Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Das neue Pferd des Herrn Majors.

Meine geehrten Leser mögen einen noch so großen Umgangskreis haben, sie können doch keinen ehrlicheren Kerl, besseren Familienvater oder tüchtigeren Compagniechef, als den Hauptmann und Ritter des Schwertordens Karl Oscar von Sabelsköld kennen. Seine Frau und seine Kinder hielten mehr von ihm, als von irgend einem der andern Officiere des Regimentes (mit Ausnahme der ältesten Tochter, die heimlich mehr von Lieutenant Plommenfelt hielt), und in seiner ganzen Compagnie war nicht ein einziger Mann, der sich im Kriegsfalle den allgemeinen Wirrwar zu Nutze gemacht und ihm eine Spitzkugel zwischen die Schulterblätter geschickt haben würde.

Eines schönen Tages, als die Post eben gekommen war, ging Carl Oscar von Sabelsköld in den Eßsaal, öffnete die Thür nach der Küche und rief der Frau Hauptmann, die dort gerade Brod knetete, zu:

»Stafva, mir ist etwas sehr Freudiges passirt!«

»Ist die Patience aufgegangen, lieber Alter?«

»Schnickschnack, mehr!«

»Sind wir bei Oberstens zu Mittag gebeten?«

»Noch mehr!«

»Wir ... wir ... haben doch wohl nicht in der Lotterie gewonnen?« sagte die Frau Hauptmann, der die Beine schon vor Aufregung zitterten.

»Stafva, Du bist Majorin!«

»O, Herr Gott, Oscarchen, ja, das ist so, wie Mama sagte, als Du um mich anhieltest und Papa nichts davon hören wollte. »Sabelsköld sitzt auf Brünte und wird mit der Zeit Regimentsofficier«, sagte sie.

Und die Majorin umarmte ihren Alten, so daß das Mehl um ihn herum stäubte, den Kindern wurde die Nase geputzt, und sie durften Papa einen Kuß geben und ihm gratuliren; und die Dienstmädchen knicksten und meinten, nun müßten sie wohl »Ihro Gnaden« sagen.

»Brita und Lise, wir sind alle schwache, sterbliche Menschen, nennt mich nur Frau Majorin!« sagte Frau von Sabelsköld und trocknete sich die Augen mit dem Schürzenzipfel.

Dies geschah Vormittags. Des Nachmittags kam die älteste Schwester des Majors, Fräulein Anastasia Aquilina von Sabelsköld, nahm ihren Bruder in den Arm, gab ihm ein paar tüchtige, schallende Küsse auf jede Wange, klopfte ihm mit ihrem grünen Pompadour auf den Rücken, so daß die Stricknadeln klapperten, weinte und sagte:

»Oscar, Oscar, unsere seligen Vorfahren sehen vom Himmel auf Dich nieder und freuen sich, wie Du dem Sabelsköld'schen Namen Ehre machst! In den letzten neunundfünfzig Jahren ist kein Sabelsköld weiter gekommen als bis zum Hauptmann, Pastor oder Hofgerichtsassessor, und Du bist nun Major! Gott segne Dich! Oscar, um Dir zu beweisen, wie sehr diese Ehre Deine alte Schwester Anastasia erfreut, so hast Du hier (nervöses Suchen im Pompadour) zweihundert Mark zu einem Reitpferd.«

Sie hatte kaum geendet, als dem Major die Arme niedersanken; sein Gesicht verfinsterte sich und er rief aus:

»Gott helfe mir, ich muß reiten! Daran habe ich noch gar nicht gedacht, liebe Anastasia!«

»Papa wird reiten, Papa wird reiten, Hurrah! Da bekommen wir einen Pålle!« riefen die kleinen Sabelskölds und sprangen bis zu den Ofenthüren in die Höhe.

»Ich wollte, der Teufel holte die ganze Ernennung, das Reiten wird mein Unglück!«

»Gewiß mußt Du reiten, das müssen alle Majore, und Du kannst ja auch reiten, Oscarchen. Weißt Du nicht mehr, wie Du auf Papas Minka rittest, als Gerichtsbauers Anna Hochzeit machte, und das ist ja kaum vierzig Jahre her«, meinte Tante Anastasia.

