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Tausend und eine Nacht. Band VII
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Alī Schâr und Sumurrud.

Smaragd.

Ferner erzählt man, daß in alten Zeiten und in längst entschwundenen Tagen ein Kaufmann im Lande Chorāsân lebte, des Name Medschd war; derselbige war reich an Geld und an Negersklaven, Mamluken und Pagen, doch hatte er 50 bereits das sechzigste Lebensjahr erreicht, ohne daß ihm ein Sohn geschenkt worden wäre. Da begab es sich, daß Gott, der Erhabene, ihm ein Knäblein schenkte, welchem er den Namen Alī gab. Als der Knabe herangewachsen war, glich er dem Vollmond in der Nacht seiner Fülle, und als er die Mannesreife erlangt hatte und alle Vollkommenheiten in sich vereinte, ward sein Vater zu Tode krank, so daß er seinen Sohn rufen ließ und zu ihm sagte: »O mein Sohn, die Zeit des Todes ist genaht, und ich wünsche dir ein Vermächtnis ans Herz zu legen.« Da fragte Alī: »Was ist es, mein Vater?« Und der Kaufmann erwiderte: »Ich lege dir ans Herz, daß du mit keinem der Menschen zu vertraut wirst, und daß du alles meidest, was Schaden und Unglück bringt. Hüte dich vor schlechtem Umgang, denn dieser ist wie der Schmied; wenn dich sein Feuer nicht brennt, so beißt dich sein Rauch; und wie schön ist das Dichterwort:

In deiner Zeit ist keines Freundschaft erstrebenswert,
Und keinen findest du treu, wenn die Zeit dich verrät.
Drum leb' für dich und baue auf niemandes Hilfe,
Das ist mein guter Rat für dich, und er genügt.

Oder wie ein anderer sagt:

Menschen gleichen einer verborgenen Krankheit, drum bau' nicht auf Menschen,
Denn voll Falsch und Arglist findest du sie, sobald du sie prüfst.

Oder wie ein dritter sagt:

Umgang mit Menschen bringt keinen Gewinn,
Es sei denn Geschwätz in vielem Hin und Her.
Drum suche mit Menschen nur einzig Verkehr,
Um Lehren zu hören und dein Gut dir zu mehren.

Oder wie ein vierter sagt:

Wenn ein heller Kopf die Menschen erprobte,
Ich hab' sie gegessen, die er nur geschmeckt hat;
Und ich sah, daß ihre Liebe nur Trug ist,
Und ihr Glauben nichts anders als Heuchelei.«

Da sagte Alī: »O mein Vater, ich höre und gehorche; was aber habe ich nun noch weiter zu thun?« Und sein Vater 51 entgegnete: »Thue Gutes, wenn du es vermagst; sei immer den Leuten gefällig, und erbeute immer die Gelegenheit zu guten Werken, denn nicht zu allen Zeiten läßt sich ein Wunsch bequem ausführen. Wie schön lautet das Dichterwort:

Nicht zu jeder Zeit und nicht in jeder Stunde
Lassen sich mühelos gute Werke vollbringen.
Ist dies möglich, so eile dich,
Ehe dir Mittel und Möglichkeit schwinden.«

Da sagte Alī: »Ich höre und gehorche;

Dreihundertundneunte Nacht.

was aber noch weiter?« Und Alīs Vater sprach: »Gedenke Gottes, so wird er dein gedenken; hüte dein Gut und verschwende es nicht, denn, so du es vergeudest, wirst du des geringsten Menschen bedürfen; und wisse, des Mannes Wert hängt ab von dem Gut, das seine Rechte zu eigen hält. Wie schön hat daher der Dichter gesprochen:

Wenn mein Geld knapp wird, sucht mich keiner zum Freund,
Doch wenn es wächst, so drängen sich alle Leute um mich.
Wie viele Feinde machte das Geld mir zu Freunden,
Wie viele Freunde machte sein Verlust mir zu Feinden!«

Da fragte Alī: »Und was dann?« Und sein Vater erwiderte: »O mein Sohn, frage Ältere um Rat und überhaste nicht die Dinge, die du erstrebst. Sei barmherzig gegen alle, die unter dir stehen, so daß alle die über dir stehen, auch barmherzig gegen dich sind, und bedrücke keinen, daß Gott nicht einen über dich setzt, der dich bedrückt. Wie schön lautet das Dichterwort:

Thu' zu deinem Verstand den Verstand eines andern und frag' um Rat,
Denn die Wahrheit verbirgt sich nicht vor zweier Menschen Verstand.
Der Mann ist ein Spiegel, der nur das Antlitz zeigt,
Doch bei zween Spiegeln schaut er den Rücken auch.

Oder wie ein anderer sagt:

Sei langsam und beeile dich nicht mit deinen Geschäften
Und sei gegen die Leute barmherzig, so findest du auch einen Barmherzigen. 52
Es giebt keine Hand, über welcher nicht Gottes Hand ist,
Und keinen Tyrannen, der nicht einen Tyrannen findet.

Oder wie ein dritter sagt:

Sei kein Tyrann, auch wenn die Macht dir ward,
Denn Rache lauert rings um den Tyrannen.
Schläft auch dein Aug', so wacht doch der Bedrückte,
Und Gott, der nimmer schläft, hört seinen Fluch.

Und hüte dich auch, Wein zu trinken, denn der Wein ist aller Übel Anfang; der Wein raubt den Verstand und macht den Trinker verächtlich. Wie schön lautet daher das Dichterwort:

Bei Gott, nicht soll der Wein mich benebeln, so lang' meine Seele
Am Leib hängt, und so lang' meine Rede noch klar ist.
Nie will ich mich kindisch dem im Nordwind Gekühlten ergeben,
Und nur den zum Tafelgenossen erwählen, der nüchtern bleibt.

Das ist mein Vermächtnis an dich, und nun halte es vor Augen, und Gott wird mein Stellvertreter bei dir sein.« Hieraus sank er in Ohnmacht und schwieg eine Weile; dann kam er wieder zu sich, bat Gott um Verzeihung, sprach das Bekenntnis und schied zur Barmherzigkeit Gottes, des Erhabenen, ab. Da weinte und klagte sein Sohn über ihn und machte sich daran, ihn zur Bestattung in schicklicher Weise herzurüsten; und Groß und Klein geleitete ihn zur Gruft, die Koranleser lasen die Schrift rings um seine Tragbahre, und Alī ließ keine von den dem Toten schuldigen Pflichten ungethan. Alsdann beteten sie über ihn und versenkten ihn in den Staub, worauf sie über seine Gruft die Verse schrieben:

Aus Staub wardst du erschaffen und wardst lebendig
Und lerntest hier der Redeführung Kunst;
Nun kehrst du heim zum Staub, ein toter Leib,
Als wärst du nie vom Staub einst ausgegangen.

Und so betrauerte ihn sein Sohn Alī Schâr tief und empfing die Kondolenzbesuche, wie sie unter Vornehmen üblich sind; er betrauerte seinen Vater so lange, bis seine Mutter ebenfalls bald darauf verstarb und er sie in gleicher Weise wie seinen Vater bestattete. Alsdann aber setzte er sich in 53 seinen Laden und kaufte und verkaufte, ohne mit irgend einem von Gottes, des Erhabenen, Geschöpfen nähern Umgang zu pflegen, getreu seines Vaters letztem Vermächtnis, bis ein Jahr darüber verstrichen war. Da aber schlichen sich bei ihm die Dirnensöhne ein und suchten so lange seine Gesellschaft auf, bis er sich mit ihnen zu schlechten Streichen neigte und vom rechten Pfade abwich und schweren Wein aus Bechern trank und Tag und Nacht die Schönen aufsuchte, indem er bei sich sprach: »Siehe, mein Vater hat all dies Geld für mich zusammengescharrt, und wenn ich es nicht ausgebe, wem soll ich es dann hinterlassen? Bei Gott, ich will nicht anders verfahren, als wie der Dichter sagt:

Wenn du dein ganzes Leben lang zusammenscharrst und raffst,
Wann willst du dann genießen dein zusammengescharrtes Gut?«

Und so hörte Alī Schâr von nun an nicht mehr auf sein Geld die ganzen Nächte und Tage über zu verschleudern, bis alles Geld dahin war, und er in üble Lage kam und sein Herz sich verdüsterte. Da verkaufte er den Laden und die Häuser und dergleichen und schließlich die Sachen von seinem Leibe, bis ihm nichts mehr als ein einziger Anzug übrig geblieben war. Wie ihn nun die Trunkenheit verlassen hatte und Gedankenversunkenheit bei ihm einkehrte, da hob er an zu seufzen und sprach eines Tages bei sich, als er vom Morgen bis zum Nachmittag ohne Imbiß dagesessen hatte: »Ich will bei allen denen die Runde machen, für die ich mein Geld ausgab; vielleicht finde ich einen, der mir heute etwas zu essen giebt.« Darauf machte er bei allen die Runde, aber so oft er an irgend eine Thüre pochte, verleugnete sich der Hausherr und machte sich unsichtbar, bis der Hunger in ihm brannte. Alsdann machte er sich zum Bazar der Kaufleute auf, –

Dreihundertundzehnte Nacht.

wo er eine in einen dichten Kreis zusammengedrängte Volksmenge stehen sah. Da sprach er bei sich: »Weshalb mag das Volk wohl hier zusammengelaufen sein? Bei Gott, ich 54 will nicht eher von hier fortgehen, als bis ich mich an diesem Menschenkreis satt gesehn habe.« Alsdann drängte er sich in die Menge, und sah nun eine fünf SpannenD. h. nicht voll erwachsene und deshalb im höheren Werte stehende Sklavin. lange, ebenmäßig gewachsene Sklavin, mit rosigen Wangen und prallen Brüsten, die alle Mädchen ihrer Zeit an Schönheit, Anmut, Eleganz und Vollkommenheit übertraf, wie einer in ihrer Beschreibung sagt:

So wie sie wollte, ward sie erschaffen, so daß, als sie vollendet war,
Sie gegossen erschien in der Schönheit Form, weder lang noch kurz.
Die Schönheit erwachte und verliebte sich sterblich in ihre Gestalt,
In welcher sich Spröde und Stolz und Keuschheit das Gleichgewicht halten.
Ihr Gesicht ist der Vollmond, ihr Wuchs das Reis,
Und ihr Atem ist Moschusduft, und ihr gleich ist kein Wesen.
Aus Perlenwasser scheint sie gegossen zu sein,
Denn aus jedem ihrer schönen Glieder glitzert ein Mond.

Der Name jenes Mädchens aber war Sumurrud. Als nun Alī Schâr sie erblickte, verwunderte er sich über ihre Schönheit und Holdseligkeit und sprach: »Bei Gott, ich will nicht eher fortgehen, als bis ich sehe, für wieviel dieses Mädchen fortgeht, und zugleich ihren Käufer kennen lerne.« Wie er sich aber unter die anderen Kaufleute stellte, glaubten dieselben, daß er Lust hätte, sie zu kaufen, da sie von dem großen Gut, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, wußten; und der Mäkler trat nun neben das Mädchen und rief: »Ihr Kaufleute, ihr Kapitalisten, wer öffnet die Pforte des Bietens auf diese Sklavin, die Herrin der Monde, die kostbare Perle, Sumurrud die Vorhängestickerin, des Suchenden Wunsch und des Begehrenden Wonne? Öffnet die Pforte, und dem, der sie öffnet, sei weder Tadel noch Vorwurf!« Da rief einer der Kaufleute: »Her mit ihr für fünfhundert Dinare!« ein anderer: »und zehn;« ein Scheich aber, Namens Raschîd ed-Dîn, mit blauen Augen und gemeinem Aussehen bot sechshundert, worauf ein anderer wieder zehn mehr bot; da rief der Scheich: »Tausend Dinare,« und nun hemmten 55 die Kaufleute ihre Zungen und schwiegen, während sich der Mäkler mit ihrem Herrn besprach, welcher erklärte: »Ich habe geschworen, daß ich sie nur dem verkaufe, den sie sich selber aussucht; frag sie daher um ihre Meinung.« Infolgedessen trat der Mäkler an sie heran und sagte zu ihr: »O Herrin der Monde, sieh, jener Kaufmann will dich kaufen.« Da schaute sie ihn an, sagte jedoch zum Mäkler, als sie sah, daß er oben beschriebenes Aussehen hatte: »Ich will nicht einem von Marasmus gänzlich heruntergebrachten Graukopf verkauft werden. Gott segne jenen Mann, der da gesagt hat:

Einst bat ich sie um einen Kuß, doch als sie mein graues Haar sah,
Wiewohl ich reich an Geld und Gut war und im Überfluß lebte,
Da kehrte sie meinem Wunsch den Rücken und rief:
»Nein, nimmermehr, bei dem, der den Menschen aus dem Nichts erschuf!
Ich trage nach weißem Haar kein Verlangen,
Soll denn im Leben schon mein Mund mit Baumwolle gestopft werdenErgänze: Wie es sonst nur mit Toten geschieht.

