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6. Kapitel.
Von der Methode

1. Zur Erkenntnis der Methode muß ich die Definition der Philosophie wiederholen, die im ersten Kapitel, Abschnitt 2, wie folgt lautete: Philosophie ist die wahrhaft rationelle Erkenntnis der Erscheinungen oder Wirkungen aus der Kenntnis ihrer möglichen Entstehung oder Erzeugung und solcher möglichen oder faktischen Erzeugungen, die wir aus der Kenntnis der Wirkungen gewonnen haben. Methode im Studium der Philosophie ist daher der kürzeste Weg, Wirkungen aus ihren bekannten Ursachen oder Ursachen aus ihren bekannten Wirkungen zu finden. Aber nur dann werden wir irgendeine Wirkung verstehen, wenn wir erkennen, daß es Ursachen derselben gibt, und in welchem Subjekt jene Ursachen sind und in welchem Subjekt sie jene Wirkung hervorbringen und auf welche Weise sie dies bewerkstelligen. Dies ist die Wissenschaft von den Ursachen oder auch, wie man sie nennt, vom »διότι«, vom »Warum«. Jede andre Wissenschaft, die man die vom ὅτι, vom »Was« nennt, beruht entweder auf Empfindung oder Einbildung oder auf der Wahrnehmung zurückgebliebener Erinnerung.

Die Anfänge alles Wissens sind die Phantasmen der Sinne und Einbildung. Daß es solche Phantasmen gibt, ist uns von Natur genügend bekannt; aber weshalb es solche gibt oder woher sie stammen, das ergründen wir allein in wissenschaftlichem Schließen, das (wie schon vorher im ersten Kapitel, Abschnitt 2, erwähnt wurde) in der Scheidung und Trennung in die Elemente und in ihrer Zusammenfassung besteht. Daher ist alle Methode, durch welche wir die Ursachen der Dinge erforschen, entweder kompositiv oder resolutiv oder teils kompositiv, teils resolutiv. Gewöhnlich wird die resolutive die analytische und die kompositive die synthetische Methode genannt.

2. Allen Methoden ist gemeinsam, vom Bekannten zum Unbekannten fortzugehen; das erhellt aus der angeführten Definition der Philosophie. In der Erkenntnis durch die Sinne ist nun das ganze Ding bekannter als nur ein Teil davon; wenn wir beispielsweise einen Menschen sehen, so wird die Vorstellung oder die ganze Idee jenes Menschen eher und besser von uns erkannt als die besonderen Vorstellungen seiner bestimmten Gestalt, seines Lebendigseins und seiner Vernunft; d. h. zuerst sehen wir den ganzen Menschen und erkennen sein Wesen, bevor wir an ihm jene andern Einzelheiten gewahr werden. Bei irgendeiner Erkenntnis des ὅτι oder daß irgend etwas da ist, wird unser Forschen von der ganzen Vorstellung ausgehen. Dagegen haben wir in unsrer Erkenntnis des διότι oder der Ursachen von irgend etwas, d. h. in der Wissenschaft, eher Kenntnis von den Ursachen der Teile als des Ganzen. Denn die Ursache des Ganzen setzt sich aus den Ursachen der Teile zusammen; man muß aber das Zusammensetzende eher erkennen als das Zusammengesetzte. Unter Teilen verstehe ich hier nicht Teile des Dinges selbst, sondern die Teile seiner Natur; wie ich bei den Teilen eines Menschen nicht seinen Kopf, seine Schultern, Arme usw. meine, sondern seine Gestalt, Quantität, Bewegung, Sinne, Vernunft und dergleichen, welche Accidenzien zusammengefaßt oder zusammengestellt die Natur des Menschen konstituieren, aber nicht den einzelnen Menschen selbst. Das ist auch der eigentliche Sinn des alten Wortes, daß einiges nach seiner Beziehung auf uns, andres nach seiner Natur bekannter sei; denn ich glaube nicht, daß diejenigen, die so unterscheiden, der Meinung sind, daß etwas seiner Natur nach bekannt ist, was keinem Menschen bekannt ist. Unter dem uns mehr Bekannten müssen wir die Dinge verstehen, die wir durch Sinne wahrnehmen; die aber nach ihrer Natur mehr bekannten sind solche, welche durch Vernunft erschlossen werden. Allein in diesem Sinne ist es zu verstehen, daß das Ganze, d. h. jene Dinge, die universale Namen haben (die ich der Kürze halber Universalia nenne) uns bekannter sind als ihre Teile, nämlich als solche Dinge, welche nicht universale Namen haben (die ich deshalb Singularia nenne); die Ursachen der Teile dagegen sind nach ihrer Natur bekannter als die Ursache des Ganzen, d. h.: Universalia mehr als Singularia.

3. In der Philosophie kann man nun entweder schlechthin ohne begrenztes Ziel forschen und Wissenschaft treiben, nämlich um so viel wie möglich zu ergründen, ohne sich begrenzte Fragen vorzulegen; oder man sucht die Ursache irgendeiner bestimmten Erscheinung oder wenigstens Gewißheit über irgendeinen fraglichen Gegenstand zu finden. So z. B. was die Ursache des Lichtes, der Wärme, der Schwere, der Gestalt eines gegebenen Phänomens sei und ähnliches; oder welchem Subjekt irgendein gegebenes Accidenz inhäriert; oder welches vielleicht von vielen Accidenzien am meisten zur Erzeugung einer gegebenen Wirkung beiträgt; oder wie zur Hervorrufung einer bestimmten Wirkung besondere Ursachen verknüpft werden müßten. Entsprechend dieser Mannigfaltigkeit der in Frage stehenden Dinge muß man bald die analytische Methode, bald die synthetische, bald auch beide Methoden anwenden.

