Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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XII

Nach Hause

Küster Helmqvist mußte den Zettel mit den Sonntagsgesängen aus der Pfarrküche abholen, die Uhr im Eßzimmer war abgelaufen und stand, ohne daß Jemand darauf achtete, und Luise ging auf den Zehenspitzen umher.

Mutter Martha war krank.

Bleich und niedergedrückt saß Arvid am Bette und sah, wie der magere Busen sich mühsam hob und das runzelige Gesichtchen kleiner und kleiner wurde und jeden Tag förmlich tiefer in die Nachtmütze hineinsank.

Es war nun September, und seit Ende Juli hatte Mutter Martha sich nicht ordentlich wohl gefühlt. An welcher Krankheit sie eigentlich litt, das konnte selbst der Kreisphysikus nicht sagen; es war wohl die Gefahr, daß das Uhrwerk im Begriff war, abzulaufen und keine zwingende Nothwendigkeit zum Leben, keine ängstliche Sorge da war, die es hätte wieder aufziehen können.

Krank zu liegen, während die Bezahlung für jede Stunde Arbeit ihrem Arvid Nahrung und Bücher geben mußte, nein, das war unmöglich gewesen. Fortzugehen von ihrem Arvid, während er noch als Exraordinarius, als »Postspann« des Consistoriums im Stifte umhergeschickt wurde, nein, das wäre zu bitter gewesen. Doch nun war die angstvolle Spannkraft der Feder erschlafft, nun saß Arvid schon im zweiten Jahre im eigenen Heim, und eben so lange hatte die Mutter mit ihm die Freude der Unabhängigkeit getheilt; nun rächten sich die Jahre des Strebens, die Kälte in der Dachkammer und die Sorge um das tägliche Brod, nun nahmen Müdigkeit und Schwäche überhand, die Uhr lief ab, es zischte und schnurrte in der mageren, eingesunkenen Brust, das alte Werk repetirte die Zwölf der Ewigkeit. Aber Mutter Martha war so zufrieden wie der Tagelöhner, wenn er im Westen die Sonne zu Thal gehen sieht. Gewiß war es schwer, von Arvid zu scheiden, aber ach, in Gottes lebendiger Stadt, an die sie so sicher glaubte, da geht die Zeit so schnell, und was für die Theuren hier unten ein langes Leben voll Kampf, und Prüfung ist, das scheint dort oben nur ein Augenblick. Gewiß würde er trauern, aber ach, Kinderthränen verschwinden schneller als Elternsorgen; das Leben braust über den Hügel hin, unter dem der Alte sich zur Ruhe gelegt hat, reißt die Jugend mit sich und weht das Leid aus dem Herzen. Es bekümmerte sie nur, daß ihre Krankheit ihrem Sohne Ausgaben verursachte.

»Arvidchen, Du giebst zu viel für mich aus. Das nützt Nichts. Ist es Gottes Wille, daß ich noch einmal wieder aufkommen soll, so thut es auch Kampferliniment oder Prinzen's Brustthee.« –

»Oh, Mutter, Mutter, sprich nicht so!«

»Was sagte der Doctor, Arvid?«

»Liebe Mutter, denke nicht an so etwas.«

»Ich will wissen, was er gesagt hat!«

Arvid antwortete nicht, er kniete am Bette nieder, und die kraftvolle Gestalt erschütterte unter convulsivischem Schluchzen.

Die kleinen, mageren, gelben, schwieligen Finger strichen über sein dichtes, schwarzes Haar, und die milden eingesunkenen Augen ruhten mit unaussprechlicher Zärtlichkeit auf dem theuren Haupte.

