Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Nils Peter's Abiturientenexamen.

Im Bauernhause sind warme Worte nicht Mode: vielleicht erschlaffen die Gefühle auch, denn harte Arbeit und die Sorge um das tägliche Brod sind zwei Mühlsteine, die sowohl weiche Gefühle wie warme Worte zermalmen können.

Aber im Grunde sind die Herzen, die vor Sehnsucht nach einem eigenen, bebauten Ackerstücke schneller schlagen, auch nicht anders als die, welche rastlos nach Gold und Königsgunst jagen.

Und wenn wir als alte Bäume dastehen, die der Herbstwind entlaubt und der Schneesturm umreißt, dann denken wir wohl alle mit gleicher Liebe an die kleinen Schüsse, die aus unserer Wurzel entsprossen sind, einerlei, ob sie in einer Sammetjacke oder in einem Baumwollenkleide stecken.

Deshalb wurde auch der kleine Nils Peter von seinem rothhaarigen, krummen Vater mit den schwieligen Händen und von seiner kleinen, vom Alter gebeugten Mutter ebenso geliebt, als wenn er in einem mit Seide ausgeschlagenen Boudoir gespielt hätte und von einem galonirten Diener zu seinem besternten Papa und seiner nervenschwachen Mama getragen worden wäre, um ihnen guten Morgen zu sagen.

Es ist ein unaussprechlich süßer Gedanke, daß, wie wunderlich und ungleich auch die Vorsehung Gut und Geld, Ehre und Ruhm, Genuß und Leiden vertheilt hat, sie uns Allen doch, was größer ist, den Zutritt zum Himmel dort oben und zur Liebe hier unten frei gegeben hat.

Nils Peter war das einzige Kind der Tagelöhnerleute. Selten strich Mutters harte Hand liebkosend über sein Gesichtchen. Vater sagte nie ein Wort, das auf wärmere Gefühle für Nils Peter schließen ließ, als für das Schwein draußen im Kofen. Niemals sprachen Vater und Mutter mit einander von ihrer Liebe zu dem Kleinen, und doch wußten alle drei, daß, wenn z. B. der wüthende Stier sich losreißen sollte, Vater und Mutter wetteifern würden, Nils mit Aufopferung ihres eigenen Lebens zu schützen.

Es war ein kluges und liebenswürdiges Kind, das seinen Katechismus ordentlich lernte und bei den Hausverhören gute Antworten gab. Da hielten sie ihn für ein Genie und wollten einen Prediger aus ihm machen, und schickten ihn deshalb in die »große Schule«, ohne die Schwierigkeit und Kosten zu berechnen. Die Stadt lag ja so nahe, und die Kurzsichtigkeit ist nun einmal das Privilegium der Armuth und der Unwissenheit, wäre dies nicht der Fall, so würde mancher unserer ersten Männer in den Hütten der Armuth gestorben sein und die Menschheit stände tiefer, als sie es thut.

Doch möchte ich deshalb nicht behaupten, daß es ein Verlust gewesen wäre, wenn Nils Peter nicht studirt hätte, denn er war nur bei den Hausverhören ein Genie; in der Schule war er nur ein gutartiges, mittelmäßig begabtes Kind, das mit großer Armuth zu kämpfen hatte.

Aber er schlug sich durch.

Wie das zuging? Ja, kann man sich nicht darüber wundern, wie es die Grausperlinge machen, wenn die Kälte schneidend und die Erde mit Schnee bedeckt ist? Kann man sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie aus armen Heimwesen, wo die Sorge beständig an der Thür Wache hält und die Noth mit bei Tische sitzt, starke, tüchtige Männer und gute, milde Frauen hervorgehen können, die der Menschheit Vortheil bringen und Sonnenschein über das Leben vieler Anderer verbreiten?