4. Aber für diejenigen, welche ohne beschränktes Ziel dem Wissen nachforschen, um nämlich möglichst die Ursachen aller Dinge zu ergründen, soweit man dahin gelangen kann (und die Ursachen aller Singularien setzen sich ja zusammen aus den Ursachen der Universalien oder der einfachen Naturen), ist es notwendig, die Ursachen der Universalen oder derjenigen Accidenzien, die alle Körper besitzen, d. h. die aller Materie zukommen, eher zu erkennen als die der Singularien, d. h. der Accidenzien, durch die sich ein Ding von dem andern unterscheidet. Bevor man hinwiederum die Ursachen jener wissen kann, muß man erkennen, was jene Universalien selbst sind. Soweit die Universalien in der Natur der Singularien enthalten sind, muß man sie durch die Vernunft ermitteln, d. h. durch Auflösung. Man nehme z. B. eine beliebige Vorstellung oder die Idee eines Einzeldinges, etwa die eines Quadrates. Das Quadrat muß alsdann in eine Ebene aufgelöst werden, die von einer bestimmten Zahl gleich langer Linien und rechter Winkel begrenzt ist. Durch diese Auflösung erhalten wir als Universalien oder als das, was aller Materie zukommt: Linie, Ebene (worin Oberfläche enthalten ist), Begrenzung, Winkel, Rechtwinkligkeit, Geradheit, Gleichheit; und wenn wir deren Ursachen herauszufinden imstande sind, können wir sie sämtlich zur Ursache des Quadrates zusammenstellen. Wenn man weiter die Vorstellung des Goldes betrachtet, so wird man zu den Ideen des Festen, Sichtbaren, Schweren (d. h. des zum Mittelpunkt der Erde Strebenden oder der Bewegung nach unten) kommen und zu vielen andren Vorstellungen, die in höherem Grade Universalien sind als das Gold selbst, und die wieder aufgelöst werden können, bis man zu den höchsten Universalien gelangt. Und dadurch, daß man in dieser Weise fortfährt aufzulösen, wird man erkennen, was dasjenige ist, dessen Ursachen, erst einzeln erkannt, dann zusammengesetzt, uns die wahre Erkenntnis der Einzeldinge verschaffen. Daraus ziehen wir den Schluß, daß die Methode, die universalen Begriffe der Dinge zu erfassen, rein analytisch ist.

5. Die Ursachen der Universalien (derjenigen wenigstens, für die es überhaupt Ursachen gibt) sind an sich offenbar oder (wie man zu sagen pflegt) von Natur bekannt, derart, daß sie überhaupt keiner Methode bedürfen; ihre einzige und universale Ursache ist nämlich die Bewegung. Denn die Mannigfaltigkeit aller Formen entsteht aus der Mannigfaltigkeit der Bewegungen, durch welche sie gebildet werden, und als Ursache der Bewegung kann nur Bewegung angenommen werden. Auch die Mannigfaltigkeiten der sinnlich wahrgenommenen Dinge wie der Farben, Töne, Geschmäcke usw. haben keine andre Ursache als Bewegung, die teils in den auf unsere Sinne wirkenden Objekten, teils in uns selber enthalten ist, wenn schon ohne wissenschaftliche Untersuchung nicht gesagt werden kann, welcher Art diese Bewegung ist. Und wenn viele (solange es ihnen nicht bewiesen ist) nicht begreifen können, daß alle Veränderung auf Bewegung beruht, so geschieht dies nicht wegen der Dunkelheit dieser Tatsache selber (denn es ist klar, daß kein Ding seine Ruhe aufgibt oder seine Bewegung anders ändert als infolge einer anderen Bewegung), sondern entweder deswegen, weil das natürliche Verständnis durch überlieferte Lehrmeinungen beeinflußt wurde, oder weil man sich überhaupt nicht anstrengt, die Wahrheit zu erforschen.

6. Also durch die Erkenntnis der Universalien und ihrer Ursachen (welches die ersten Prinzipien der Erkenntnis des διότι der Dinge sind), erhalten wir erstens ihre Definitionen (die nichts anderes sind als Erklärungen unsrer einfachsten Vorstellungen). Wer, beispielsweise, eine richtige Vorstellung von »Ort« hat, muß auch folgende Begriffsbestimmung kennen: »Ort ist ein Raum, der von einem Körper vollkommen ausgefüllt oder eingenommen wird«; und wer eine richtige Vorstellung von »Bewegung« hat, muß wissen, daß »Bewegung das Verlassen eines Ortes und Erreichung eines andern« ist.

Zweitens kommen wir zu ihrer Entstehung oder Beschreibung: so ergibt sich etwa, daß eine Linie aus der Bewegung eines Punktes, eine Fläche aus der Bewegung einer Linie, eine Bewegung aus einer andern entsteht usw. Es bleibt noch übrig zu untersuchen, welche besondere Bewegung bestimmte Wirkungen erzeugt, z. B. welche Bewegung eine gerade, welche eine kreisförmige Linie hervorruft; was für eine Bewegung abstoßend wirkt und welche anziehend; und wie sie abstößt und wie sie anzieht; wodurch ein gesehenes, ein gehörtes Ding einmal so gesehen und gehört wird, dann wieder anders. Die Methode dieser Untersuchung ist die kompositive; man muß nämlich erstens sehen, was der bewegte Körper hervorruft, wenn an ihm nichts anderes betrachtet wird als Bewegung; sogleich ergibt sich, daß eine Linie oder Länge entsteht; zweitens, was die körperliche Linie in Bewegung hervorbringt; es ergibt sich eine Fläche. In dieser Art verfährt man weiter, bis man zu den Wirkungen der Bewegung schlechthin gelangt. Danach muß man in ähnlicher Weise betrachten, welche Wirkungen aus Addition, Multiplikation, Subtraktion und Division dieser Bewegungen sich ergeben und welche Figuren und Eigentümlichkeiten daraus entstehen. In dieser Betrachtung besteht derjenige Teil der Philosophie, den man Geometrie nennt.

Nach der Erwägung dessen, was aus der Bewegung schlechthin entsteht, müssen wir zur Betrachtung dessen übergehen, was die Bewegung eines Körpers in einem andern erwirkt; und weil Bewegung in allen einzelnen Teilen des Körpers sein kann, ohne daß der ganze Körper von seiner Stelle weicht, müssen wir in erster Linie untersuchen, welche Bewegung eine entsprechende andere im Ganzen hervorruft, d. h. wenn irgendein Körper auf einen andern trifft, der in Ruhe ist oder sich schon bewegt, auf welcher Bahn und mit welcher Geschwindigkeit sich jener nach dem Anstoß weiterbewegen und welche Bewegung dieser zweite Körper in einem dritten veranlassen mag, und so immer weiter. Dieser Teil der Philosophie ergibt die Bewegungslehre.