Als der Mäkler ihre Worte vernahm, sagte er zu ihr: »Bei Gott, du bist zu entschuldigen, und dein Kaufpreis sind zehntausend Dinare.« Hierauf teilte er ihrem Herrn mit, daß sie jenen Greis nicht haben möchte, und ihr Herr sagte zu ihm: »Frag sie in betreff eines andern.« Da trat ein anderer Mann herzu und sagte: »Her mit ihr für den Preis, den der Scheich, den sie nicht mag, geboten hat!« Als sie nun aber diesen Menschen betrachtete und fand, daß er einen gefärbten Bart hatte, rief sie: »Was soll diese verdächtige und niederträchtige Art und dieser schwarzgefärbte graue Bart?« Dann verwunderte sie sich hin und her und sprach die Verse:

»Sie sprach: Ich seh' du färbst dir deinen Bart. Sprach ich:
Verbergen will ich ihn vor dir, mein Ohr und Aug'.
Haha! Da lachte sie und sprach: Wie sonderbar!
Bis auf die Haare selbst bist du voll Lug und Falsch.«

Als der Mäkler ihre Verse hörte, sagte er zu ihr: »Bei Gott, du hast recht.« Der Kaufmann aber fragte den Mäkler, was sie gesagt hätte, und als er nun von ihm ihre Verse 56 vernahm, sah er ein, daß das Recht auf ihrer Seite war und stand von ihrem Kauf ab. Alsdann trat ein dritter Kaufmann vor und sagte zum Mäkler: »Frag sie, ob sie für denselben Preis mein sein will.« Wie der Mäkler nun bei ihr anfragte und sie sich den Kaufmann ansah, fand sie, daß er einäugig war, und rief: »Der Mann da ist ja einäugig; wie denn auf ihn das Dichterwort paßt:

Nicht für einen Tag nimm den Einäugigen zum Freund,
Sei auf der Hut vor seiner Bosheit und seinem Falsch!
Wenn irgend ein gutes in diesem Einaug wäre,
So hätte Gott ihm sein Auge nicht blind gemacht.«Die alte Anschauung von dem Leid als Sündenstrafe. Vgl. die Apostelfrage: Welcher hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, auf daß er blindgeboren wurde?

Hierauf fragte sie der Mäkler: »Willst du dem Kaufmann dort verkauft werden?« Da schaute sie ihn an und sagte, als sie fand, daß er klein war und einen bis auf seinen Nabel reichenden Bart hatte: »das ist der, von dem der Dichter gesagt hat:

Ich hab' einen Freund, und der hat 'nen Bart,
Der wuchs ihm von Gott ganz nutzlos lang.
Er kommt mir vor wie 'ne Wintersnacht,
Lang und duster und bitterlich kalt.«

Da sagte der Mäkler zu ihr: »Meine Herrin, dann such' dir einen unter den hier Anwesenden aus und nenn' ihn mir, daß ich dich ihm verkaufen kann.« Nun ließ sie ihre Blicke über den ganzen Ring der Kaufleute schweifen, einen nach den andern genau prüfend. Als aber ihre Augen auf Alī Schâr fielen, –

Dreihundertundelfte Nacht.

sah sie ihn mit einem einzigen Blick an, der ihr tausend Seufzer nachfolgen ließ, und sie verlor ihr Herz an ihn, da er wunderbar schön und anmutiger als Nordwindswehn war. Und so sagte sie denn zum Mäkler: »Ich will keinem andern als diesem meinem Herrn mit dem hübschen Gesicht und 57 dem trefflichen Wuchs verkauft werden, von dem ein Dichter in seiner Beschreibung sagt:

Sie enthüllten dein hübsches Gesicht und schalten dann den Verführten;
Hätten sie mich in Sicherheit gewünscht, so hätten sie dein schönes Gesicht verschleiert.

Niemand soll mich besitzen, als er allein, weil seine Wange glatt und sein Speichel süß wie der Salsabîl ist. Seines Mundes Saft heilt die Kranken, und seine Reize verwirren die Poeten und Prosaisten, wie der Dichter von ihm gesagt hat:

Sein Speichel ist Wein, sein Atem Moschus,
Und seine Zähne glitzern wie Kampfer.
Nidwân hat ihn aus seinem Reiche gewiesen
Aus Furcht, daß die Huris sich verführen ließen.
Die Menschen tadeln ihn um seines Stolzes willen,
Doch des Vollmonds Stolz ist zu entschuldigen.

Kraus ist sein Haar, seine Wangen sind rosig, sein Blick ist ein Zauberer, und der Dichter sagt von ihm:

Die junge Gazelle versprach mir ein Stelldichein,
Und mein Herz schlug heiß und mein Auge spähte;
Seine Lider bürgten für seiner Worte Wahrheit,
Doch wie könnte er Treue halten bei ihrer Schlaffheit?

Als der Mäkler die Verse vernahm, die sie auf Alī Schârs Reize sprach, verwunderte er sich über ihre Beredsamkeit und ihre hell erstrahlende Schönheit. Ihr Besitzer aber sagte zu ihm: »Verwundere dich nicht über den Glanz ihrer Schönheit, welcher die Sonne am lichten Tag beschämt, und auch nicht darüber, daß sie solche hübschen Verse auswendig weiß, denn außerdem recitiert sie noch den erhabenen Koran nach den sieben Lesarten und die Traditionen in richtiger Überlieferung; sie schreibt die sieben Schreibarten und besitzt mehr Kenntnisse als die gelehrtesten Gelehrten. Überdies sind ihre Hände besser als Gold und Silber, da sie seidene Vorhänge zum Verkauf anfertigt und an jedem fünfzig Dinare verdient, wobei sie einen Vorhang in acht Tagen fertig 58 stellt.« Da rief der Mäkler: »O glückselig der Mann, in dessen Haus dieses Mädchen kommt, und der sie als sein edelstes Kleinod behütet!« Hierauf sagte ihr Herr zu ihm: »Verkaufe sie dem, den sie sich erwählt;« und der Mäkler kehrte nun wieder zu Alī Schâr zurück und sagte zu ihm, ihm die Hände küssend: »Ach mein Herr, kauf' doch dieses Mädchen, da sie dich auserwählt hat,« und beschrieb ihm ihre Vorzüge und Kenntnisse und Fertigkeiten, wobei er hinzufügte: »Glück dir, wenn du sie kaufst, denn sie ist ein Geschenk von Ihm, der keine knauserigen Geschenke macht.« Da ließ Alī Schâr sein Haupt eine Weile zu Boden hängen, indem er dabei über sich selbst lachte und in seinem Herzen sprach: »Bis zu dieser Stunde bin ich noch nüchtern, doch fürchte ich mich vor den Kaufleuten zu sagen, daß ich kein Geld bei mir habe, sie zu kaufen.« Das Mädchen aber, welches ihn hatte das Haupt niederschlagen sehen, sagte nun zum Mäkler: »Faß mich bei der Hand und führe mich zu ihm, daß ich mich ihm präsentieren kann und in ihm Verlangen nach meinem Besitz erwecke; denn nur ihm will ich verkauft werden.« Da nahm sie der Mäkler und stellte sie vor Alī Schâr, indem er zu ihm sagte: »Was beliebt dir, mein Herr?« Als er ihm jedoch keine Antwort gab, sagte das Mädchen: »Mein Herr und mein Herzgeliebter, weshalb magst du mich nicht kaufen? So kaufe mich doch für was du willst, und ich will dir Glück bringen.« Nun hob er den Kopf zu ihr und sagte: »Muß ich dich mit Gewalt kaufen? Du bist tausend Dinare wert.« Da sagte sie: »Mein Herr, so kauf' mich für neunhundert!« Er entgegnete: »Nein.« – »Nun denn für achthundert?« – »Nein.« Da ging sie fortwährend herunter im Preise, bis sie zu ihm sagte: »Für hundert Dinare.« Da sagte er: »Ich habe nicht volle hundert Dinare bei mir.« Lachend erwiderte sie: »Wie viel fehlt dir an deinen hundert?« Er entgegnete: »Ich habe weder hundert noch sonst irgend etwas an Geld bei mir. Bei Gott, ich habe weder weißes Silber noch rotes Gold, 59 weder Dirhem noch Dinar; such' dir daher einen bessern Käufer aus.« Als sie hörte, daß er nichts bei sich hatte, sagte sie zu ihm: »Faß mich bei der Hand und führe mich in eine Seitengasse, als wolltest du mich untersuchen.« Da that er es, und nun zog sie aus ihrer Tasche einen Beutel mit tausend Dinaren hervor und sagte: »Wäge hiervon neunhundert als meinen Kaufpreis ab und behalte den Rest von hundert Dinaren bei dir zum Leben.« Und so that er es denn und kaufte sie für neunhundert Dinare, indem er den Kaufpreis aus jenem Beutel zahlte; dann begab er sich mit ihr nach Hause. Als sie aber dort angelangt war und einen öden Raum ohne Polster, Teppiche und Geschirr vorfand, gab sie ihm noch einmal tausend Dinare und sagte zu ihm: »Geh' auf den Bazar und kauf' uns für dreihundert Dinare eine Hauseinrichtung, Polster, Teppiche und dergleichen und Geschirr.« Als er dies gethan hatte, sagte sie zu ihm: »Nun kauf' uns Speise und Trank –

Dreihundertundzwölfte Nacht.

