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3. Kapitel.
Vom Satz

1. Verbindungen und Zusammenstellungen von Namen ergeben die verschiedenen Arten von Redeform. Einige von ihnen dienen nur zum Ausdruck von Wünschen und Gemütsbewegungen. Dahin gehören zunächst die Fragen, welche den Wunsch zu wissen bekunden. In diesen, wie etwa in dem Beispiel: »Wer ist ein guter Mensch?« wird der eine Name vom Sprecher ausgedrückt, den anderen wünscht und erwartet er von dem Gefragten. Sodann gehören dazu Bitten, welche den Wunsch nach Besitz von etwas bezeichnen; ferner Versprechungen, Drohungen, Wünsche, Befehle, Klagen und andere Bezeichnungen anderer Stimmungen. Gesprochenes kann auch ganz absurd und nichtssagend sein; dies ist der Fall, wenn einer Wortfolge keine Folge von Vorstellungen im Geiste entspricht. Es widerfährt dies oft Menschen, die ohne Verständnis einer schwierigen Materie sich dadurch den Anschein einer genauen Kenntnis geben wollen, daß sie Worte zusammenhanglos über sie äußern. Denn auch die Verbindung unzusammenhängender Worte ist ein Sprechen, wenn sie auch den Zweck des Sprechens (nämlich den sinnvollen Ausdruck) verfehlt. Metaphysiker haben davon reichlichen Gebrauch gemacht. In der Wissenschaft ist aber nur eine Art von Sprechen berechtigt, die bisweilen Aussage, Ausdruck oder ähnlich benannt, zumeist als Satz bezeichnet wird; in ihm wird bejaht oder verneint, Wahrheit oder Falschheit behauptet.

2. Ein Satz ist eine sprachliche Äußerung, welche aus zwei durch eine Kopula verbundenen Namen besteht und durch welche der Sprechende ausdrücken will, daß er den zweiten Namen als Namen für dasselbe Ding versteht, das auch der erste bezeichnet; oder (was dasselbe ist) daß der erste Name in dem zweiten enthalten ist. Die Äußerung beispielsweise: »Der Mensch ist ein Lebewesen«, in welcher zwei Namen durch die Kopula »ist« verbunden sind, ist ein Satz, weil der Sprecher dabei sowohl Lebewesen und Mensch für Namen desselben Dinges hält oder den ersteren Namen, Mensch, in dem letzteren, Lebewesen, enthalten denkt. Der erste Name pflegt Subjekt, Antecedens oder der mitbegriffene Name, der letzte Prädikat, Konsequenz oder der umfassende Name genannt zu werden. Das Zeichen der Verknüpfung ist bei den meisten Nationen entweder ein Wort wie jenes »ist« in dem Satze: »Der Mensch ist ein Lebewesen«, oder irgendein Wortfall oder eine Wortendung, wie in dem Satze: »Der Mensch geht« (was gleichbedeutend ist mit: »Der Mensch ist ein Gehender«); die Endung (er geht, statt er ist ein Gehender) gibt an, daß diese beiden Namen (er und Gehender) verbunden und als Namen desselben Dinges verstanden werden sollen.

Es gibt nun aber oder es könnte wenigstens Völker geben, welche kein unserem »ist« entsprechendes Wort besitzen, die aber gleichwohl Sätze durch einfache Hintereinanderstellung von Namen (also statt »Der Mensch ist ein Lebewesen« nur »Mensch Lebewesen«) bilden; denn die bloße Ordnung der Namen kann ihre Verbindung hinreichend kenntlich machen; für die Wissenschaft sind sie wegen des Mangels dieses Wörtchens nicht weniger geeignet.

3. Drei Dinge sind sonach bei jedem Satz zu betrachten: die beiden Namen, die das Subjekt und das Prädikat bilden, und ihre Verbindung durch die Kopula. Die beiden Namen erwecken in uns die Vorstellung ein und desselben Dinges, während die Kopula uns an den Grund erinnert, weswegen diese Namen diesem Dinge beigelegt wurden. Wenn wir zum Beispiel sagen: »Ein Körper ist beweglich«, begnügen wir uns nicht mit der Einsicht, daß dasselbe Ding durch diese beiden Namen bezeichnet wird, sondern wir forschen weiter, was es heißt, ein Körper oder beweglich sein, d. h. worin der Unterschied zwischen diesen und anderen Dingen besteht und warum diese so und andere nicht so benannt worden sind. Wer aber zu wissen verlangt, was es bedeutet, etwas zu sein, beweglich zu sein, heiß zu sein, sucht in den Dingen die Ursachen für ihre Benennung.

