Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Die Herrschaften auf Hjelmskog.

Eine Woche war vergangen, und der Pastor hatte sich eingelebt. Wer ein Elternhaus besessen hat, sei es auch noch so einfach und dürftig, wohin er in den Ferien reisen und wo er sich später in der Ruhezeit nach der erledigten Arbeit erholen konnte; wer so glücklich gewesen ist, diesen theuren Zufluchtsort lange zu behalten, vielleicht gar so lange, bis sich ihm die Thüren des eigenen Heims geöffnet haben: der kann sich die wahrhaft kindliche Freude nicht vorstellen, die jeden Morgen Arvid Magnusson's Herz erfüllte, wenn er in seinem eigenen, kleinen, sehr dürftigen Heim erwachte, das in seinen Augen und im Vergleich mit der Dachkammer in der Stadt wirklich prächtig war.

Er war ein pflichtgetreuer Mensch, aber es steht doch zu befürchten, daß die Tische, Stühle und Gardinen drinnen, das Vieh und die kleinen Ackerstücke draußen, wo nun gerade die Aussaat beginnen sollte, in dieser ersten Zeit seine Gedanken mehr in Anspruch nahmen als seine Gemeinde in Quislinge. Er ging umher und stellte die Stühle zurecht, rückte das Sopha der seligen Frau Lündeberg bald einige Zoll breit nach links, bald ein wenig nach rechts, bald etwas von der Wand ab, damit der Rahmen die Tapete nicht beschädigen sollte, wenn man sich in diesem alterthümlichen Prachtstücke bequem hintenüberlehnen würde.

Zwischendurch machte er mathematische Berechnungen auf einem Papierfetzen, und wenn er damit fertig war, rief er seine Mutter.

»Ja, Arvidchen!«

»Hör' nun, Mutter, die Stelle bringt fünfzehnhundert Kronen ein. Können wir nicht recht gut mit tausend auskommen?«

»Kreuz, das können wir!«

»Jaha, und unsere Sparbanksanleihe beträgt dreitausend, und so können wir bei Abzahlung von jährlich fünfhundert Kronen in sechs Jahren aus unseren Schulden kommen. Heisa, Mutter, dann ist dies alles richtig unser!« rief Arvid mit strahlenden Augen und so großartiger Handbewegung gegen das Sopha und die übrigen Möbel, als zeigte er Golkonda's Schätze.

»Nein, Arvid, Du hast die Zinsen vergessen«, sagte die Mutter und schüttelte den Kopf.

»Die Zinsen, Mutter, jetzt muß ich noch einmal rechnen!«

Etwas über acht Tage waren vergangen. Der Pastor hatte angefangen, Besuche zu machen. Der erste Besuch hatte dem Präpositus in Sjöreda, seinem unmittelbaren Vorgesetzten, gegolten. Das war ein kleiner, freundlicher, stiller Mann mit einer Perrücke, die die Zeit fuchsroth gefärbt hatte, mit einer Gattin, die durch beständige Seelenruhe und viele Naturalien von den Dorfbewohnern eine runde Kugel geworden war, und zwei Töchtern, die in Folge dreißigjährigen Wartens wehmuthsvoll, dankbar für die geringste Freundlichkeit und mehr als neugierig auf jeden neuen, unverheiratheten Pastor waren. Präpositus Strandin kam Arvid mit offenen Armen entgegen, bot ihm ein neugeöffnetes Packet »Kalmarrose« und hielt es für ausgemacht, daß der neue Amtsbruder ihn »Onkel« nennen müsse. Die Alte schalt ein Bischen, weil der Pastor seine Mutter nicht mitgebracht hatte. Lotte rührte mit solchem Eifer einen Eiergrog für den lieben Gast, daß ihr die blonden Locken wie ein Heiligenschein um den Kopf flogen, und der Boden beinahe aus dem Glase ging. Weil Evchen sich augenblicklich drinnen überflüssig vorkam, ging sie in die Leutestube und befahl Stall-Karl, dem fremden Gaul ein ganzes Maß Aussaathafer zu geben und ihn zur Tränke zu führen.