für drei Dinare.« Als er auch dies besorgt hatte, sagte sie zu ihm: »Jetzt kauf' uns ein Stück Seide in der Größe eines Vorhangs, Gold- und Silberfaden und Seidengarn in sieben Farben.« Nachdem er diesen Auftrag ausgerichtet hatte, richtete sie das Haus her und zündete die Wachskerzen an, worauf sie sich zum Essen und Trinken setzten. Hernach gingen sie zu Bett und verbrachten Arm in Arm hinter den Vorhängen die Nacht bis zum Morgen, und die Liebe zu einander schlug feste Wurzeln in ihren Herzen auf. Dann aber nahm Sumurrud den Vorhang, stickte ihn mit bunter Seide, durchzog ihn mit Gold- und Silberfäden und schmückte ihn rings herum mit Bildern von Vögeln und allerlei Tieren, so daß kein Tier auf der Welt übrigblieb, das sie nicht daraufgestickt hätte. So arbeitete sie acht Tage lang daran, bis sie den Vorhang fertig gemacht hatte, worauf sie ihn glättete und zusammenlegte und ihn ihrem Herrn übergab, 60 indem sie zu ihm sagte: »Nimm ihn auf den Bazar und verkaufe ihn für fünfzig Dinare dem Kaufmann; doch hüte dich davor, daß du ihn irgend einem Passanten verkaufst, da dies unsere Trennung verursachen würde; denn wir haben Feinde, die uns nicht aus den Augen lassen.« Alī Schâr erwiderte: »Ich höre und gehorche;« darauf nahm er den Vorhang auf den Bazar und verkaufte ihn einem Kaufmann, wie sie es ihm geheißen hatte; alsdann kaufte er wieder ein Stück Seide und Garn und Gold- und Silberfäden, wie das erste Mal, und alles, was sie zum Essen brauchten, und brachte es ihr, indem er ihr zugleich den Rest des Geldes gab. In dieser Weise fertigte sie alle acht Tage einen Vorhang an und gab ihm denselben, daß er ihn für fünfzig Dinare verkaufte, bis ein volles Jahr verstrichen war. Als nun aber Alī Schâr nach Verlauf des Jahres wieder wie gewöhnlich auf den Bazar ging und den Vorhang dem Mäkler brachte, trat ihm ein Nazarener in den Weg und bot ihm sechzig Dinare; obwohl er den Verkauf ablehnte, bot ihm der Nazarener immer mehr und mehr bis zu hundert Dinaren, indem er überdies den Mäkler mit zehn Dinaren bestach, so daß dieser an Alī Schâr herantrat, ihm mitteilte, wie viel geboten wäre, und ihn überredete, den Vorhang dem Christen für diese Summe zu verkaufen, wobei er hinzufügte: »Mein Herr, sei vor diesem Nazarener unbesorgt, dir kann nichts Schlimmes von ihm widerfahren.« Ebenso redeten ihm die Kaufleute zu, dem Nazarener den Vorhang zu verkaufen, bis er es that, wiewohl er sich Gewissensbisse machte. Dann nahm er das Geld und ging nach Haus. Da er aber merkte, daß der Nazarener ihm folgte, sagte er zu ihm: »Nazarener, warum folgst du mir nach?« Der Nazarener antwortete ihm darauf: »Mein Herr, ich habe etwas am Ende der Gasse zu besorgen, – Gott bringe dich niemals in Sorgen!« Kaum aber hatte Alī Schâr sein Haus erreicht, da hatte ihn auch schon der Nazarener eingeholt, so daß er ihn anfuhr: »Verruchter, warum verfolgst du mich überallhin?« Da versetzte 61 der Nazarener: »Mein Herr, gieb mir einen Trunk Wassers, denn, siehe, ich bin durstig, und Gott, der Erhabene, wird dir's lohnen.« Nun sprach Alī Schâr bei sich: »Dieser Mann zahlt die HeidensteuerDurch Zahlung einer Kopfsteuer genossen die Christen Schutz unter dem Islam. Vgl. Koran, 9. Sure. und verlangt einen Trunk Wassers von mir, bei Gott, ich will ihn nicht enttäuschen!«

Dreihundertunddreizehnte Nacht.

Darauf ging er ins Haus und holte einen Krug mit Wasser. Als ihn sein Mädchen Sumurrud erblickte, fragte sie ihn: »Mein Liebling, hast du den Vorhang verkauft?« Er antwortete: »Jawohl.« Nun fragte sie wieder: »Einem Kaufmann oder einem Passanten? Mein Herz weissagt mir Trennung.« Er entgegnete: »Natürlich hab' ich ihn einem Kaufmann und keinem andern verkauft.« Sie aber sagte: »Sag' mir die Wahrheit, daß ich mich in acht nehmen kann; und weshalb nimmst du den Wasserkrug?« Er versetzte: »Um dem Mäkler einen Trunk Wassers zu reichen.« Da rief sie: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« und sprach die beiden Verse:

»Was verlangt dich so sehr nach der Trennung? Gedulde dich doch,
Und laß dich nicht durch die Umarmungen bethören.
Gedulde dich, denn der Zeiten Stempel ist Treulosigkeit,
Und das Ende von allem Liebesglück die Trennung.«

Darauf ging er hinaus; als er aber den Christ im Hausflur fand, fuhr er ihn an: »Hund, wie kommst du hierher? Wie kannst du meine Wohnung ohne meine Erlaubnis betreten?« Da antwortete der Nazarener: »O mein Herr, zwischen Thür und Flur ist kein Unterschied; ich will mich auch nicht mehr vom Platz rühren, bis ich wieder hinausgehe. Doch danke ich dir für deine Güte, Gefälligkeit, Freigebigkeit und Großmut.« Darauf nahm er den Wasserkrug und leerte ihn; dann gab er ihn Alī Schâr zurück, welcher 62 ihn nahm und wartete, daß er aufstünde. Da er sich jedoch nicht rückte und rührte, fragte er ihn: »Warum stehst du nicht auf und gehst deines Weges?« Der Nazarener antwortete: »O mein Gebieter, sei nicht wie jene Leute, die einem erst eine Gefälligkeit erweisen und sie ihm dann vorwerfen, und auch nicht wie jene, von denen der Dichter sagt:

Nun sind sie fort, an deren Thüren du sonst hättest treten können
Und hättest von ihnen all deine Wünsche aufs beste erlangt.
Trätest du jetzt an die Thür der Leute, die ihnen folgten,
Den Trunk Wassers, den sie dir reichten, würden sie dir vorhalten.«

Hierauf setzte er noch die Worte hinzu: »Ach mein Herr, nun hab' ich getrunken, doch möchte ich auch noch gern essen, was du im Hause hast, sei es auch nur ein Stückchen Brot oder einen Zwieback und eine Zwiebel.« Alī Schâr entgegnete ihm jedoch: »Geh' fort und schwatz' nicht mehr; ich hab' nichts im Hause.« Da sagte der Nazarener: »Ach, mein Herr, wenn nichts im Hause ist, so nimm diese hundert Dinare und hol' uns etwas vom Bazar, wäre es auch nur ein Brot, daß wir Brot und Salz zusammen essen.« Als Alī Schâr diese Worte hörte, sprach er bei sich: »Dieser Nazarener muß verrückt sein; ich will die hundert Dinare nehmen und ihm dafür etwas im Werte von zwei Dirhem bringen und ihn auslachen.« Der Nazarener aber hob von neuem an: »Ach mein Herr, ich möchte nur so viel, um meinen Hunger damit zu stillen, wäre es auch nur ein Brot und eine Zwiebel; denn die beste Speise ist die, welche den Hunger stillt, und nicht auserlesene Gerichte; und wie schön sagt der Dichter:

Ein Stück trockenes Brot stillt den Hunger,
Weshalb denn seufz' ich und sorg' ich so schwer?
Und der Tod ist der gerechteste Richter,
Denn der Chalife und der elende Bettler sind vor ihm gleich.«

Nun sagte Alī Schâr zu ihm: »Warte hier, bis ich den Saal verschlossen und dir etwas vom Bazar gebracht habe;« und der Nazarener antwortete: »Ich höre und gehorche.« 63 Darauf ging er fort und verschloß den Saal, indem er vor die Thür ein Vorlegeschloß legte und die Schlüssel mit sich nahm. Dann ging er auf den Bazar und kaufte gebratenen Käse, weißen Honig, Bananen und Brot und brachte es dem Nazarener, welcher beim Anblick dieser Sachen zu ihm sagte: »Ach mein Herr, das ist so viel, daß es für zehn ausreichte, und ich bin nur eine einzige Person; aber vielleicht issest du mit mir.« Alī Schâr entgegnete ihm: »Iß nur allein, ich bin satt.« Doch nun sagte der Nazarener: »Ach mein Herr, die Weisen sagten: Wer mit seinem Gaste nicht isset, der ist ein Dirnensohn.« Als Alī Schâr diese Worte von dem Nazarener vernahm, setzte er sich und aß ein wenig; wie er aber seine Hand heben wollte, –

Dreihundertundvierzehnte Nacht.

nahm der Nazarener eine Banane, zog ihr die Haut ab, spaltete sie in zwei Hälften und that in die eine konzentrierten, mit Opium vermischten Bendsch, von dem eine Drachme einen Elefanten umgeworfen hätte. Dann tunkte er sie in den Honig und sagte: »Mein Herr, bei deiner Religion, nimm dies!« Und Alī Schâr nahm das Stück Banane von ihm, in seiner Scham ihn einen Meineid schwören zu lassen, und schluckte es hinunter. Kaum aber hatte er es im Magen, da sank sein Haupt vor die Füße, als hätte er bereits ein Jahr geschlafen. Als nun der Nazarener ihn in diesem Zustande sah, sprang er auf die Füße wie ein kahler Wolf oder das harte Schicksal, nahm ihm die Saalschlüssel ab und lief, ihn liegen lassend, zu seinem Bruder, um ihm die gute Nachricht zu hinterbringen. Der Bruder des Nazareners war nämlich jener ausgemergelte Greis, welcher Sumurrud für tausend Dinare hatte kaufen wollen, den sie aber verschmäht und mit ihren Versen verspottet hatte. Innerlich war derselbe ein Ungläubiger, obwohl er sich nach außen hin als Moslem gab und sich Raschîd ed-DînDer Orthodoxe. nannte. Nachdem ihn Sumurrud 64 verspottet und abgewiesen hatte, hatte er sich darüber zu seinem Bruder, dem Nazarener, beklagt, welcher diese List angewendet hatte, um sie ihrem Herrn Alī Schâr zu entführen, worauf dieser, Barsûm geheißen, zu ihm gesagt hatte: »Bekümmere dich nicht über diese Geschichte, ich will es durch List zu Wege bringen, daß ich sie ihm, ohne daß es einen Dirhem oder Dinar kostet, für dich raube.« Er war nämlich ein listiger, verschlagener und gottloser Zauberer. Alsdann hatte er in seiner Arglist und Tücke nicht geruht, bis er die oben erwähnte List zu Wege gebracht hatte und mit den Schlüsseln zu seinem Bruder kam und ihm das Geschehene mitteilte. Da setzte sich derselbe auf sein Maultier und machte sich mit seinen Dienern und seinem Bruder zu Alī Schârs Haus auf, zugleich einen Beutel mit tausend Dinaren einsteckend, um damit den Wâlī zu bestechen, falls ihm derselbe in den Weg kommen sollte. Als er nun bei Alī Schârs Haus angelangt war, öffnete er den Saal, und seine Leute stürzten auf Sumurrud und packten sie mit Gewalt, wobei sie sie mit dem Tode bedrohten, falls sie einen Laut äußern würde. Ohne irgend etwas in der Wohnung anzurühren oder mitzunehmen, schlossen sie dann wieder, unbekümmert um Alī Schâr, der noch immer im Flur dalag, die Thür hinter ihm, nachdem sie die Saalschlüssel neben ihn gelegt hatten, und der Nazarener nahm sie mit sich in sein Schloß, wo er sie unter seine Sklavinnen und Beischläferinnen that, indem er zu ihr sagte: »Du Dirne, ich bin der Scheich, den du verschmähtest und verspottetest; nun habe ich dich, ohne Dirhen oder Dinar zu zahlen.« Sie entgegnete ihm darauf, während ihr die Augen in Thränen schwammen: »Gott straf' dich, du alter Bösewicht, daß du mich von meinem Herrn getrennt hast!« Da erwiderte er ihr: »Du Dirne, du verliebtes Geschöpf, du wirst schon sehen, wie ich dich züchtigen werde! Beim Messias und der heiligen Jungfrau, wenn du mir nicht gehorchst und meinen Glauben annimmst, so sollst du die verschiedenen Folterqualen zu schmecken 65 bekommen!« Sie entgegnete ihm jedoch: »Bei Gott, wenn du mir auch das Fleisch in Stücke schneidest, so will ich doch nicht vom Islam ablassen, und Gott, der Erhabene, wird mir sicherlich seinen nahen Trost bringen, denn Gott vermag, was er will. Haben doch auch die Weisen gesagt: Lieber einen Makel am Leib als am Glauben.« Da rief er seine Eunuchen und Sklavinnen und befahl ihnen: »Werfet sie zu Boden!« Alsdann prügelte er sie in einem fort auf das grausamste, während sie um Hilfe schrie, ohne daß ihr jemand Hilfe brachte, bis sie das Hilfegeschrei aufgab und nur noch rief: »Gott ist mein Genüge, und er genügt!« Als sie dann schließlich atemlos dalag und ihr Stöhnen verstummt war, sagte er, nachdem er sein Herz an ihr gesättigt hatte, zu den Eunuchen: »Schleifet sie an ihren Füßen hinaus und werfet sie in die Küche, gebt ihr aber nichts zu essen.« Am nächsten Morgen ließ er sie wieder kommen und prügelte sie von neuem, worauf er wieder den Eunuchen befahl, sie an ihren Platz zu werfen. Sie aber rief, als die Schläge zu brennen aufgehört hatten: »Es giebt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes! Gott ist mein Genüge, und wie herrlich ist mein Beschützer!« Alsdann flehte sie zu unserem Herrn Mohammed, – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – um Hilfe.