Hieraus entspringt die im letzten Kapitel berührte Unterscheidung in konkrete und abstrakte Namen. Denn konkret ist der Name eines jeden Dinges, von dem wir ein Sein annehmen; ein solches wird Subjekt (das Unterliegende, ὑποκείμενον) genannt; zum Beispiel: Körper, das Bewegliche, das Bewegte, das Geformte, das, was eine Elle hoch ist, Warmes, Kaltes, Gleiches, Ungleiches, Appius, Lentulus und ähnliches. Ein Abstruktum bekundet, daß in einem Subjekt eine Ursache für einen konkreten Namen ist, wie: Körper sein, beweglich sein, bewegt sein, räumlich begrenzt sein, Größe habend, warm sein, kalt sein, ähnlich sein, gleich sein, Appius oder Lentulus sein und ähnliches; Namen, die diesen Ausdrücken äquivalent sind, werden abstrakte genannt, wie Körperlichkeit, Beweglichkeit, Bewegung, Figur, Quantität, Wärme, Kälte, Ähnlichkeit, Gleichheit und (wie sich bei Cicero findet) Appiutät und Lentulität. Von derselben Art sind auch die Infinitive; denn leben und sich bewegen bedeutet dasselbe wie Leben und Bewegung oder lebendig und bewegt sein. Aber abstrakte Namen bezeichnen nur die Ursache konkreter Namen, nicht die Dinge selbst. Wenn wir beispielsweise ein Ding sehen oder ein sichtbares Ding uns vorstellen, so erscheint das Ding oder seine Vorstellung nicht in einem Punkt, sondern seine Teile besitzen eine Entfernung voneinander, das Ganze erscheint mithin als ausgedehnt und raumerfüllend. Da wir aber ein so vorgestelltes Ding Körper nennen wollten, ist die Tatsache, daß das Ding ausgedehnt ist, oder seine Ausdehnung oder Körperlichkeit die Ursache für diese Benennung. Und wenn wir ein Ding bald hier, bald dort erscheinen sehen und es als bewegt bezeichnen, so ist die Ursache für diese Benennung, daß es bewegt ist, oder seine Bewegung.

Die Ursachen der Namen sind die gleichen wie die Ursachen unserer Vorstellungen, nämlich eine gewisse Kraft oder Tätigkeit oder Beschaffenheit des wahrgenommenen Dinges, die von einigen seine Modi, meistens aber doch Accidenzien genannt werden. Ich verstehe aber das Wort Accidenz nicht in dem Sinne eines Gegensatzes zum Notwendigen, sondern bezeichne damit etwas, das, obwohl es nicht das Ding selbst noch einen seiner Teile bezeichnet, es trotzdem stets das Ding derart begleitet, daß es (wenn man von der Ausdehnung absieht) wohl verschwinden und zerstört, aber nie von ihm losgelöst werden kann.

