Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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In der Umzugszeit.

»Ob es morgen wohl gutes Wetter wird?« fragt Mama unruhig, streicht mit ihrer Hand über die beschlagenen Scheiben und blickt fragend zu den Wolken hinauf, die heute, am 30. September, am Abendhimmel ziehen. Und als sie vom Fenster zurücktritt, thut sie es vorsichtig, denn sie weiß, daß drei Paar kleine Hände immer an ihrem Rocke hängen und sechs kleine Füße beständig um ihre eigenen trippeln.

Morgen werden sie umziehen. Papa's Einnahmen haben sich vergrößert und man braucht sich nicht mehr mit vier Zimmern und Küche zwei Treppen hoch zu begnügen. Papa hat eine große, feine Wohnung in der Nähe des Gerichts gemiethet. Sieben Zimmer und Mädchenkammer! Hübsch und bequem, und dann: fein! Alle alten Möbel kommen in die kleinen Stuben, wo es nicht so darauf ankommt, und der Salon und die Eckstube werden neu und elegant möblirt.

Darum brauchst Du doch nicht traurig auszusehen, kleine Mama! Aber weshalb siehst Du so aus? Du fürchtest Dich doch wohl nicht vor der vermehrten Arbeit, Mutterchen?

Ja, das ist es: Du sitzest und läßt alle Erinnerungen aus dem Heim, das Du verlassen mußt, an Dir vorüberziehen. Alte Bilder stehen vor Deinem inneren Auge.

Draußen vor der Etagenthür steht ein junges Paar. Er in langem, staubbedecktem Ueberzieher und grauem Reisehut, aber mit sonniger Freude im Auge, und den Arm legt er um sie. Sie in blauem, entzückendem Reisecostüm und Lächeln auf den Lippen und vielen Blumensträußen von der letzten Tante, die sie auf der Hochzeitsreise besucht haben.

Nun zieht er die Glocke. So öffne doch, Christine! Ach, dies sind nur vier kleine Zimmer und Küche zwei Treppen hoch, aber er steht da, stolz und froh, als stände er vor dem Schlosse des Bergkönigs und hätte den Schlüssel zur Schatzkammer. Nur vier kleine Zimmer und Küche, aber sie verräth da draußen eine so athemlose Freude und unruhige Sehnsucht, als hätte er sie in eine Königsburg geführt und der kleine, feine Fuß spielt nervös mit der Thürmatte.

Und dann kam Christine in frischgeplättetem Kattunkleide und coquetter Schürze, und die Thür flog auf. Dort, wo nun der Kleine steht und den ganzen Kreisel in den Mund zu stecken versucht, da umfing »er« Mama mit starken Armen und mit vor Freude halberstickter Stimme stammelte er: »Willkommen, mein Liebling!« Und nun zur Entdeckungsreise in dem neugewonnenen Paradiese. Nur vier Stuben und Küche. Es ist nicht möglich! Es ist ja eine ganze, große Welt, eine Märchenwelt, in der er der Prinz, sie die Prinzessin ist. Alles so neu und fein! Und alle Hochzeitsgeschenke! Und die kleine, entzückende Blumengruppe in der Eßstube! Aber was steht dort in der Ecke, dunkel und breit mit glänzenden Lampetten?

»O, Victor, ein Pianino! Aber was ist dies? Du sagtest ja, daß Du mir noch lange kein Instrument schenken könntest! Und nun steht es hier? O, Du unverständiges Männchen, wie lieb ich Dich habe!«

»Ich war bange, daß mein Singvögelchen hinschwinden würde, wenn es nicht wie zu Hause in Almvik trillern und singen könnte. Wir müssen an anderen Dingen sparen, Kleine.«

Und damit nahm er einen kleinen, gelben Schlüssel aus seiner Tasche, öffnete das Clavier und setzte einen Stuhl davor und bat: »Das liebe, alte Lied, weißt Du!«

Und laut und jubelnd drangen die Töne aus der Brust der glücklichen, jungen Braut:

»Du bist mir lieb schon von den Kindertagen,
Du warst für mich die Sonn' am Himmelszelt.
Und hin zu Dir still die Gedanken jagen
Vom Streit und Zank in dieser lauten Welt.«

Was nun, kleine Mama? Du hast Thränen in den Augen, Du, die eine Wohnung an der Esplanade mit sieben Zimmern und Mädchenkammer bekommt!

Papa kommt nach Hause. Er ist müde und verdrießlich; er hat so viel für den Umzug zu besorgen gehabt, der arme Papa. Und ein Bischen böse und ärgerlich ist er auch wohl.

