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Tausend und eine Nacht. Band VII
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Alī der Perser und die Geschichte von seinem Ranzen.

Ferner erzählt man, daß der Chalife Hārûn er-Raschîd eines Nachts unruhig war und deshalb seinen Wesir rufen ließ. Als derselbe vor ihm erschien, sagte er zu ihm: »Dschaafar, ich bin heute Nacht sehr unruhig, und die Brust ist mir beklommen; ich wünsche daher etwas von dir, was mein Herz erfreut und meine Brust wieder fröhlich ausdehnt.« Dschaafar erwiderte ihm: »O Fürst der Gläubigen, ich habe einen Freund, Namens Alī der Perser, der weiß Geschichten und lustige Erzählungen, die das Herz erfreuen und die Sorgen verscheuchen.« Da sagte der Chalife: »Her mit ihm!« und Dschaafar erwiderte: »Ich höre und gehorche.« Darauf verließ er den Chalifen und ließ den Perser holen; als derselbe vor ihm erschien, sagte er zu ihm: »Entsprich dem Befehl des Fürsten der Gläubigen,« und der Perser antwortete: »Ich höre und gehorche.«

Zweihundertundfünfundneunzigste Nacht.

Alsdann begaben sich beide zum Chalifen. Als nun der Perser vor dem Fürsten der Gläubigen stand, erlaubte ihm dieser sich zu setzen und sagte zu ihm, als er sich gesetzt hatte: »Alī, meine Brust ist heute Nacht beklommen, und, da es mir zu Ohren kam, daß du Geschichten und Anekdoten weißt, so möchte ich, daß du mich etwas hören lässest, was mir die Sorgen verscheucht und den Trübsinn aufheitert.« Da fragte der Perser: »O Fürst der Gläubigen, soll ich dir etwas erzählen, was ich selber geschaut oder was ich nur gehört habe?« Der Chalife erwiderte: »Wenn du etwas besonderes gesehen 6 hast, so erzähle es.« Da sagte Alī der Perser: »Ich höre und gehorche,« und begann: »Wisse, o Fürst der Gläubigen, eines Jahres reiste ich von dieser meiner Geburtsstadt, der Stadt Bagdad, mit einem Burschen fort, welcher einen niedlichen Ranzen trug. Als wir unterwegs in eine Stadt kamen und ich dort kaufte und verkaufte, fiel mit einem Male ein gewaltthätiger, frecher Kurde über mich her und riß mir den Ranzen fort, indem er behauptete: »Dies ist mein Ranzen und alle Sachen darin gehören mir.« Da schrie ich: »Ihr Moslems all zu Haus, rettet mich aus der Hand dieses gemeinsten aller Tyrannen!« Und die ganze Volksmenge rief: »Geht zum Kadi und fügt euch seinem Spruch.« Hierauf begaben wir uns zum Kadi, während ich mich mit seinem Spruch einverstanden sein zu wollen erklärte, und der Kadi fragte, als wir bei ihm eingetreten waren und vor ihm standen: »Weshalb seid ihr gekommen, und was giebt's zwischen euch?« Da sagte ich: »Wir beide sind im Streit, wir führen vor dir Klage und wollen uns mit deinem Spruch bescheiden.« Hierauf fragte der Kadi: »Wer von euch ist der Kläger?« Da trat der Kurde vor und sagte: »Gott stärke unsern Herrn den Kadi! Dieser Ranzen ist mein Ranzen, und alle Sachen darin sind meine Sachen; ich hatte ihn verloren und fand ihn bei jenem Mann.« Da fragte der Kadi: »Wann hattest du ihn verloren?« Und der Kurde erwiderte: »Gestern, und ich verbrachte wegen seines Verlustes eine schlaflose Nacht.« Nun sagte der Kadi: »Wenn du ihn wieder erkennst, so gieb mir seinen Inhalt an.« Da sagte der Kurde: »In diesem meinem Ranzen sind zwei silberne Schminkstifte und Augenschminken, ein Tuch für die Hände, in das ich zwei goldene Krüge und zwei Leuchter gepackt hatte. Ferner enthält er zwei Zelte, zwei Schüsseln, zwei Löffel, ein Kissen, zwei lederne Decken, zwei Eimer, einen Präsentierteller, zwei Becken, einen Kochtopf und zwei Krüge, einen Schöpflöffel, eine Sacknadel und zwei Proviantbeutel, eine Katze und zwei Hündinnen, einen Speisenapf und zwei Sättel, eine Joppe und 7 zwei Pelze, eine Kuh und zwei Kälber, eine Ziege und zwei Schafe, ein Mutterschaf und zwei Lämmchen, zwei grüne Prunkzelte, einen Kamelhengst und zwei Kamelstuten, eine Büffelkuh und zwei Stiere, eine Löwin und zwei Löwen, eine Bärin und zwei Füchse, eine Matratze und zwei Sofas, ein Oberzimmer und zwei Säle, eine Galerie und zwei Wohnzimmer, eine Küche mit zwei Thüren und einen Haufen Kurden, die es bezeugen werden, daß der Ranzen mein Ranzen ist.« Hierauf fragte mich der Kadi: »Und du da, was sagst du dazu?« Da trat ich, o Fürst der Gläubigen, an ihn heran, von den Worten des Kurden ganz verwirrt, und sagte: »Gott mache unsern Herrn Kadi geehrt! In diesem meinem Ranzen ist weiter nichts als ein zerfallenes Häuschen und ein anderes ohne Thür, eine Hundebude und eine Knabenschreibschule, würfelspielende Burschen, Zelte und Zeltstricke, die Städte Basra und Bagdad, das Schloß Schaddâds, des Sohnes Ads, ein Schmiedeherd, ein Fischnetz, ein Stock und Zeltpflöcke, Mädchen und Knaben und tausend Kuppler, die bezeugen werden, daß der Ranzen mein Ranzen ist.« Als der Kurde dies von mir vernahm, weinte und schluchzte er und sagte: »Ach unser Herr Kadi, dieser mein Ranzen ist bekannt und sein Inhalt ist berühmt. In diesem meinem Ranzen sind Schlösser und Burgen, Kraniche und reißende Tiere, Männer beim Schach- und Brettspiel, eine Stute und zwei Füllen, ein Hengst, zwei Vollblutpferde und zwei lange Lanzen; ferner enthält der Ranzen einen Löwen und zwei Hasen, eine Stadt und zwei Dörfer, eine Dirne und zwei gaunerische Kuppler, einen Sodomiter und zwei Galgenstricke, einen Blinden und zwei Sehende, einen Krüppel und zwei Lahme, einen Presbyter und zwei Diakone, einen Patriarchen und zwei Mönche, einen Kadi und zwei Zeugen, die bezeugen werden, daß der Ranzen mein Ranzen ist.« Da fragte mich der Kadi: »Alī, was sagst du?« Ich aber, o Fürst der Gläubigen, trat nun zornerfüllt an den Kadi heran und sagte: »Gott stärke unsern Herrn den Kadi! 8