Dreihundertundfünfzehnte Nacht.

Soviel, was Sumurrud anlangt; was aber Alī Schâr betrifft, so schlief er in den andern Tag hinein, bis sein Kopf vom Bendsch frei wurde und er, seine Augen öffnend, rief: »Sumurrud!« Als ihm niemand Antwort gab, ging er in den Saal, wo er »die Luft leer und das Heiligtum fern« fand, und erkannte, daß ihm dieses von niemand anders als dem Nazarener widerfahren war. Da stöhnte, weinte, jammerte und klagte er und sprach unter strömenden Thränen die Verse:

»O Liebe, du verschonst mich nicht und lässest nicht ab von mir,
Hier ist mein Herz, rechts droht ihm Elend und links Gefahr. 66
Ihr Herren, erbarmt euch doch eines Sklaven, den die Liebe erniedrigt hat,
Der einst reich war in seinem Volk und nun zum Bettler ward.
Wie soll der Schütze sich helfen, bedräut von den nahenden Feinden,
Wenn er den Pfeil entsenden will und die Sehne zerspringt?
Und wenn die Sorgen zu Hauf sich über den Wackern türmen,
Wo findet er dann ein schützend Asyl vor dem Schicksal?
Wie oft wohl war ich auf der Hut vor der Trennung,
Doch wenn das Schicksal hinabsteigt, blendet's den Blick.«

Reue erfaßte ihn, wo ihm die Reue nichts mehr nützen konnte, und weinend zerriß er seine Kleider; dann nahm er zwei Steine in die Hand und lief damit rings um die Stadt, indem er sich mit ihnen fortwährend vor die Brust schlug und dabei rief: »Sumurrud, Sumurrud,« so daß die Kinder sich rings um ihn scharten und schrieen: »Ein Verrückter, ein Verrückter!« während alle, die ihn kannten, über ihn weinten und sagten: »Das ist der und der, was mag ihm nur widerfahren sein?« Bis zum Abend lief er in dieser Weise umher und schlief, als das Dunkel der Nacht über ihn hereinbrach, in einer der Gassen bis zum Morgen, worauf er wieder mit den Steinen den ganzen Tag über rings um die Stadt lief, bis er zur Nacht heimkehrte, um in seinem Saal die Nacht zu verbringen. Da sah ihn eine Nachbarin, eine treffliche alte Frau, und sagte zu ihm: »O mein Sohn, Gott gebe dir Genesung! Seit wann bist du von Sinnen?« Er antwortete ihr darauf mit den beiden Versen:

»Sie sprachen: Die Liebe hat dich verrückt gemacht; da sagt' ich:
Nur die Verrückten kennen des Lebens Süße.
Laßt mich verrückt sein und bringt mir sie, die mich verrückt machte,
Und wenn sie von meiner Verrücktheit mich heilt, so tadelt mich nicht.«

Da erkannte die alte Frau, seine Nachbarin, daß er ein Liebender war, der seine Geliebte verloren hatte, und rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! O mein Sohn, erzähle mir doch die Geschichte deines Leids, vielleicht setzt mich Gott in Stand, dir beizustehen, wenn es Sein Wille ist.« Nun erzählte er 67 ihr alles, was ihm von dem Nazarener Barsûm und seinem Bruder, dem Zauberer, der sich den Namen Raschîd ed-Dîn beigelegt hatte, widerfahren war, und die Alte sagte zu ihm, als sie alles vernommen hatte: »Mein Sohn, du bist zu entschuldigen.« Dann sprach sie, während ihr die Thränen aus den Augen liefen, die Verse:

»Genug der Qualen haben Liebende hier unten zu erdulden,
Bei Gott, nicht soll sie die Hölle einst quälen!
Denn an ihrer Liebe starben sie und verbargen sie keusch,
Und die Tradition bezeugt die Wahrheit hiervon.«Der Prophet soll gesagt haben: »Wer seine Liebe keusch verbirgt und daran stirbt, stirbt als Märtyrer.« Der Tod aus Liebe ist nächst dem Tod im Glaubenskrieg der ehrenvollste.

Nach diesen Versen sagte sie: »Mein Sohn, komm jetzt und kauf' einen Korb, wie ihn die Juweliere brauchen; ferner Armspangen, Siegelringe, Ohrgehänge und andern Frauenschmuck, ohne mit dem Geld karg zu sein. Leg' dann alles in den Korb, und ich will ihn mir auf den Kopf setzen und als Hausiererin von Haus zu Haus gehen und nach ihr suchen, bis ich, so Gott will, etwas von ihr höre.« Erfreut über ihre Worte, küßte ihr Alī Schâr die Hände und besorgte ihr eilig das Verlangte. Sobald als er es ihr gebracht hatte, erhob sie sich, zog sich ein zerrissenes Kleid an und nahm um den Kopf einen honigfarbenen Frauenschleier. Dann nahm sie einen Stock in die Hand, lud den Korb auf und machte in den Gassen und Häusern die Runde, indem sie unablässig von Ort zu Ort, von Quartier zu Quartier und von Straße zu Straße ging, bis sie Gott, der Erhabene, zum Schloß des verruchten Nazareners Raschîd ed-Dîn führte, in welchem sie Seufzen und Stöhnen vernahm.

Dreihundertundsechzehnte Nacht.

Als sie das Stöhnen hörte, pochte sie an die Thür, worauf eine Sklavin zu ihr herabkam, ihr die Thür öffnete und sie begrüßte. Da sagte die Alte zu ihr: »Ich habe diese 68 Kleinigkeiten hier zum Verkauf; ist jemand bei euch, der etwas kaufen möchte?« Die Sklavin erwiderte: »Jawohl,« und führte sie ins Haus, wo sie die Alte aufforderte, sich zu setzen; und nun setzten sich alle Sklavinnen rings um sie, und jede von ihnen nahm etwas von ihr, während die Alte den Mädchen gute Worte gab und ihnen nur einen geringen Preis abverlangte, so daß sich die Mädchen über ihre Gefälligkeit und ihre freundlichen Worte freuten. Inzwischen aber sah sich die Alte nach allen Seiten um, um zu sehen, wer da stöhnte und seufzte, bis ihr Blick plötzlich auf Sumurrud fiel, worauf sie sich noch höflicher und freundlicher den Mädchen gegenüber benahm. Wie sie nun bei genauerem Zusehen sah, daß Sumurrud auf dem Boden lag, weinte sie und fragte die Mädchen: »Ach meine Kinder, was fehlt jenem Mädchen, daß es ihr so übel ergeht?« Da erzählten ihr die Mädchen ihre ganze Geschichte und sagten zu ihr: »Wir thun dies nicht aus eigner Wahl, vielmehr heißt uns unser Herr, solches zu thun, doch ist er jetzt verreist.« Als die Alte dies von ihnen vernahm, sagte sie: »Ach, meine Kinder, ich habe eine Bitte an euch; löset doch dieses unglückliche Mädchen von ihren Fesseln, bis ihr von der Rückkehr eures Herrn erfahren habt. Dann mögt ihr sie wieder binden wie zuvor, und der Herr der Welten wird es euch lohnen.« Da erwiderten sie ihr: »Wir hören und gehorchen,« und banden sie los, worauf sie ihr zu essen und zu trinken reichten. Die Alte aber sagte zu ihnen: »Wären doch meine Füße, bevor ich euer Haus betrat, gebrochen!« Dann trat sie zu Sumurrud heran und sagte zu ihr: »Meine Tochter, der Himmel schütze dich! Bald wird Gott dir Trost bringen.« Hierauf erzählte sie ihr, daß sie von ihrem Herrn Alī Schâr gekommen wäre und überredete sie dazu, in der kommenden Nacht da zu sein und auf einen Laut zu achten, indem sie zu ihr sagte: »Dein Herr wird zu dir kommen und bei der Bank vor dem Schloß stehen und dir pfeifen. Hörst du seinen Pfiff, so pfeife wieder und laß dich an einem Seil 69 aus dem Fenster herab, worauf er dich nehmen und mit dir fortgehen wird.« Sumurrud dankte ihr, und nun ging die Alte wieder hinaus und begab sich zu Alī Schâr, um ihm alles mitzuteilen, und sagte zu ihm: »Geh' morgen um Mitternacht nach dem und dem Viertel, denn das Haus des Verruchten ist dort, und an den und den Zeichen ist es zu erkennen. Stell' dich unten auf und pfeife; dann wird sie sich zu dir herunterlassen, und du nimm sie und geh' mit ihr, wohin du willst.« Alī Schâr dankte ihr und sprach unter Thränen die Verse:

»Welch herrlicher Bote, der mir ihr Kommen verkündet,
Der mir die köstlichste Nachricht gebracht hat!
Wäre er zufrieden mit einem abgetragenen Geschenk,
Ich gäbe ihm ein Herz, das die Stunde des Abschieds zerrissen hat.«

Nachdem er dann gewartet hatte, bis es dunkle Nacht geworden und der verabredete Zeitpunkt gekommen war, machte er sich nach jenem Quartier auf, welches ihm die Alte beschrieben hatte. Sobald er das Schloß sah, erkannte er es und setzte sich auf die Bank, die vor ihm stand, doch überwältigte ihn die Müdigkeit, so daß er einschlief, – Preis Ihm, der nimmer schläft! – und wie ein Trunkener dalag, da er in seinem Liebesweh seit langem nicht geschlafen hatte. Während er nun in tiefstem Schlafe lag, –

Dreihundertundsiebzehnte Nacht.

kam grade ein Dieb, welcher in jener Nacht an den Enden der Stadt herumschlich, vom Schicksal getrieben, unter das Schloß des Nazareners und umkreiste es, ohne jedoch eine Möglichkeit zum Einsteigen zu finden. Als er bei seinem Rundgang ums Schloß auch zur Bank kam und Alī Schâr dort schlafen sah, nahm er seinen Turban; kaum aber hatte er ihn an sich genommen, da blickte Sumurrud zum Fenster hinaus und pfiff, als sie ihn unten in der Dunkelheit stehen sah, indem sie ihn für ihren Herrn Alī Schâr hielt, worauf der Dieb den Pfiff erwiderte. Da ließ sie sich 70 zu ihm mit einem Mantelsack voll Gold herunter. Als der Räuber dies sah, sprach er bei sich: »Das ist eine wunderbare Geschichte, die einen merkwürdigen Grund haben muß;« darauf lud er den Mantelsack und das Mädchen auf seine Schultern und lief mit ihr schnell wie der blendende Blitz davon, während das Mädchen zu ihm sagte: »Die Alte sagte mir, du wärest um meinetwillen krank und schwach geworden, und nun bist du stärker als ein Pferd.« Da ihr der Dieb jedoch keine Antwort gab, tastete sie nach seinem Gesicht und spürte einen Bart, der sich wie ein Besen aus einem Warmbad anfühlte, als wäre sein Besitzer ein Eber, welcher Federn gefressen hatte, deren Spitzen noch aus seinem Rachen herausragten. Voll Grausen fragte sie ihn: »Was bist du?« Da erwiderte er ihr: »Du Dirne, ich bin der SchlaumeierIm Sinne von Dieb. Dschawân der Kurde von der Bande Ahmed ed-Danafs, die wir vierzig an der Zahl sind.« Als sie dies vernahm, weinte sie und schlug sich vors Gesicht, da sie nun erkannte, daß das Schicksal mächtiger als sie gewesen war, und daß ihr nichts anders übrig blieb, als sich mit Geduld in Gottes Willen zu ergeben. So fügte sie sich denn, indem sie, sich dem Ratschluß Gottes, des Erhabenen, anheimgebend, sprach: »Es giebt keinen Gott außer Gott; so oft wir uns einer Sorge entledigen, geraten wir in eine schlimmere!«

