Jakob Christoph Heer
Der Wetterwart
Jakob Christoph Heer

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XXVII

Der anbrechende Frühling des Südens drängte unsere inneren Sorgen in den Hintergrund. Wir gehörten wieder unserem freien, schönen Wanderberuf. Er führte uns von Rom nach Athen. Der blaue Himmel lächelte, die Mandelblüte schimmerte rötlich an den Gehängen, und der »Saturn« rüstete sich, über den Schönheitstraum der Akropolis zu steigen.

Wir hatten aber entschiedenes Mißgeschick. Ein Brüderpaar und ihre beiden Freunde, vier junge Großkaufleute, die sich uns im Herbst als Passagiere zugesagt hatten, lehnten bei unserer Ankunft ihre Teilnahme an der Fahrt ab. Die Stadt stehe in einer geschäftlichen Krise, die sich plötzlich verschärft habe, und sie selber stäken zu stark in der Klemme, um an einen Ballonaufstieg denken zu dürfen. In der Hoffnung, es würden sich noch in letzter Stunde ein paar andere Passagiere melden, besorgte ich doch eine Füllung. Sie verzögerte sich indes wegen einer zu engen Gaszuleitung bis in den Abend. Als Big und ich mit dem nur zu Dreivierteln gefüllten »Saturn« ohne Passagiere in die Lüfte stiegen, vergoldete die scheidende Sonne bereits die Stirn des Meers. Eine leichte Brise trieb uns gegen die Berge, und der volle Mond erhob seine Scheibe in die Frühlingsdämmerung. Ich spähte nach einer günstigen Abstiegsgelegenheit, einem ebenen Fleck Erde in der Nähe einer Bahnstation oder wenigstens einer größeren Dorfschaft. Sie gab sich nicht so bald. In der Mondhelle lag ein wenig bewohntes rauhes Hügelland unter uns. Die Kühle der Nacht ließ die Ballonhülle stark zusammenfallen; um das schlechtgefüllte Fahrzeug in der Höhe zu halten, verbrauchten wir den Ballast und entschlossen uns nach etwa zweistündiger Fahrt in Ermanglung einer besseren Gelegenheit, bei einem kleinen Dorf zu landen, das in einer Hügelfalte auftauchte. Im Freien nächtigende Schafhirten an einer Berglehne hatten uns bereits bemerkt, in dem niedrig gehenden Ballon hörten wir ihre Überraschungsrufe.

Da, ein Sausen an unseren Ohren! Gewehrgeknatter stieg aus der Tiefe! Die Unglückseligen schossen auf den »Saturn«! Ihrer mehrere! Wir ließen erschrocken weiße Tücher in die helle Nacht flattern und riefen ihnen zu, das Luftschiff bringe ihnen keine Gefahr. Vergeblich! Die Kugeln flogen klatschend in die Seidenhülle über unseren Köpfen. »Duck dich in den Korb!« bat ich Big. »Nein!« widerstand sie, ein wildes Leuchten in den Augen, »ich teile die Gefahr mit dir!« Ich wollte aus dem Bereich der Kugeln steigen! Um die Wirkung des Ballastes, der uns mangelte, zu ersetzen, schnitt ich blitzschnell das Tau des Ankers durch – er fiel – ein Schnitt – der Sack fiel, in dem unsere Seilvorräte am Korb hingen. Mütze, Mantel, Instrumente, was zu entbehren war, flog in die Tiefe. Der schlaffe »Saturn« hob sich merklich und erreichte die Fluggrenze der Kugeln. Da balancierte er und begann schon wieder langsam zu sinken. Eine Kugel pfiff und klatschte. »Big, empor ins Strickwerk! Ich opfere auch den Korb!« Ich bot meinem Weib die Hand als Stand für ihren Fuß und schaute empor, wie sie sich in den Seilen über dem Tragring klammerte. Da war mir im Ungewissen Licht, als läge ein wundersam kühner Zug in ihrem Gesicht. Ich erriet schrecklich. »Jost, schneide die Stricke nicht durch – ich rette dich!« schrie sie. Ich sprang, ich kniete auf dem Rand des Korbs und hatte ein Tragseil in den linken Ellbogen, ein zweites in die linke Hand gepackt. Ein todestiefer Seufzer Bigs. Nur mit der Rechten sich noch an einem Stück Netz haltend, schwebte die schlanke Gestalt im Blau der Nacht. Sie ließ los, sie glitt – da hatte ich sie auch mit eiserner Faust gefaßt, hielt sie, riß sie an mich und in den Korb.

