Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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VII.

Großer Besuch in Quislinge

Es war eigentümlich, daß der alte Oern nun seine Tage unter der liebevollsten Fürsorge beschließen sollte, nachdem er in seinem Leben so lieblos und hart gewesen war. Mutter Martha's Suppenschüssel und der feine Bordeaux aus dem Hjelmskoger Keller standen vertraulich auf dem Tischlein im Krankenzimmer bei einander und in das eine der beiden vorhandenen Wassergläser setzte Gerda jedes Mal, wenn sie kam, einen frischen Blumenstrauß.

Und wenn sie so die Stätte der Armuth ein Bischen freundlicher gemacht, sich nach dem Befinden des Fahnjunkers erkundigt, die Wärterin bezahlt und ihr Geld für den Haushalt gegeben, dann hatte sie ja die Pflicht der Barmherzigkeit erfüllt und hätte zu anderen Armen, in ihr glückliches Heim, zu ihrem Bräutigam eilen können. Aber doch verweilte sie noch, sie wußte nicht weshalb; es war, als erwartete sie Etwas, sie wußte nicht was. Schließlich fragte sie die alte Katharine nachlässig, gleichartig:

»Ist der Pastor kürzlich hier gewesen?«

»Nein, seit vorgestern nicht.«

Hm! Er kam jeden zweiten Tag, grade wie sie selbst. Es war so eigen, daß sie zufällig jedes Mal am selben Tage kamen. Nun, ihr konnte das ja einerlei sein.

Da knarrte das kleine, zerbrochene Gartenpförtchen, feste, rasche Schritte ertönten auf dem Kieswege, und ein schwarzer Rock schimmerte durch das Fenster.

Zwei Geschwisterkinder, die sich am Sterbebette eines Millionärs gegenseitig den Rang im Testamente abzulaufen bemühen, hätten nicht aufmerksamer und liebevoller gegen den sterbenden Onkel sein können, als es diese beiden Menschen gegen den alten Oern waren. Aber dazu hatten sie auch Zeit. War man nur zu Mittag wieder zu Hause, so war es ja gut, und die ungeduldige Zuleima, die scharrte, wieherte und wartete, kam nicht immer mit.

Hier draußen im Rahmen der armen Hütte und der hohen dunkelgrünen Tannen nahm sich Arvid besser aus als in Hjelmskog's Salon. Hier trat die feste Männlichkeit, das weiche Gefühl seiner Natur ohne den Beischmack eckiger Bewegungen und linkischer Manieren hervor. In dieser Umgebung wuchs er, so schien es Gerda; im Salon schrumpfte er zusammen. Dort ließ sie sich freundlich zu ihm herab, hier begann sie zu ihm aufzusehen.

So wanderten sie durch den Wald nach Hause, manchmal eifrig plaudernd, manchmal schweigend; aber jedes Mal, wenn sie sich trennten, meinten sie viel gehört, gesehen und gelernt zu haben. Oft sprachen sie davon.

»Ein solches Sterbebett ist lehrreich, Baronesse.«

»Ja. – Ich glaube, daß sich hier mein Gesichtskreis für so Manches, was mir bisher fremd war, erweitert hat«, antwortete Gerda mit strahlenden Augen.

Der alte Oern hatte die ganze Zeit geschlafen; der Pastor und Fräulein Gerda hatten auf einem umgefallenen Baumstamme in dem Gärtchen gesessen.

Aber daheim auf Hjelmskog in der alten, zur Manege eingerichteten Brauerei ritten Graf Axel und Baron Gösta »volta!« »avancé!« und »grade durch!« zum Schluß auch noch »spanischen Tritt«. Sie probirten heute zwei junge, auf dem Hofe aufgezogene Pferde. Die beiden Gentlemen arbeiteten im Schweiße ihres Angesichts, nahmen dann eine Dousche im Badehause am See und kamen in correcter Toilette, guter Transpiration, bester Laune und mit vortrefflichem Appetit zu Tisch.

»Meiner Treu, man erzieht sich selbst, wenn man den Charakter eines so jungen Geschöpfes studirt«, sagte Graf Axel.

»Ja, und eines so intelligenten Mädchens!« fiel die gnädige Gräfin Svedenhjelm ein, die draußen auf der Terrasse ihres Sohnes Bemerkung mit angehört hatte und mit dem kleinen, grauen Kopfe beifällig dazu nickte.