»Nun sind alle Zinsen für dieses Jahr bezahlt, Arvid, und es ist noch mehr Roggen zum Verkaufen da und auch noch die jungen Ochsen. Dieses Jahr wirst Du wohl schon ein Stück der Anleihe abbezahlen, Arvid?«

»Ja, Mutter.«

»Ja, ja; sei mir nicht bös, weil ich so eigensinnig bin, Arvid; aber wenn Du die Eva aus Sjöreda nähmst, dann wärst Du gleich alle Schulden los.«

»Liebes Mütterchen, ich kann jetzt nicht an so etwas denken.«

Dann rissen die Amtspflichten Arvid für einige Stunden vom Krankenbette der Mutter, bald nach dem einen, bald nach dem anderen Ende des Kirchspiels. Als er zurückkam, eilte er voller Angst durch den Vorsaal und das Speisezimmer.

»Wie steht es, Mutter?«

»Ja, ich liege und denke daran, Arvid, daß Du die Luise auf jeden Fall behalten sollst. Sie ist ein gutes Mädchen und sparsam und genügsam mit dem Essen und immer zufrieden. Aber sie hat einen schwachen Kopf, die Aermste, und darum mußt Du selbst alles Leinen zählen, wenn gewaschen werden soll, versteht sich, wenn dann nicht schon die kleine Eva ...«

Der Doctor kam aus der Stadt. Er konnte Nichts thun, sondern bestätigte nur in Allem die Verordnungen seines Collegen, aß zu Mittag und kehrte dann wieder nach der Stadt zurück. Bald nach seinem Besuche wurde Frau Martha schlechter.

»Du ruinirst Dich, Arvid! Zwei Doctoren für ein altes Bauernweib! Ich bin, Gott helfe mir! nicht so böse wie nun auf Dich gewesen, seit Du zu Hause, als Du noch klein warst, die Thür zum Viehstall aufgerissen hattest und der Habicht mein bestes Legehuhn holte. Glaubst Du denn gar nicht mehr ein Bischen an unsern Herrgott, Arvid, daß Du Dich mit Doctoren ruiniren willst?«

So schalt die Alte noch ein paar Stunden, nachdem der Doktor abgefahren war.

Der Lebensfunken skalierte schwächer und schwächer. Manchmal verlor Mutter Martha die Besinnung und redete irre. Sie glaubte sich in die Zeit zurückversetzt, da ihr Mann noch lebte und sie noch die »liebe Mutter in Hültåkra« war. Sie phantasirte von den Pfingstlilien auf den Rosenbeeten und dem Gewebe auf der Bleiche; sie lockte die Kälber mit dem Milcheimer und jagte die Hühner aus den Erbsensträuchen.

Dann lag sie einen Augenblick schweigend, und ein mildes, verklärtes Lächeln glitt über die welken Züge.

»Nimm Du den Strömling, Arvid! Ich habe gegessen. Ja, freilich habe ich gegessen. Iß Dich satt, Junge, Du mußt ja so schrecklich arbeiten und lernen. Da steht noch Einer auf dem Simse. Iß, Arvidchen!«

Arvid mußte in den Saal hinausgehen, um sie nicht mit seinen gewaltsam hervorbrechenden Thränen zu stören. Die langen, mühevollen, entbehrungsreichen Studienjahre, die nur durch diese unaussprechliche Mutterliebe versüßt worden waren, zogen wieder vor seinem inneren Auge vorüber. Und dieses Herz, das ihm Alles gegeben hatte, das Einzige, das ihn auf der ganzen Welt liebte, das sollte nun von ihm gehen ... fort ... hinaus in das Unendliche ... Ach! Warum durfte sie nicht bei ihrem Sohne bleiben!

Still, nun sprach sie wieder klar!