Ein gespannter Ballon wäre unter der Wucht des Stoßes geborsten. Ein ruhiger Mensch hätte in einer halben Sekunde nicht so viel überlegen und handeln können. Ein anderer Mann hätte die Riesenkraft nicht besessen, die Gestalt aufzufangen. Das Merkwürdigste aber: wir verloren die Besinnung keinen Augenblick, oder nur einen Augenblick! Der »Saturn« fuhr, sein Gleichgewicht suchend, in die Tiefe und in die Höhe, im Korbe lag Big auf den Knien. Sie raffte sich empor, drängte ihre Brust an meine Brust, schlang ihre Arme um meinen Nacken und stammelte: »Also Jost, so wollen wir gemeinsam sterben!« Nun war ich doch zu erschöpft, um sie von mir abzuschütteln. Ich weiß in der Erinnerung nicht, wie lange das Abenteuer dauerte, ob nur drei Minuten oder eine Viertelstunde, uns schien es eine lange Nacht! Wir machten keinen Versuch mehr, dem Verderben zu entrinnen. Brust an Brust erwarteten wir von einer der Kugeln den gemeinsamen Tod. Da merkten wir, daß die Schüsse seltener wurden. Das Flintengeknatter hörte vollends auf, und ehe ich nur die Ventilleine gezogen hatte, lag der »Saturn« auf der Erde.

Kein Mensch war zugegen! Doch! Ein alter gebückter Mann nahte sich und bat um Barmherzigkeit für sein Dorf. Die Hirten hätten nicht gewußt, daß es so merkwürdige Dinge wie ein Luftschiff gäbe, und hätten nur aus Angst und Aberglauben darauf geschossen. Bald eilte auch ein Bursche herbei und erzählte prahlerisch, er allein habe gedacht, daß die Scheinkugel in der Höhe ein Ballon sein könnte; er wisse, man brauche die Luftschiffe zu Spähdiensten im Krieg. Auf seine Mahnung seien die Schüsse eingestellt worden. Nun bitte er um eine Belohnung. Scheue Hirten, diejenigen, die vorher auf uns geschossen hatten, kamen, und die mit Schaffellen bedeckten wilden struppigen Gesellen erschraken namentlich darüber, daß ihre Kugeln ein Weib hätten töten können. Willig leisteten sie bei der Entleerung und Verpackung des »Saturns« Hilfe und brachten uns die weit in der mondhellen Landschaft zerstreuten Dinge wieder, die ich in der äußersten Not aus dem Korb geworfen hatte. Am Morgen fehlte kein Stück; einige Instrumente aber waren verdorben.

Von Schlaf konnte nach dem furchtbaren Abenteuer keine Rede sein. Erst nachdem wir die Gefahr schon etliche Stunden überstanden hatten, erfaßten uns die stärksten Schauer über das Erlebte. Big schluchzte an meiner Brust: »Jost, warum hast du mich nicht für dich sterben lassen?« »Törin,« schalt ich, »glaubst du denn wirklich, ich hätte mit der gräßlichen Erinnerung weiter leben wollen? Ich, wie ein Pfeil in die Luft schnellen – du, totstürzen? In dem Augenblick, da ich die Erde wieder betreten hätte, würde ich nicht aufgehört haben, die Stelle zu suchen, die dein Blut getrunken hätte. Rasch hätte ich mich zu dir gebettet!« In schweren Gesprächen wogte sich das schreckliche Erlebnis aus. Der Weinkrampf Bigs dämpfte sich in ein leises Wimmern. Ich verstand nur noch das Wort: »Wie gern wäre ich für dich gestorben!«

Als ich am andern Tag die Seidenhülle des Ballons untersuchte, waren darin neunzehn Kugellöcher, und selbst am Korb waren Spuren von Streifschüssen. Ich schnitt aus einem Vorratsstück von Ballontaffet runde Flecke und klebte und nähte sie auf die Löcher der Seide. Unterdes kam die amtliche Untersuchung über den Vorfall. Was war mit den armen, einfältigen Hirten anzufangen, die sich vor uns immer wieder auf die Knie warfen und mit emporgehobenen Händen um Gnade flehten? Wir wandten uns mit dem zerschossenen »Saturn« aus Griechenland, wo kein Glück mit uns gewesen war, über das Mittelmeer.