4. Ein weiterer Unterschied zwischen konkreten und abstrakten Namen liegt darin, daß die ersteren (weil sie erst einen Satz bilden können) vor den Sätzen, die letzteren aber (weil sie nur nach der Bildung von Sätzen möglich sind, aus deren Kopula sie entstehen) später erzeugt wurden. Im Leben, besonders aber in der Wissenschaft, werden abstrakte Namen beständig gebraucht, freilich vielfach auch mißbraucht. Unentbehrlich sind sie, weil wir ohne sie die Eigenschaften der Dinge nicht genau bestimmen können. Denn wenn wir beim Rechnen uns der konkreten Namen bedienen müßten, also beispielsweise das Warme oder das Leuchtende oder das Bewegte verdoppeln, würden wir nicht sowohl die Eigenschaften als vielmehr die warmen, leuchtenden, bewegten Körper selbst doppelt setzen, was wir gar nicht wollen. Ihr Mißbrauch liegt aber in folgendem: weil man Hitze und andere Accidenzien für sich betrachten (d. h. wie oben gesagt wurde, ihr Wachstum quantitativ feststellen) kann, ohne dabei ihre Träger, die Körper, in Betracht zu ziehen – ein Vorgang, den man Abstraktion nennt; glaubte man von den Accidenzien sprechen zu können, als könnten sie von dem Körper überhaupt getrennt werden. Hieraus entspringt einer der Grundirrtümer gewisser metaphysischer Systeme. Weil man das Denken ohne Rücksicht auf den Körper betrachten kann, hat man gefolgert, daß zum Denken der Körper nicht nötig sei; und weil man die Größen ohne Rücksicht auf Körper betrachten kann, hat man geglaubt, daß Größen ohne Körper und Körper ohne Größen möglich sind, ja, daß ein Körper seine Größe durch die Hinzufügung von Größe zu ihm erhält. Aus gleicher Quelle entspringen so sinnlose Bezeichnungen wie: abstrakte Substanzen, gesonderte Wesenheiten und ähnliche. Ebenso töricht sind die von dem lateinischen Wörtchen »est« abgeleiteten Wortbildungen, wie Essenz, Essenzialität, Entität, Entitativität; das gleiche gilt für Realität, Quiddität usw., welche nie bei Völkern hätten entstehen können, die die Kopula »ist« im Satze nicht verwenden, sondern ihre Namen durch verbale Formen, wie läuft, liest usw. (oder durch die bloße Hintereinanderstellung) verbinden. Da aber solche Völker auch denken und rechnen können, ist ersichtlich, daß die Philosophie solcher Worte wie Essenz oder Entität oder ähnlicher barbarischer Termini nicht bedarf.

5. Die Sätze werden vielfach eingeteilt. Eine erste Scheidung ist die in universale, partikulare, indefinite und singulare, eine Scheidung, welche allgemein als die der Quantität bezeichnet wird. Universal ist ein Satz, dessen Subjekt das Kennzeichen eines allgemeinen Namens trägt (etwa: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen«). Partikular ist ein Satz, dessen Subjekt das Kennzeichen eines partikularen Namens trägt (»Ein bestimmter Mensch ist gelehrt«). Indefinit ist ein Satz, dessen Subjekt ein Gemeinname ohne besonderes Zeichen ist (»Der Mensch ist ein Lebewesen«, »Der Mensch ist gelehrt«). Singular ist ein Satz, dessen Subjekt ein singularer Name ist (»Sokrates ist ein Philosoph«, »Dieser Mensch ist schwarz«).

6. Eine zweite Unterscheidung, welche die der Qualität genannt wird, ist die in affirmative und negative Sätze. Affirmativ ist ein Satz, dessen Prädikat ein positiver Name ist (»Der Mensch ist ein Lebewesen«), negativ ist ein Satz, dessen Prädikat ein negativer Name ist (»Der Mensch ist kein Stein«).

7. Drittens werden die Sätze in wahre und falsche geteilt. Wahr ist ein Satz, dessen Prädikat das Subjekt in sich enthält oder dessen Prädikat Name eines Dinges ist, dessen Name auch das Subjekt ist. So ist der Satz: »Der Mensch ist ein Lebewesen« wahr, weil das, was immer Mensch genannt wird, auch Lebewesen genannt wird. Auch »Jemand ist krank« ist wahr, da krank auch auf jemand angewandt wird. Ein Satz, der nicht wahr ist, d. h. dessen Prädikat nicht das Subjekt enthält, wird falsch genannt, wie »Der Mensch ist ein Stein«.

Die Worte wahr, Wahrheit, wahrer Satz bedeuten dasselbe. Gesprochenes nämlich allein, nicht die Dinge selbst können wahr sein; denn mag bisweilen auch das Wahre dem Erscheinenden oder Erdichteten gegenübergestellt werden, so hat es auch dann auf die Wahrheit im Satze Bezug. Das Bild eines Menschen im Spiegel oder ein Gespenst gilt darum nicht für den Menschen selbst, weil der Satz: »Ein Gespenst ist ein Mensch« nicht wahr ist; es kann aber nicht geleugnet werden, daß ein Gespenst ein Gespenst ist. Daher ist die Wahrheit keine Eigenschaft der Dinge, sondern der Urteile über sie. Geschwätz und kindisch ist es aber, wenn Metaphysiker darüber sich ergehen, ob Ding, ein Ding, wahres Ding identisch sind; denn wer wüßte nicht, daß Ausdrücke wie Mensch, ein Mensch, ein wahrer Mensch dasselbe bezeichnen?