Der Grund aber, daß Dschawân hierhergekommen war, war folgender: er hatte nämlich zu Ahmed ed-Danaf gesagt: »Schlaumeister, ich bin schon früher in dieser Stadt gewesen und kenne außerhalb ihres Bezirks eine Höhle, welche vierzig Seelen aufnehmen kann. Ich will deshalb vor euch in die Stadt gehen und will, nachdem ich meine Mutter daselbst untergebracht habe, wieder in die Stadt zurückkehren, um dort etwas zu euerm Glück zu stehlen und es auf euern Namen verwahren, bis ihr eintrefft, damit ich euch morgen auf meine Kosten bewirten kann.« Ahmed ed-Danaf hatte ihm darauf 71 erwidert: »Thu', was du willst,« worauf er ihnen vorausgegangen war und seine Mutter in jener Höhle untergebracht hatte. Beim Verlassen der Höhle war er dann auf einen schlafenden Soldaten gestoßen, welcher sein Pferd neben sich angebunden hatte. Da hatte er ihm die Kehle abgeschnitten, hatte Pferd, Waffen und Kleider genommen und dieselben in die Höhle zu seiner Mutter gebracht und das Pferd daselbst angebunden. Dann war er wieder in die Stadt gegangen und war dort so lange umhergeschlichen, bis er zum Schloß des Nazareners gelangt war und das oben bereits Erzählte ausgeführt hatte. Nachdem er also Alī Schârs Turban gestohlen und sein Mädchen Sumurrud aufgeladen hatte, lief er mit ihr so lange, bis er sie zu seiner Mutter gebracht hatte, und befahl derselben: »Hüte sie mir, bis ich morgen früh wieder zurückgekehrt bin.« Dann ging er fort.

Dreihundertundachtzehnte Nacht.

Da sprach Sumurrud bei sich: »Warum bin ich so sorglos und suche mich nicht durch eine List zu befreien? Weshalb warten, bis diese vierzig Scheusale kommen und mich schänden?« Alsdann wendete sie sich zur Alten, der Mutter Dschawâns des Kurden, und sagte zu ihr: »Ach, meine Tante, willst du nicht mit mir aus der Höhle kommen, daß ich dich in der Sonne lausenEs ist aber Mitternacht! Läuse sind im Orient eine alltägliche Plage. kann?« Da entgegnete die Alte: »Ja, bei Gott, denn schon lange hab' ich kein Bad gesehen, da mich diese Schweine fortwährend von Ort zu Ort schleppen.« Darauf ging sie mit ihr hinaus, und Sumurrud lauste sie nun und machte die Läuse auf ihrem Kopf tot, bis sie die Wirkung dieser Wohlthat verspürte und in Schlaf sank. Da erhob sich Sumurrud, zog sich die Sachen des Soldaten an, den Dschawân der Kurde getötet hatte, gürtete das Schwert um ihren Leib und band seinen Turban um ihr Haupt, so daß sie wie ein Mann aussah; dann legte sie den 72 Mantelsack aufs Pferd, sprang in den Sattel und rief: »O gütiger Schützer, schütze mich durch den Ruhm Mohammeds, – Gott segne ihn und spende ihm Heil!« Alsdann kehrte sie der Stadt den Rücken und ritt hinaus in die wüste Steppe, indem sie bei sich sprach: »Wenn ich in die Stadt zurückkehre und mich dort einer der Soldaten sieht, so kann es mir übel ergehen.« Zehn Tage lang ritt sie so mit dem Mantelsack und lebte wie ihr Pferd vom Gras der Erde und vom Wasser der Bäche, bis sie am elften zu einer hübschen, sichern und blühenden Stadt gelangte, von welcher grade die Winterszeit mit ihrer Kälte gewichen war, so daß sie in der Blüten- und Rosenpracht des Lenzes erstrahlte; die Blüten schimmerten hell, die Bäche rauschten in ihren Betten und die Vögel schmetterten ihre Weisen. Als sie aber dem Stadtthor nahe gekommen war, erblickte sie daselbst die Truppen, die Emire und die Großen der Stadt, so daß sie, verwundert hierüber, bei sich sprach: »Schau, das ganze Stadtvolk ist vor dem Thor versammelt, das muß doch einen Grund haben.« Wie sie nun auf sie zuritt und sich ihnen näherte, sprengten mit einem Male die Truppen auf sie los, sprangen von den Pferden und küßten die Erde vor ihr mit dem Ruf: »Gott verleihe dir Hilfe und Sieg, o unser Herr und Sultan!« Alsdann reihten sich alle MansabdareAlle, die Ämter und Würden bekleiden. vor ihr in zwei Reihen auf, während die Truppen das Volk ordneten und riefen: »Gott verleihe dir Hilfe und Sieg und lasse dein Kommen den Moslems zum Segen gereichen, o Sultan der Geschöpfe! Gott pflanze dich fest, o König der Zeit und Juwel unserer Tage!« Da fragte sie Sumurrud: »Was fehlt euch, ihr Leute dieser Stadt?« Und der Kämmerling sprach: »Du bist ein Geschenk von Ihm, der nicht kargt in seinen Geschenken; Er hat dich zum Sultan über diese Stadt und zum Regenten über die Nacken aller ihrer Bewohner gemacht. Denn wisse, es ist der Brauch des Volkes diese Stadt, daß die 73 Truppen, wenn der König ohne Hinterlassung eines Sohnes gestorben ist, vor die Stadt hinausziehen und dort drei Tage verweilen; der erste beste, der des Weges gezogen kommt, auf welchem du herankamst, wird dann von ihnen zum Sultan ausgerufen. Gelobt sei Gott, daß er uns einen Mann aus dem Volke der Türken mit hübschem Gesicht hierhergeführt hat, denn, wäre auch ein geringerer als du gekommen, so wäre er Sultan geworden.« Da nun Sumurrud in allem, was sie that, große Klugheit bewies, sagte sie: »Wähnet nicht, daß ich ein Türke aus gemeinem Volk bin, ich bin einer der Söhne der Großen, doch erzürnte ich mich mit meinem Hause, so daß ich fortzog und sie verließ. Sehet nur diesen Mantelsack mit Gold hier unter mir, den ich mitnahm, um daraus unterwegs den Armen und Elenden Almosen spenden zu können.« Da segneten sie sie und freuten sich über die Maßen über sie, während Sumurrud gleichfalls über sie erfreut war, indem sie bei sich sprach: »Nun, da ich zu dieser Stellung gekommen bin, –

Dreihundertundneunzehnte Nacht.

wird mich Gott vielleicht an dieser Stätte mit meinem Herrn vereinigen, denn Er kann alles, was Er will.« Hierauf geleiteten sie die Truppen in die Stadt und führten sie zu Fuß in den Palast, woselbst sie abstieg und von den Emiren und Großen unter ihre Achselhöhlen gefaßt wurde, bis sie von ihnen auf den Thron gesetzt war, wo dann alle die Erde vor ihr küßten. Sobald sie sich aber gesetzt hatte, befahl sie die Schatzkammern zu öffnen, worauf sie allen Truppen Geschenke machte; und die Truppen wünschten ihr langes Regiment, und das ganze Volk im Lande ward ihr unterthan. Eine geraume Zeit verbrachte sie in dieser Weise, befehlend und verbietend, und die Herzen des ganzen Volkes wurden mit hohem Respekt vor ihr wegen ihrer Großmut und Enthaltsamkeit von allem Verbotenen erfüllt; denn sie hob die Steuern auf, ließ die Gefangenen los und wehrte 74 den Bedrückungen, so daß sie von dem Volk geliebt wurde. So oft sie aber ihres Herrn gedachte, weinte sie und flehte zu Gott um Wiedervereinigung mit ihm. Da traf es sich, daß sie, als sie eines Nachts wieder an ihn dachte und sich der Tage erinnerte, die sie mit ihm verlebt hatte, in Thränen ausbrach und die Verse sprach:

»Meine Sehnsucht nach dir ist frisch, trotz der Länge der Zeit,
Und die Thränen, die meine Augen verwunden, nehmen überhand.
Wenn ich weine, so weine ich vor Liebesweh,
Denn die Trennung ist für einen Liebenden ein schweres Leid.«

Nachdem sie die Verse gesprochen hatte, wischte sie sich die Thränen ab und stieg ins Schloß hinauf, wo sie in den Harem trat und den Sklavinnen und Beischläferinnen abgesonderte Räume anwies und ihnen Gehälter und Einkünfte festsetzte, indem sie erklärte, daß sie für sich allein leben und sich ganz dem Gottesdienst widmen wolle. Alsdann fastete und betete sie unablässig, so daß die Emire sagten: »Fürwahr, dieser Sultan ist sehr fromm.« Auch duldete sie von ihrer Dienerschaft weiter niemand als zwei kleine Eunuchen zur Bedienung bei sich. Ein Jahr lang saß sie in dieser Weise auf dem Thron des Reiches, ohne irgend etwas von ihrem Herrn zu hören oder auf eine Spur von ihm zu stoßen, so daß sie deshalb tief bekümmert wurde. Als ihre Unruhe ihr schließlich unerträglich geworden war, berief sie alle Emire und Kämmerlinge und befahl ihnen, Architekten und Bauleute herbeizuholen und ihr vor dem Schloß eine Rennbahn von der Länge und Breite einer Parasange zu erbauen. Nachdem dieselben ihren Befehl so schnell als möglich ausgerichtet hatten und die Rennbahn nach Wunsch fertiggestellt war, stieg sie zu derselben hinunter und ließ sich ein großes Rundzelt auf ihr aufschlagen und die Stühle der Emire in ihm in zwei Reihen aufstellen. Alsdann befahl sie Tische mit allerlei köstlichen Gerichten auf der Rennbahn aufzutragen und befahl den Großen, nachdem ihr Befehl vollzogen war, zu speisen. Wie dieselben nun gespeist hatten, sagte sie 75 zu ihnen: »Ich wünsche, daß ihr jedesmal beim Neumond in dieser Weise thuet und in der Stadt ausrufen lasset, daß niemand seinen Laden an diesem Tage aufmachen soll, sondern daß alle hier erscheinen und von der Tafel des Königs speisen; widerspricht einer, so soll er über seiner Hausthür aufgehängt werden.« Als nun der Neumond kam, thaten sie nach ihrem Geheiß und verfuhren in dieser Weise bis zum ersten Neumond des zweiten Jahres. Da stieg sie wieder zur Rennbahn hinunter und ein Herold rief aus: »Ihr Leute allzumal, jeder, der seinen Laden, sein Magazin oder seine Wohnung aufmacht, der wird unverzüglich über seiner Hausthür aufgehängt werden; denn es geziemt sich, daß ihr allzumal erscheinet und von der Tafel des Königs speiset.« Als nun der Herold seine Ankündigung beendet hatte und alle die Tische aufgetragen waren, kam das Volk in Scharen herbeigeströmt, und Sumurrud befahl ihnen, sich an den Tisch zu setzen und so lange von all den Speisen zu essen, bis sie satt geworden wären. Da setzten sie sich und aßen, wie sie es ihnen befohlen hatte, und sie selber setzte sich auf den Thron des Königreiches und schaute ihnen zu. Jeder aber, der sich an den Tisch setzte, sprach bei sich: »Fürwahr, der König schaut nach keinem andern als nach mir.« Hierauf machten sie sich über die Speisen her und die Emire sagten fortwährend zu den Leuten: »Eßt und seid nicht verlegen, denn also gefällt es dem König.« Da aßen sie sich satt und gingen unter Segenswünschen für den König wieder heim, indem einer zum andern sagte: »Unser Lebenlang sahen wir noch keinen Sultan, der wie dieser Sultan die Armen liebte,« und alle wünschten ihm langes Leben. Sumurrud aber kehrte erfreut über ihre Anordnung in ihr Schloß zurück –