Kein Glück? – Doch! Ich war erfüllt von dem Gedanken an die abgrundtiefe Liebe Bigs zu mir, die furchtlos bereit gewesen war, für mein bedrohtes Leben das ihrige in die Schanze zu schlagen, und seit dem Augenblick, da ich in Gefahr gewesen war, mein Weib zu verlieren, wußte ich wieder, wie unsäglich ich sie liebte. Sie lehnte einsam sinnend an der Ballustrade des Dampfers. Ich nahte mich der Träumerin mit der Zärtlichkeit eines Frischverliebten. Die Hand um ihre Hüfte geschlungen, Wange an Wange, schaute ich mit ihr in die Jagd der spielenden Delphine und in die strahlende Bläue des Meers. Da stieg im Süden ein funkelnd grüner Streif aus den leichten Wellen.

»Das Pharaonenland!« machte ich Big aufmerksam. »Was wird es uns bringen?« fragte sie halb in sich.

Ägypten brachte mir eine Reihe von Fahrten, die zu den schönsten meiner Luftschifferlaufbahn zählten, und meinem Weibe die Offenbarung des Himmels, daß sie zu Höherem berufen sei als sich für ihren Mann töricht aus dem Ballon zu stürzen.

Nachrichten über das Abenteuer in Griechenland waren uns über das Meer vorausgewandert, und die Zeitungen von Alexandrien und Kairo bereiteten uns einen begeisterten Empfang. »Der erste Ballon, der in Ägypten stieg, ein Kriegsflugschiff der Franzosen, ging in der Schlacht bei Abukir ruhmlos zu Grunde,« schrieben sie, »und das Glück war auch den Luftschiffen, die später in unseren Städten stiegen, nicht immer hold. Jetzt aber erwarten wir ein ausgezeichnetes Aeronautenpaar. Seit einiger Zeit sind die Namen des kühnen Luftschifferkapitäns Leo Quifort und seiner ebenso bewunderungswürdigen Frau Gemahlin in aller Munde. Das junge Paar ist aus Mexiko in die Alte Welt herübergekommen, um der Sportluftschifferei das Ansehen und den Glanz wieder zu verleihen, den sie, trotz dem löblichen Streben weniger gebildeter Ballonisten, eine Weile hat entbehren müssen. Die Freunde der Luftschiffahrt erzählen über die Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit des jungen Kapitäns wunderbare Dinge und sind nicht einmal überrascht, daß er mit seiner liebenswürdigen Frau Gemahlin aus dem mörderischen Überfall der abergläubischen griechischen Hirten mit einer siegreichen Handbewegung hervorgegangen ist. Die schwerste Kunst der Ballonführung, diejenige des glücklichen Landens, ist in ihrer höchsten Ausbildung das Geheimnis Leo Quiforts. Mit der nämlichen eleganten Sicherheit, mit der er aus der Höhe des Luftkreises auf den von ihm gewählten Wiesenplan stößt, senkt er sein Fahrzeug auf einen Dampfer im Meer, kein Fischerkahn ist ihm zu klein, er landet! Wie am Tag, in dunkler Nacht! Es ist schon die Frage aufgeworfen worden, ob die Augen des Kapitäns eine besondere Organisation besitzen, da er selbst in schwimmender Finsternis jede kleine Unebenheit in der Bodengestaltung der Tiefe und die Drähte jeder Telegraphenleitung erspäht, die das Hindernis eines glücklichen Abstiegs sein könnten.«

Ich lachte herzlich zu dem Überschwang, Big aber ereiferte sich: »Ein starkes Korn Wahrheit steckt doch darin, ich zweifle, ob es je einen ebenso sicheren Fahrer gegeben hat, wie dich, Jost!«

»Nein, die Wahrheit ist hier,« widerstritt ich und deutete auf die Stelle im »Phare d'Alexandrie«, die ihr gewidmet war.