Einige Tage darauf galt der Besuch dem Baron auf Hjelmskog, der Gemeindegröße (2045 Silberlinge!).

Arvid fühlte sich doch ein Bischen nervös. Lange wählte er zwischen seinen Priesterkragen, und als er endlich einen tadellosen gefunden hatte, riß er, in seinen Bemühungen ihn hübsch und fest umzubinden, das Band ab. Polle war den ganzen Tag vom Eggen dispensirt, obwohl es sich nur um eine Fahrt von einer halben Meile handelte, und der kleine Knecht hatte ihm unter des Pastors eigener Aufsicht mindestens ein halbes Pfund Haare abgeschrapt. Der Stuhlwagen war frisch gewaschen, und Mutter Martha hatte ihrem eifrig protestirenden Arvid selbst den Rock ausgebürstet.

Und so ging es fort. Hjelmskog lag schön an einer anderen Bucht desselben Sees, der dem Quislinger Pfarrhof seinen größten Zauber verlieh. Es war ein großes, hohes, weißes, beinahe viereckiges, zweistöckiges Haus auf granitenem Unterbau. Eine Allee, deren schöne Bäume nun gerade auszuschlagen begannen, führte zu den kleinen, neueren, im Villenstile aufgeführten Flügeln, und gewaltige Buchen umgaben das wohlgepflegte Hofplanum. Das Hauptgebäude hatte keine Veranda, sondern, nach altem Schloßbaustyle, eine kolossale Terrasse, die sich längs des halben Hauses ausstreckte und deren Balustrade mit alten, rostigen, gußeisernen Urnen verziert war, auch grinsende Löwen an jeder Seite hatte, die geduldig in einen Eisenring bissen.

Ein stattlicher Kutscher in Lederhosen und hoher Stallmütze kam und zügelte Polle mit so kunsterfahrener Hand, daß er ihn nachher kaum von der Stelle ziehen konnte, und eine noch feinere Kammerjungfer führte den Pastor in's Vorzimmer. Die Thür war angelehnt, und man hörte drinnen in den Zimmern den Klang froher Stimmen. Der Pastor nahm seinen Ueberzieher wieder vom Riegel ab und fragte:

»Hier ist doch keine Gesellschaft?«

»Nein, gewiß nicht, einige Herrschaften sind nur zufällig gekommen«, erklärte die feine Kammerjungfer etwas herablassend.

Der Pastor zog den Rock, glatt und rückte den Kragen zurecht. Er erinnerte sich so genau eines Tages, als er drinnen in der Stadt zum Präsidenten gekommen war, wo er während seiner Schulzeit Freitisch hatte, und ihm drinnen im Vorsaal ein ebensolches munteres Stimmengewirr entgegengetönt hatte. Doch wurde er in der Thür von dem sehr stattlichen Bedienten gehindert, der ihn anfuhr:

»Kreuz, zum Teufel, warte Du! Hat die Haushälterin vergessen, Dir etwas Geld zu geben, damit Du heute wo anders essen kannst? Hier ist heute Gesellschaft, Magnusson, da kannst Du hier kein Essen bekommen.«

Seine Gefühle waren kaum angenehmerer Natur als damals, als er nun bei dem kleinen Magnaten des Kirchspiels eintrat, obgleich er nun frei und unabhängig war und auf gleicher Bildungsstufe mit seinen Wirten stand.

Der Baron eilte ihm mit kleinen Tritten und großer Artigkeit entgegen.

»Nein, sieh, Herr Pastor! Nun, das war nett. Hier, meine Freunde, haben wir den neuen Seelsorger der Gemeinde, Pastor Arvidsson.«

»Verzeihung, Magnusson

»Oh, ich bitte tausendmal! Pastor Magnusson – und hier haben wir meine Frau, meine Tochter Gerda, unsere kleine Ellen, mein Sohn, Lieutenant Gösta Stålsköld von den Schonenschen Husaren, Major Axelsson, zwei Fräulein Axelsson, Graf Svedenhjelm, der von Södermannland hierher gereist, um uns mit einem kurzen Besuch zu erfreuen, Frau Gräfin Svedenhjelm, Fräulein ..., ich bitte um Entschuldigung, Herr Pastor! Gerda, Du stellst wohl den Herrn Pastor unseren übrigen Freunden vor; ich sehe, daß Mama auf mich wartet.«