8. Hieraus erhellt, daß Wahrheit und Falschheit nur bei sprachbegabten Wesen zu finden ist. Mögen Geschöpfe, die sprachunfähig sind, auch durch den Anblick des Spiegelbildes eines Menschen wie durch den Anblick des Menschen selbst affiziert und in (grundlose) Furcht versetzt werden, so erfassen sie es doch nicht als wahr oder falsch, sondern nur als ähnlich; und darin täuschen sie sich auch nicht. Wie nun Menschen alle wahre Erkenntnis dem richtigen Verständnis des sprachlichen Ausdrucks verdanken, so liegt der Grund aller ihrer Irrtümer in Mißverständnissen derselben; und wie die Fülle der Weisheit, so ist auch nur beim Menschen Torheit und Irrtum zu finden. Was einst von Solons Gesetzen gesagt wurde, kommt allgemein der menschlichen Sprache zu: sie ist einem Spinnengewebe ähnlich: schwächliche Geister bleiben in den Worten hängen und verstricken sich darin, stärkere aber brechen leicht durch.

Hieraus kann auch gefolgert werden, daß die ersten Wahrheiten von denen willkürlich geschaffen wurden, die zuerst den Dingen Namen gaben oder sie von anderen, die dies taten, erhielten. Denn der Satz, daß der Mensch ein Lebewesen ist, ist (um ein Beispiel zu geben) nur darum wahr, weil es Menschen einst gefiel, diese beiden Namen demselben Ding zu geben.

9. Viertens werden Sätze in ursprüngliche und nicht ursprüngliche eingeteilt. Ursprüngliche sind solche, in denen das Subjekt durch ein Prädikat von vielen Namen erklärt, wird, z. B. »Der Mensch ist ein Körper, beseelt, vernunftbegabt «. Was in dem Namen Mensch hier enthalten ist, wird durch die Namen Körper, beseelt, vernunftbegabt und ihre Zusammenfügung ausführlicher ausgedrückt. Ursprünglich heißt ein solcher Satz, weil er den Anfang jedes Schließens bildet; denn ohne eine vorangehende Erklärung der Namen, welche die in Frage stehenden Dinge bezeichnen, kann nichts bewiesen werden. Ursprüngliche Sätze sind daher stets Definitionen oder Teile von Definitionen und sie allein sind die Prinzipien des Beweises. Als Wahrheiten, die von den Erfindern der Sprache willkürlich festgesetzt wurden, bedürfen sie selber keines Beweises. Zu diesen Sätzen hat man andere als ursprüngliche und als Prinzipien bezeichnete hinzugefügt, nämlich Axiome und Gemeinideen. Aber diese sind in Wahrheit, auch wenn sie noch so evident und des Beweises nicht bedürftig erscheinen, keine Prinzipien, da diese bewiesen werden könnten. Sie können um so weniger für solche gelten, da unter dem Namen von Prinzipien dunkle, vielfach auch offenbar falsche Sätze von Menschen verkündet worden sind, die anderen als einleuchtende Wahrheit aufdringen möchten, was ihnen selber richtig scheint. Auch gewisse Postulate pflegt man in die Zahl der Prinzipien aufzunehmen, z. B. daß zwischen zwei Punkten eine gerade Linie gezogen werden kann, und andere Postulate der Geometrie; das sind nun in der Tat Prinzipien, aber nicht von Wissenschaft und Beweis, sondern von Kunst und Konstruktion.