»Im gleichen Augenblick,« schrieb das Blatt, »da man vom Kapitän Quifort spricht, muß man seiner tapferen Frau Gemahlin das Lob aus voller Seele bereiten. Begeisterte Passagiere aus Italien, Österreich, den Donauländern und der Türkei entwerfen übereinstimmend das Bild der jungen und schönen, hochgebildeten und feinsinnigen Frau. Ein Blick in ihr Antlitz: selbst zaghafte Männer fassen Vertrauen in die Gondel des ›Saturn‹, und Damen, die vorher nie daran gedacht hatten, sich in ein Luftschiff zu wagen, werden Ballonfahrerinnen. Nie ist Frau Abigail Quifort ihren Gästen auf schöner Fahrt durch die Lüfte das Beispiel froher Laune, heiterer Geselligkeit und geistvoller Unterhaltung schuldig geblieben, am wenigsten aber dasjenige mutiger Ruhe, lächelnder Standhaftigkeit und Geduld, wenn es eine Sturmfahrt oder einen Abstieg in kulturlosen Gegenden galt. Das ausgezeichnete Paar sei uns in Ägypten willkommen, und da ihm der Ruf vorausgeht, daß es sich in der großen Gesellschaft ebenso glücklich wie im Reich der Lüfte bewegt, werden ihm auch diejenigen, die nicht in den Korb des ›Saturns‹ zu steigen gedenken, einen sympathischen Empfang bereiten.«

In der Tat entschädigte uns der Aufenthalt in Alexandrien und Kairo für das Mißgeschick in Griechenland. Der »Saturn« war mit seinen runden Flicken eine große Sehenswürdigkeit der beiden Städte; wir wurden mit Aufmerksamkeiten überhäuft, hatten zahlreiche Passagiere aus vornehmer Gesellschaft, und ein schöner Flug löste den anderen ab. In der Erinnerung sehe ich die vielen tausend Zuschauer, die sich in den Gärten der Esbekieh zu Kairo um unsere Aufstiege drängten, liegt das Bild der Stadt aus der Vogelschau des Korbes unter mir. Es zieht der Nil sein blaues Band um das lachende Eiland von Gesireh; es schimmern die weißen Terrassendächer, die vom Strom zur Zitadelle am Mokatamgebirge hinansteigen; es leuchten die Minarette der etlichen hundert Moscheen; das Fruchtgebiet von Choubra erglänzt wie ein Teppich, Kulturfelder heben sich wie hingelegte Spielkarten aus dem satten Grün der Landschaft, und nicht größer als die Würfel, deren man sich zum Spiel bedient, grüßen die Pyramiden vom gelben Saum der Wüste.

Warum mir die Bilder Ägyptens in sonniger Fülle aus der Erinnerung emporscheinen, liegt nicht an dem äußeren Glück, das meine Aufstiege begleitete. Nein! Es war aber in jenen schönen Wochen, als glitte etwas vom Wesen Bigs ab, was sie seit langem wie eine friedlose Traurigkeit umgeben hatte. Ich überraschte mein Weib, wie sie selig in sich selber hineinzuhorchen und zu träumen schien, und aus den blauen Augen blitzte jener Strahl von Schelmerei und Mutwillen, der mein Entzücken gewesen war, als wir durch die Vierlande geschwärmt waren. Endlich, endlich wieder? Trug an der glücklichen Wendung bloß der Brief die Schuld, in dem Sommerfeld seine freudige Genugtuung über unsere Errettung aus dem Gewehrfeuer der griechischen Hirten und über unsere großen Erfolge in Ägypten aussprach, oder die Meldung aus Marfil, daß endlich die schändliche Kinderarbeit in den Gruben ihren Ersatz durch ein System von Maschinen gefunden habe? Gewiß freute sich Big über beide Nachrichten aus Herzensgrund. Die Ursache ihrer glücklich veränderten Stimmung lag aber tiefer – es war, wie wenn der gütige Gott selbst mein herrliches Weib aus seiner großen Angst dem Leben zurückschenken wollte.