Arvid hatte sich so beeilen müssen, um sich jeder der neuen Bekanntschaften, nach der Reihe, wie der Baron sie aufrief, zuzuwenden, daß er sich nun etwas wirr im Kopfe fühlte. Er sah ein, daß er in dieser Gesellschaft linkisch erscheinen mußte, und das ist ein Fehler, der sich durch das Bewußtsein nicht verbessert. Er bemerkte darum Fräulein Gerda nicht eher, als bis sie ihn durch einen leichten Fächerschlag auf seinen Arm wieder in die Situation brachte und die Vorstellung fortsetzte.

Alle seine Gefühle setzten sich gleichsam instinctiv gegen das junge Fräulein zur Wehr. Er empfand geradezu Widerwillen. Er fühlte gegen alle mit einander etwas von dem verletzten Kinderstolz, der in unser aller Herzen fortlebt, seit man uns vom Spiele ausschloß, und der später jedes Mal wieder auftaucht, wenn wir uns auf irgend eine Weise unterlegen oder zurückgesetzt vorkommen. Aber er wußte, daß seine Kenntnisse sich mit denen des Barons, des Grafen und der jungen Lieutenants messen konnten, ja daß er ihnen seinen Manneswerth, seine Unabhängigkeit und seine vielleicht noch gründlichere Belesenheit gegenüberstellen konnte. Sollte er ihnen näher treten, so würde er auf jedem Gebiete, auf das die Rede kommen konnte, leicht den Platz an ihrer Seite ausfüllen, dessen war er sich bewußt. Aber er wunderte sich darüber, wie heiß es ihn bei dem Gedanken überlief, daß sie, die stattliche, überlegene Weltdame, auf ihn, den Landpastoren, der der Stimme ihres Vaters sein Brod verdankte, herabsehen, ihn ungehobelt finden und ihn gering achten könnte.

Späterhin, als Arvid mit den Herrschaften auf Hjelmskog bekannter geworden war, fand er, daß eigentlich nur Fräulein Gerda dort das echt aristokratische Element repräsentirte. Von dem kleinen lebhaften Baron, der stattlichen, kalten, dunklen Baronin mit ihrer aufgethürmten Frisur und ihren schwarzen, scharfen Augen an bis zur geringsten Hauseinrichtung trug Alles den Stempel des Krautjunkerthums, gemischt mit einem affectirten, etwas verschwenderischen Rococo. Die kleine Ellen, ein blondes, stutznasiges Elfchen von vierzehn Jahren, hatte durchaus bürgerliche Interessen, und den Husarenlieutenant, Baron Gösta, brauchte man nicht lange zu kennen, bis man herausfand, daß er eigentlich mehr von dem Halbblute in Papa's Ställen als von dem Stålsköldschen Vollblute erbaut war, das in seinen eigenen Adern floß – ja, dem Vollblute, denn der Baron und seine Gemahlin waren Geschwisterkinder.

Gerda Stålsköld war ein hochgewachsenes, breitschulteriges Mädchen, mit einem ideal gemeißelten Halse, der das kecke, schwarze Haupt auch hätte tragen können, wenn er etwas weniger kräftig gewesen wäre. Sie wäre zu groß erschienen, wenn die ganze Gestalt nicht so kräftig, harmonisch und schön gewachsen gewesen wäre. Aber die weißen wohlgeformten Hände waren so groß und breit wie die eines Arbeitsmannes, und Papa und Mama hatten es längst aufgegeben, ohne vorherige Bestellung ein Armband für Gerda zu bekommen. Die Füße hatten einen sehr hohen Spann, und es wäre ein sehr vermessener Euphemismus gewesen, sie zierlich zu nennen. Das Gesicht wäre, ohne die zu niedrige Stirn und den zu großen Mund, vollendet schön gewesen. Dem Ersteren hätte man mit Stirnlöckchen abhelfen können, doch Gerda verabscheute diese Mode und trug das rabenschwarze Haar mitten über der breiten, niedrigen Stirn gescheitelt. Die Wangen waren schön gerundet, die Lippen schwellend, die Kopfform und die Nase edel geformt. Und die Laune der Natur hatte dies nachtschwarze Haar mit klaren, großen, braunen Augen gepaart, die dem Ganzen einen bizarren und eigenthümlichen Ausdruck verliehen. Gerda schwamm ausgezeichnet, war eine kühne Reiterin und hatte ein Reformkleid im Schranke, im Uebrigen aber war sie, mit ihren dreiundzwanzig Jahren, in ihren Neigungen und ihrer Lebensanschauung ebenso weiblich wie ihre Freundinnen. Man sah sie gleich in dem vollsten Salon, sie würde unter Tausenden aufgefallen sein, aber sympathisch zu ihr hingezogen fühlte sich nur der, um den sie sich selbst bemühte.