»Hm! Ja, sie auch, Mama, aber eben sprachen wir eigentlich von Pferden.«

Auf dem Lande wird es selbst für eine größere Familie langweilig, wenn man alle Nachbarn besucht, alle Aussichtspunkte bestiegen, alle Holme durchstreift und alle Croquetplätze ausprobirt hat. Ein solcher Tag lag schwer auf Hjelmskog, und deshalb schlug der alte Baron gähnend vor:

»Wollen wir heute nicht einmal den Pastor heimsuchen?«

»Lieber Casimir, zwei Meilen in diesem Staube bei dieser Hitze, das hält man nicht aus.«

»Nein, ich meine nicht den Präpositus in Sjöreda, sondern den Quislinger, den Troubadour Magnusson.«

»Er ist ja Junggeselle und hat es gewiß recht dürftig. Wir setzen den armen Menschen nur in Verlegenheit. Er hat uns niemals dazu aufgefordert.«

»Unsinn, gerade, weil er Junggeselle ist, kann er uns so kurz wie möglich abfertigen. Mit einem Glas Wasser, wenn er will. Hat er einige Tropfen Himbeersaft hineinzugießen, so ist es ja vortrefflich. Nachher fahren wir wieder heim. Wir wollen uns ihm nicht zum Abendbrod aufdrängen.«

Arvid stand vor dem Bienenhause an der Stallthür, wo die Südsonne brannte und Millionen von kleinen fleißigen Arbeitern umhersummten und sich, belastet mit der Ernte des Tages, in die Oeffnungen der Bienenkörbe drängten. Den Rock hatte er drinnen in der Kammer gelassen. Er war Bauernjunge und als solcher mit dem Leben und den Gewohnheiten der Bienen vertraut. Die Bienen krochen auf seinen Hemdsärmeln umher, er konnte sie furchtlos mit den bloßen Händen anfassen. Sie fühlten instinctiv, daß er ein Freund war.

Die Liebe ist überall in der Natur mächtig.

Die Bienen interessirten ihn überdies wie nichts Anderes. War er bei ihnen, so sah und hörte er weiter nichts, und deshalb bemerkte er, als er zufällig aufsah mit Schrecken, daß zwei volle Wagen, auf denen die Hjelmskoger Herrschaften saßen, vor der Veranda hielten, das will sagen, zwischen ihm und seinem Rocke. Sein erster Gedanke war, das Hasenpanier zu ergreifen, sich in die Küchenthür zu schleichen, Luise nach dem Rock zu schicken und so die Situation zu retten. Aber er war ungewiß, ob seine Mutter zum Empfange des Besuches angezogen war, und schauderte vor dem Gedanken, sich lächerlich zu machen, wenn ihn die Gäste zufällig fortlaufen sehen sollten. Er sah die unglückseligen Hemdsärmel an. Es war erst Dienstag, und sie waren blendend weiß. Doch noch ein Glück im Unglück. Mit dem Muthe der Verzweiflung trat er näher:

»Ich bitte tausend Mal um Entschuldigung, daß ich mich so habe überraschen lassen, doch wenn die Herrschaften mir gütigst gestatten wollen, eine halbe Minute verschwinden zu dürfen, so werde ich gleich die Ehre haben. Sie willkommen zu heißen.«

»Hier ist Dein Rock, Arvidchen!« tönte eine schüchterne Stimme, und der Pastor hatte nun das Vergnügen, seine Mutter sämmtlichen Herrschaften vorstellen zu müssen. Die Uebrigen verbeugten sich aus der Entfernung, nur der Baron und die Baronin Stålsköld drückten der Alten die Hand.

»Sehr erfreut, Frau Magnusson's Bekanntschaft machen zu können«, versicherte der Baron.

»Nein, nein, um Gottes Willen!« wehrte Mutter Martha ab.

Arvid lächelte gezwungen.

»O nein, meine Mutter will nur nicht »Frau« angeredet werden. Sie ist eine einfache Bäuerin und gewohnt, bei Hoch und Gering Mutter Martha zu heißen. Aber, bitte, treten Sie näher, meine Herrschaften. Es ist sehr freundlich von Ihnen, meinem geringen Hause diese Ehre zu erweisen.«

Graf Axel trat an eines der kleinen Fenster nach der Seeseite.