An dritter Stelle wird man zu der Untersuchung dessen gelangen, was aus der Bewegung der Teile entsteht, worauf es beispielsweise beruht, daß dieselben Dinge doch nicht als dieselben, sondern verändert erscheinen. Daher werden an dieser Stelle die sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten untersucht, als da sind: Licht, Farbe, Durchsichtigkeit, Undurchsichtigkeit, Ton, Geruch, Geschmack, Wärme, Kälte und dergleichen. Weil man diese ohne Erkenntnis der Ursache der eigentlichen Empfindung nicht erkennen kann, so wird die Betrachtung der Ursachen des Sehens, des Gehörs, Geruchs, Geschmacks und des Tastgefühls den dritten Platz einnehmen; jene vorher genannten Qualitäten dagegen und alle Veränderungen kommen erst an vierter Stelle. – Diese beiden Betrachtungen umfassen den Teil der Philosophie, welcher Physik heißt. In diesen vier Teilen ist alles enthalten, was in der Naturphilosophie streng bewiesen werden kann. Denn wenn eine Ursache von besonderen Naturerscheinungen angegeben werden soll, z. B. welche Bewegungen und Kräfte die Himmelskörper besitzen, so muß ihre Theorie entweder aus Sätzen der erwähnten Wissenschaften abgeleitet werden können, oder sie wird überhaupt nicht wissenschaftlich, sondern nur eine unsichere Vermutung sein.

Von der Physik muß man zu der Philosophie der Moral übergehen, wobei die Seelenregungen betrachtet werden wie: Begierde, Abneigung, Liebe, Wohlwollen, Hoffnung. Furcht, Zorn, Eifersucht, Neid usw.; welches ihre Ursachen sind und was sie selbst verursachen. Der Grund, weshalb sie nach der Physik kommen, ist der, daß sie ihre Ursachen in der sinnlichen Wahrnehmung und in der Einbildungskraft haben, die beide Gegenstand der physischen Betrachtung sind. Warum dies alles in der eben angeführten Ordnung erforscht werden muß, ist darin begründet, daß das Physische nur verstanden werden kann, wenn die Bewegung der kleinsten Körperteilchen erkannt ist, und eine solche Bewegung nur dann, wenn das Wesen dessen erkannt ist, was die Bewegung in einem andern hervorruft, und zwar nur, wenn man weiß, was die einfache Bewegung hervorruft. Und weil jede Sinneserscheinung der Dinge eine bestimmte Qualität und Größe besitzt, die ihrerseits auf der Zusammensetzung von Bewegungen beruhen, von denen jede einzelne einen bestimmten Grad von Geschwindigkeit und eine bestimmte Bahn einhält, so müssen an erster Stelle die Bahnen der Bewegung schlechthin erforscht werden (worin die Geometrie beruht), sodann die Bahnen der sichtbaren Bewegungen, endlich die der innern und unsichtbaren (welche die Naturphilosophie erforscht). Deshalb studiert man Naturphilosophie vergeblich, wenn man nicht mit der Geometrie anfängt; und die darüber ohne Kenntnis der Geometrie schreiben oder diskutieren, vergeuden nur die Zeit ihrer Leser oder Hörer.

7. Die Staatsphilosophie hängt nicht so fest mit der Moralphilosophie zusammen, als daß sie nicht von ihr getrennt werden könnte. Man erkennt nämlich die Ursachen der Seelenregungen nicht nur durch wissenschaftliche Forschung, sondern auch durch die eigene Erfahrung, wenn man sich Mühe gibt, seine eigensten Gefühle zu beobachten. Und deshalb können nicht nur diejenigen, die von den ersten Prinzipien der Philosophie nach der synthetischen Methode zur Erkenntnis der Begierden und Leidenschaften gelangt sind, durch Vorwärtsschreiten auf demselben Wege zur Einsicht in die Notwendigkeit kommen, Staaten aufzurichten, und erkennen, was das natürliche Recht ist und welches die bürgerlichen Pflichten sind und was unter jeder Regierung die Rechte der Gesellschaft sind und was sonst noch zur Staatsphilosophie gehört (denn die Prinzipien der Politik wurzeln in der Erkenntnis der Seelenregungen, die der Seelenregungen aber in der Erkenntnis der Sinnes Wahrnehmungen und der Imagination); sondern auch diejenigen, die zwar die Grundlagen der Philosophie, nämlich Geometrie und Physik, nicht studiert haben, können trotzdem zu den Prinzipien der Staatsphilosophie durch die analytische Methode gelangen. Denn angenommen, man gehe von einer beliebigen Frage aus, z. B. ob eine bestimmte Handlung gerecht oder ungerecht sei, so wird man durch Auflösung des Begriffs »ungerecht« in eine »Handlung wider das Gesetz« und des Begriffs »Gesetz« in den »Befehl dessen oder derjenigen, die die Macht und erzwingbare Gewalt besitzen« und des Begriffs »Macht« in den »Willen der Menschen, die eine solche Macht, des Friedens wegen, einsetzten,« schließlich zu dem Ergebnis gelangen, daß die Triebe und Seelenregungen der Menschen von irgendeiner Macht in Schranken gehalten werden müssen, weil die Menschen sich sonst gegenseitig bekämpfen und bekriegen würden. Diese Tatsache lehrt aber jeden einzelnen die eigene Erfahrung, wenn er nur seine Seele prüft. Folglich kann man von diesem Punkte aus durch Zusammensetzung zur Bestimmung der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit jeder beliebigen Handlung vorwärtsschreiten. Schon aus dem Gesagten ist klar, daß die Methode des Philosophierens für diejenigen, die nach der Wissenschaft schlechthin forschen, ohne Voraussetzung einer bestimmten Fragestellung, teils analytisch, teils synthetisch ist; analytisch ist nämlich das Aufstellen der Prinzipien von den Sinneswahrnehmungen aus; das übrige hingegen ist synthetisch.