»Später müssen Sie sich das nach und nach einprägen, Herr Pastor. Es ist ja unmöglich, so viele neue Gesichter und Namen zu behalten, die so auf einmal vor einem auftauchen«, bemerkte Fräulein Gerda nach beendeter Vorstellung.

Arvid würde ein Bein von dem Sopha der seligen Frau Lündeberg gegeben haben, wenn er nun eine gute, pikante Antwort bereit gehabt hätte, um sie zu überzeugen, daß er doch kein vollständiger Idiot sei; doch er fand nichts Gescheidteres als:

»Ja, ja, das ist stets schwer, hm!«

»Wohnen Sie ganz allein im Pfarrhause, Herr Pastor? Wir wollen uns doch setzen.«

»Danke! – Nein, ich bin so glücklich, meine alte Mutter bei mir zu haben.«

»Ach so. Wir haben hoffentlich einmal das Vergnügen, Frau Magnusson hier zu sehen?«

»Danke! Das glaube ich nicht.«

»Weshalb nicht! Ist sie denn kränklich?«

»Gott sei Dank, nein! Sie müssen wissen, daß meine Mutter durchaus keine Dame ist. Sie ist eine einfache, arme Bauernfrau und würde sich noch dürftiger als ihr Sohn in Hjelmskog's Salon ausnehmen.«

Jetzt war die Reihe, verlegen zu werden, an Gerda. Sie hätte gern gesagt, daß Pastor Magnussons Mutter doch willkommen wäre, doch sie fühlte, daß sie nicht vermöchte, dies überzeugungsvoll und glaubwürdig vorzubringen und begnügte sich daher damit, zu bemerken:

»Wie schön muß es für Sie sein, Ihre Mutter bei sich haben zu können.«

»Ja, das ist es, Baronesse! Sie hat während meines ganzen Lebens und ihres halben für mich gearbeitet und entbehrt, und nun ist es mein höchster Wunsch, daß sie noch lange leben und sich an dem glücklichen Erfolge, den ich nun gehabt habe, freuen möchte.«

»Haben Sie etwas herausgegeben, Herr Pastor, etwa ›Gesammelte Predigten?‹«

»Nein, wie kommen Sie darauf?«

»Ja, Sie sprachen von – von einem besonderen, glücklichen Erfolge, und« –

Arvid lachte munter.

»Ja, ich konnte es mir wohl denken, daß Sie sich schwerlich in meine Triumphe hineindenken könnten, Baronesse. Aber, sehen Sie, wenn man während seiner ganzen Schulzeit Freitischler gewesen ist, wenn man aus Mangel an Feuerung hat frieren müssen und krank geworden ist, weil man keinen Ueberzieher hat, wenn man acht Jahre lang als Adjunkt mit zweihundert Kronen Gehalt im Stifte umhergeschickt wird, dann ist es »ein glücklicher Erfolg«, wenn man das Pastorat von Quislinge bekommt.«

Gerda sah ihn mit ihren großen, forschenden Augen an. Da fiel ihm ein, daß sie es vielleicht für eine Art Prahlerei und Trotz hielt, daß er ihr so schnell von seinem Emporarbeiten unter Mangel und Noth und von der Herkunft seiner Mutter erzählt hatte. Er war gar nicht mit sich selbst zufrieden.