»Arvidchen, kannst Du Dich noch darauf besinnen, wie herzensfroh Du warst, wenn die Schule geschlossen wurde und wir zur Tante in Linderyd gehen und Erdbeeren essen konnten? Ach, wie froh warst Du über Deine Sommerferien! Nun ist es ebenso für mich, die Schulzeit ist aus, die Aufgabe gelernt und Mutter geht nach Hause. Mißgönne es mir nicht, Arvidchen!«

Es war zu Ende. Mutter Martha hatte Ferien bekommen. Arvid wußte nicht, wann es geschehen war; es war eine Nacht voller Qual gewesen, und als die Morgensonne hereinbrach, war er allein. Er ging in sein eigenes Zimmer, stützte den Kopf in die Hände und blickte auf den See hinaus, wo die Wogen vom Spätherbststurme gepeitscht wurden und die Möven niedrig flogen.

Dann kehrte er wieder zum Bette drinnen zurück, fiel auf die Kniee und faßte die kleine runzelige Hand, die federleicht auf der Decke ruhte. Du kleiner, schmaler, grauweißer Silberring! Du warst ein Symbol für viel Liebe und Treue! Kein Verlobungsring leistete Dir Gesellschaft; das war in den alten Bauernfamilien nicht Sitte; man trug nur den einfachen Schmuck der Trauung. Du glänzest nicht in Gold, denn Du wurdest nicht an die Hand einer Dame gesteckt. Es war nur die junge Hausmutter in Hültäkra, die Dich empfing und für sie genügte Silber. Das war abgenutzt in redlichem Streben, das war dünn geworden im Arbeiten für Haus und Heim und das Glück des Gatten in Leid und Freud'.

Arvid beugte das Haupt und drückte seine Lippen auf den kleinen häßlichen Silberring, der nun so schmal wie ein Faden war.

Ein Tag war wohl dahingegangen, vielleicht schon zwei. Arvid saß am Schreibtische, aber er arbeitete nicht. Er blickte auf den See hinaus, er sah Nichts. Da öffnete sich die Thür, und Schritte tönten auf der Fußmatte.

Mit einem Seufzer kehrte Arvid zur Wirklichkeit zurück und ergriff mechanisch den Schlüssel zu der Schreibtischschublade, in der die Attestformulare lagen. Doch dies war kein dienstliches Anliegen, denn, als er sich umwandte, erblickte er Baronesse Gerda Stålsköld.

Er erhob sich und ging ihr ein paar Schritte entgegen.

»Ich wußte nicht, daß die Herrschaften zurückgekommen sind. Ein schweres Leid, das mich getroffen hat ...«

Sie standen einander gerade gegenüber und blickten sich in's Auge. Sie war es selbst, und doch war es nicht sie. Es war etwas Neues in den Ausdruck des stolzen Gesichtes gekommen ... oder war es gar nicht mehr stolz. Nein, es war jener himmlische Blick zwischen Bitte und Frage, den die unausgesprochene Liebe beim Anblick des Geliebten ausdrückt.

Sie senkte das schöne, dunkle Haupt, und Thränen glänzten in den braunen Augen, als sie ihm die Hand drückte.

»Ich weiß es, und ich bin gerade deshalb gekommen, um Ihnen zu sagen, wie herzlich ich an Ihrem Kummer Antheil nehme. Als ich hier ankam, fiel mir der Gedanke so schwer auf's Herz, daß sie, die liebe, alte ...«

Arvid's Herz war seit dem Tode der Mutter wie versteinert gewesen. Er war wie im Traume umhergegangen, mit zerrissenem Herzen, aber mit trockenen Augen. Doch bei ihren freundlichen Worten über seine Mutter brach der Gefühlsstrom los, mit Sturm und Regen.

Hast Du einen Mann weinen sehen? Nicht Deinen Vater oder Bruder, nicht Deinen Geliebten oder Deinen Sohn, nicht im geschlossenen Familienkreise, sondern einen Fremden unter Fremden, unter solchen, die er mehr oder minder für gleichgültig gegen sich gesinnt hält? Es ist etwas Ergreifendes, beinahe Unheimliches, die conventionelle Maske zerrissen, das Gesicht, das ein Mann der Welt zeigen will, von bebenden Muskeln verzerrt und von Thränen überströmt zu sehen.