8. Forscht man nach der Ursache einer Erscheinung oder irgendeiner bestimmten, gegebenen Wirkung, so trifft es sich bisweilen, daß man nicht weiß, ob das Ding, nach dessen Ursache wir forschen, Materie, d. h. Körper, oder irgendein Accidenz eines Körpers ist. In der Geometrie freilich, wo nach der Ursache der Größe oder des Verhältnisses oder der Gestalt gefragt wird, wissen wir bestimmt, daß diese Dinge, nämlich Größe, Verhältnis, Gestalt Accidenzien sind. In der Physik dagegen, wo es sich um die Ursachen der sinnlich wahrnehmbaren Bilder handelt, ist es nicht so leicht, die Dinge, von denen jene Bilder herrühren, von ihren Erscheinungen in den Sinnen, welche schon viele getäuscht haben, zu unterscheiden, besonders bei optischen Sinneseindrücken. Wer z. B. die Sonne ansieht, hat die bestimmte Vorstellung von etwas Glänzendem mit einem Durchmesser von etwa einem Fuß, und er nennt dieses Bildchen Sonne, obwohl er weiß, daß die Sonne in Wahrheit viel größer ist. Ähnlich erscheint ein Sinnenbild in der Ferne bisweilen rund, in der Nähe viereckig. Daher darf man billig zweifeln, ob jenes Sinnenbild Materie resp. ein Körper oder nur das Accidenz eines Körpers sei. Die Methode zur Prüfung dieser Frage ist folgende: die Eigenschaften der Materie und der Accidenzien der Körper, die wir aus ihren Definitionen nach der synthetischen Methode zuvor aufgefunden haben, sind mit der Vorstellung selbst zu vergleichen, und wenn die Vorstellung mit den Bestimmungen des Körpers oder der Materie übereinstimmt, so ist sie selbst Körper – stimmt sie nicht überein, so ist sie ein Accidenz. Steht es etwa fest, daß wir Materie weder hervorbringen, noch vernichten, noch vermehren oder vermindern, noch durch unseren Willen vom Platz bewegen können, jene Vorstellung dagegen entsteht, verschwindet, sich vermehrt, sich vermindert, sich hin und her bewegt, je nach unserm Belieben, so ist gewiß, daß sie nicht Materie, sondern Accidenz ist. Diese Methode ist synthetisch.

9. Wenn aber über das Subjekt der als Accidenz erkannten Erscheinung ein Zweifel entsteht, was bisweilen vorkommt (wie im vorstehenden Beispiele zweifelhaft sein kann, in welchem Subjekt sich jener Glanz und die scheinbare Größe der Sonne befindet), dann wird die Untersuchung den folgenden Weg einschlagen. Zuerst wird man den gesamten Gegenstand in Teile, beispielsweise in Objekt, Medium und den Wahrnehmenden selbst zerlegen oder in beliebige andre Teile, die für die vorliegende Frage am passendsten erscheinen. Sodann sind die einzelnen Teile entsprechend der Definition des Subjektes genau zu untersuchen. Dasjenige aber, was für jenes Accidenz nicht in Betracht kommt, ist auszuscheiden. Wenn z. B. durch strenges und wahres Denken geschlossen wird, daß die Sonne größer ist, als sie dem Auge erscheint, so befindet sich diese gesehene Größe nicht in der Sonne selbst; wenn weiter die Sonne in einer und nur einer bestimmten Richtung und in einer bestimmten Entfernung liegt, die Größe aber und der Glanz sich in verschiedenen Entfernungen und Richtungen zeigen (wie es durch Reflektion oder Refraktion geschieht), so wird sich jener Glanz und jene scheinbare Größe nicht in der Sonne selbst befinden. Folglich wird der Sonnenkörper nicht das Subjekt für jenen Glanz und die scheinbare Größe sein. Aus denselben Gründen wird man auch Luft und anderes als Subjekt der Sinnenbilder zurückweisen, bis nichts außer dem Empfindenden selbst übrig bleibt, der dann das Subjekt jenes Glanzes oder jener Größe sein muß. Diese Methode ist, soweit das Subjekt zerlegt wird, analytisch; wenn die Eigenschaften des Subjektes oder der Accidenzien mit dem Accidenz selbst verglichen werden, nach dessen Subjekt wir fragen, ist sie synthetisch.

