Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Reue.

Sie hatten sich erzürnt. Diese Zwei, die mit der brennenden Sehnsucht ihres ganzen Herzens Monate und Jahre lang auf den Tag gewartet hatten, an dem endlich, endlich die Thür ihres eigenen, kleinen Heims sich hinter einem überglücklichen Paare schließen und sie von allem Kummer der Außenwelt trennen würde. Diese Zwei, die sich über Alles liebten, die dachten, daß, wenn sie erst vereint wären, jede Minute, die der Zwang des Lebens sie trenne, gleichsam ein Mehlthau für die Blüthen ihres Herzens sein würde. Gerade diese Beiden hatten nun mit zornig gerunzelter Stirn harte Worte gesprochen; die Stimme hatte gebebt, die Worte waren zuerst furchtsam und zagend herausgekommen, aber nachher, nachher hatten die Worte einen scharfen, harten Klang angenommen, als wüßten sie recht gut, wie tief sie in die Fibern des Herzens schnitten. In das Herz des Andern, in das Herz, über dessen Besitz man einst so selig jubelte, daß man bedauerte, nicht die ganze Welt vor Freude umarmen zu können. Was hatte er doch einmal gesagt? Da drinnen im kleinen, blauen Cabinett zu Hause bei Papa und Mama in der Dämmerstunde, bevor man die Lampe anzündete und die kleinen Geschwister mit ihren Schlittschuhen vom Eise kamen, damals hatte er es gesagt. »Weh' dem, der diese milden, geliebten Augen durch Kummer trübt!« Und als er einmal während der Verlobungszeit finster und aufgeregt über Etwas, was ihm im Amte vorgekommen war, heimkam, da hatte sie gesagt, ihre Liebe würde einen königlichen Teppich, durchwebt mit den Rosen der Zärtlichkeit, unter seine Füße breiten, damit der Geliebte keinen Stein auf seinem Lebenswege fühle. Das war ein wenig schwülstig und gedrechselt, aber ach, sie meinte es damals aufrichtig so.

Und nun fiel die Thür wieder zwischen den Beiden zu, und die scharfen Widerhaken der Worte bohrten sich tief in die Seele. Am Abende schlummerten sie ein, ohne daß sie wie gewöhnlich gesagt hatte: »Gute Nacht, Liebster!« ohne, daß er erwiedert hatte »Schlaf gut, meine Kleine!« mit einer Stimme so weich und zärtlich, als wolle er sie selbst auf seinen starken Armen in den Schlaf wiegen.

Ha! – was war das? Was war denn geschehen, daß er nie wieder hier auf Erden froh werden konnte? Was hatte Leib und Seele gebrochen? O – er besann sich einen Augenblick nach des Schlummers Verwirrung. Das Gräßliche, das Unerhörte stand klar vor ihm und durchfuhr mit Blitzesschärfe seine Seele. »Sie war fort!« Draußen im Saale lag sie, bleich und kalt. Blaue Flecke lagen unter den Augen und schmale, wachsfarbene Finger ruhten auf der Decke. Es war so erschreckend, so unheimlich schnell gekommen. Eine Erkältung – Lungenentzündung – ein Arzt, zwei – drei Aerzte – Thränen – Verzweiflung – Laufen auf den Treppen – ihre alten, zitternden Eltern auf den Knieen am Bette – ihre Pensionsfreundin mit dem Taschentuche vor den Augen im Nebenzimmer – Schweigen – Ende. –

O, er sah es so deutlich, so deutlich!

Sie waren ja übereingekommen, daß sie nicht ohne einander leben könnten; wenn der Eine fortginge, dürfe der Andre ihn nicht lange warten lassen. Sie hatten es sich Auge in Auge, Mund auf Mund zugeflüstert. Warum lebte er denn noch? Wie konnte sein Blick das Licht sehen, wie konnte das Blut in seinen Adern fließen, wie konnte sein Herz schlagen, da das ihre stillstand? O – Aber was waren das für schwarze Spukgestalten, die aus der Vergangenheit auftauchten. Ihr, die Ihr so unheimlich ausseht, seid Ihr Erinnerungen? Hatten sie sich erzürnt? Hatten sie, die sich so unbeschreiblich liebten, einander bittere Worte gesagt? Es war ja nicht möglich. Er verbarg vor Scham das Gesicht in den Händen, als er sich erinnerte, daß es wahr war, und zum ersten Male seit – seit dem Schrecklichen lösten sich seine Thränen.

Und warum hatten sie sich erzürnt? Wie er sich selbst haßte! Ach, als er sich erinnerte, wie geringfügig, wie schrecklich unbedeutend, wie verschwindend winzig die Ursache gewesen war, glaubte er wahnsinnig werden zu müssen. Er wollte es ihr ehrlich gestehen – ach – er konnte ihr ja nichts, nichts mehr sagen.