»Kannst Du Dir denken, daß der verfluchte Rollfuhrmann Absage geschickt hat, und der Maurer noch nicht mit der Küche in unserer neuen Wohnung fertig ist, und dann ...«

Mama denkt, wie anders doch Papa am ersten Tage in der kleinen Wohnung war, als nun am letzten, und ihr wird wehmüthig um's Herz. Doch dann fällt ihr Etwas ein; sie tritt an's Klavier, das wenigstens fünf Monate lang nicht geöffnet ist, läßt die ein Bischen ungewandten Finger über die Tasten gleiten, und dann ertönt es:

»Du bist mir lieb, das Beste hier auf Erden
Von allem Guten, das mir's Leben gab,
Von allem Reinen, Sonnigen und Werthen,
Von meiner Wiege bis zum stillen Grab!«

Ein Paar große, warme Hände legen sich um Mama's lockiges Köpfchen, zwei Lippen suchen die ihrigen, und seine großen, blauen Augen blitzen. O, er ist ja noch derselbe, der damals vor der Thür seines Paradieses stand; manchmal ein Bischen müde und verdrießlich, aber doch – Gott sei Dank! – ganz derselbe.

»Weißt Du, Victor, ich fürchte mich beinahe, dies liebe, theure Heim zu verlassen. Glaubst Du fest, ganz fest, daß die Geister des Glückes und des Friedens uns in das neue Heim folgen werden?«

»Ja, mein Liebling, sie folgen stets dem Geiste der Liebe.«


Der Musiklehrer in der Giebelstube gerade gegenüber wird auch ausziehen. Er hat dort zwei und ein halb Jahr gewohnt, ohne einen Pfennig Miethe zu bezahlen, und ist er nicht spätestens um 2 Uhr fort, so wird er ohne Weiteres aus der Thür geworfen. Er hat keinen Contract, und deshalb ist es ganz unnöthig, die Behörden mit einer gesetzmäßig abgefaßten Klage zu beschweren.

Herr Koliquint verabscheut die Dissonanzen im Leben wie in der Kunst und bereitet sich also vor, um 2 Uhr verduftet zu sein. In Hemdärmeln und Pantoffeln packt er seine Sachen: zwei gesprungene Geigen, 25 Papierkragen, 3 Streichbogen, 2 Sammetmasken und eine dito von Pappe, ein Kopfkissenbezug mit Noten, ein Gesellschaftsanzug (minus Hosen und Weste) und das oberste Stück einer Flöte. – Seine Aufwärterin, die alte Johanna, hilft ihm.

»Weib, wo sind die Strümpfe?«

»Hab' keine gesehen.«

»Johanna, Sie müssen sie mir sofort schaffen. Sie liegen weder in der Baßvioline noch in der Spiegelschublade. Bilden Sie sich ein, daß ich ohne Strümpfe ausziehen kann?«

»Herr Gott, sehen Sie denn nicht, daß Sie den einen auf Ihrem kranken Fuße haben und in dem anderen steckt die Schnapsflasche.«

Die Thurmuhr schlagt dreiviertel auf Eins. Der Wirth guckt in die Thür: »Wollen Sie wirklich abziehen, ohne mir für zwei und ein halb Jahr einen Pfennig Miethe zu zahlen?«

»Geld habe ich gegenwärtig nicht, bester Herr Andersson, aber ich bin ein ehrlicher Mann und will genügende Sicherheit geben.«

»Nun, das läßt sich hören. Ich hoffe, Sie tragen's mir nicht nach, wenn ich zuweilen etwas hitzig war! Aber was ist das für eine Sicherheit, von der sie eben sprachen?«

Herr Koliqvint reicht ihm den Kopfkissenbezug.

»Wa–wa–a–as soll ich damit?« .

»Verstehen Sie denn nicht, Herr Andersson, daß es Compositionen sind? Meine eigenen Compositionen sind unter Brüdern 1000 Thaler werth, sobald Sie einen Verleger dafür finden. Ich sehe mit Vergnügen der Abrechnung entgegen, aber ziehen Sie das Geld zu einem Pfund Confect für Julchen ab. Ihre kleine Tochter war stets eine kleine, nette Dirne. Schlägt gar nicht nach ihrem Papa.«

»Hallunke!« zischt der Wirth und wirft Herr Koliqvint den Kopfkissenbezug in's Gesicht.

»Ja so, Sie trauen mir ohne Hypothek. Nun, das ist auch das Nobelste unter reellen Leuten. Ich werde die Ehre haben, bei Ihnen vorzusprechen und Abschied zu nehmen, wenn ich gehe.«


Im ersten Stock. Es ist noch früh am Morgen, aber der eigentliche Umzug ist wohl schon besorgt, denn die großen, prächtigen Räume sehen leer und öde aus.

Die Directorin und die beiden Fräulein brauchten nicht selbst mit den Sachen umzuziehen. Als Papa so hastig starb, kamen viele Leute, die diese Mühe übernahmen. Eine Auction, zwei Auctionen, drei Auctionen. Dann reichte es zu fünfzig Procent für die Gläubiger aus dem Nachlasse des »reichen« Bankdirectors Lindemann. Im Saale hatte die alte Lotte das letzte Frühstück aufgetragen: Kartoffeln, Strömlinge, Kaffee und eine Conservenbüchse, die vom letzten »Revisionsdiner« übrig geblieben war. Die anderen Diener waren fortgegangen, sobald sie ihren Lohn aus der Masse erhalten hatten, aber die alte Lotte konnte es nicht, denn, seht, sie war Fräulein Amely's Kindermädchen gewesen.