Zweihundertundsechsundneunzigste Nacht.

In diesem meinem Ranzen befindet sich ein Ringpanzer, ein Schwert und Rüstkammern, tausend stößige Widder und eine Schafhürde, tausend bellende Hunde, Gärten, Weinberge, Blumen und Riechkräuter, Feigen und Äpfel, Statuen und Bilder, Flaschen und Becher, Bräute und Sängerinnen, Feste, Wirrwarr und Geschrei, weite Landstriche und Glücksritter, eine morgendliche Räuberbande mit Schwertern, hübschen Lanzen, Bogen und Pfeilen, Freunde und Trautgesellen, Vertraute und Gefährten, Sträflinge und Zechgenossen, eine Mandoline und Flöten, Banner und Fahnen, Knaben und Mädchen, strahlende Bräute und Sängerinnen, fünf Abessinierinnen, drei Indierinnen, vier Medinenserinnen, zwanzig Griechinnen, fünfzig Türkinnen, siebzig Perserinnen, achtzig Kurdinnen, neunzig Tscherkessinnen, der Tigris und der Euphrat, ein Fischnetz, ein Feuerstein und Feuerstahl, Irem die Säulenstadt, tausend Kuppler und Galgenstricke, Rennbahnen, Ställe, Bethäuser, Moscheen und Bäder, ein Baumeister und ein Schreiner, ein Stück Holz und ein Nagel, ein Negersklave mit einer Flöte, ein Hauptmann und ein Karawanenführer, Städte und Metropolen, hunderttausend Dinare, die Städte Kûfa und Ambâr, zwanzig Zeugkisten, zwanzig Proviantmagazine, Gaza und Askalon, das Land von Damiette bis Assuân, der Palast des Kisrā Anūschirwân, das Reich des Suleimân, das Landgebiet vom Wadi Noomân bis zum Lande Chorāsân und Balch und Isfahân und die Länder von Indien bis zum Sudân. Ferner – und Gott schenke unserm Herrn Kadi langes Leben! – sind im Ranzen Unterkleider und Tuche und tausend scharfe Rasiermesser, des Kadis Bart zu rasieren, wenn er nicht meinen Zorn fürchtet und mir nicht den Ranzen zuspricht.«

Als der Kadi dies vernahm, wurde er völlig verdreht im Kopfe und sagte: »Ich sehe, ihr seid nichts anders als zwei unselige Individuen oder zwei gottlose Manichäer, die mit 9 Kadis und Amtspersonen ihren Spott treiben und sich vor der Strafe nicht fürchten. Hat man je wunderbareres erzählt und gehört als was ihr behauptet? Bei Gott, von China bis Schadscharet Umm Gheilân, vom Perserland bis zum Sudân und vom Wadi Noomân bis zum Lande Chorāfân hat man weder gehört noch geglaubt, was ihr vorgebracht und behauptet habt. Ist denn dieser Ranzen ein bodenloses Meer oder der jüngste Tag, der die Reinen und Missethäter versammelt?« Darauf befahl der Kadi den Ranzen zu öffnen, und ich öffnete ihn, und da war in ihm Brot, Citronen, Käse und Oliven. Dann warf ich den Ranzen dem Kurden vor die Füße und ging meines Weges.«

Als der Chalife diese Erzählung von Alī dem Perser vernahm, fiel er vor Lachen auf den Rücken und machte ihm ein schönes Geschenk.

 


 


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