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Tausend und eine Nacht. Band VII
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Wie Ibrāhîm, der Sohn des El-Mahdī, zu seiner Frau kam.

Ferner erzählt man, daß der Fürst der Gläubigen El-Mamûn einst zu Ibrāhîm, dem Sohn des El-Mahdī, sagte: »Erzähl' uns dein wunderbarstes Erlebnis.« Und er erwiderte: »Ich höre und gehorche, o Fürst der Gläubigen. Wisse, eines Tages zog ich zu meinem Vergnügen aus, und mein Weg führte mich schließlich an einen Ort, wo ich den 139 Duft von Speisen roch und nach ihnen Verlangen bekam, so daß ich, o Fürst der Gläubigen, unentschlossen stehen blieb und weder fortzugehen noch auch in jenes Haus einzutreten vermochte. Als ich hierbei meinen Blick hob, gewahrte ich ein Gitterfenster und hinter ihm eine Hand und ein Gelenk, wie ich es schöner bisher nicht erschaut hatte. Der Anblick raubte mir den Verstand; jene Hand und jenes Gelenk ließen mich den Speisenduft vergessen, und ich begann mir ein Mittel auszusinnen, wie ich in jenes Haus hinein gelangen könnte. Mit einem Male sah ich einen Schneider unfern von jenem Hause, worauf ich auf ihn zuschritt und ihn begrüßte; nachdem er mir den Salâm erwidert hatte, fragte ich ihn: »Wem gehört das Haus hier?« Und er erwiderte mir: »Einem Kaufmann.« Da fragte ich ihn: »Wie heißt er?« Und er entgegnete: »Er heißt so und so, Sohn des und des, doch verkehrt er nur mit Kaufleuten.« Während wir noch miteinander redeten, kamen mit einem Male zwei vornehm und klug ausschauende Männer an, welche, wie mir der Schneider sagte, des Kaufmanns vertrauteste Freunde waren, und deren Namen er mir auch angab. Da setzte ich mein Tier in Gang auf sie zu und sagte zu ihnen: »Mag ich euer Lösegeld sein! Abū FulânDer Kaufmann, dessen Kunje (Unterscheidungsname) hier in dieser unbestimmten Weise als »Vater des N. N.« angegeben wird. hat schon lange auf euch gewartet.« Alsdann begleitete ich sie zur Thür und trat mit ihnen ein. Als mich aber der Hausherr mit ihnen zusammen eintreten sah, zweifelte er nicht, daß ich ihr Freund sei, und hieß mich willkommen, indem er mir den obersten Platz anwies. Darauf brachte man den Speisetisch, und ich sprach bei mir: »Nun hat Gott mich zu der Speise kommen lassen, nach der mich verlangte, und es bleibt nur noch die Hand und das Gelenk übrig.« Nach dem Essen begaben wir uns zum Trinken in einen andern Raum, den ich mit lauter niedlichen Sachen ausgestattet sah, und der Hausherr war besonders höflich zu mir und richtete das Wort an mich, 140 da er mich für einen Gast seiner Gäste hielt, während sie mich in gleicher Weise mit ausgesuchtester Höflichkeit behandelten, da sie mich für den Freund des Hausherrn hielten. In dieser Weise hatten wir, während ich von allen mit Höflichkeit überschüttet wurde, bereits eine Anzahl von Bechern geleert, als ein Mädchen gleich einem Bânzweig von feinstem und schönstem Äußern zu uns hereintrat und, zur Laute greifend, zu einer entzückenden Weise die Verse sang:

Ist es nicht wunderbar, daß uns ein Haus umschließt,
Und daß du nicht nahest und nicht zu mir sprichst?
Nur die Augen verraten der Seelen geheime Gedanken
Und das Brechen der Herzen, die lodernd in Flammen stehn.
Die Augen nur sprechen mit Zeichen, die Wimpern blinzen,
Es brechen die Lider, und Hände winken den Gruß.

Als ich dieses Lied vernahm, o Fürst der Gläubigen, kam mein ganzes Innere in Aufruhr, und Entzücken packte mich über ihre ausnehmende Anmut und das liebliche Lied, das sie gesungen hatte; neidisch auf ihre Kunst, sagte ich jedoch zu ihr: »Dir fehlt noch etwas, Mädchen.« Da warf sie erzürnt die Laute aus der Hand und rief: »Seit wann bringt ihr unverschämte Menschen in eure Gesellschaften?« Ich bereute nun meine Worte, zumal da ich sah, daß die Leute es mir übelnahmen, und sprach bei mir: »Alle meine Hoffnungen sind dahin,« und fand keinen andern Ausweg dem Tadel zu wehren als daß ich nach einer Laute verlangte und sagte: »Ich will euch erklären, was ihr in der Weise, die sie uns vorspielte, entging.« Da sagten die Leute: »Wir hören und gehorchen,« und brachten mir eine Laute; ich aber stimmte ihre Saiten und saug nun die Verse:

Hier ist der Mann, der dich liebt, zerschlagen von Kummer,
Auf dessen Leib die Thränen der Sehnsucht strömen,
Zum Erbarmer hebt er die Rechte und fleht um Erhörung,
Und die Linke legt er aufs Herz.
O du, der du mich sterben schaust an meiner Liebe,
Mein Schicksal traf mich durch ihr Aug' und ihre Hand. 141