Der Major seufzte, dankte seiner Schwester herzlich für die freundliche Gabe, träumte jede Nacht, daß er mit gebrochenen Beinen in einem Graben läge, und las oft die Gebete eines Reisenden im Gesangbuche laut vor sich hin. Einen Monat darauf reisten der Major und Fräulein Gabriele mit Tante Anastasia's zweihundert Mark nach dem Viehmarkte in Kristianstad, um dort ein Reitpferd einzuhandeln. Gabriele sollte mitfahren, um sich die Stadt anzusehen und zugleich aufzupassen, daß Papa sich nicht ein junges, feuriges Pferd aufschwatzen ließe, das durch seinen jugendlichen Uebermuth der Familie ihre Stütze und dem Regimente seinen dritten Major rauben könnte. (Die Lebensversicherung »Fylgia« war damals noch nicht in Mode.) Es ist etwas Ungewöhnliches, Damen auf Vieh- und Pferdemärkten zu sehen; nur Circusdamen leisten manchmal ihren männlichen Anverwandten dort bei den Einkäufen Gesellschaft. Daher glaubte auch der junge Baron W., der einen herrlichen Schimmel zu verkaufen hatte, daß der Herr mit der kecken Haltung und das schlanke, graziöse Fräulein an seiner Seite zur Arena gehörten. Er trat mit dem Hute in der Hand näher, lächelte verbindlich und sagte:

»Herr Director, hier habe ich etwas außerordentlich Passendes für Ihr Fräulein Tochter. Dieser Schimmel ist wie für sie geschaffen. Ich darf wohl annehmen, daß Fräulein Schule reiten? Nun ja, der würde sich übrigens auch prächtig im Rampenlicht unter luftigen Gazevolants und rosa Tricot ...«

»Herr, scheren Sie sich zum Teufel! Glauben Sie, daß Fräulein Eulalie Marie Antoinette Oscara Gabriele von Sabelsköld beim Circus ist, Sie Lümmel?« brüllte der Major.

Nach einem Weilchen traf man ein gutes, genügend hohes, ziemlich mageres, aber ganz manierlich aussehendes schwarzes Pferd, das so fromm und tugendhaft aussah, als hätte es sich zeitlebens in einem Predigerhause aufgehalten. Der Gaul war zehn Jahre alt und sollte 200 Mark kosten, es war beinahe, als hatte der Verkäufer den Betrag von Tante Anastasia's Gabe gewußt.

Ein Thierarzt wurde zugezogen. Das sind anspruchsvolle Leute. Nie kann es ihnen unser Herrgott mit den Pferden recht machen. Dieser Thierarzt sagte:

»Erstens ist der Gaul nicht zehn, sondern vierzehn Jahre alt, zweitens hat er zwei große Ueberbeine am linken Vorderfuß, drittens bockt er etwas und viertens ist er sichtlich ein Krippenbeißer. Im Uebrigen ist er tadellos.«

Das Pferd wurde gekauft, ein Sattel und das sonstige Lederzeug auch, und bald darauf stand Fräulein Eulalie Maria Antoinette Oscara Gabriele von Sabelsköld im Stalle von Werling's Hotel und fütterte das Thier den ganzen Abend mit Zucker und Zwieback.

Am folgenden Morgen ging der Major aus, um sich die Artilleriekaserne zu besehen, traf dort ein paar alte Kameraden aus der Cadettenzeit, wurde umarmt, »gehißt« und schließlich zum Austernfrühstück eingeladen.

Aber als er das Frühstück »mit Austern« zu sich genommen hatte, kehrte er wie verwandelt heim. Er ging umher, brummte Melodien aus der »Zauberflöte« und dem »Freischützen«, wollte Gabriele mit Portwein tractiren und kniff die Kellnerin in die Wange. Und er, der stets mit Beben dem Augenblicke entgegengesehen hatte, wo er hoch zu Roß dem Bataillon voranziehen sollte, wollte nun auf der Stelle einen Spazierritt machen, um sein Pferd zu probiren.

Gabriele weinte.

»Süßer, lieber Papa, reite nicht eher auf Pålle, als bis wir zu Hause sind. Mama muß mit dabei sein, damit sie ihn festhalten kann, wenn er wild wird!« bat das junge Mädchen.

»Kind«, sagte der Major ernst, »ein Krieger muß der Gefahr in's Gesicht sehen können. Das Thier mag so eigensinnig sein, wie es will, mit Gottes gnädiger Hülfe werde ich es doch bezwingen. Nun, Kindchen, keine Thränen; ich habe mir schon Sporen und Gamaschen geliehen, und mein Beschluß steht unbeweglich fest. Es gehe, wie es wolle, ich werde Pålle schon heute Vormittag besteigen.«

Gabriele wollte nicht auf dem Hofe zusehen, wie ihr Papa von den Hufen des rasenden Thieres zerstampft würde. Sie lag vor der Chaise longue des Hotelzimmers auf den Knien und flehte Gott an, ihren Vater zu beschützen. Aber alle Hotelbediensteten halfen dem Major. Einer hielt die Zügel, einer den rechten Steigbügel und die beiden Stärksten erfaßten die majörlichen Beine, hoben den Besitzer derselben in den Sattel, und nun konnte die Reise losgehen.

