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Tausend und eine Nacht. Band VII
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Abū Hassân es-Sijâdī.

Ferner berichtet man, daß Abū Hassân es-Sijâdī erzählt: »Ich lebte einst in so großer Bedrängnis, daß der Krämer und Bäcker und die andern Händler mich mit ihren Forderungen bestürmten, und ich ins größte Elend kam, ohne daß ich mir zu helfen wußte. Wie ich nun in dieser verzweifelten Lage war und nicht aus noch ein wußte, kam plötzlich einer meiner Burschen zu mir herein und sagte: »Vor der Thür steht ein Pilgersmann, der dich besuchen möchte.« Da sagte ich: »Laß ihn eintreten;« worauf derselbe eintrat, und siehe, da war es ein Mann aus Chorāsân. Nachdem wir den Salâm miteinander ausgetauscht hatten, fragte er mich: »Bist du nicht Abū Hassân es-Sijâdī?« Ich erwiderte: »Jawohl; was ist dein Begehr?« Da sagte er: »Ich bin ein Fremdling und bin auf der Pilgerfahrt begriffen; nun hab' ich eine Geldsumme bei mir, die mir lästig fällt; ich möchte daher diese zehntausend Dirhem bei dir deponieren, bis ich meine Pilgerfahrt vollendet habe und wieder zurückgekehrt bin. Wenn die Karawane wieder eintrifft, und du mich nicht siehst, so wisse, daß ich gestorben bin, und das Geld gehört dann dir als ein Geschenk von mir; kehre ich aber wieder zurück, so ist es meines.« Ich antwortete ihm: »Es sei, wie du willst, so Gott will, der Erhabene.« Da holte er einen ledernen Beutel hervor, und ich sagte zu dem Burschen: »Bring' mir eine Wage.« Als er die Wage gebracht hatte, wog er das Geld ab und übergab es mir, worauf er seines Weges zog, während ich die Händler holen ließ und ihnen meine Schuld bezahlte.

Dreihundertundfünfzigste Nacht.