10. Wenn wir der Ursache irgendeiner gegebenen Wirkung nachforschen, so müssen wir vor allen Dingen einen genauen Begriff von dem, was unter Ursache verstanden werden soll, besitzen. Ursache ist nun aber die Summe oder das Aggregat aller der Accidenzien, sowohl bei dem Agens als auch bei dem Patiens, die zur Erzeugung der angenommenen Wirkung zusammentreffen; und von ihnen muß eingesehen werden können, daß, sobald sie alle vorhanden sind, auch die Wirkung eintreten muß, daß aber, wenn eins von ihnen fehlt, die Wirkung ausbleibt. Ist dies klar, dann handelt es sich nunmehr darum, jedes einzelne Accidenz, welches die Wirkung begleitet oder ihr vorangeht, daraufhin zu untersuchen, ob es irgendwie zur Wirkung gehört, indem man feststellt, ob die angenommene Wirkung vorhanden ist oder nicht, wenn eins der Accidenzien fehlt. Auf diese Weise wird all das, was nötig ist, um die Wirkung hervorzurufen, von dem getrennt, was nicht dazu gehört. Ist dies geschehen, so müssen sämtliche Accidenzien vereinigt und es muß untersucht werden, ob bei ihrer gleichzeitigen Existenz doch noch die Möglichkeit besteht, daß die angenommene Wirkung nicht erfolgt. Zeigt es sich, daß diese eintritt, dann ist das Aggregat jener Accidenzien die alleinige Ursache, andernfalls aber nicht. Dann müssen wir noch andern Accidenzien nachforschen und diese hinzunehmen. Angenommen z. B., wir wollten die Ursache des Lichtes ergründen, so prüfen wir zuerst die Außenwelt um uns herum und finden, daß, wo immer Licht erscheint, ein bestimmtes eigentümliches Objekt gleichsam die Quelle des Leuchtens selbst ist, ohne welches man Licht nicht wahrnehmen kann. Daher ist zur Erzeugung des Lichtes vor allem das Mitwirken jenes Objektes notwendig. Sodann betrachten wir das Medium und finden, daß, wenn es nicht bestimmte Eigenschaften hat, also etwa durchscheinend ist, die Wirkung doch aufgehoben wird, wenn auch das Objekt dasselbe bleibt. Daher kommt zur Erzeugung des Lichtes noch die Durchsichtigkeit des Mediums hinzu. Drittens beobachten wir unsern eigenen Körper und finden, daß durch Erkrankung der Augen, des Gehirns, der Nerven, des Herzens, d. h. durch Behinderung, Schwäche und Verfall, wir unfähig werden, Licht wahrzunehmen; eine entsprechende Disposition der Organe ist notwendig, um die Eindrücke von außen aufzunehmen. Hingegen kann von allen dem Objekt inhärierenden Accidenzien allein ein Vorgang (d. h. irgendeine Bewegung) als dasjenige angesehen werden, das nicht fehlen darf, wenn die Wirkung eintreten soll; denn damit etwas leuchte, ist nicht erforderlich, daß es eine bestimmte Größe oder Gestalt besitze, noch, daß es mit seinem ganzen Körper sich von seinem Ort entferne (man müßte dann sagen: dasjenige, was in der Sonne oder in einem andern Körper Ursache des Leuchtens ist, sei das Licht selbst, was aber nur eine lächerliche Einwendung wäre, da ja damit nur die Ursache des Leuchtens gemeint wäre; gerade so gut könnte man sagen: die Ursache des Leuchtens sei dasjenige, was in der Sonne das Leuchten hervorruft); es bleibt also dabei, daß der Vorgang, durch welchen das Leuchten erzeugt wird, nur eine Bewegung seiner Teile sei. Hieraus erkennt man leicht, was das Medium zur Wirkung beiträgt; es führt nämlich jene Bewegung bis zum Auge fort; und es ergibt sich auch, was das Auge und die übrigen Organe beitragen, nämlich die Fortführung derselben Bewegung bis zum letzten Organ der Empfindungen – dem Herzen. Auf diese Weise kann die Ursache des Lichtes als Bewegung verstanden werden, die von ihrem Ursprung bis zum Ursprung der vitalen Bewegung sich fortpflanzt; Licht ist nichts anderes als eine durch die von außen auftreffende Bewegung hervorgerufene Änderung jener vitalen Bewegung. Aber dies möge nur als Beispiel dienen; denn vom Licht selbst und wie es erzeugt wird, ist später mehr an gebührender Stelle zu sagen. Jedenfalls ist es klar, daß es bei Erforschung der Ursachen teils der analytischen, teils der synthetischen Methode bedarf; der analytischen, um die einzelnen Voraussetzungen der Wirkung festzustellen; der synthetischen, um das, was diese einzeln an sich bewirken, zu dem Gesamteffekt zusammenzufassen. Soviel über die Methode des Auffindens. Es bleibt noch, von der Methode des Lehrens, d. h. von der Beweisführung und von den Mitteln, die dabei in Anwendung kommen, zu sprechen.

11. Bei der Methode der Forschung besteht der Gebrauch der Bezeichnungen darin, daß sie Merkmale sind, durch welche das Ergebnis ins Gedächtnis zurückgerufen werden kann. Denn wenn das nicht geschieht, so entschwindet alles, was wir ermittelt haben. Wegen unsrer Gedächtnisschwäche ist es auch nicht möglich, von Prinzipien zu mehr als einem oder zwei Syllogismen fortzugehen. Angenommen, jemand entdecke durch Betrachtung irgendeines ihm gegebenen Dreiecks, daß alle seine Winkel gleich zwei Rechten seien, wobei er nur die Tatsache selbst stillschweigend überlegte, ohne jede Anwendung von vorgestellten oder ausgesprochenen Worten, so würde er bei einem andern, dem frühern unähnlichen Dreieck oder auch bei demselben, jedoch in anderer Stellung gesehenen nicht wissen, ob dieselbe Eigentümlichkeit an ihm sei oder nicht, sondern er müßte bei jedem neuen Dreieck (und es gibt deren unendlich viel) die Betrachtung von neuem anstellen. Dies wäre aber nicht nötig, wenn er Namen und ihren Gebrauch wüßte, denn ein jeder universale Name bezeichnet Vorstellungen von unendlich vielen Einzeldingen. So dienen sie, wie ich schon sagte, gleichsam als Erinnerungshilfen (nicht als Bezeichnungen der Dinge für andere) der Forschung selbst, weshalb auch ein Einsiedler ohne Lehrer Philosoph werden kann. Adam konnte es. Aber lehren, d. h. beweisen, setzt stets zwei Personen voraus und auch syllogistische Ausdrucksweise.

12. Da ja aber lehren nichts anderes heißt als auf die Spuren des eigenen Findens den Geist des zu Belehrenden zur Erkenntnis des Gefundenen leiten, so wird auch die Methode des Beweisens dieselbe wie die des Forschens sein, abgesehen davon, daß der erste Teil dieser Methode, der von der sinnlichen Wahrnehmung der Dinge zu den universalen Prinzipien vorwärtsschritt, wegzulassen ist. Da jene nämlich Prinzipien sind, können sie nicht bewiesen werden, und da sie von Natur bekannt sind (wie im fünften Abschnitt gesagt ist), bedürfen sie zwar der Erklärung, aber nicht des Beweises. Also ist die ganze Methode des Beweisens synthetisch, welche mit den ersten oder universalsten Urteilen, die durch sich selber einleuchten, beginnt und durch fortwährende Zusammenstellung der Urteile zu Syllogismen vorwärtsschreitet, bis zuletzt von dem Lernenden die Wahrheit des gesuchten Schlußsatzes eingesehen wird.

13. Jene Prinzipien sind nichts anderes als bloße Definitionen. Und zwar gibt es von diesen zwei Arten. Die einen sind Definitionen von Namen für Dinge, von denen man irgendeine Ursache einzusehen vermag; die andern von Namen für solche Dinge, von denen keine Ursachen gefunden werden können. Zur letzteren Art gehören: Körper oder Materie, Quantität oder Ausdehnung, Bewegung, kurz, was aller Materie gemeinsam ist. Zur ersten Art. rechnen wir: ein Körper von bestimmter Beschaffenheit, eine Bewegung von bestimmter Beschaffenheit und Größe, eine bestimmte Größe, eine bestimmte Gestalt und alles andre, wodurch man einen Körper von einem andern unterscheiden kann.