Die Eltern konnten ihm nicht recht helfen. Vaters alte, silberne Uhr, die schon seit vielen Jahren stand, fing wieder an zu gehen und wanderte zum Goldschmied in die Stadt. Die einzige Kuh gab einige Pfund Butter, die Mutter auf dem Markte verkaufte. Schlechte und billige Butter mit großen, grauen Salzstücken und so unregelmäßiger Schattirung wie die Jahresringe der Föhre. Man konnte ihr ansehen, daß die Sahne lange dazu gesammelt worden war und das Buttern nicht gleichmäßig geschah. Dann kaufte Mutter Garn auf Credit und webte Kopftücher und Schürzen. Die Dienstmädchen kauften diese gern, und es brachte ein Bischen ein. Und Vater stand Tag und Nacht auf der Tenne und drosch den Bauern schwedischen Roggen aus, damit Nils Peter lateinische Vokabeln lernen konnte.

Aber zu verwundern war es doch, daß es ging, obwohl die Jacke geflickt, und die Kälte in der kleinen Dachkammer in der Stadt, die Nils Peter mit zwei Kameraden theilte, sehr empfindlich war. Wenn er dann in den großen, dreimonatlichen Ferien nach Hause kam, griffen die Alten mit zitternden Fingern nach dem Brillenfutteral und machten sich daran, seine Censur auszubuchstabiren. Da waren viele »A« und Nils Peter erklärte ihnen, daß dies ein Lob bedeutete. Und wenn er für die Mutter spulte, ließ sie manchmal das Weberschiffchen ruhen und hörte seinen wunderbaren Erzählungen zu. Wie er vier Sprachen trieb, den Sohn des Superintendenten dutzte und einmal bei einem Oberlehrer zu Tisch gewesen war. Und er las im Livius und pflückte Kraut für das Ferkel, und seine Wangen wurden etwas röther, als sie es bei seiner Heimkehr im Juni gewesen waren.

So kam er nach Secunda und conditionirte. Das heißt, er wohnte mit einigen jüngeren Schülern zusammen, beaufsichtigte sie, half ihnen bei den Arbeiten, aß mit ihnen und erhielt 40 Mk. im Semester für Jeden. Da schenkte er Mutter einen Shawl, und Vater bekam eine Uhr für die alte, die zum Goldschmied gewandert war. Mutter hatte noch nie ein Kleidungsstück so warm wie diesen Shawl gefunden, denn durch seine braunen und grauen Würfel zog sich ein rother, warmer Faden von Nils Peter's Liebe. Und Vater meinte, die Uhr zeigte auf die Zeit hin, wo Nils Peter ein großer Mann sein würde.

Er hatte nun einen Rock mit ordentlichen Schößen, einen Schlafrock und eine ausgeschnittene Weste. Wenn er zu Hause war, ging er an den Sonntagnachmittagen mit dem Fräulein vom Herrenhofe spazieren. Und doch war er derselbe kleine, liebenswürdige Nils Peter, der Vaters nasses Wamms vor dem Heerde trocknete und willig die Fäden zog, wenn Mutter ein Gewebe aufzog.

Die Nächte aber verwandte er zu seinen eigenen Studien, da ihn die Schüler bis Abends spät in Anspruch nahmen, und mit jedem Semester sanken seine Augen mehr ein, ein wehmüthiger Zug legte sich um die bartlosen Lippen, und die Wangen wurden immer bleicher.

Aber es mußte vorwärts gehen, dem Tage entgegen, wo er freudestrahlend in der tannenen Veranda seiner Pfarre stehen, seine Arme um den alten, müden Vater und die alte, schwache, gebeugte Mutter legen würde. Dann wollte er seine Wange liebkosend an die dünnen, grauen Locken legen und sagen: »Dank für Alles; bleibt nun für's Leben bei mir!«

Er badete die heißen Schläfen mit kaltem Wasser, um den Schlaf zu verscheuchen, und die müden Augen flogen mit fieberhaftem Glanz über die Blätter hin.

Einmal war es ihm, als verließen ihn die Kräfte, als stelle sich etwas Düsteres, Unerklärliches, Unbewegliches zwischen ihn und sein Ziel. Damals hatte er gerade noch einige Schüler mehr, und damit größere Einnahmen bekommen.

Am nächsten Tage ging er zu einem Lebensversicherungsagenten. »Fünftausend?« Nein, das wurde zu theuer. »Zweitausend?« Dazu reichte sein Geld auch nicht. Schließlich ließ er sein Leben auf tausend Mark versichern. Die sollten Vater und Mutter haben, wenn etwas ... etwas Unvermuthetes einträfe.