Sie legte ihm die Hand auf die Schulter ...

Da war es mit einem Male, als führe ihm ein electrischer Funke durch Leib und Seele. Weich, widerstandslos sank ihr Haupt an seine Brust, und ihre Arme legten sich um seinen Hals.

Er schwankte wie ein Trunkener, aber seine Arme schlossen sich magnetisch um die hohe, herrliche, geliebte Gestalt.

Einen Augenblick nur.

Dann riß sie sich heftig los und trat einen Schritt zurück. Sie senkte das stolze Haupt, und ihre Wangen glühten wie Blut.

»Was habe ich gethan! Verzeihen Sie mir – aber – – ich liebe Dich ...«

Sie konnte nicht ausreden, da hatte er sie schon von Neuem an sein Herz gezogen, und dieselben Lippen, die eben mit heiliger Ehrfurcht den kleinen abgeschliffenen Silberring an dem verwelkten, kalten Finger geküßt hatten, die brannten nun in voller Liebes- und Lebenswärme auf Gerda's heißen, rothen Lippen.

Dann folgten die Geständnisse, leise, kurz, abgebrochen.

Ja, was hatte er eigentlich zu bekennen?

Der ganze Stolz der Niedrigkeit, die ganze Bitterkeit der Armuth, Alles war nun vergessen, und es blieb nur noch das Bekenntniß der Mücke, wann und wie sie dem strahlenden Lichte allzu nahe gekommen war.

Und sie!

Sie flüsterte ihm in's Ohr, wie ihre spät erwachten und noch viel später verstandenen Gefühle Herz und Sinne in Bande geschlagen hatten, wie sie vor dem, was sie erschreckte, geflohen war, aber bald eingesehen hatte, daß sie das Schreckliche überall mit sich in der eigenen Brust herumtrüge. Und nun, nun fühlte sie, daß gerade dieses Schreckliche das Schönste und Beste war, was das Leben zu eigen hat. Nachdem es einen Augenblick umhergeirrt war, hatte nun auch ihr Herz den Weg nach Hause gefunden.

»Aber –« und hierbei bewölkte sich die weiße, breite Stirn – »es wird daheim einen Kampf geben, Arvid; vielleicht auch ... Demüthigung. Das darf Dich nicht reizen, nicht niederdrücken. Bist Du sicher, Arvid, daß Deine Liebe größer sein wird als Dein Stolz?«

Seine Augen blitzten, und er schien gleichsam zu wachsen, als er antwortete:

»Ja, Gerda, ich weiche weder dem Hohn, noch der Gewalt. Du warst es nur, die ich fürchtete, und nur im Kampfe gegen meine Liebe war ich schwach.«


Als Arvid mit strahlenden Blicken dem Wagen gefolgt war, in dem sie saß, die nun sein Alles im Leben war, als er ihr, so lange er konnte, auf dem schmalen, krummen Wege zum Pfarrhofe nachgesehen hatte, kehrte er in's Haus zurück und ging wieder zu seiner Mutter hinein.

Wie hart, daß er ihr jetzt nicht Alles, Alles sagen konnte!

Aber Mutter Martha hatte Recht: Kinderthränen verschwinden schneller als Elternsorgen, und die junge, frische, frühlingsgleiche Liebe zu ihr, die er wenig mehr als ein Jahr kannte, gewann schon den Sieg über die Trauer um sie, die ihn fünfunddreißig Jahre lang geliebt und gepflegt hatte. Die Verzweiflung hatte einer innigen, liebevollen Wehmuth Platz gemacht.

Und weiter begehrst Du ja auch Nichts, Du liebe, alte, treue Mutter Martha, die Du da mit Freude und Frieden in den runzeligen Zügen liegst, als wolltest Du sagen:

»Nein, Arvid, was sehe ich? Ist es möglich, Kind! Ach, Arvid, Gott segne Dich, Dich und – sie!« –


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