Jene Namen werden hinreichend definiert, wenn durch eine möglichst kurze Ausdrucksweise von Dingen, für die jene Namen gelten, klare und vollkommene Vorstellungen oder Begriffe im Geiste des Hörers geweckt werden. Beispielsweise wenn wir definieren: die Bewegung sei stetiges Verlassen des einen Ortes und Erreichen eines andern – wird, obwohl weder der bewegte Gegenstand noch die Ursache seiner Bewegung in seiner Definition angegeben ist, doch aus ihr die Vorstellung einer Bewegung dem Geiste genügend klar entstehen. Die Definitionen aber von Dingen, welche, wie anzunehmen ist, eine Ursache haben, müssen die Namen enthalten, die ihre Ursache selbst oder ihre Erzeugung angeben. So muß etwa die Definition eines Kreises lauten: Der Kreis ist eine Figur, entstanden aus der Bewegung einer geraden Linie um den einen ihrer Endpunkte in einer Ebene usw. Außer den Definitionen darf man kein anderes Urteil ein erstes nennen oder im strengen Verstande zu der Zahl der Prinzipien rechnen. Denn jene Axiome, bei Euklid etwa, die doch bewiesen werden können, sind keine Prinzipien, obgleich sie einem Übereinkommen aller zufolge die Autorität von Prinzipien erhalten haben, weil sie eine Begründung nicht unmittelbar erfordern. Ebenso sind jene sogenannten Postulate oder Voraussetzungen zwar Prinzipien, jedoch nicht solche der Demonstration, sondern der Konstruktion, d. h. nicht des Wissens, sondern des Könnens, oder was dasselbe ist, Prinzipien nicht von Theoremen, die Spekulationen sind, sondern von Problemen, welche sich auf die Praxis und die Auflösung durch die Tat beziehen. Endlich können Gemeinplätze wie: »Die Natur haßt das Leere; die Natur tut nichts vergeblich« und ähnliche, die weder durch sich einleuchten, noch beweisbar sind und überdies häufiger falsch als wahr sind, noch viel weniger für Prinzipien gehalten werden.

Aber um zu den Definitionen zurückzukehren: Der Grund, warum ich sage, daß alles, was eine Ursache und Erzeugung besitzt, durch die Ursache und seine Erzeugung definiert werden muß, ist folgender: Das Endziel alles Wissens ist die Erkenntnis der Ursachen und der Erzeugung der Dinge in der Form der Demonstration. Sind diese in den Definitionen nicht enthalten, so können sie auch nicht im Schlußsatz des Syllogismus gefunden werden, der aus den Definitionen zuerst hervorgeht; und wenn man sie nicht im ersten Schlußsatz findet, wird man sie auch in keinem weiteren finden. Auf solche Weise kommen wir niemals zu wahrer Erkenntnis, was dem Zweck und der Absicht der Demonstration nicht entspricht.

14. Die Definitionen, die wir soeben Prinzipien oder erste Urteile genannt haben, sind Aussagen; und weil man sie anwendet, um im Geiste des Lernenden die Idee irgendeines Dinges zu erregen, wenn diesem Dinge irgendein Name beigelegt ist, so kann die Definition nichts andres sein als die Erklärung dieses Namens. Bezeichnet der Name aber irgendeine zusammengesetzte Vorstellung, so ist die Definition nichts andres als die Auflösung jenes Namens in seine allgemeineren Teile; definieren wir den Menschen dadurch, daß wir sagen: der Mensch ist ein beseelter, fühlender, vernünftiger Körper, so sind die Namen: Körper, beseelt usw. Teile des ganzen Namens »Mensch«. Daher kommt es, daß derartige Namen immer aus der Gattung und dem unterscheidenden Merkmale bestehen, derart, daß alle vorhergehenden Namen, außer dem letzten, allgemein sind, der letzte aber die Unterscheidung gibt. Wenn aber irgendein Name der universalste in seiner Art ist, so kann seine Definition nicht aus der Gattung und dem unterscheidenden Merkmal bestehen, sondern man muß solch eine Umschreibung geben, die am besten die Bedeutung jenes Namens erhellt. Dagegen kann es geschehen und kommt oft vor, daß Gattung und unterscheidende Merkmale vereinigt werden und doch keine Definition bilden. Beispielsweise enthalten zwar die Worte »gerade Linie« Gattung und unterscheidendes Merkmal, sind aber doch keine Definition, es sei denn, wir meinten, die Definition der graden Linie laute: »Die grade Linie ist eine grade Linie.« Hätten wir dagegen irgendeinen anderen Namen hinzugefügt, der aus anderen Worten besteht, aber dasselbe bezeichnet, dann würden jene beiden Worte die Definition dieses Namens sein. Aus dem Gesagten ergibt sich, wie die Definition selbst definiert werden muß; eine Definition ist ein Urteil, dessen Prädikat das Subjekt zerlegt, wenn es möglich ist, es erläutert, wenn jenes nicht möglich ist.

15. Die Eigenschaften der Definition sind:

I. Sie beseitigt die Zweideutigkeit und damit die Fülle gelehrter Distinktionen, deren sich diejenigen bedienen, die der Meinung sind, man könne sich die Philosophie durch Disputationen aneignen. Denn das Wesen der Definition beruht in dem Definieren, d. h. in der Bestimmung der Bedeutung des definierten Namens und ihrer Scheidung von allen anderen Bedeutungen außerhalb der, die in der Definition selbst enthalten ist; mögen deshalb noch so viele Distinktionen betreffs des zu definierenden Namens getroffen werden, eine Definition tritt an Stelle aller.

II. Sie gibt eine allgemeine Vorstellung des Definierten, indem sie ein gewisses Allgemeinbild davon, nicht dem Auge, sondern dem Geiste gewährt. Wie derjenige, welcher einen Menschen malt, das Bild dieses Menschen darstellt, so schafft auch derjenige, welcher den Namen »Mensch« definiert, dem Geist das Bild irgendeines Menschen.