Aber nun kam der Frühling, die Sonne, Birkensaft, Lebenslust, Freude, Hoffnung und – das Maturitätsexamen.

Im Schriftlichen ging es gut. Nils Peter stand in reinlichen, gekehrten, beim Trödler gekauften Kleidern im Schulsaale und hörte den Director sagen, daß er zum Mündlichen zugelassen würde. Und er lernte Tag und Nacht. Abends nahm er sich eine Wanne mit kaltem Wasser mit auf's Zimmer, und wenn der Schlaf ihn zu überwältigen drohte, steckte er seine Füße in's Wasser, um sich wach zu erhalten. Er hatte nicht die geringste Ahnung, womit er sich auf der Universität erhalten sollte, und doch war es ihm, als höre er das Sausen der Linden vor dem Pfarrhause immer deutlicher. – – – –

»Stehen Sie auf, Herr Lind! Es ist jetzt hohe Zeit. Herr Karlsson und Herr Strömberg gingen eben vorbei zum Examen. Sie müssen sich beeilen!«

Aber Nils Peter schlief mit der dünnen, mageren Hand unter der Wange so fest wie nie zuvor. Die Wirthin wurde ungeduldig.

»Sputen Sie sich, Herr Lind, sonst kommen Sie zu spät ... Herrje ... was ist mit dem Jungen! Lina, Lina!«

Lina kam und die Madam von gegenüber und der alte Schneider von schräge über, und zuletzt kam der Doctor, lüftete die graue, zerknitterte Decke, öffnete das enge, ausgewachsene Baumwollenhemd, legte die Hand einen Augenblick auf den hohen, mageren Brustkorb und sagte: »Herzschlag.«

Statt einer weißen Studentenmütze kam ein schwarzer Sarg in die kleine Kammer der Tagelöhnerleute. Mutter und Vater gingen wie im Traume umher. Sie konnten es nicht fassen. Ihr Nils Peter mußte ja aufstehen und ihnen erzählen, wie es ihm im Abiturientenexamen ergangen war! Er konnte doch nicht gerade jetzt sterben? Dann gäbe es keinen barmherzigen Gott im Himmel. Und so gingen die beiden Alten mit stumpfen, thränenlosen Blicken aus und ein und betrachteten das liebe, magere, gelbe Gesicht.

Erst als der Lebensversicherungsagent, der zugleich Turnlehrer am Gymnasium war, sie besuchte und ihnen sagte, daß sie die tausend Mark zu erheben hätten, für die ihr Nils Peter sich hatte versichern lassen, da erweichten ihre gepreßten Herzen:

Gegen Abend ließ Vater die Hände, in denen er bis dahin sein altes, bärtiges, schmerzverzogenes Gesicht verborgen hatte, sinken.

»Und wie dem Felsen die Quelle entspringt,
Entströmten dem Auge die Thränen.«

»Lise, hast Du schon von Schultheißens Geld für das Kleiderzeug bekommen.«

»Ja, Karl.«

»Gieb's her!«

Dann machte sich Vater auf den Weg nach der Stadt, und Mutter war so vernichtet, daß sie nicht fragte und sich nicht wunderte.

Gegen Mitternacht kam er zurück. Es war eine helle, nordische Sommernacht und durch das Fenster sah er Mutter sich über Nils Peter's schwarzes Bett beugen. Das Fenster stand offen, und schwellende, rosige Apfelblüthen fielen auf die Fensterbank und in die Kammer hinein. Leise trat der Alte in die Thür und zum Sarge hin. Er zog ein kleines Packet hervor, das er unter dem Wamms verborgen hatte, und legte eine neue, weiße Studentenmütze auf Nils Peter's Brust.

Und Mutter, die mit der gewöhnlichen Herbigkeit der Armen und Geringen ihren Sohn in den letzten zehn Jahren nicht geküßt hatte, preßte nun immer wieder ihre dünnen, bebenden Lippen auf den weißen Sammet der Mütze ...

Der Mond schien so hell. Merkwürdig! Nils Peter schien im Schlafe zu lächeln. Vielleicht bereitete er sich, Vater und Mutter in einem Heim die Arme entgegenzustrecken, das noch viel schöner und herrlicher war als das erträumte Pfarrhaus.


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