Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band VII
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Wissen und Verstand erhöht.

El-Mamûn und der fremde Gelehrte.

Ferner wird überliefert, daß es unter den Abbasidenchalifen keinen in allen Wissensgebieten Unterrichteteren gab, als den Chalifen El-Mamûn, und daß derselbe in jeder Woche an zween Tagen die Gelehrten vor sich disputieren ließ, indem die Disputierenden, Schriftgelehrte sowohl wie 48 Metaphysiker, unter seinem Präsidium nach Grad und Rang ihren Platz einnahmen. Als er nun wieder einmal mit ihnen eine Sitzung abhielt, trat plötzlich ein fremder Mann in weißen zerlumpten Kleidern in den Sitzungssaal ein und setzte sich ganz ans Ende hinter die Rechtsgelehrten an einen obskuren Platz. Hierauf fingen die Gelehrten an zu reden und sich über schwierige Sachen auszulassen, wobei nach ihrer Regel die Frage der Reihe nach unter allen Anwesenden herumging und jeder, dem ein artiger Beitrag oder ein Bonmot aufstieß, dieses anzubringen hatte. Wie nun die Frage schließlich an den Fremden kam, gab er eine treffendere Antwort als alle die Gelehrten, so daß der Chalife sich von seiner Bemerkung befriedigt zeigte –

Dreihundertundachte Nacht.

und ihm befahl, auf einen höhern Platz heraufzurücken. Als die zweite Frage an ihn kam, gab er eine noch treffendere Antwort als das erste Mal, so daß der Chalife ihm von neuem heraufzurücken befahl; und als die dritte Frage an ihn kam, und er diesmal eine noch bessere und treffendere Antwort als die beiden ersten Male gab, befahl ihm El-Mamûn, in seiner Nähe Platz zu nehmen. Nach Beendigung des Disputs brachte man Wasser zum Waschen der Hände, und dann wurden Speisen vorgesetzt, und sie aßen, worauf die Rechtsgelehrten aufstanden und fortgingen. Jenem Fremden verwehrte es El-Mamûn jedoch, ihn mit den andern zu verlassen, indem er ihn näher treten ließ, ihn freundlich anredete und ihn seiner Huld und Gunst versicherte. Hierauf wurden die Vorkehrungen zum Weingelage getroffen, die hübschen Bechergenossen erschienen und das ausgereifte Rebenblut machte die Runde. Als aber die Reihe an jenen Fremdling kam, sprang er auf seine Füße und sprach: »So es mir der Fürst der Gläubigen verstattet, möchte ich ein Wort sprechen.« Da sagte der Chalife: »Sprich, was du zu sagen hast«; und der Mann sagte nun: »Die Erhabene 49 Intelligenz – Gott mehre ihre Hoheit! – weiß es, daß der Sklave heute in dieser würdigen Versammlung einer der obskursten Leute und der plebejischesten Teilnehmer war, und daß der Fürst der Gläubigen ihn in seine Nähe zog und ihn zu sich erhöhte um des bißchen Verstandes willen, das er offenbarte, und ihn über den Rang der andern beförderte, indem er ihn so hoch steigen ließ, wie sich seine Gedanken nicht verstiegen. Nun aber will der Fürst der Gläubigen ihm dieses bißchen Verstand nehmen, das ihn nach Niedrigkeit geehrt und nach Kleinheit groß gemacht. Fern sei es und Gott behüte, daß ihn der Fürst der Gläubigen um dieses bißchen Verstand und Ruhm und Vortrefflichkeit beneide! Denn, so der Sklave Wein trinkt, weicht sein Verstand, und Thorheit naht sich ihm und beraubt ihn seiner Bildung, so daß er wieder auf seine verächtliche Stufe zurücksinkt, auf der er sich zuvor befand, und verächtlich und obskur in der Leute Augen wird. Demnach hoffe ich, daß die Erhabene Intelligenz in ihrer Güte und Großmut, in ihrer Herrscherhoheit und edeln Natur ihn nicht dieses seines Kleinods beraubt.« Als der Chalife El-Mamûn diese seine Worte vernahm, lobte er ihn und dankte ihm und ließ ihn wieder auf seinen Platz niedersitzen und zeichnete ihn mit hohen Ehren aus und befahl, ihm hunderttausend Dirhem einzuhändigen; außerdem setzte er ihn auf ein Roß und schenkte ihm kostbare Kleider; und in jeder Sitzung erhöhte er ihn und bevorzugte ihn vor all den andern Gelehrten, bis er an Rang und Würden der höchste unter ihnen war. Und Gott ist allwissend.

 


 


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