Dreihundertundzwanzigste Nacht.

und sprach bei sich: »So Gott, der Erhabene, will, erhalte ich auf diesem Wege Nachricht von meinem Herrn Alī Schâr.« Als nun der zweite Neumond kam, that sie wie 76 zuvor; nachdem die Tische aufgestellt waren, stieg sie vom Schloß herunter, setzte sich auf ihren Thron und befahl dem Volk, sich zu setzen und zu essen. Als sie aber an der Spitze der Tafel saß, während die Leute in Gruppen kamen, und eine Gruppe nach der andern sich setzte, fiel ihr Auge mit einem Male auf den Nazarener Barsûm, welcher den Vorhang von ihrem Herrn gekauft hatte; und sie erkannte ihn sofort und rief: »Das ist der erste Trost und der Anfang zur Erlangung meines Wunsches.« Barsûm trat nun herzu und setzte sich mit der Menge, um zu essen; wie er aber eine Schüssel mit süßem Reis, der mit Zucker bestreut war, erblickte, die fern von ihm stand, drängte er sich nach derselben durch die Leute, streckte seine Hand aus, ergriff sie und stellte sie vor sich hin. Infolgedessen sagte sein Nachbar zu ihm: »Warum issest du nicht von dem, was vor dir steht? Ist das nicht eine Schande für dich? Wie kannst du deine Hand wonach ausstrecken, das fern von dir steht? Schämst du dich nicht?« Barsûm entgegnete ihm jedoch: »Ich will von nichts anderm als von dem Reis essen.« Da entgegnete sein Nachbar: »Iß, doch möge es dir Gott nicht bekommen lassen!« Nun fiel ein Haschischesser ein: »Laß ihn doch vom Reis essen, daß ich mit ihm davon essen kann.« Da sagte der erste wieder: »Unseligster der Haschischesser, das ist keine Speise für euch, sondern nur für Emire. Laßt den Reis wieder zu denen zurückkehren, für die er bestimmt war, daß sie ihn essen.« Barsûm trotzte ihm jedoch und nahm eine Handvoll und führte sie zum Mund. Als er aber einen zweiten Happen nehmen wollte, rief die Königin, die ihn beobachtete, einige ihrer Soldaten zu sich und sprach zu ihnen: »Bringt mir jenen Menschen, vor dem die Schüssel mit dem süßen Reis steht, und lasset ihn nicht den Happen essen, den er in seiner Hand hat, sondern reißt ihm denselben aus der Hand.« Da machten sich vier Soldaten aus ihrer Leibgarde auf, schleiften ihn, nachdem sie ihm den Happen aus der Hand gerissen hatten, aus seinem Angesicht mit sich und stellten ihn 77 vor Sumurrud, während die Leute zu essen aufhörten und einer zum andern sagte: »Bei Gott, er that unrecht, daß er nicht von den Gerichten, die für seinesgleichen bestimmt waren, aß.« Dann sagte einer: »Ich meinerseits bin mit dem Brei, der hier vor mir steht, zufrieden,« und der Haschischesser rief: »Gelobt sei Gott, der mich verhinderte, etwas von der Schüssel mit dem süßen Reis zu essen, denn ich wartete nur, bis die Schüssel vor ihm stünde und er sich's hätte gut schmecken lassen, um mit ihm zu essen, als ihm zustieß, was wir gesehen haben.« Alsdann sagten die Leute zu einander: »Wir wollen warten, bis wir gesehen haben, was mit ihm geschieht.«

Als nun die vier Soldaten ihn vor die Königin Sumurrud gebracht hatten, fuhr sie ihn an: »Wehe dir, Blauäugiger! Wie heißest du, und weshalb bist du in unser Land gekommen?« Da verleugnete der Verruchte, der einen weißen TurbanFrüher das Abzeichen der Muselmänner. trug, seinen Namen und sagte: »O König, ich heiße Alī; von Beruf bin ich ein Weber, und ich kam in diese Stadt Geschäfte halber.« Sumurrud aber befahl nun, ihr ein geomantisches Brett und einen Kalam aus Messing zu bringen. Nachdem ihr das Verlangte unverzüglich gebracht war, nahm sie das geomantische Brett und den Kalam und zeichnete auf das Brett in den Sand eine Gestalt ähnlich der eines Affen. Alsdann hob sie ihr Haupt und rief, nachdem sie Barsûm wohl eine Stunde lang angeschaut hatte: »Hund, wie kannst du Könige belügen! Bist du nicht ein Nazarener, Namens Barsûm, und bist du nicht hergekommen, um nach einer Sache zu suchen? Sprich die Wahrheit oder, bei der Majestät der Gottheit, ich schlage dir dein Haupt ab!« Da stotterte und stammelte der Nazarener, so daß die Emire und alle Anwesenden sprachen: »Fürwahr, dieser König versteht die Geomantie; Preis Ihm, der ihn begabt hat!« Nun fuhr Sumurrud den Nazarener von neuem an: »Sprich die Wahrheit oder ich mache ein Ende 78 mit dir!« worauf der Nazarener erwiderte: »Vergebung, o König der Zeit, du hast recht geweissagt, denn ich bin in der That ein Nazarener.«

Dreihundertundeinundzwanzigste Nacht.

Da verwunderten sich die Emire und alle andern Anwesenden darüber, daß der König das Richtige durch Geomantie getroffen hatte, und sagten: »Dieser König ist ein Sterndeuter wie es seinesgleichen auf der Welt nicht giebt.« Alsdann befahl die Königin den Nazarener zu schinden und seine Haut mit Stroh auszustopfen und sie über dem Thor der Rennbahn aufzuhängen, sein Fleisch aber und seine Knochen außerhalb der Stadt in einer Grube zu verbrennen und darüber Schmutz und Unrat zu werfen. Und sie riefen: »Wir hören und gehorchen,« und thaten ganz nach ihrem Geheiß. Als aber die Leute sahen, wie es dem Nazarener ergangen war, sagten sie: »Sein Schicksal ist sein gerechter Lohn; was war das für ein unseliger Happen für ihn!« und einer aus der Menge meinte: »Mag ich von meinem Weib geschieden sein, wenn ich noch jemals in meinem Leben süßen Reis esse!« während der Haschischesser rief: »Gelobt sei Gott, welcher mich vor dem Schicksal dieses Menschen bewahrte, indem er mich vor dem Essen von jenem Reis behütete!« Alsdann gingen alle Leute fort und mieden von nun an den Platz vor der Schüssel mit dem süßen Reis, auf welchem der Nazarener gesessen hatte.

Als der dritte Monat kam, setzten sie die Tische wieder wie gewöhnlich hin und trugen die Schüsseln auf, während sich die Königin Sumurrud auf ihren Thron setzte, und die Garden, ihren Zorn fürchtend, sich aufpflanzten. Dann kamen die Leute aus der Stadt wie zuvor und gingen rings um die Tische, indem sie nach dem Platz ausschauten, wo die Schüssel mit dem süßen Reis stand; und einer von ihnen sagte zu einem andern: »PilgersmannTitel aller derjenigen, die eine Pilgerfahrt nach Mekka gemacht haben. Chalaf!« worauf 79 derselbe entgegnete: »Zu Diensten, Pilgersmann Châlid.« Da sagte der erste: »Geh' der Schüssel mit dem süßen Reis aus dem Wege und hüte dich, davon zu essen, denn, so du davon issest, wirst du gehangen.« Alsdann setzten sich alle rings um die Tafel zum Essen. Während sie aber aßen und die Königin Sumurrud auf ihrem Throne saß und zuschaute, sah sie mit einem Male, wie ein Mann zum Thor der Rennbahn hereingelaufen kam, und erkannte bei scharfem Zusehen in ihm den Räuber Dschawân den Kurden, welcher den Soldaten ermordet hatte. Die Ursache seines Kommens war aber folgende: Als er seine Mutter verlassen hatte und wieder bei seinen Spießgesellen eingetroffen war, sagte er zu ihnen: »Ich habe gestern ein gutes Geschäft gemacht, denn ich habe einen Soldaten ermordet und sein Pferd geraubt; außerdem hab' ich noch einen Mantelsack voll Gold und ein Mädchen erbeutet, das mehr wert ist als das Gold im Mantelsack, und habe alles in der Höhle bei meiner Mutter untergebracht.« Da freuten sich alle hierüber und begaben sich gegen Abend zur Höhle, wo Dschawân vor ihnen eintrat, um ihnen seine Beute, von der er ihnen berichtet hatte, herauszubringen. Wie er nun aber die Höhle leer fand und seine Mutter nach dem wahren Sachverhalt ausfragte und all das Vorgefallene von ihr erfuhr, da biß er seine Hände vor Reue und rief: »Bei Gott, ich will nach dieser Dirne überall suchen und sie aus ihrem Versteck hervorholen, säße sie selbst in einer Pistaziennußschale, und will dann meinen Rachedurst an ihr löschen.« Darauf zog er auf die Suche nach ihr aus und zog unablässig von Ort zu Ort, bis er zur Stadt der Königin Sumurrud gelangte. Als er die Stadt betrat und niemand in ihr fand, fragte er einige Weiber, welche zum Fenster herausschauten, und vernahm von ihnen, daß der Sultan am Ersten jeden Monats eine Tafel herrichten ließe, und daß alles Volk ausgezogen wäre, um an derselben zu speisen; nachdem sie ihm dann noch den Weg zu der Rennbahn gewiesen hatten, auf welcher die Tische hergerichtet waren, kam 80 er angelaufen und setzte sich, da er keinen andern leeren Platz als bei der Reisschüssel fand, vor dieselbe und streckte seine Hand nach ihr aus. Da riefen ihm die Leute zu: »Bruder, was willst du da thun?« Er antwortete: »Ich will von dieser Schüssel essen, bis ich satt bin.« Nun sprach einer zu ihm: »Wenn du davon issest, wirst du gehenkt;« er entgegnete ihm jedoch: »Schweig' und sprich nicht solchen Unsinn.« Darauf streckte er seine Hand nach der Schüssel aus und zog sie an sich. Der oben erwähnte Haschischesser aber, der grade an seiner Seite saß, wurde, sobald er sah, wie er die Schüssel an sich zog, von seinem Haschischrausch nüchtern und lief zu einem entfernten Platz fort, wo er sich setzte und sprach: »Ich will nichts mit jener Schüssel zu thun haben.« Nun streckte Dschawân der Kurde seine Hand in Gestalt einer Rabenklaue in die Schüssel, schöpfte dort, führte sie wieder in der Gestalt eines KamelhufsEr fährt mit drei Fingern in die Schüssel und zieht die Hand geballt heraus. Dem Vergleich liegt ein Sprichwort zu Grunde, welches auf einen gierigen Fresser angewendet wird. heraus –

Dreihundertundzweiundzwanzigste Nacht.