Dann machte ich große Ausgaben und allerlei Einkäufe, indem ich bei mir sprach: »Bis zu seiner Rückkehr wird uns Gott schon etwas von seinen Gaben gewähren.« Am nächsten Morgen trat mein Bursche bei mir ein und sagte zu mir: 148 »Dein Freund aus Chorāsân ist an der Thür.« Ich erwiderte: »Laß ihn herein.« Wie er nun eingetreten war, sagte er zu mir: »Ich hatte mich zur Pilgerfahrt fest entschlossen; doch vernahm ich, daß mein Vater gestorben ist, und will deshalb wieder heimkehren. Gieb mir daher das Geld, das ich dir gestern zur Aufbewahrung gab, wieder.« Als ich ihn solche Worte sprechen hörte, überfiel mich so schwere Sorge, wie nie einen Menschen zuvor, so daß ich ihm in meiner Bestürzung zuerst keine Antwort zu geben vermochte; denn, leugnete ich den Empfang des Geldes, so hätte er mich schwören lassen, und ich wäre im Jenseits in Schimpf und Schande geraten, sagte ich ihm aber, ich hätte das Geld ausgegeben, so hätte er lautes Geschrei erhoben und mich in aller Leute Mund gebracht. So sagte ich denn schließlich zu ihm: »Gott erhalte dich! Dieses mein Haus hier ist keine Festung und kein sicherer Platz für das Geld. Als ich den Beutel von dir erhalten hatte, schickte ich ihn zu einem andern, bei dem er jetzt ist; komm' morgen wieder, dann sollst du ihn haben, Inschallāh, so Gott will, der Erhabene.« Darauf verließ er mich, während ich, bestürzt über die Wiederkehr des Chorasaners, die Nacht schlaflos verbrachte und nicht imstande war ein Auge zuzuthun; ich stand daher auf und sagte zu meinem Burschen: »Sattle mir das Maultier.« Er erwiderte mir: »Mein Herr, es ist noch nichts von der Nacht vergangen, das erste Drittel ist noch nicht verstrichen.« Hierauf suchte ich wieder mein Lager auf, doch blieb mir der Schlaf fern, und ich weckte in einem fort den Burschen, während er mich abwies, bis das Morgenrot kam. Dann sattelte er mir das Maultier, und ich stieg auf, ohne zu wissen, wohin ich reiten sollte; die Zügel auf die Schultern des Maultiers hängen lassend, versank ich in trübe Gedanken, während es mit mir dem westlichen Teile Bagdads zuschritt. Mit einem Male sah ich eine Menge Leute ankommen und bog aus ihrem Weg in einen andern ein, um ihnen auszuweichen. Als sie jedoch sahen, daß ich einen Richterturban 149 trug, eilten sie auf mich zu und fragten mich: »Weißt du die Wohnung Abū Hassân es-Sijâdīs?« Ich antwortete: »Der bin ich selber.« Da sagten sie: »So entsprich dem Fürsten der Gläubigen;« und ich folgte ihnen zum Chalifen El-Mamûn. Als ich bei ihm eingetreten war, fragte er mich: »Wer bist du?« Ich antwortete: »Einer der Freunde des Kadis Abū Jûsuf, ein Schriftgelehrter und Traditionist.« Hierauf fragte mich der Chalife: »Welchen Unterscheidungsnamen führst du?« Ich erwiderte: »Abū Hassân es-Sijâdī;« und nun sagte er zu mir: »Trag' mir deinen Fall vor.« Da trug ich ihm meine Geschichte vor, worauf er laut weinte und sagte: »Wehe dir! der Gesandte Gottes, – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – ließ mich heute Nacht um deinetwillen nicht schlafen; denn als ich zu Anbeginn der Nacht schlief, sprach er zu mir: Hilf Abū Hassân es-Sijâdī. Hierauf erwachte ich; da ich dich jedoch nicht kannte, schlief ich wieder ein, worauf er zum zweitenmal zu mir kam und sprach: Wehe dir! Hilf Abū Hassân es-Sijâdī. Zum zweitenmal erwachte ich, doch da ich dich nicht kannte, schlief ich wieder ein, worauf er zum drittenmal zu mir kam und rief: Wehe dir, hilf Abū Hassân es-Sijâdī. Da wagte ich es nicht mehr zu schlafen, sondern durchwachte die ganze Nacht und weckte die Leute, um sie überallhin auszuschicken, daß sie dich suchten.« Hierauf gab er mir zehntausend Dirhem und sagte: »Das ist für den Chorasaner;« dann gab er mir noch einmal zehntausend Dirhem und sagte zu mir: »Gieb dies aus und ordne damit deine Verhältnisse;« alsdann gab er mir dreißigtausend Dirhem und sagte zu mir: »Statte dich hiermit aus und wenn der Tag der Prozession kommt, so stelle dich bei mir ein, daß ich dir irgend ein Amt verleihe.« Da ging ich hinaus von ihm mit dem Geld und begab mich nach meiner Wohnung, woselbst ich das Morgengebet verrichtete; und siehe, da stellte sich auch schon der Chorasaner ein, und ich führte ihn ins Haus und holte einen Beutel mit zehntausend Dirhem für ihn hervor und sagte: 150 »Hier ist dein Geld.« Er entgegnete jedoch: »Es ist nicht dasselbe Geld, das ich dir gab.« Ich versetzte: »So ist's.« Da fragte er: »Wie kommt das?« Und nun erzählte ich ihm die Geschichte, worauf er weinend rief: »Bei Gott, hättest du mir gleich die Wahrheit gesagt, ich hätte dich nicht gedrängt! Nun aber nehme ich, bei Gott, nichts –

Dreihundertundeinundfünfzigste Nacht.

von diesem Gelde an, und du bist frei von jeder Haftbarkeit.« Hierauf verließ er mich, und ich brachte meine Sachen in Ordnung. Am Prozessionstag begab ich mich dann zu El-Mamûns Thor und trat bei ihm ein, während er gerade dasaß. Als ich vor ihm erschien, ließ er mich näher treten und holte unter seinem Gebetsteppich ein Bestallungsdiplom hervor, indem er zu mir sagte: »Dies ist die Urkunde deiner Einsetzung als Kadi über das westliche Viertel der erlauchten StadtMedina, als Begräbnisort des Propheten so genannt. vom Thor des Grußes an bis zum äußersten Ende der Stadt; und so und so viel setze ich dir als monatliche Einkünfte fest. So fürchte Gott, den Mächtigen und Herrlichen, und vergiß nicht der Huld des Gesandten gegen dich, – Gott segne ihn und spende ihm Heil!« Da verwunderte sich das Volk über die Worte des Fürsten der Gläubigen und fragte mich nach ihrem Sinn, und ich erzählte allen die Geschichte von Anfang bis zu Ende, worauf sie sich unter den Leuten verbreitete.«

Abū Hassân es-Sijâdī aber blieb Kadi in der erlauchten Stadt, bis er starb in den Tagen des El-Mamûn, – Gottes Barmherzigkeit über ihn!

 


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