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Fräulein Rosa Himmel und meine Schwester Lotte begannen alte Mädchen zu werden, und durch ihr dunkles Haar zogen sich die ersten grauen Fäden. Rosa Himmels rote Lippen kräuselten sich in heiterem Spott, wenn sie über ihr Alter sprach. Sie liebte ihren Lehrberuf, und die Kinder der Volksschule, in der sie von acht bis ein Uhr täglich unterrichtete, hingen an ihrer gütigen Seele. Meine Schwester trug schwerer an ihrem Schicksal. Niemanden ließ sie in ihr Herz blicken – aber wir fühlten, daß sie mit Bitterkeit und Trauer von ihrer Jugend Abschied nahm.

Was es für ein Mädchen bedeutet, um die Hoffnung seines Leibes betrogen zu werden, begriff ich damals noch nicht. Wenn ich so viele Jahre später in Erinnerungen untertauche, so empfinde ich nicht ohne Rührung, mit wieviel Würde meine Schwestern Lotte und Dora sowie das gute Fräulein Himmel die Bürde ihres Altjungfernschicksals trugen. Auch für sie waren die Bücher der Trost des Daseins, und jeden Abend saßen die drei alten Mädchen im »gebildeten Zimmer« und lasen sich abwechselnd laut vor, um von den Mühen des arbeitsreichen Tages sich zu erholen und vor den trostlosen Gedanken zu fliehen. Meine Schwester Dora ließ keinen Trübsinn aufkommen. Mit ihren blitzenden, lustigen Äuglein saß sie da, die Nadel ging ihr so rasch wie der Mund – und aus diesem Munde kamen die heitersten Schnurren – sie hatte einen unbezwinglichen Humor, der in den schwersten Lebenslagen standhielt. Die drei Mädchen hatten eine gemeinsame, stark ausgeprägte Eigenschaft. Sie hielten die Groschen zusammen und sparten sich jeden Pfennig vom Munde ab. Sie wollten für das Alter ihr Scherflein parat haben und nicht von der Wohltätigkeit anderer, mochten sie ihnen durch Blutsverwandtschaft noch so nahestehen, abhängig sein. Über diesen Sparsinn machte meine Schwester Dora zuweilen ihre Späße. »Frißt's nicht der Mund, frißt's der Hund«, pflegte sie zu sagen; »wir werden sparen und sparen – aus lauter Sorge um das bißchen Alter und schließlich darüber wegsterben, und unsere Erben werden sich über die törichten, alten Jungfern den Bauch halten. Aber über mich wird ihnen das Lachen vergehen – acht Tage bevor sie mich hinaustragen und in die dunkle, schwarze Erde scharren, kaufe ich mir für meine zusammengekratzten Taler ein feines Bürschlein, wenn es langt, einen schlanken Prinzen, und dann haben sie das Nachsehen.«

Ach, hinter all den Scherzen lag soviel melancholischer Ernst, daß ich meine Schwester Helene begriff, wenn sie erfrierend zu mir sagte: »Mir winkt das gleiche Los; auch ich, du wirst es erleben, werde eines Tages verblüht sein, werde nichts mehr hoffen und froh sein, wenn ich irgendwo einen Unterschlupf finde« – und ganz verstört durch diese Aussicht einer trüben Zukunft, wendete sie sich ab und wischte sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augen.


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