10. Fünftens werden Sätze in notwendige und zufällige Wahrheiten, d. h. solche, die nicht notwendig, aber doch wahr sind, geschieden. Notwendige Wahrheiten sind Sätze, für deren Subjekt kein anderes Ding vorgestellt oder erdacht werden kann, als für welches auch das Prädikat ein Name ist. So ist der Satz: »Der Mensch ist ein Lebewesen« notwendig, da, wo immer wir annehmen, daß der Name Mensch einem Dinge zukommt, demselben Dinge auch der Name Lebewesen zukommt. Eine zufällige Wahrheit ist ein Satz, welcher zuzeiten wahr, zu anderen falsch sein mag. Der Satz: »Jeder Rabe ist schwarz« kann vielleicht heute wahr sein, später aber falsch. In einem notwendigen Satz ist das Prädikat entweder dem Subjekt äquivalent (so in dem Satz: »Der Mensch ist ein vernünftiges Lebewesen«) oder Teil eines äquivalenten Namens (so in dem Satz: »Der Mensch ist ein Lebewesen«). In diesem Beispiel ist der Name vernünftiges Lebewesen oder Mensch aus den beiden vernünftig und Lebewesen zusammengesetzt. In einer zufälligen Wahrheit ist dies dagegen nicht der Fall; denn selbst wenn es wahr wäre, daß jeder Mensch ein Lügner ist, dürfte dieser Satz nicht eine notwendige Wahrheit genannt werden, da das Wort Lügner kein Teil eines zusammengesetzten Namens ist, das dem Namen Mensch äquivalent wäre; der Satz ist hier nur eine zufällige Wahrheit, selbst wenn er tatsächlich stets wahr wäre. Notwendige Wahrheiten sind nur solche Sätze, welche ewige Wahrheit enthalten, d. h. zu allen Zeiten wahr sind. Wiederum zeigt sich hier, daß Wahrheit nicht dem Dinge, sondern allein der Sprache zukommt. Denn daß Menschen oder lebende Wesen ewig existieren, ist nicht notwendig; aber ewig wahr wird es sein, daß, wo es Menschen gibt, diese Lebewesen sind.

11. Eine sechste Unterscheidung von Sätzen ist die in kategorische und hypothetische. Kategorisch ist ein Satz, der einfach oder unbedingt aussagt, z. B. »Jeder Mensch ist ein Lebewesen, kein Mensch ist ein Baum«. Hypothetisch ist ein Satz, der bedingt aussagt, z. B. »Wenn einer ein Mensch ist, ist er auch ein Lebewesen; wenn einer ein Mensch ist, ist er kein Stein«.

Ein kategorischer Satz und der ihm entsprechende hypothetische werden beide dasselbe bedeuten, wenn die Behauptungen notwendig sind; aber nicht, wenn sie kontingent sind. Wenn z. B. der Satz: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen« wahr ist, wird auch der Satz wahr sein: »Ist man Mensch, so muß man auch ein Lebewesen sein«; aber wenn auch in kontingenten Behauptungen ein Satz wahr ist wie: »Jeder Rabe ist schwarz«, wird doch der Satz: »Ist ein Wesen ein Rabe, so muß es schwarz sein« falsch sein. Eine hypothetische Behauptung wird immer nur dann wahr sein, wenn die Schlußfolgerung richtig ist. So ist der Satz: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen« mit Recht eine Wahrheit, denn was man auch von einem Menschen aussagen mag, so kann man stets richtig folgern: »Der Mensch ist ein Lebewesen«. Und deshalb wird auch, sofern eine hypothetische Behauptung wahr ist, die entsprechende kategorische Aussage nicht nur richtig, sondern notwendig sein. Dies hielt ich deshalb hervorzuheben für wichtig, als es zum Beweise dafür dient, daß Philosophen zuverlässiger durch hypothetische als durchkategorische Sätze schließen mögen.

12. Da jede Behauptung verschieden ausgedrückt werden kann und ausgedrückt zu werden pflegt und man genötigt ist, sich so zu äußern, wie es die Mehrzahl tut, müssen die, welche Philosophie von den Meistern lernen, sich davor hüten, durch die Verschiedenheit des Ausdrucks getäuscht zu werden. Wenn sie deshalb auf einen unklaren Satz stoßen, müssen sie diesen auf seine einfachste, kategorische Form zurückführen, so daß die Kopula »ist« für sich allein steht und nicht irgendwie mit dem Subjekt oder Prädikat, die beide deutlich voneinander zu halten und zu unterscheiden sind, vermischt wird. Z. B. wenn man den Satz: »Der Mensch besitzt die Fähigkeit, nicht zu sündigen« mit dem andern vergleicht: »Der Mensch besitzt nicht die Fähigkeit, zu sündigen«, so wird der Unterschied deutlich zutage treten, sobald man die beiden Sätze folgendermaßen formuliert: »Der Mensch ist fähig, nicht zu sündigen« und »Der Mensch ist unfähig, zu sündigen«, wo die Prädikate offensichtlich verschieden sind. Aber so etwas sollte still für sich gedacht oder nur mit dem Lehrer besprochen werden; denn man würde für töricht und lächerlich gelten, wenn man in Gesellschaft sich so äußern würde. Will man also von äquipollenten Sätzen sprechen, so muß man erstens all jene als äquipollent bezeichnen, die auf ein und dieselbe schlichte kategorische Behauptung zurückgeführt werden können.