III. Eine Diskussion darüber, ob Definitionen zuzulassen sind oder nicht, ist nicht erforderlich. Denn wenn ein Lehrer seinen Schüler belehren will und dieser alle einzelnen Teile der zu erklärenden Sache einsieht, die in der Definition aufgelöst sind und gleichwohl die Definition nicht zugibt, bedarf es keiner weiteren Diskussion, da dies der Weigerung gleichkommt, überhaupt belehrt zu werden. Wenn er es aber nicht versteht, dann ist die Definition fehlerhaft, weil das Wesen derselben darin besteht, daß sie die Vorstellung des Dinges klar und verständlich macht; die Prinzipien sind entweder an sich bekannt oder sie sind keine Prinzipien.

IV. In der Philosophie kommen die Definitionen vor den definierten Namen. Um nämlich die Philosophie zu lehren, beginnt man mit den Definitionen, und aller Fortschritt darin, bis wir zum Wissen des Zusammengesetzten gelangen, ist kompositiv. Wenn daher die Definition die Entwicklung eines zusammengesetzten Namens durch Auflösung ist und man vom Aufgelösten zum Zusammengesetzten vorwärts schreitet, müssen die Definitionen verstanden werden, ehe man das zusammengesetzte Ganze begreift; ja sogar wenn die Namen der Teile irgendeiner Aussage erklärt sind, ist es nicht nötig, daß die Definition aus ihnen zusammengesetzt sei. Wenn z. B. die Namen: gleichseitig, viereckig, rechtwinklig genügend verstanden werden, ist es für die Geometrie nicht nötig, daß es einen Namen wie Quadrat gibt. Definierte Namen werden nämlich in der Philosophie nur der Kürze wegen angewandt.

V. Zusammengesetzte Namen, die in einem Teile der Philosophie bestimmt definiert sind, können in einem andern Teile anders definiert werden; so ist die Definition der Parabel und Hyperbel in der Geometrie eine andre als in der Rhetorik. Die Definitionen sind nämlich für einen bestimmten Wissenszweig aufgestellt und dienen nur diesem. Wenn also die Definition in einem Teile der Philosophie irgendeinen Namen einführt, der in geeigneter Weise geometrische Tatsachen mit größerer Kürze weitergibt, so kann sie auch in andern Teilen der Philosophie denselben Dienst mit demselben Rechte leisten. Die Verwendung der Namen ist nämlich, selbst wenn sie allgemeinerer Zustimmung sich erfreut, willkürlich.

VI. Kein Name wird durch ein Wort definiert; ein Wort ist nämlich nie hinreichend, um einen oder mehrere Namen aufzulösen.

VII. Ein definierter Name darf in der Definition nicht wiederholt werden. Denn das zu Definierende ist ein Ganzes und Zusammengesetztes, die Definition hingegen die Auflösung des Kompositum in seine Teile. Das Ganze aber kann nicht Teil seiner selbst sein.

16. Zwei beliebige Definitionen, die zu einem Syllogismus zusammengesetzt werden können, bringen einen Schlußsatz hervor. Weil dieser von Prinzipien, d. h. von Definitionen, abgeleitet wird, heißt er demonstriert, und die Ableitung oder Zusammensetzung selbst wird Demonstration genannt. Wenn in ähnlicher Weise aus zwei Urteilen, von denen das eine Definition, das andre demonstrierter Schlußsatz, oder von denen keines Definition, jedes aber vorher demonstriert ist, ein Syllogismus entsteht, so heißt auch dieser Syllogismus Demonstration und so immer weiter. Die Definition der Demonstration wird also folgendermaßen lauten: Die Demonstration ist ein Syllogismus oder eine Reihe von Syllogismen, die von den Definitionen der Namen hergeleitet sind und bis zum letzten Schlußsatz fortgesetzt werden. Daraus ersieht man, daß jedes vernünftige Schließen, das seinen Ausgang in wahren Prinzipien hat, Wissenschaft erzeugt und wahre Demonstration ist. Was den Ursprung dieses Namens anbetrifft, so nannten zwar die Griechen ἀποδείξις; und die Lateiner demonstratio nur jene Schlußweise, in der sie durch Beschreibung von Linien und Figuren die zu beweisenden Dinge gleichsam vor Augen stellten, was allein im eigentlichen Sinne ein ἀποδεικνύειν oder ein anschauliches Aufweisen ist; sie taten dies offenbar, da sie nur in der Geometrie (in der fast allein für derartige Figuren Raum ist) ein sicheres Wissen besaßen, ihre Lehren über andere Dinge aber nichts als Streitfragen und leerer Schall waren: was indes nur darum der Fall war, weil sie keine wahrhaften Prinzipien hatten, von denen sie logische Folgerungen ableiten konnten (nicht etwa, weil die Wahrheit ohne Figuren nicht zur Evidenz gebracht werden könnte). Grade deshalb müssen bei allen Arten von Wissenschaft die Definitionen vorangestellt werden, um eine wahre Demonstration zu ermöglichen.

17. Für die methodische Demonstration ist eigentümlich:

I. Es muß eine wahrhafte innere Folge in ihren Wahrheiten bestehen, den oben dargelegten Gesetzen der Syllogismen entsprechend.

II. Die Prämissen aller Syllogismen müssen aus den ersten Definitionen durch Demonstration folgen.

III. Nach der Definition muß der Lehrende und Beweisende nach derselben Methode vorgehen, durch die er selbst die Wahrheit gefunden hat. Zuerst handelt es sich um die Demonstration der Dinge, die aus den allgemeinen Definitionen unmittelbar folgen (dies bildet jenen Teil der Philosophie, der die Erste Philosophie heißt). Sodann folgt, was durch einfache Bewegung demonstriert werden kann (worauf die Geometrie beruht); nach der Geometrie dasjenige, was man durch sichtbare Tätigkeiten und Vorgänge, wie Stoßen und Ziehen, erklären kann. Sodann folgt die Bewegung der unsichtbaren Teile und ihre Änderungen und die Lehre von den Sinnen, der Einbildung und den Leidenschaften, vornehmlich denen des Menschen, in welcher Lehre die Grundlagen der bürgerlichen Pflichten oder der Staatsphilosophie enthalten sind; diese nimmt in dem System die letzte Stelle ein. Daß aber diese Methode in der gesamten Philosophie angewandt werden muß, läßt sich aus folgenden Gründen erkennen: was an letzter Stelle gelehrt werden muß, läßt sich, wie ich schon sagte, nur demonstrieren, wenn zuvor das klar erkannt und begründet ist, was zuerst zu erörtern ist. Für diese Methode läßt sich außer der Auseinandersetzung über die Elemente der Philosophie, die wir im nächsten Kapitel besprechen werden und das ganze Buch durch weiter behandeln, kein andres Beispiel anführen.

