nach meinen Qualen, wer fragt danach, was ich gelitten, bis ich mich zu dem Entschluß durchgerungen, auf eigene Faust selig zu werden und mich mit der Rolle von Leutnant Dorns Frau zur Linken zu begnügen. Wäre die Welt nicht so verwirrt und befangen, dann müßte es eine gesunde Möglichkeit geben, daß, wenn zwei Frauen einen Mann lieben, die drei in anständiger Gemeinschaft zusammen hausen. Der Fall ist ein typischer, unzählige Male ist er vorgekommen, und immer wieder haben sich die armen Menschen darüber das Hirn wund gerieben. An der Engherzigkeit ihrer gesegneten Mitmenschen oder an der Selbstsucht eines der Faktoren ist das Experiment bisher gescheitert.

Oder läge am Ende die Sache doch nicht so einfach? Wäre eine solche Gemeinschaft nicht qualvoll? Würde das Raubtier in uns sich auf die Dauer nicht dagegen auflehnen? Else – sanft wie eine Taube, und ich – giftig wie eine Schlange!

Allerärmster Leutnant Dorn, wo bist du hingeraten!

Wir haben Zukunftspläne geschmiedet. Er wird ein braver Ehemensch werden und Else – glücklich machen. Und draußen außerhalb der Stadt richtet er mir das Nest ein. Zwischen fünf und sieben gehört er mir – mir allein.

Ich schrecke vor keiner Abenteuerlichkeit und Verwegenheit zurück. Ich leere den Becher bis auf den letzten Tropfen, ich lasse mir von meinem Glücksteil nicht einen Deut nehmen. Ich bringe das Opfer nicht, du teures Schwesternherz!

Es reizt mich zuweilen, mein Geheimnis einer Seele anzuvertrauen. Ich habe in einem berühmten Buch gelesen, daß es den Mörder mit Gewalt beständig zu der Stätte drängt, an der er seine Tat begangen hat.

Der Vergleich hinkt – wie alle Vergleiche. Was ich sagen will ist: ich habe das Bedürfnis, mich über mein Tun auseinanderzusetzen, mich an dem vermutlichen Widerstand – gewissermaßen zu stärken. Vielleicht ist es ein Rest von Religion, von Verantwortlichkeitsgefühl, daß ich den Drang habe, mich zu bekennen und mich mit Leidenschaft und tausend guten Gründen zu verteidigen.

Der einzige Mensch, der in Betracht käme, wäre Helene. – Ich fürchte nur, sie würde wie die Frau des Lot zu Stein werden – oder mich für irrsinnig halten. Ihrer ungetrübten Unschuld würde jedes Verständnis fehlen. Ich habe neulich mit Leutnant Dorn von der Möglichkeit gesprochen, mit Helene über unser Verhältnis zu reden. Der Leutnant ist leichenblaß geworden. Ich mußte ihm mein Wort geben, davon abzustehen. Er war einen Augenblick ganz verstört – und ich unseliges Menschenkind weidete mich an seiner Angst, erklärte beharrlich, ich fände nichts dabei und könnte nicht einsehen, warum meine beste Freundin nicht Mitwisserin sein sollte.

Da wurde er ernstlich böse und verbat sich üble Scherze.

›Ich scherze nicht,‹ antwortete ich, ›für Helenes Verschwiegenheit bürge ich – und mir ist es eine Wohltat, mich mit jemandem aussprechen zu können.‹

›So,‹ sagte Dorn, ›und an mich denkst du gar nicht – über meine Wünsche schreitest du gleichgültig hinweg?‹

Seine Stimme war heiser geworden, und um seinen Mund zuckte es beständig.

›Hast du Furcht?‹ fragte ich.

›Furcht, was ist Furcht?‹ entgegnete er. ›Ich würde im Kugelregen stehen und dem Tode ins Auge schauen, ohne mit der Wimper zu zucken, aber ich will in dieser verzweifelten Situation keine Mitwisser haben, hörst du, ich will nicht.‹

›Gut, ich höre. Diesen Kommandoton jedoch unterlasse gefälligst, wenn ich schön bitten darf.‹

Da wurde Dorn unsicher, und sein Gesicht bekam einen trübseligen, demütigen Ausdruck. Ich hatte Mitleid mit ihm und fand mein Benehmen erbärmlich. ›Mein Wort darauf, niemand erfährt ein Sterbenswörtchen.‹

Ich sah, wie er erleichtert aufatmete – er wollte mich an sich drücken, aber seine Zärtlichkeit widerstrebte mir in diesem Augenblick.

Vielleicht ist eine Frau im Grunde genommen beherzter und tapferer als ein Mann, auch wenn sie von ihren Gefühlen und Stimmungen viel abhängiger ist – und oft durch eine Miene, einen Ton, eine Bewegung tödlich verletzt wird, ohne daß so eine robuste Mannesseele es auch nur ahnt. Und dennoch – Gott erwies erst sein Genie, als er die beiden Geschlechter schuf, die Entdeckung von Mann – und Weib ist der großartigste Beweis für das Dasein Gottes. Pastor Schmeidler von der Jerusalemer Kirche müßte diese Sätze seinen Konfirmanden vorlesen. Er würde mich eine Gotteslästerin heißen, wo ich doch Gott im Innersten bekenne und ihn lebendig in mir fühle bei allem meinem Tun.

Ein Segen für mich, daß ich meine Tagebuchblätter habe, die einzige Zuflucht meiner armen Seele …

Ich suche Dorn aus jeder seiner Handlungen zu erkennen und bin ihm gewiß kein milder Richter, aber seine starke Männlichkeit entzückt mich immer wieder, ich empfinde seine primitive Natur als die notwendige Ergänzung zu meinem eigenen, zwiespältigen Wesen. Ich liebe ihn mit seinen Fehlern. Ich weiß, daß er ein wenig großsprecherisch ist und nicht sonderlich scharf denkt. Wenn ihn jedoch ein anderer angreift, so bin ich außer mir und fühle mich in meinem Herzen getroffen.

Obwohl Walter dies ahnt, sucht er förmlich nach Gelegenheiten, um Dorn in meiner Gegenwart herabzusetzen. Der dumme Junge glaubte, Gott weiß welche Weisheit produziert zu haben, als er neulich mit einer empörenden Dreistigkeit erklärte, Dorn sei eine Stallknechtsnatur. Zugegeben, er träfe mit der Bezeichnung den Nagel auf den Kopf, was wollte das bedeuten? Vielleicht brauchen die begabteren Frauen Stallknechte, damit die Rasse nicht degeneriert – wohlverstanden in dem Sinne, als gerade die Stallknechte (was tut der Name?) die männliche Kraft verkörpern.

Bei hellerem Lichte besehen: Ist es auf der anderen Seite denn so verwunderlich, daß höher geartete Männer sich mit Köchinnen paaren, daß Goethe, erschöpft durch eine so geistreiche Dame wie Frau von Stein, sich in ein wundervolles Blumenfräulein vergaffte und bei seinem »Bettschatz« süßere Freuden fand als wie bei allen noch so gescheiten Charlotten? Sind das Blasphemien? Oder wollen wir angesichts dieser Tatsachen den Sinn des Lebens, der auf stete Erneuerung des Blutes hinausläuft, absichtlich fälschen? Sind wir so verlogen und prüde, daß wir die Gesetze unserer Existenz verleugnen?

Ich für mein Teil bin aus der Dumpfheit trägen Denkens erwacht – ich schließe meine Augen nicht mehr, und von den Blutwellen des Lebens lasse ich mich umbranden. Nun kommt und schlagt mich ans Kreuz …


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