13. Zweitens sind kategorische und notwendige Sätze hypothetischen äquipollent. Z. B. ist der kategorische Satz: »Ein geradliniges Dreieck hat drei Winkel gleich zwei Rechten« dem hypothetischen: »Wenn eine Figur ein geradliniges Dreieck ist, müssen seine drei Winkel gleich zwei Rechten sein« äquipollent.

14. Drittens sind zwei beliebige Sätze, deren Glieder, d. h. Subjekt und Prädikat, eins dem andern kontradiktorisch entgegengesetzt sind und in umgekehrter Reihenfolge stehen, wie z.B.: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen« und »Alles, was nicht lebt, ist nicht Mensch«, äquipollent. Denn da es wahr ist, daß jeder Mensch ein Lebewesen ist, bedeutet der Name Lebewesen soviel als Mensch; beides sind aber positive Namen und deshalb (nach dem letzten Abschnitt des vorhergehenden Kapitels) enthält der negative Name Nicht-Mensch den negativen Namen Nicht-Lebewesen; also ist der Satz richtig: »Jedes Nicht-Lebewesen ist Nicht-Mensch«. Genau so gleichwertig sind die Sätze: »Kein Mensch ist ein Baum«; »Kein Baum ist ein Mensch«. Denn ist es wahr, daß Baum nicht Name für Mensch ist, so werden auch die beiden Namen Mensch und Baum nicht ein und dasselbe Ding bezeichnen; demnach ist es eine richtige Behauptung, daß kein Baum ein Mensch ist. Ebenso wird dem Satze: »Jedes Nicht-Lebewesen ist Nicht-Mensch« ein Satz, in dem beide Glieder negativ sind, jenem andern Satze: »Nur ein Lebewesen ist Mensch« äquipollent sein.

15. Viertens sind negative Sätze (mag die Negationspartikel hinter die Kopula gestellt sein, wie es bei manchen Völkern getan wird, oder mag sie vorangestellt sein, wie es im Lateinischen und Griechischen geschieht, vorausgesetzt, daß die Satzglieder dieselben bleiben) äquipollent. Z. B. die Sätze: »Der Mensch stellt keinen Baum dar« und »Der Mensch stellt einen Nicht-Baum dar« bedeuten dasselbe, obgleich Aristoteles das leugnet. Auch folgende Sätze bedeuten dasselbe: »Jeder Mensch ist kein Baum« und »Kein Mensch ist ein Baum«; das ist sogar so augenscheinlich, daß es keines Beweises bedarf.

16. Schließlich bedeuten alle partikularen Sätze mit umgekehrten Gliedern, wie: »Irgendein Mensch ist blind«, »Irgend etwas Blindes ist ein Mensch« dasselbe; denn beide Namen gehören ein und demselben Menschen und bezeichnen deshalb dieselbe Wahrheit, in welcher Ordnung auch ihre Glieder sich folgen.

17. Von den Sätzen, welche dieselben Glieder in derselben Reihenfolge haben, aber entweder durch Quantität oder Qualität voneinander verschieden sind, werden die einen subaltern, die andern konträr, noch andre subkonträr und die letzten kontradiktorisch genannt.

Subaltern nennt man universale und partikulare Sätze derselben Qualität, wie: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen«, »Irgendein Mensch ist ein Lebewesen«, oder: »Kein Mensch ist klug, irgendein Mensch ist nicht klug«. Wenn von diesen Sätzen der universale richtig ist, wird es auch der partikulare sein.

Konträr sind universale Sätze verschiedener Qualität, wie z.B.: »Alle Menschen sind glücklich«, »Kein Mensch ist glücklich«. Wenn von diesen einer wahr ist, muß der andre falsch sein, wie im angegebenen Beispiele.

Subkonträr sind partikulare Sätze verschiedener Qualität, wie z.B.: »Manch ein Mensch ist gelehrt«, »Manch ein Mensch ist nicht gelehrt«; beide können nicht falsch sein, doch können sie beide richtig sein.