Nachdem wir schon eine Reihe wohlverlaufener Fahrten hinter uns hatten, zögerte Big plötzlich, in die Gondel des »Saturns« zu steigen. Das erschien mir umso verwunderlicher, als der Wind eine prächtige Fahrt über die Pyramiden versprach, und eine junge Dame unter den Passagieren erklärte, bei dem Flug nur mittun zu wollen, wenn meine Frau ihr über Nacht Gesellschaft im Beduinenzelt der Wüste leiste. An dem reizenden Geschöpf, das einen baskischen Schleier um das zierliche Haupt gewunden hatte, war nichts groß als die schwarzen Augen und der Wille zur Mitfahrt, das Mädchen stampfte vor Ärger, als Big, ohne einen triftigen Grund anzugeben, der Fahrt mit fröhlichem Gesichte zu entschlüpfen suchte. Ich selbst begriff die Laune meines Weibes nicht. Darüber lachte sie nur schelmisch auf. Zuletzt aber stieg sie, unseren vereinten Bitten folgend, doch in den Korb, den ein leichtes Lüftchen über die anmutige Landschaft von Heliopolis wehte. Der Teppich des Grüns ging zu unseren Füßen aus, und unter dem Jubel unserer Gäste flog der »Saturn« im Strahl der untergehenden Sonne über die Sphinx und die Pyramiden und trieb über die gelbe Wüste, über ihre Berge und Täler von Sand, über die Dünen, die das Spiel des Windes in die seltsamsten Formen gebracht hatte. Noch im Anblick der Pyramiden, der viertausendjährigen Denkmäler, landeten wir und plauderten in der linden Nacht vor den Zelten, die wir bei den Beduinen bestellt hatten. Aus weiter Ferne drang etwas unheimlich das Geheul der Schakale; Big aber, die mit der jungen Dame ein Zelt bewohnte, suchte die Gelegenheit, mich aus der Gesellschaft zu ziehen. Aufgelöst in einen Strom der Zärtlichkeit, schmiegte sie sich eng an mich, zögerte noch einen Herzschlag lang und flüsterte, von Glück überstrahlt: »Jost, ich hätte schon heute nicht mehr mittun sollen. Es war meine letzte Fahrt, ich hoffe, die allerletzte! Der Traum der Jahre und mein Gebet sind erfüllt. In seliger Gewißheit spüre ich das Kind, das ich unter dem Herzen trage. Nun gehöre ich ihm!« –

Ich sah in ein Antlitz voll rührend gläubigen, demütigen Glücks, und unter den Sternen der Wüste habe ich in der Erschütterung schlafloser Wonne, eins mit dem Leben, eins mit der Welt, wohl die reinste Stunde meines Daseins verbracht und als seliger Träumer den Aufgang der Sonne erwartet, damit sie einem König und einer Königin des Glücks zum Ritt in die Stadt Kairo leuchtete.

Der Gedanke an das Kind beherrschte unser Sinnen und Planen. Wir schieden von Ägypten wie von einem Märchenland der Erfüllung, und in Oran brach ich, um mich ganz meinem Weibe widmen zu können, früh im Herbst meine Ballonfahrten ab. Ich sprach mit der wundersam versonnenen Big darüber, ob wir den Winter nicht in Paris verbringen und dort die Geburt des Kindes abwarten sollten. Ich würde inzwischen für den zerschossenen »Saturn« einen neuen, schöneren Ballon bauen lassen, den ich ihr zu Ehren »Big Quifort« heißen wolle. »Nein, an einen neuen Ballon wollen wir nicht denken, Jost,« erwiderte sie mit unendlich bittenden Augen, »nur an einen stillen Winkel, in dem wir unserem Kind einen Fleck Erde zum Spielen und eine Heimat geben können. Lassen wir für das Kind die ehrgeizigen Pläne der Luftschifferei! Und meine schwere Stunde will ich nicht unter fremden Menschen in Paris, sondern bei meiner treuen, liebevollen Gherita erleben. Es wird dort am Ölhang wohl eine kleine Villa zu mieten sein!«

Die kleine Villa war zu mieten und die anhängliche Italienerin war von der Aussicht entzückt, ihre geliebte Herrin von ehemals pflegen zu dürfen. Um die Weihnachtszeit schifften wir uns von Neapel, wo wir zuletzt gewohnt hatten, mit einem österreichischen Dampfer nach Triest ein. Big, in hohem Mut, in gesegneter Hoffnung! Aber Mut und Hoffnung des jungen Weibes waren doch nur wie Abendröte über einem blühenden Maientag, der Frucht ansetzen will, und dem die Reifnacht folgt, die Blüte und Frucht tötet.

Was half es meiner armen Big, daß einst ihre Fürsprache in der Weihnachtstunde die Kette des Mörders, der im tiefsten Schiffsraum gefesselt lag, lockerte und ihm auf einen Augenblick wieder die Menschenwürde schenkte; was half es ihr, daß sie als Wohltäterin die ärmsten Quartiere Triests aufsuchte und als Fürbitterin für ihr künftiges Kind in den Kirchen kniete? Als sich die ersten Lenzknospen regten, ging sie doch entmutigt und voll banger Ahnungen in die Mutterstunde.


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