18. Außer den Paralogismen, deren Fehler entweder in der Falschheit der Prämissen oder in der unrichtigen Zusammenstellung liegen und von denen im vorigen Kapitel die Rede war, gibt es noch zwei andere, den Demonstrationen eigene. Der eine ist die sogenannte petitio principii, der andere die Annahme einer falschen Ursache; sie täuschen nicht allein den unerfahrenen Schüler, sondern bisweilen auch den Lehrer, indem durch sie das demonstriert scheint, was in Wirklichkeit gar nicht bewiesen ist. Eine petitio principii liegt vor, wenn der zu beweisende Schlußsatz nur mit anderen Worten als Definition oder Prinzip dem Beweis zugrunde gelegt wird; denn als Ursache des gesuchten Dinges das Ding selbst oder eine seiner Wirkungen annehmen, heißt einen vollständigen Zirkel der Demonstrationen beschreiben. Wenn z. B. jemand, um beweisen zu wollen, daß die Erde unbeweglich im Mittelpunkt des Universums stehe, als Ursache dafür die Schwere annähme und sie als Qualität definierte, mit der ein schwerer Körper zum Mittelpunkt des Universums hinstrebt, so müht er sich vergeblich ab. In Frage steht vielmehr die Ursache dieser Qualität der Erde. Wer die Schwere für die Ursache nimmt, setzt das Ding selbst als Ursache seiner selbst.

Ein Beispiel der falschen Ursache finde ich in einer gewissen Abhandlung. Zu demonstrieren war, daß sich die Erde bewege. Der Verfasser beginnt damit, daß, wenn Erde und Sonne nicht immer dieselbe Lage zueinander bewahren, eine von beiden notwendigerweise sich von seinem Orte bewegen müsse; was ganz richtig ist. Weiter zeigt er, daß die Dünste, welche die Sonne aus der Erde und dem Meere emporsteigen läßt, sich wegen dieser Bewegung mitbewegen müssen; auch das ist richtig. Daraus entstehen (so folgert er) die Winde, was auch zugegeben werden kann. Von diesen Winden, fährt er fort, würden die Meere bewegt und durch ihre Bewegung drehe sich der Grund des Meeres, gleich als wäre er gepeitscht. Dies zugegeben, so schließt er, bewegt sich die Erde notwendigerweise. Dennoch liegt hier ein Fehlschluß vor. Denn wenn jener Wind die Ursache war, weshalb sich die Erde von Anfang an herumbewegte, und wenn die Bewegung entweder der Sonne oder der Erde die Ursache für jenen Wind gewesen sein sollte, so war die Bewegung der Sonne oder der Erde schon vor dem Winde selbst. Wenn vor der Entstehung des Windes die Erde sich bewegt hätte, dann könnte jener Wind nicht Ursache der Erdumdrehung sein; wenn aber die Erde feststand und die Sonne sich bewegt hätte, so ist klar, daß bei Entstehung jenes Windes die Erde sich nicht zu bewegen brauchte und daher jene Bewegung nicht die vorgegebene Ursache zu haben braucht. Indes auf derartige sehr zahlreiche Fehlschlüsse trifft man allenthalben in physikalischen Schriften, wenngleich selten so ausgeprägt wie der eben angeführte.

19. Es könnte jemandem scheinen, als ob an dieser Stelle, wo es sich um Methode handelt, auch jene Kunst der Geometer zu erörtern wäre, die sie die »logistische« nennen. Es ist dies die Kunst, durch die Annahme, das Gesuchte sei richtig, durch logisches Folgern entweder auf Bekanntes zu treffen, woraus sie die Wahrheit des Gesuchten demonstrieren können, oder auf Unmögliches, woraus sie erkennen, daß die Annahme falsch ist. Aber diese Kunst kann hier nicht entwickelt werden. Der Grund hierfür liegt darin, daß jene Methode nur von solchen, die in der Geometrie bewandert sind, ausgeübt und eingesehen zu werden vermag. Je mehr Theoreme die Geometer bereit haben, um so mehr können sie sich der Logistik bedienen, so daß diese von der Geometrie selbst in Wirklichkeit nicht zu unterscheiden ist. Diese Methode enthält drei Teile. Der erste besteht in dem Auffinden der Gleichheit zwischen dem Bekannten und Unbekannten, was man die Aufstellung einer Gleichung nennt. Die Gleichung kann nur von solchen gefunden werden, die das Wesen, die Eigentümlichkeiten und die Gesetze der Proportionen, Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division der Linien und Flächen, das Ausziehen von Wurzeln vollständig beherrschen, was zur gewöhnlichen Geometrie nicht gehört. Der zweite Teil besteht darin, daß man aus der gefundenen Gleichung zu beurteilen vermag, ob aus ihr die Wahrheit oder Falschheit der Aufgabe ermittelt werden kann oder nicht, was noch größeres Wissen erfordert. Der dritte Teil verlangt, daß man nach Auffindung der Gleichung, die für die Lösung der Aufgabe geeignet ist, diese so auflöst, daß ihre Wahrheit oder Falschheit erkannt wird, was bei schwierigen Aufgaben ohne die Kenntnis des Wesens der krummlinigen Figuren nicht möglich ist. Das Wesen und die Eigenschaften der krummlinigen Figuren erfaßt zu haben, ist jedoch höchste Geometrie. Außerdem gibt es für das Auffinden der Gleichungen keine bestimmte Methode, sondern der wird es am besten verstehen, der besonders dafür begabt ist.


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