rollte dann den Reisklumpen in seiner Hand, bis er die Form einer großen Orange angenommen hatte, und warf ihn schnell in seinen Schlund, in dem er mit Donnergetöse hinunterfuhr; an der Stelle aber, wo der verschluckte Reisklumpen in der Schüssel gelegen hatte, war nun der Boden sichtbar, so daß sein Nachbar zu ihm sagte: »Gelobt sei Gott dafür, daß er mich nicht zu einem Stück Fleisch vor dir gemacht hat, denn du hast die Schüssel mit einem Happen geleert.« Der Haschischesser jedoch sagte: »Lasset ihn nur essen; mir kommt es so vor, als ob er wie ein Gehenkter aussieht.« Dann wendete er sich zu ihm und sagte: »Iß, und Gott lasse es dir übel bekommen!« Wie er nun seine Hand zu einem zweiten Happen ausstreckte und ihn in 81 seiner Hand wie den ersten rollen wollte, rief mit einem Male die Königin einige ihrer Garden und befahl ihnen: »Bringt mir schnell jenen Mann und lasset ihn nicht jenen Happen, den er in der Hand hält, verschlingen.« Da stürzten sich die Soldaten auf ihn, während er sich grade über die Schüssel bog, und führten ihn vor die Königin; die Leute aber schalten ihn und sagten zu einander: »Es geschieht ihm recht, warum wollte er auch nicht auf uns hören! Dieser Platz scheint in der That jedem, der hier sitzt, den Tod zu bringen, und der Reis ist unselig für jeden, der davon ißt.« Als nun der Kurde vor der Königin Sumurrud stand, fragte sie ihn: »Wie ist dein Name, und was ist dein Gewerbe? Weshalb bist du in unsere Stadt gekommen?« Er erwiderte: »Unser Herr Sultan, ich heiße Othmân und bin von Beruf ein Gärtner; die Ursache meines Kommens in diese Stadt liegt darin, daß ich nach etwas suche, das mir abhanden gekommen ist.« Da rief die Königin: »Her mit einem Sandbrett!« Als sie ihr dasselbe gebracht hatten, nahm sie den Kalam und zeichnete eine Figur in den Sand; nachdem sie dieselbe eine Weile lang betrachtet hatte, erhob sie ihr Haupt und fuhr ihn an: »Wehe dir, Ruchloser, wie kannst du Könige belügen? Dieser Sand verrät mir, daß du Dschawân der Kurde heißest, und daß du das Räuberhandwerk betreibst, indem du das Gut der Menschen ungerechterweise stiehlst und deine Nächsten ermordest, die Gott nur in gerechtem Gericht zu töten erlaubt hat.« Dann schrie sie ihn von neuem an und sagte: »Du Schwein, sprich die Wahrheit oder ich lasse dir den Kopf abhauen.« Als er diese Worte von ihr vernahm, wurde er gelb, und seine Zähne klapperten. Dann sagte er im Glauben, daß er sich retten könne, wenn er die Wahrheit spräche: »Du hast recht, o König, doch bereue ich es vor dir von Stund' an und kehre mich wieder zu Gott, dem Erhabenen.« Sie entgegnete ihm jedoch: »Ich darf keine Viper auf dem Wege der Moslems verschonen.« Dann rief sie einigen aus ihrem Gefolge zu: »Nehmet ihn, ziehet 82 ihm die Haut ab und verfahret mit ihm gerade so, wie mit jenem im vergangenen Monat.« Da vollzogen sie ihren Befehl; als aber der Haschischesser sah, wie die Soldaten jenen Menschen packten, kehrte er der Schüssel Reis seinen Rücken zu und sagte: »Es ist eine Sünde, dir mein Gesicht zuzukehren.« Als sie nun fertig mit Essen waren, trennten sie sich und gingen nach Hause, während die Königin in ihr Schloß hinaufstieg und den Mamluken fortzugehen erlaubte. Beim vierten Neumond stiegen sie dann wie üblich wieder auf die Rennbahn hinab, die Speisen wurden aufgetragen und die Leute setzten sich und warteten auf das Zeichen zum Essen. Dann kam die Königin, setzte sich auf den Thron und schaute ihnen zu, doch verwunderte sie sich, als sie sah, daß vor der Schüssel Reis ein Platz für vier Personen freigelassen war. Während sie nun ihre Blicke im Kreise schweifen ließ, sah sie mit einem Male einen Menschen durch das Thor in die Rennbahn hineingelaufen kommen, der seine Eile erst vor der Tafel hemmte und sich, da er keinen andern Platz frei fand, zur Schüssel Reis setzte. Bei genauerm Zusehen fand sie, daß es der verruchte Nazarener war, der sich selber Raschîd ed-Dîn nannte, und sprach bei sich: »Wie gesegnet ist doch dieses Mahl, in dessen Netze dieser Ungläubige gefallen ist!« Mit seinem Kommen hatte es aber eine merkwürdige Bewandtnis. Als er nämlich von seiner Reise zurückkehrte, –

Dreihundertunddreiundzwanzigste Nacht.

und seine Hausleute ihm berichteten, daß Sumurrud samt einem Mantelsack voll Geld verschwunden sei, zerriß er bei dieser Kunde seine Kleider, schlug sich ins Gesicht, raufte sich den Bart aus und schickte seinen Bruder Barsûm aus, ihr in den Ländern nachzuspüren. Da er ihm aber zu lange mit Nachrichten ausblieb, zog er selber aus, um nach seinem Bruder und nach Sumurrud in den Ländern Nachforschungen anzustellen, wobei ihn das Geschick auch nach 83 Sumurruds Residenz verschlug, und er gerade am ersten Tage des Monats die Stadt betrat. Wie er nun die Straßen durchschritt und sie leer und die Läden verschlossen fand, während die Weiber aus den Fenstern schauten, fragte er einige, was das zu bedeuten habe, worauf dieselben zu ihm sagten: »Siehe, der König richtet für das ganze Volk am ersten Tage jedes Monats ein Gastmahl an; alle Leute essen dann an des Königs Tafel, und niemand darf zu Hause oder in seinem Laden sitzen bleiben.« Dann wiesen sie ihm den Weg zur Rennbahn. Wie er nun dieselbe betrat und alles Volk dichtgedrängt um die Speisen sitzen und nirgends als bei der berüchtigten Reisschüssel einen leeren Platz sah, setzte er sich dort und streckte seine Hand aus, um von dem Reis zu essen. Da rief die Königin einige ihrer Garden und befahl ihnen: »Bringt mir jenen Menschen, der da vor der Reisschüssel sitzt.« Da sie ihn sofort nach dem, was früher geschehen war, erkannten, packten sie ihn und führten ihn vor die Königin Sumurrud, welche zu ihm sprach: »Wehe dir, wie ist dein Name, was ist dein Gewerbe, und weshalb bist du in unsre Stadt gekommen?« Er antwortete: »O König der Zeit, ich heiße Rostem und habe keinen Beruf, da ich ein armer Derwisch bin.« Da rief sie ihrem Gefolge zu: »Bringt mir ein Sandbrett und einen Kalam aus Messing.« Als sie ihr wie üblich das Verlangte gebracht hatten, nahm sie den Kalam und zeichnete eine Figur; nachdem sie dieselbe längere Zeit betrachtet hatte, hob sie den Kopf zu ihm auf und rief: »Hund, wie kannst du Könige belügen? Dein Name ist Raschîd ed-Dîn der Nazarener, und dein Gewerbe besteht darin, daß du moslemischen Mädchen Fallen legst und sie raubst; äußerlich bist du zwar ein Moslem, aber im Herzen ein Christ. Nun sprich die Wahrheit oder ich lasse dir den Kopf abschlagen.« Als der Nazarener diese Worte vernahm, stotterte und stammelte er und sagte schließlich: »Du hast die Wahrheit gesprochen, o König der Zeit.« Da befahl sie ihn der Länge nach hinzuwerfen, ihm auf jeden Fuß 84 hundert und auf den Leib tausend Peitschenhiebe zu verabfolgen und ihn dann zu schinden, seine Haut mit Werg auszustopfen, hierauf eine Grube außerhalb der Stadt zu graben, seine Überreste darin zu verbrennen und Schmutz und Unrat über seine Asche zu werfen. Während nun ihr Befehl ausgeführt wurde, gab sie den Leuten die Erlaubnis zu essen, und sie aßen und gingen, nachdem sich alles Volk gesättigt hatte, ihres Weges. Die Königin Sumurrud stieg dann ebenfalls wieder ins Schloß hinauf und sprach bei sich: »Gelobt sei Gott, welcher meinem Herzen an meinen Schädigern Ruhe verschafft hat!« Dann dankte sie dem Schöpfer des Himmels und der Erden und sprach die Verse:

»Sie waren mit Macht begabt und herrschten streng,
Doch in Bälde schon war's, als ob ihre Macht nie gewesen.
Wären sie gerecht gewesen, wäre ihnen Gerechtigkeit zu teil geworden,
Doch da sie Gewalt übten, hat sie das Schicksal mit seinen Schlägen vergewaltigt.
So redet ihr Los in stummer Sprache zu ihnen:
Das ist euer Lohn und der Zeiten Lauf ist ohne Tadel.«

Als sie ihre Verse beendet hatte, kam ihr wieder ihr Herr Alī Schâr in den Sinn, so daß sie heftig weinen mußte; dann aber faßte sie sich wieder und sprach bei sich: »Vielleicht wird Gott, der mir meine Feinde in die Hand geliefert hat, mir auch meinen Geliebten wieder schenken.« Alsdann bat sie Gott, den Mächtigen und Herrlichen, um Verzeihung, –

Dreihundertundvierundzwanzigste Nacht.

lobte ihn und bat ihn von neuem um Nachsicht, indem sie sich den Fügungen des Schicksals anheimgab und in festem Glauben, daß jedes Ding sowohl Anfang als Ende haben müsse, die Verse sprach:

»Trag' alle deine Geschicke mit leichtem Sinn,
Denn der Lauf der Dinge liegt in Gottes Hand.
Was er verbietet, wird dich nicht treffen,
Und was er bestimmt, bleibt dir nicht aus. 85

Und eines andern Ausspruch:

Laß laufen deine Tage, daß sie leicht von hinnen ziehn,
Und tret' nicht ein in die Häuser der Sorge.
Wie oft geschieht's, daß, wenn ein Ding schwer zu erreichen ist,
Schon die nächste Stunde dir's fröhlich bringt.

Und das Wort eines dritten:

Sei mild, wenn dich der Zorn erfaßt,
Und standhaft, wenn dich ein Unglück trifft,
Denn die Nächte gehn schwanger von der Zeit,
Und Wunderdinge gebären sie viel.

Und den Ausspruch eines vierten:

Harr' aus, Geduld bringt Gutes; und hast du sie erlernt,
So bist du frohen Muts und ungequält von Schmerzen.
Bedenk', daß, wenn du nicht Geduld freiwillig übst,
Mußt du erzwungen tragen, was der KalamDie Feder des Schicksals. schrieb.«

Als sie die Verse gesprochen hatte, wartete sie wieder einen vollen Monat, indem sie am Tage unter dem Volk Recht sprach und Befehle und Verbote erteilte, des Nachts aber über die Trennung von ihrem Herrn Alī Schâr weinte und wehklagte. Sobald jedoch der neue Monat anbrach, befahl sie wieder wie üblich die Tafel auf der Rennbahn herzurichten und setzte sich an die Spitze der Leute, während dieselben auf die Erlaubnis zum Essen warteten und den Platz vor der Reisschüssel leer gelassen hatten. Von ihrem Platze am obersten Ende der Tafel aus heftete sie ihre Augen auf das Thor der Rennbahn, um alle Eintretenden genau zu mustern, während sie dabei in ihrem Innern sprach: »O du, der du Joseph seinem Vater Jakob wiedergabst und von Hiob die Plage nahmst, schenke mir in deiner Allmacht und Herrlichkeit meinen Herrn Alī Schâr wieder, denn du bist zu allen Dingen mächtig, o Herr der Welten!« Noch hatte sie kaum ihr Gebet beendet, da trat jemand durch das Thor der Rennbahn ein, dessen Wuchs der Rute des Bân glich, nur daß er 86 abgemagert war und gelb aussah, sonst aber der schönste junge Mann und von vollkommenem Verstand und tadellosem Benehmen. Als derselbe bei seinem Eintreten keinen andern Platz als den bei der Reisschüssel leer fand, setzte er sich dort nieder; Sumurruds Herz aber pochte bei seinem Anblick, und, ihn genau betrachtend, erkannte sie, daß es ihr Herr Alī Schâr war. Fast hätte sie vor Freuden laut aufgeschrieen, doch nahm sie sich zusammen, um sich nicht vor dem Volk bloßzustellen, und verbarg alles, was in ihrer Brust vor sich ging, wiewohl ihr Inneres erbebte und ihr Herz ungestüm schlug. Der Grund aber, weshalb Alī Schâr gekommen war, war folgender: nachdem Sumurrud von dem Kurden Dschawân geraubt war, war er wieder wach geworden und hatte, als er an seinem bloßen Kopf erkannte, daß ihm jemand im Schlaf den Turban gestohlen hatte, das Wort gesprochen, das keinen zu schanden macht und das da lautet: »Wir sind Gottes, und zu ihm führt unser Weg zurück.« Dann ging er wieder zu der Alten, die ihm Sumurruds Aufenthalt angegeben hatte, zurück, und pochte an ihre Thür. Als sie herauskam, weinte er vor ihr, bis er in Ohnmacht sank, und erzählte ihr, nachdem er wieder zu sich gekommen war, alles, was sich mit ihm zugetragen hatte, worauf sie ihn für seine Nachlässigkeit tadelte und ausschalt und zu ihm sagte: »Fürwahr, du hast dein Unglück und Mißgeschick selbst verschuldet,« – und nicht eher mit ihren Vorwürfen aufhörte, bis ihm das Blut aus der Nase lief, und er von neuem in Ohnmacht sank. Als er dann wieder zu sich kam, –