Wohin sollte er fliehen? Wohin er ging, stand er in einem Kugelregen der Erinnerung, die einst so süß war, nun aber, wie sie vor seinem Blicke lag, ihn bis auf's Blut peinigte. Auf der Sophalehne hatten sie zusammen Zephirwolle und Seide ausgewählt, als sie eines Abends nach Hause kamen. Sie saß auf seinem Knie, sortirte die Farben und hielt sie gegen die Lampe und er küßte sie mitten durch die braunen Fäden. Die jungfräulich weißen Gardinen in der guten Stube waren frisch geplättet. Es war ihre letzte Arbeit hienieden gewesen. Nun wehten sie in der Zugluft von der Luftscheibe und neigten sich neugierig gegen die Thür zum Speisezimmer, als wollten sie sagen: »Wache doch noch einmal wieder auf, kleine Frau!« Auf dem Schreibtische sah es aus wie gewöhnlich. Konvulsivisch ergriff er einen »Auszug aus der Rentamtverwaltung« und blätterte nervös bis Seite 71. Er zitterte wie im Fieberschauer. War es denn möglich? Gerade auf der Seite war er gewesen, als sie in's Zimmer eilte, die runden Arme um seinen Hals, ihre glühende Wange an sein bärtiges, häßliches Gesicht legte und schluchzte: »Gustav, Gustav, die ganze Wäsche ist verdorben.« Ungeduldig hatte er sich damals aus ihrer Umarmung losgemacht und ein wenig vorwurfsvoll gesagt: »Aber, liebste Kleine, Du siehst doch, daß ich arbeite!« Ach nun würde er seiner Seele Seligkeit geben, wenn sie ihn noch ein einziges Mal so stören könnte. –

Doch nun störte sie ihn nicht. Bleich und still lag sie auf ihrem weißen Bett im Saale und würde ihn nie, nie wieder am Arbeiten hindern.

Da stand ihr kleiner Lehnstuhl mit der Fußbank davor, und das Kissen auf seiner Lehne flüsterte: »Kommst Du nicht mehr, kleine Elfe? Küssest Du mich nicht mehr, kleine, goldene Locke?« – Da stand die Commode, die sie schon als Mädchen gehabt hatte. Er zog die Schubladen auf, als sei es Kirchensilber und er ein nächtlicher Räuber. Eine blaugelbe Rosette um ihre Nadel gewickelt. 18. 3. 1875. Im Cotillon auf dem Gildeball hatte sie sie von ihm selbst bekommen. O, der Abend: Er schloß die Augen und sah eine kleine, lichte Elfe mit blonden Locken und gelben Schuhen. Sie schwebte in einer Wolke von Gaze und Spitzen, und sie war eine schimmernde, lächelnde Fee, die Alles um sich herum froh machte. Doch wurde ein ernstes Wort gesprochen, dann blickten ihre großen, blauen Augen so tief, ach so tief. War es denn wirklich möglich, daß der kleine Aschenbrödelfuß nun kalt und steif war! Sollten sich die blauen Augen wirklich nie wieder öffnen!

Seine Briefe!

»– Die Tapeten darin sind blau mit kleinen, goldenen Sternen. Es wäre so nett gewesen, wenn Du sie selbst hättest auswählen können, mein Liebling; doch ich glaube, daß ich Deinen Geschmack zur Genüge kenne. Ach käme doch erst der Tag, wo ich mit Dir im Arm die kleine, enge Treppe hinaufstürme und Dich drinnen niedersetze und Dir in's Ohr flüstere: »Nun bist Du mein, ganz mein, für Zeit und Ew – –«

»Sieben Tage, drei Stunden und sechs Secunden dauert es nun noch, bis ich Dich, mein süßer Liebling, treffe; das heißt, wenn ich meine verzehrende Sehnsucht überlebe.« – – –

Da, das Papier trug ihre eigenen Züge. »Meines Gustav's Lieblingsgerichte« stand da oben auf der Seite in ihrer ausgeprägten, zierlichen Handschrift. – Da lag ihr Brauttaschentuch in seinem Futteral. – Da lag die Blume von Wenersholm, die er ihr gegeben hatte, als sie zum ersten Male schieden und nur das Herz, nicht der Mund gesprochen hatte. – Ihn, immer ihn hatte sie im Herzen und im Sinne getragen. Aber nun hatte das müde Köpfchen ausgedacht und das kleine, warme Herz stand still. Nun lag sie draußen im Saale mit der bleichen Wange auf den Spitzen des Lakens, und der breite, goldene Ring auf dem wachsbleichen Finger funkelte in der Herbstsonne.

Hätte er nur mit Blut und Thränen eine einzige Minute der Stunden zurückkaufen können, in denen sie allein an dem kleinen Tische saß, den Kopf über eine Näharbeit oder die Blätter eines Buches gebeugt, nachdem er sie mit einem lieblosen Worte verlassen. Eine einzige Minute! Es war, als würde ihm die Kehle zusammengeschnürt, als risse man ihm das Herz mit glühenden Zangen aus der Brust. Er wollte ihren Namen rufen, er wollte seine Verzweiflung ausschreien, aber eine Betäubung legte sich über seine Sinne, und er erwachte nicht eher zum Bewußtsein, als bis das allerletzte, unabwendbare Scheiden durch der Kirchenglocken unbarmherzigen Klang verkündet wurde. – – –

Es war die Uhr im Nebenzimmer, die acht schlug. Zugleich fühlte er etwas Feuchtes und Warmes, aber unsagbar Weiches seine Wange liebkosen. Ein Paar lebenswarme, schwellende Arme schlangen sich um seinen Hals, und er sah zwei bittende, blaue Augen, welche die seinen suchten, und hörte zwei rothe Lippen lebens- und liebevoll ihr zärtlichstes: »Vergieb!« flüstern.


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