Nun sollte die Directorin zu ihrer verheiratheten Tochter nach Wärmland ziehen. Das war gerade nicht schön, denn der Schwiegersohn hatte bei Papa Geld verloren, und es hatte Lina viele Thränen und Bitten gekostet, ehe er ihr erlaubte, Mama zu sich zu nehmen. Constanze, die schöne, gefeierte Constanze, die Primadonna des Liebhabertheaters und die Nachtigall der Brackköpinger Singacademie, sollte morgen als Unterwärterin im Krankenhause eintreten und Amely wartete auf den Wagen, der sie um Zwölf zu einem Kaufmann auf dem Lande führen sollte, der sie als Erzieherin engagirt hatte. Arme Mädchen dürfen keine Ansprüche machen! »Eßt ein Bischen, Kinder!« sagte die Directorin, aber ihr selbst wuchsen die Kartoffelbissen im Munde, so daß sie nicht einen hinunterbringen konnte. Die Töchter waren auch nicht gerade hungrig. Gerade in diesem Saale hatten sie des Winters immer auf ihren Soiréen getanzt. Eine Menge intimer Freunde füllte da die Räume. Kaum ein Einziger hatte sich nun bei ihnen sehen lassen. Vielleicht waren sie noch nicht vom Lande zurück? Ja, gewiß doch, man war ja schon im October. Waren sie denn von Allen, Allen vergessen?

Auf der letzten Soirée im Frühling kurz vor Papa's Krankheit hatte Doctor Syrén um Constanze so gut wie angehalten. Doch gleich nach der Katastrophe bekam er ein Reisestipendium und reiste in's Ausland, ohne von ihr Abschied zu nehmen.

Es klingelt. Herr und Frau Grönqvist, die die Wohnung gemiethet haben, vier Tanten, drei Schwägerinnen und fünf kleine Grönqvister in Duodezformat marschiren herein.

»Hä, hä, entschuldigen Sie! Glaubte, die Herrschaften wären schon fort. Hier ist wohl nicht viel zu packen, dachte ich – hä, hä! In einer Stunde muß hier ausgeräumt sein. Hä, hä, entschuldigen Sie!«

Aus der Küche ertönt Lotte's von Thränen erstickte Stimme:

»Barmherziger Jesus, wartet doch ein Bischen! Die Aermsten haben ja keinen Stuhl mehr zum Sitzen ...«

»Lotte, um was handelt es sich?« fragt die Directorin und öffnet die Küchenthür.

»O, nur die Schneidersleute, die die Eßstubenstühle gekauft haben, schicken und wollen sie gleich haben, denn sie erwarten Gäste.«

Die bleichen Züge der Directorin verzogen sich beinahe unmerklich.

»Natürlich. Kinder, gebt Eure Stühle her. Bitte, grüßen Sie Herrn Eftersting und sagen Sie ihm meinen Dank dafür, daß er sie uns so lange gelassen hat!«

Bleich und stumm standen die Drei in dem leeren Gemache und wagten nicht, einander anzusehen, denn dann würde es mit der Resignation aus sein.

Ein dicker Bauernjunge trat mit großen Schritten und der Mütze auf dem Kopfe in den Saal.

»Ich soll nach der Schulmamsell für Kaufmann Blumberg's kleines Fräulein fragen; ich soll sie nun abholen.«

Fräulein Amely trat ein paar Schritte vor.

»Ja so, das ist die große Mamsell, die mit soll. Ja, das wird ärgerlich, denn ich soll noch sechzehn Hut Zucker mitbringen.«

Doch es ging an. Schweigend und sachte brachten Mutter und Schwester Fräulein Amely zwischen den Zuckerhüten unter und die Fahrt nach Händler Blumberg's kleinem Eigenthum begann. Sie kannte den Weg, denn auf der Schlittenpartie im letzten Winter war sie dort unter muthwilligem Lachen und lustigem Schellenklang gefahren, und Lieutenant von Svärdsköld's Stimme hatte ihr zugeflüstert, daß, wenn die Fahrt ewig währte, er der Glücklichste auf Erden sein würde.

Aber der Lieutenant reiste am Tage nach der Inventaraufnahme bei Directors auf's Land, um Geschäfte zu besorgen, und er besorgt sie gewiß noch.

Am Boudoirfenster stehen Mama, Constanze und die alte Lotte und blicken Fräulein Amely nach. –

Das Leben hat so manche seltsame Krisis! Nicht zum wenigsten in der »Umzugszeit«.


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