Da sprang das Mädchen auf und, sich auf meine Füße werfend, küßte es dieselben und rief: »Du hast mich zu entschuldigen, o mein Herr! Bei Gott, ich kannte weder deinen Rang noch hörte ich je solche Kunst!« Hierauf fingen alle an mich zu rühmen und mir Beifall zu spenden, da sie aufs äußerste entzückt waren, und jeder von ihnen bat mich noch etwas zu singen. Da sang ich noch eine zu heller Lust entflammende Weise, und sie wurden so berauscht, daß sie die Besinnung verloren und nach Hause geschafft wurden, während ich allein mit dem Hausherrn und dem Mädchen zurückblieb. Nachdem nun der Hausherr noch etliche Becher mit mir getrunken hatte, sagte er zu mir: »Mein Herr, mein Leben ist bisher umsonst gewesen, da ich zuvor einen solchen Mann wie dich nicht kannte. Nun aber, bei Gott, mein Herr, sag mir, wer du bist, auf daß ich den Bechergenossen kenne, den Gott mir heute Nacht beschert hat?« Zuerst machte ich Ausflüchte und wollte ihm nicht meinen Namen nennen, da er mich jedoch beschwor, gab ich mich ihm zu erkennen, worauf er auf seine Füße sprang und rief:

Dreihundertundsiebenundvierzigste Nacht.

»Ich wunderte mich in der That, daß ein anderer als du solche Vorzüge besitzen sollte; nun hat mir die Zeit eine Gunst erwiesen, für welche ich ihr nicht genug danken kann, und vielleicht ist dies nur ein Traum, denn wie hätte ich wohl daran denken können, daß mich jemand vom Chalifenhause in meiner Wohnung besuchen und die Nacht über mein Trinkgenoß sein würde?« Nach diesen seinen Worten beschwor ich ihn sich zu setzen, worauf er sich niederließ und mich nach der Ursache meines Besuches in der höflichsten Weise fragte. Da erzählte ich ihm die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, indem ich nicht das geringste vor ihm verbarg, und fügte hinzu: »Was das Essen anlangt, so habe ich meinen Wunsch erreicht, doch was die Hand und das Gelenk anbetrifft, so steht die Erfüllung noch aus;« worauf 142 er erwiderte: »Auch hierin sollst du deinen Wunsch erlangen, so Gott will, der Erhabene.« Alsdann rief er: »Du da, sag' der und der, sie soll herunterkommen.« Und nun ließ er eine nach der andern von seinen Sklavinnen herunterkommen und führte sie mir alle vor, ohne daß ich meine Freundin darunter sah, bis er schließlich sagte: »Bei Gott, mein Herr, jetzt ist nur noch meine Mutter und meine Schwester übrig geblieben, doch, bei Gott, ich muß sie auch zu dir herunterkommen lassen und sie dir vorführen, daß du sie siehst.« Verwundert über seine Hochherzigkeit und Großmut, sagte ich zu ihm: »Ich sei dein Lösegeld! so fang' denn mit deiner Schwester an,« und er erwiderte: »Freut mich und ehrt mich.« Alsdann kam seine Schwester herunter und zeigte mir ihre Hand und, siehe, da war sie die Herrin jener Hand und jenes Handgelenks, die ich gesehen hatte, und ich rief: »Ich sei dein Lösegeld! Dies ist das Mädchen, deren Hand und Gelenk ich sah.« Er aber befahl nun seinen Burschen zur selbigen Zeit und Stunde die Zeugen zu rufen; und sobald sie erschienen, holte er zwei Beutel mit je zehntausend Goldstücken und sagte zu den Zeugen: »Dieser unser Herr, der Seijid Ibrāhîm, Sohn des El-Mahdī, der Oheim des Fürsten der Gläubigen, bewirbt sich um meine Schwester, Namens So und So, und ich nehme euch zu Zeugen, daß ich sie ihm zum Weib gebe, und daß er ihr zehntausend Dinare als Mitgift gegeben hat.« Hierauf wendete er sich zu mir und sagte: »Ich verheirate dir meine Schwester, Namens So und So, für die eben erwähnte Hochzeitsgabe;« und ich erwiderte: »Ich nehme es an und bin dessen zufrieden.« Nachdem er hierauf einen der beiden Beutel seiner Schwester und den andern den Zeugen gegeben hatte, sagte er zu mir: »Mein Gebieter, ich möchte dir nun ein Gemach zur Nachtruhe mit deinem Weibe herrichten.« Da mich jedoch seine Hochherzigkeit verdroß, und ich mich auch schämte die Hochzeitsnacht in seinem Hause zu verbringen, sagte ich zu ihm: »Rüste sie aus und schicke sie in meine Wohnung.« 143 Und so wahr du lebst, o Fürst der Gläubigen, er schickte mir mit ihr eine so große Ausstattung, daß mein Haus trotz seiner Geräumigkeit nicht Platz genug für alle Sachen hatte. Später gebar sie mir dann diesen Knaben, der hier vor dir steht.«

El-Mamûn verwunderte sich über jenes Mannes Freigebigkeit und rief: »Welch gesegneter Mann! Nie hörte ich von einem seinesgleichen.« Alsdann befahl er Ibrāhîm, dem Sohn des El-Mahdī, den Mann zu holen, daß er ihn schauen könnte; und als er ihn ihm vorgestellt hatte, unterhielt er sich mit ihm und wurde von seinem geistreichem Gespräch und seinem feinen Wesen so eingenommen, daß er ihn zu einem seiner vertrautesten Günstlinge machte. Und Gott ist der Geber, der gütige Spender!

 


 


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