Das war ein ausgezeichnetes Thier. Es trabte die Straße nach dem Tivoli hinunter und ging so ruhig wie ein Schuljunge im Leichenzuge seiner eigenen Mutter.

Da plötzlich blieb Pålle vor der Thüre eines großen Hauses stehen und ließ sich nicht vom Flecke bringen. Der Major schlug ihn mit der Gerte, aber Pålle drehte nur den Kopf und sandte ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Der Major rief alle bekannteren Ehrenbürger der Hölle an, aber Pålle mußte bestimmt einmal einem Pietisten angehört haben, denn er schüttelte zum Zeichen seiner Mißbilligung nur kräftig das Haupt. Schließlich kam ein niedliches Stubenmädchen die Treppe heruntergetrippelt und sagte: »Der Herr Commercienrath ist heute nicht zu Hause!«

Das Mädchen war kaum verschwunden, als Pålle sich schon freiwillig in Bewegung setzte. Aber er gehorchte nicht den Zügeln, sondern schlug einen Weg nach eigenem Belieben ein und blieb bald wieder auf dieselbe Weise vor einem anderen Hause stehen. Derselbe Meinungsaustausch zwischen Roß und Reiter, dieselben Hiebe und dasselbe Anrufen aller unterirdischen Potentaten; doch auch ganz dasselbe Resultat: Pålle ging nicht eher von der Stelle, als bis ein weiblicher dienstbarer Geist kam und sagte: »Wenn der Herr den Herrn Präsidenten zu sprechen wünschen, so müssen Sie um zwei Uhr wieder kommen.« Dann machte sich Pålle wieder auf den Weg.

Nun wollte der Major in's Hotel zurückkehren; Pålle aber war entgegengesetzter Meinung; er richtete sich augenscheinlich nach einem bestimmten Plane, und der Major mußte sich schließlich mit fatalistischer Ruhe dazu verstehen, ihm, wie es in der Sportsprache heißt, »die Leitung« zu überlassen. So hielten sie denn vor achtundzwanzig verschiedenen Häusern. Vor einigen Häusern machten sie längeren, vor anderen kürzeren Aufenthalt, doch nirgends rührte sich Pålle eher vom Flecke, als bis Jemand aus dem Hause gekommen war und mit dem Major gesprochen hatte.

Aber nach der achtundzwanzigsten Stelle machte Pålle linksum kehrt, kratzte mit dem Fuße und eilte in scharfem Trabe – nach dem Dorfe Nosaby.

»Haltet mich fest, haltet mich fest: Ich will nach Werling's Hotel!« schrie der Major. Die Leute auf der Straße aber gafften ihn nur an und grinsten, und im Umsehen waren beide, Pålle und der Major, außer Sehweite.

Nach zwei Stunden kam der Major zurückgefahren. Pålle war hinten am Wagen angebunden. Gabriele warf sich in die Arme ihres Vaters und rief:

»Papa, Papa, lebst Du noch?«

»Ja freilich, zum Teufel auch, lebe ich, aber ich habe ein – Milchpferd bekommen«, seufzte der Papa.

Als der Major sich ein Bischen von seinem ersten, fürchterlichen Zorn beruhigt hatte, beschloß er, Pålle zu verzeihen. Er trug ja seinen Reiter leicht und machte keine hinterlistigen Versuche, ihn abzuwerfen. Sein früherer Beruf als Milchpferd war ihm ja an einem anderen Orte nicht hinderlich, wo sein ehemaliger Principal von Nosaby keine Kunden hatte. Zu Hause wurde Pålle der Liebling der ganzen Familie. Er ging frei auf dem Hofe umher und nahm den Kleinen Brod aus den Händen. Nicht nur den Major, auch die kleinen Knaben ließ das artige Thier auf sich reiten, und hier, wo Pålle keine Milcherinnerungen hatte, ging er stets wohin er sollte.

Da kam das Manöver. Pålle war rund und glänzend; der Major hatte sich eine funkelnagelneue Uniform machen lassen, und beide blitzten wie frischgeputzte Messingkessel in der Aprilsonne. Alles ging seinen gleichmäßigen, hergebrachten Gang bis zu dem Tage, da das Regiment sich in's Feldmanöver begeben sollte. Als alle Soldaten in Reih' und Glied standen, und der Marsch in fünf Minuten beginnen sollte, und der Oberst und der Oberstlieutenant, der zweite Major und Major von Sabelsköld sammt allen Adjutanten stolz auf ihren Springern saßen, unterfing sich das Hoboistencorps, einen lebhaften Marsch aus »Fatinitza« zu blasen.