Dreihundertundfünfundzwanzigste Nacht.

sah er, wie die Alte über ihn jammerte und Thränen vergoß. Da klagte er über sein Leid und sprach die beiden Verse:

Wie bitter ist die Trennung für Freunde,
Und wie süß Vereinigung für ein liebend Paar!
Gott vereinige alle getrennten Liebenden
Und schütze mich, der ich dem Tode nahe bin!« 87

Hierauf sagte die Alte bekümmert zu ihm: »Bleib' hier sitzen, bis ich für dich Nachricht eingezogen habe und wieder schnell zu dir zurückgekehrt bin.« Er erwiderte: »Ich höre und gehorche,« während sie ihn nun verließ und bis Mitternacht von ihm fortblieb. Als sie dann wieder bei ihm eintraf, sagte sie zu ihm: »O Alī, ich glaube nichts anderes, als daß du vor Kummer sterben wirst; du wirst deine Geliebte nicht eher als auf der HöllenbrückeÜber diese Brücke müssen alle mit Ausnahme einiger weniger am Tage des Gerichts schreiten; sie ist feiner als ein Haar und schärfer als eines Schwertes Schneide. wiedersehen. Die Leute im Hause des Nazareners fanden nämlich das Fenster, das auf den Garten hinausgeht, heute früh ausgerissen und Sumurrud nebst einem Mantelsack voll Gold, der dem Nazarener gehörte, verschwunden, und ich sah dort den Wâlī mit seiner Mannschaft vor der Thür stehen. Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Als Alī Schâr diese Worte von ihr vernahm, verwandelte sich das Licht vor seinem Angesichte in Finsternis; am Leben verzweifelnd und seines Todes gewiß, weinte er in einem fort, bis er in Ohnmacht sank und durch schwere Krankheit an sein Haus gefesselt wurde, während die Alte während der Dauer eines vollen Jahres unablässig die Ärzte zu ihm führte und ihm Scherbetts zu trinken gab und Brühen zurechtmachte, bis endlich wieder Leben in ihn kehrte und er in Erinnerung an das Vergangene die Verse sprach:

»Die Sorge ist eingekehrt und die Vereinigung zur Trennung geworden,
Thräne um Thräne fließt, und das Herz erduldet Feuersqualen.
Zu schwer zehrt die Sehnsucht an einem, der keinen Frieden findet,
Den Liebe, Verlangen und Unruhe krank gemacht hat.
O Herr, so es ein Ding giebt, das mir Trost bringen kann,
So gewähr' es mir gnädig, so lange noch Odem in mir ist!«

Als dann das zweite Jahr begann, sagte die Alte zu ihm: »Mein Sohn, all dein Kummer und Gram hier kann dir deine Geliebte nicht wiederbringen. Steh' drum auf, 88 nimm deine Kraft zusammen, und forsche nach ihr in den Ländern, vielleicht vernimmst du irgend etwas von ihr.« In dieser Weise ließ sie nicht nach, ihn aufzumuntern und zu stärken, bis sie ihn aufgeheitert hatte. Dann führte sie ihn ins Bad, gab ihm Wein zu trinken und Hühner zu essen und that dies mit ihm tagaus tagein einen vollen Monat lang, bis er sich wieder kräftig fühlte, worauf er sich auf den Weg machte und nicht eher seine Reise unterbrach, als bis er in Sumurruds Stadt einkehrte, wo er in die Rennbahn trat und sich zur Schüssel mit dem Reis niedersetzte. Als er seine Hand nach derselben ausstreckte, um zu essen, hatten die Leute Mitleid mit ihm und sagten zu ihm: »Junger Mann, iß nicht von dieser Schüssel, denn jedem, der von der Schüssel ißt, bekommt es übel.« Er entgegnete ihnen jedoch: »Lasset mich essen und sie mit mir verfahren, wie sie wollen; vielleicht finde ich so Ruhe von diesem ermüdenden Dasein.« Darauf aß er den ersten Bissen, und nun wollte Sumurrud ihn vor sich bringen lassen; da ihr jedoch einfiel, daß er hungrig sein könnte, sprach sie bei sich: »Richtiger ist es, ich lasse ihn erst sich sattessen.« Und so aß er denn, während das Volk ihm starr zusah und wartete, was mit ihm geschehen würde. Als er sich nun satt gegessen hatte, sagte Sumurrud zu einigen ihrer Eunuchen: »Geht zu jenem jungen Mann, der von dem Reis dort ißt, und bringt ihn höflich zu mir, indem ihr zu ihm sprechet: Folge dem Befehl des Königs, um eine kleine Frage zu beantworten.« Die Eunuchen erwiderten: »Wir hören und gehorchen« und gingen dann zu ihm, bis sie ihm zu Häupten standen und zu ihm sprachen: »Mein Herr, habe die Güte und entsprich dem Befehl des Königs mit sorgenloser Brust.« Da erwiderte er ihnen: »Ich höre und gehorche,« und folgte den Eunuchen, –

Dreihundertundsechsundzwanzigste Nacht.

während das Volk einer dem andern zurief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und 89 Erhabenen!« Was wird nur der König mit ihm thun?« Andere wiederum meinten: »Er thut ihm sicherlich nur Gutes an; denn, so er ihm hätte ein Übel zufügen wollen, hätte er ihn sich nicht satt essen lassen.« Als nun Alī Schâr vor Sumurrud stand, sprach er den Salâm und küßte die Erde vor ihr, worauf sie ihm den Salâm zurückgab, ihn ehrenvoll empfing und ihn fragte: »Wie heißest du, was ist dein Gewerbe, und weshalb bist du in diese Stadt gekommen?« Da antwortete er: »O König, mein Name ist Alī Schâr, ich bin ein Kaufmannssohn und meine Heimatsstadt ist Chorāsân. Ich kam in diese Stadt, um einem Mädchen nachzuforschen, das mir verloren ging und mir teurer als mein Gesicht und mein Gehör war, und an der meine Seele hängt, seitdem ich sie vermisse. Das ist meine Geschichte.« Darauf weinte er, bis er in Ohnmacht sank; Sumurrud aber befahl, ihm Rosenwasser ins Gesicht zu sprengen, und sie thaten es, bis er wieder zu sich kam. Als er sich nun wieder erholt hatte, rief sie: »Her mit einem Sandbrett und einem Kalam aus Messing!« Als sie ihr das Verlangte gebracht hatten, nahm sie den Kalam, zeichnete eine Figur in den Sand und betrachtete sie geraume Zeit. Alsdann sagte sie zu ihm: »Du hast die Wahrheit gesprochen; Gott wird dich in Bälde mit ihr vereinen, sei daher ohne Sorge.« Hierauf befahl sie dem Kämmerling, ihn ins Bad zu führen und ihn in einen schönen Anzug, wie ihn Könige tragen, zu kleiden, ihn dann auf eins der edelsten Rosse des Königs zu setzen und ihn gegen Abend ins Schloß zu geleiten. Der Kämmerling antwortete: »Ich höre und gehorche;« dann nahm er Alī Schâr mit sich von der Königin fort und führte ihn ins Bad, während das Volk zu einander sprach: »Warum ist der König so gnädig zu diesem jungen Mann?« Einer aber sagte: »Hab' ich's euch nicht gesagt, daß er ihm nichts Böses anthun wird, da er ein hübscher Gesell ist? Ich wußte dies von dem Augenblick an, als er ihn sich satt essen ließ.« Nachdem so ein jeder seine Meinung vorgebracht hatte, trennten sie sich und gingen 90 ihres Weges, während Sumurrud kaum die Nacht erwarten konnte, um mit ihrem Herzliebsten allein zu sein. Als nun die Nacht kam, suchte sie ihr Schlafgemach auf und stellte sich, als ob sie vom Schlaf überkommen sei. Es war aber ihre Gewohnheit, niemand außer zwei kleinen Eunuchen zu ihrer Bedienung bei sich schlafen zu lassen. Nachdem sie sich also in ihr Schlafgemach zurückgezogen hatte, schickte sie nach ihrem Geliebten Alī Schâr und setzte sich aufs Ruhebett, während Kerzen ihr sowohl zu Häupten als zu Füßen brannten und goldene Kronleuchter den Raum erhellten. Als aber die Leute vernahmen, daß sie nach Alī Schâr geschickt hatte, verwunderten sie sich, und jeder machte sich seine Gedanken darüber und äußerte seine Meinung, bis einer von ihnen sagte: »Der König liebt unter allen Umständen diesen jungen Mann und macht ihn morgen zu seinem Obergeneral.« Wie sie nun Alī Schâr zu ihr geführt hatten, küßte er die Erde vor ihr und segnete sie, während sie bei sich sprach: »Ich will eine Weile meinen Scherz mit ihm treiben und mich ihm deshalb nicht zu erkennen geben.« Alsdann fragte sie ihn: »Alī, bist du im Bade gewesen?« Er antwortete: »Jawohl, mein Gebieter.« Da sagte sie zu ihm: »Komm' und iß von diesen Hühnern und dem Fleisch hier und trink' von diesem Wein und dem Scherbett, denn du bist müde; und hernach komm' hierher zu mir.« Alī Schâr erwiderte: »Ich höre und gehorche,« und that nach ihrem Geheiß. Als er mit Essen und Trinken fertig geworden war, sagte sie zu ihm: »Komm' zu mir aufs Bett und knete mich.« Da begann er ihr die Füße und Schenkel zu kneten und fand sie weich wie Seide, und siehe, da war der König ein Mädchen.

Dreihundertundsiebenundzwanzigste Nacht.

Als Alī Schâr dies verwundert bemerkte, lachte Sumurrud laut und fröhlich und sagte zu ihm: »Ach, mein Herr, alles dieses ist geschehen, und du erkennst mich noch nicht?« Da fragte er: »Wer bist du denn, o König?« Und nun 91 sagte sie: »Ich bin dein Mädchen Sumurrud.« Als Alī Schâr dies vernahm, erkannte er sie und stürzte sich auf sie, wie sich der Löwe aufs Schaf stürzt.

Am nächsten Morgen ließ Sumurrud alle Truppen und die Großen des Reiches vor sich kommen und sprach zu ihnen: »Ich beabsichtige in dieses Mannes Land zu ziehen, erwählet euch daher einen Vicekönig, der über euch herrsche, bis daß ich wieder bei euch eingetroffen bin.« Und sie antworteten ihr: »Wir hören und gehorchen.« Alsdann machte sie sich daran, alles zur Reise Erforderliche, wie Proviant, Geld, kostbare Geschenke, Kamele und Maultiere zu beschaffen und reiste, nachdem sie mit Alī Schâr die Stadt verlassen hatte, ohne Unterbrechung, bis sie in seiner Stadt anlangte, wo er in seiner Wohnung einkehrte und Geschenke und Almosen verteilte. Und Gott schenkte ihm Kinder von ihr, und beide lebten in schönster Zufriedenheit, bis der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen sie heimsuchte. Preis Ihm, des Leben ewig währt, und Lob in jedem Fall!

 


 


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