»Nun, Gerda, wie findest Du unseren neuen Prediger?« erkundigte sich die Baronin, als der Pastor abgerufen wurde, um einen Willkommenstrunk mit dem Baron zu thun, und Gerda zu den Damen zurückkehrte.

»Ach, so ziemlich für einen Bauernsohn. Ich glaube, er leidet an einem gewissen verbissenen Stolz oder krankhaften Ehrgeiz. Er sprach mit großer Bitterkeit von seiner Armuth.«

»Quelle horreur, ma chère Julie«, fiel Gräfin Svedenhjelm ein. »Gerade wie in Rußland! Es gährt im Volke; Pessimismus, Unzufriedenheit und übertriebene Lebensansprüche ergreifen den Pöbel, sobald er ein wenig lernt. Die russischen Studenten sind die schlimmsten Nihilisten, sagt Svedenhjelm. Gott bewahre uns! Der Pastor sollte sich schämen!«

»Oh, bitte, sei ruhig, liebe Tante! Pastor Magnusson denkt sicher nicht daran, uns Alle in die Luft zu sprengen«, sagte Fräulein Gerda lachend.

Man kann nicht gerade behaupten, daß Arvid's Ankunft die Fröhlichkeit im Kreise der Herren erhöhte. Hinter der Artigkeit und Verbindlichkeit gegen den Pastor lag ein gewisses Etwas, das deutlich zeigte, daß sie bei einem Zusammentreffen am dritten Orte nicht weiter Notiz von ihm nehmen würden. Nach einigen Gläsern konnte Major Axelsson die gewohnte Rohheit mancher Militärpersonen, die Pastoren aufzuziehen, nicht länger bezwingen, und brachte, Gott weiß wie, die Rede auf Bileam's Esel. Er fragte den Pastor, was er eigentlich von diesem merkwürdigen Thiere hielte, und ob er nicht auch meinte, daß es doch zu naseweis von einem Esel sei, seinen Herren mit Fragen zu belästigen?

»Ach, Herr Major«, sagte Arvid, »es kommt häufiger vor, als man denkt, daß Esel sprechen, und da ihr Wissen geringe ist, kommen sie gewöhnlich mit Fragen zum Vorschein.«

»Hm, hm, sollten Gerda und Axel uns nicht ein Duett singen?« fragte der Baron, um eine weitere Besprechung dieses minder gut gewählten Gegenstandes zu verhindern.

»Axel« war Svedenhjelm junior, mit edlen, bleichen Zügen, langem blonden Schnurrbart, Tenorbariton und Secondelieutenant bei den Uplandsdragonern.

»Gern, Onkel, aber es ist mir augenblicklich unmöglich. Ich bekam gestern auf der Schnepfenjagd nasse Füße, und nicht einmal Tante's köstliches Punschrecept konnte meine Heiserkeit besiegen.«

»Das war schade, denn die übrigen Herren sind gewiß alle vollständig unmusikalisch, das heißt, wenn nicht Herr Pastor ...?«

Ein unbeschreiblicher Hohn lag in Gräfin Svedenhjelm's Worten, eine solche Betonung der Unmöglichkeit, daß ein »Pastor« für ihren Sohn eintreten könnte, daß Arvid das Blut zu Kopfe stieg. Fräulein Gerda hatte sich am Klavier niedergelassen und präludirte leise zu einem Liede, seiner Glanznummer in Upsala, wo er eine der Säulen des Studentengesangvereins gewesen war, wovon freilich die Gnädige keine Ahnung hatte haben können. Arvid verbeugte sich und antwortete:

»Wenn Baronesse es gestatten und die Herrschaften Nachsicht üben wollen, so kann ich vielleicht ...«

»Nein, was muß ich hören! Das ist wirklich eine angenehme Ueberraschung!« rief der Baron. »Hörst Du, Gerda, der Herr Pastor will so gut sein und mit Dir singen.«

Der junge Svedenhjelm richtete sich auf: »Vielleicht könnte ich doch am Ende ...« Doch Major Axelsson ergriff ihn beim Arm: »Nein, meiner Treu, jetzt muß der Pfaffe dran. Das soll ein Spaß werden, den singen zu hören!« flüsterte er.