Pålle legte die Ohren zurück, hob den Kopf, wieherte munter, brach aus dem Gliede aus und zog sofort einen Kreis mit seinen Vorderfüßen, so daß er für ungefähr einen halben Scheffel Aussaat Boden hatte, um sich darauf zu bäumen und seine Künste zu zeigen.

Und nun begann ein eigenthümliches Schauspiel. Erst tanzte Pålle nach dem Tacte der Musik, dann ging er wieder zurück und machte das großartigste Defilé erst nach links, dann nach rechts und warf dabei mit den Beinen wie eine Balletratte. Darauf richtete er sich auf und schlug mit den Vorderfüßen in der Luft umher, ging dann gute drei Minuten spanischen Trab, vertauschte diesen mit gestrecktem Rundgalopp und kniete schließlich vor dem Obersten nieder, wobei er seine Stirn graziös gegen den Boden stemmte. Außerdem tanzte er noch Walzer, Galopp, Polka und Quadrille, ging aufrecht auf den Hinterfüßen, trabte rückwärts und machte solche Künste, daß das ganze Regiment im vollen Ernste glaubte, daß der Teufel selbst sowohl Pålle wie dem Major in den Leib gefahren sei.

Die Soldaten und die Reservisten bissen sich Anfangs auf die Lippen, aber als sie den Obersten und den Oberstlieutenant lachen hörten, und den zweiten Major und die Hauptleute sich den Bauch halten und sie so grinsen sahen, daß sie Zuckungen bekamen, als sie gewahr wurden, daß die Lieutenants und die Fahnenjunker schon ganz blau im Gesichte vor Lachen waren, da stimmten 1600 Mann mit ein und lachten, daß es im Walde wiederhallte und das Gepäck auf dem Rücken auf und nieder flog.

Doch noch immer bliesen die Musikanten Fatinitza und Pålle tanzte und machte solche Mätzchen, daß der Schaum weit umher spritzte, und der arme Major, der sowohl Zügel wie Steigbügel verloren hatte und sich mit beiden Händen in Pålle's Mähne festhielt, schrie so herzzerreißend:

»Herr Oberst – – ich – kann nicht mehr – – o Du Teufel – entschuldigen Sie – – ich sterbe – haltet mich fest – prr, prr, Pålle – Pålle – Herr Oberst – ich glaube, der Satan – um Gottes willen helft – Herr Gott, Herr Gott – Pålle!«

Und dabei spielte die Musik immerfort Fatinitza, und der Oberst, alle Officiere und Unterofficiere, alle Officiersburschen und Doctoren, die Markedenterfrau und ihre Dienstmädchen und 1600 Mann lachten so, daß ihnen beinahe der Bauch platzte.

Schließlich winkte der Oberst seinem Adjutanten, der einmal bei den Leibhusaren ein Manöver mitgemacht und drei Wochen auf der Strömsholmer Reitschule zugebracht hatte und ein verteufelter Kerl in Allem, was Pferde anging, war. Und zu ihm sagte der Oberst:

»Herr Lieutenant, Sie als Kavallerist können uns wohl sagen, was mit dem Thier dahinten los ist?«

»Herr Oberst, nach dem, was ich davon verstehe, muß Major von Sabelsköld's Pferd in seiner Jugend bei einem Circus angestellt gewesen sein und hat dort vermuthlich diese Nummer gerade nach diesem Marsche aus »Fatinitza« eingeübt.«

»Aber zum Teufel, so heißen Sie doch die Musik schweigen, Herr Director; der Major muß ja rein das Leben hierbei zusetzen!« schrie der Oberst.

Kaum hatte auch der jüngste Hoboist das tönende Messing von den Lippen genommen, als Pålle still stand wie ein Lamm, während ihm der Schweiß an den Beinen hinuntertrieb.

Der Major erhielt einen vierzehntägigen Urlaub und hatte noch lange das Gefühl, als seien ihm alle Glieder zerschlagen. Was Pålle anbetrifft, so war dies sein erstes und letztes Manöver, und immer, wenn später in der Officiersmesse die Rede auf Pferde kam, so hieß es allgemein: »Sabelsköld's Pålle war eigentlich ein nettes, gutes Thier, leider aber hatte es eigentlich allzu reichhaltige Lebenserfahrungen, um für einen älteren Infanterieofficier zu passen!«


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