Kontradiktorisch sind solche Sätze, die in Quantität und Qualität voneinander verschieden sind, wie z.B.: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen«, »Irgendein Mensch ist nicht ein Lebewesen«; was beides weder richtig, noch beides falsch sein kann.

18. Eine Behauptung folgt, wie man sagt, aus zwei andern Behauptungen, und wenn diese als wahr anerkannt sind, wird der Folgerung auch nicht ihre Richtigkeit abgesprochen werden. Z. B. setzen wir diese zwei Behauptungen; »Jeder Mensch ist ein Lebewesen« und »Jedes Lebewesen ist ein Körper« als richtig voraus, dann heißt dies, daß Körper der Name jedes Lebewesens ist und Lebewesen der Name jedes Menschen. Wenn man dies als richtig anerkannt hat, ist es unmöglich, anzunehmen, daß Körper nicht der Name für jeden Menschen sein sollte, das heißt, daß der Satz falsch sein sollte: »Jeder Mensch ist ein Körper«; diese Behauptung wird aus jenen zwei andern gefolgert oder notwendigerweise aus ihnen geschlossen werden.

Daß ein richtiger Satz aus falschen Voraussetzungen gefolgert wird, kann manchmal vorkommen, aber nie ein falscher Satz aus richtigen Behauptungen. Denn wenn folgende Sätze: »Jeder Mensch ist ein Stein« und »Jeder Stein ist ein Lebewesen« (beides falsche Voraussetzungen) als richtig angenommen werden, muß man auch zugeben, daß Lebewesen der Name für jeden Stein und Stein der Name für jeden Menschen ist, das heißt, daß Lebewesen der Name jedes Menschen ist und der Satz: »Jeder Mensch ist ein Lebewesen« richtig ist, wie es auch in Wahrheit der Fall ist. Daraus ergibt sich, daß ein richtiger Satz manchmal aus falschen Voraussetzungen gefolgert wird. Aber aus zwei richtigen Voraussetzungen kann nie eine falsche Behauptung gezogen werden. Denn wenn man auch Richtiges aus Falschem schließen kann, vorausgesetzt nur, daß das Falsche als wahr angenommen ist, wird Wahrheit aus zwei richtigen Voraussetzungen in gleicher Weise sich ergeben.

20. Da wir nun gesehen haben, daß aus wahren Aussagen stets ein richtiges Urteil folgt und die Einsicht in die Wahrheit zweier Aussagen die Ursache der Einsicht ist, so daß auch das als richtig anzunehmen ist, was aus ihnen gefolgert wird, nennt man die beiden Vordersätze gewöhnlich die Ursachen des gefolgerten Satzes oder der Schlußfolgerung. Und daher kommt es, daß Logiker die Prämissen die Ursachen der Konklusion nennen, was man gelten lassen kann, obgleich es nicht ganz korrekt ausgedrückt ist; denn wenn auch die eine Einsicht die Ursache der anderen ist, so ist doch ein Satz nicht die Ursache eines anderen. Wenn man etwa sagt, die Ursache der Eigenschaften irgendeines Dinges sei das Ding selbst, so spricht man töricht. Gesetzt, man stelle sich eine Figur, sagen wir ein Dreieck, vor, so weiß man, daß die Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten sind, und kann daraus schließen, daß die Winkel jener Figur gleich zwei Rechten sind; nun könnte man aus gleichem Grunde wie soeben sagen: Jene Figur ist die Ursache der Winkelgleichheit. Da aber die Figur ihre Winkel nicht selbst macht und deshalb auch nicht die wirkende Ursache sein kann, heißt man sie die formale Ursache, obgleich sie in Wahrheit gar keine Ursache ist; ebensowenig folgt die Eigenschaft irgendeiner Figur dieser, sondern existiert zugleich mit ihr; nur die Erkenntnis der Figur geht der ihrer Eigenschaft voran; und eine Erkenntnis ist in Wahrheit die Ursache einer andern Erkenntnis, nämlich ihre sie hervorrufende Ursache.

So viel über die Urteile, die im Fortgang der Philosophie der erste Schritt sind, der Vorwärtsbewegung eines Fußes vergleichbar. Indem ich nunmehr zum Syllogismus übergehe, füge ich, wie erforderlich, die Bewegung des zweiten Fußes hinzu und vollende den ersten Schritt. Davon im nächsten Kapitel.


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