Fräulein Gerda war in hohem Grade musikalisch, und ihr Vortrag würde selbst einer Künstlerin Ehre gemacht haben, aber ihre Stimme war, wie es so oft bei kräftig ausgebildeten Gestalten der Fall ist, klein und dünn und konnte, trotz der besten Ausbildung keine irgendwie bedeutendere Wirkung hervorbringen; es war ein reiner Sopran, aber von geringem Umfange und ziemlich kraftlos.

Arvid's Tenor klang warm, schmeichelnd, lyrisch schön in vollen Tönen durch den Saal. Es war eine herrliche Stimme, und die einzige Jugendfreude, der einzige Lebensfrühling, die einzige Studentenlust, die Arvid in Upsala, der Stadt der ewigen Jugend, gekostet, hatte ihm die Sangesgöttin geschenkt. Nun erwachten alle alten Erinnerungen, und mit der Macht des Gesanges erhob er sich über Alle, die den Bauernsohn und Landpastoren über die Achsel ansahen, selbst über sie, der auch die Gabe des Gesanges zugefallen war und die sich von dem feurigen Wechselgesange begeistert und getragen fühlte.

»Ich glaube kaum, daß ich es wagen kann, mehr mit Ihnen zu singen, Herr Pastor Magnussen. Ich konnte nicht ahnen, daß Sie ein so großer Sänger sind«, sagte Gerda, als die letzten Töne verklungen waren.

»Das wird auch nicht nöthig sein, wofern Sie es nicht geradezu befehlen, meine Gnädigste, denn mit Eiergrog und Fliederthee hoffe ich bald – hm – wieder dazu bereit zu sein«, versicherte der junge Svedenhjelm und drehte nervös seinen langen, blonden Schnurrbart.

»Aber warum in aller Welt gingen Sie nicht zur Oper?« forschte Gräfin Svedenhjelm malitiös.

»Ha, ha, ha, das sollten gnädige Gräfin nicht eher gefragt haben, als bis Sie den Herrn Pastor hätten predigen hören. Darin ist er eben so ausgezeichnet«, rief der Baron.

Als der Pastor sich nach dem Abendessen erhob, um Lebewohl zu sagen, drückte der Baron ihm kräftig die Hand.

»Kommen Sie bald wieder, Pastor! Sie sind stets herzlich willkommen, natürlich mit Ausnahme der Sonntage, wo Sie ja zu Hause bleiben müssen, um den Quislingern kein Aergerniß zu geben. Aber à propos, was würden die Quislinger wohl gesagt haben, wenn sie Sie eben am Klavier gesehen und gehört hätten.«

Arvid neigte stumm das Haupt und gestand sich die Richtigkeit dieser leicht ironischen Bemerkung. Verletzter Stolz, Begehren den Herrschaften auf Hjelmskog und ihren Gästen zu zeigen, daß selbst ein Pastor in Quislinge Talent haben könne, hatten ihn verlockt, ein weltliches Liebeslied zu singen. Das war gewiß nicht wohlgethan oder – hatte vielleicht der theologische Zwang die Grenzen und das Leben eines Predigers und sein Recht, dies Leben zu genießen, zu eng gezogen? Hatte er nicht eben so gut wie Andere das Recht, sich als Mensch zu fühlen?

Arvid wußte es nicht. Er fuhr an dem linden Frühlingsabende recht unzufrieden mit sich selbst heim, und noch gegen Morgen lag er wach und starrte zu der niedrigen, leimfarbenen Decke empor, wo er eine wirre Menge Schatten zu sehen glaubte, die bald zu dem sardonischen Lächeln der Gräfin Svedenhjelm, bald zu einem blonden Schnurrbart, bald zu Bileam's Esel und bald – und das war das Allerschimmste – zu zwei großen, braunen Augen wurden, die ihn überall verfolgten, wie er sich auch im Bette herumwarf, und die selbst durch seine Augenlider blickten, als er eigensinnig zu schlummern versuchte.


 << zurück weiter >>