»Sieh hier, Gösta! Eine charmante Reitbahn von hier bis zur Landzunge dahinten, wenn der See nicht steigt. Ruhig und beschattet.«

»Nun, wie gefällt es ... Mut ... Ihnen hier draußen in Quislinge?« fragte die Baronin, als sie glücklich in der Ecke des Sophas der seligen Frau Lündberg gestrandet war.

»Oh, theuerste Frau Baronin! Wie sollte es mir nicht gefallen, wenn Arvid es so gut getroffen hat.«

»Lachen Sie nicht über meine alte Mutter, Frau Baronin!« bat Arvid. »Was dem Einen armselig scheint, das hält der Andere für herrlich, und Sie können glauben, Mutter und ich haben es schlechter gehabt als jetzt.«

»Ja, Herr Gott, wie wir es gehabt haben! Aber nun darf ich wohl etwas Moltebeersaft und Wasser holen?«

»Danke vielmals! Es thut uns so leid, daß wir Ihnen Mühe machen.«

Baron Gösta erkundigte sich nun bei Arvid:

»Aber, Pastor, wie schlagen Sie hier bei den Bauern nur die Zeit todt? Treiben Sie vielleicht Sport?«

»Oh ja, ein wenig«, antwortete Arvid und es zuckte dabei in seinen Mundwinkeln.

»Nein, wirklich?«

»Jaha, Baron; sehen Sie das Häuschen da drüben?«

»Aha, Gymnastik? Aber verzeihen Sie, das sieht ja aus wie ein Holzstall.«

»Das ist es auch, und die Apparate sind ein Holzblock und eine Säge.«

»Ha, ha, ha! Ich habe gehört, daß es Prediger giebt, die eine Rosinante besteigen, wenn sie ihre Gemeinde besuchen. Reiten Sie nicht, Herr Pastor?« fiel Graf Axel ein.

»Nein, ich habe einen körperlichen Fehler, der mir dies Vergnügen verbietet.«

»Sie sehen ja so gesund aus, Herr Pastor?«

»Ja, krank bin ich auch, Gott sei Dank, nicht.«

»Würde es indiscret sein zu fragen, was den schwedischen Turf des Vorzuges beraubt, den Herrn Pastor unter seinen Anhängern zu finden?«

»Durchaus nicht. Ja, sehen Sie, meine Herren, meine Beine sind viel zu lang für Quislinge's kleinen Pålle. Die würden unausgesetzt an den Boden schrammen. Verzeihen Sie, meine Mutter will Etwas von mir ...«

Major Axelsson näherte sich den jungen Männern: »Ich glaube, der Pastor versucht, dumme Witze zu machen!«

Nun kam Luise mit dem Präsentirbrett. Als Fräulein Gerda dies sah, trat sie zu der alten Wirthin.

»Sie nehmen es doch nicht übel, Mutter Martha, wenn ich mich ein Bischen in die Aufwartung mische?«

»Gott tröste mich, ist da Etwas mit den Gläsern verkehrt, liebes Fräulein?«

»Nein, durchaus nicht! Ich sah draußen nur einen Korb mit dem allerprächtigsten Kuchen stehen. War es nicht Ihre Absicht, Mutter Martha, uns auch diesen vorzusetzen?«

»Die Kuchen! O du mein Schöpfer! Luise, Luise, bist Du denn ganz verdreht, daß Du die Kuchen vergißt. Tausend Dank, liebes Fräulein! Eine solche Schande! Nein, das muß ich sagen, ich hätte die ganze Nacht kein Auge zuthun können, wenn die Herrschaften meine Butterkringel nicht probirt hätten.«

So wurden die Kuchen geholt.

»Sie haben meiner Mutter einen großen Dienst geleistet, Baronesse«, sagte Arvid.

»Verzeihen Sie! Halten Sie mich nicht für dummdreist! Aber ich glaube, es hätte Mutter Martha die Laune verdorben, wenn wir nicht von ihrem Kuchen bekommen hätten.«

Die Mutter winkte aus der Küchenthür.

»Arvid!«

»Ja, Mütterchen!«

»Laß sie nicht fahren. Luise und ich machen ein Bischen Abendbrod zurecht.«

»Ich glaube nicht, daß sie das erwarten, Mutter!«

Das kleine, sanfte Antlitz bewölkte sich.

»Dann können sie gerne fahren, wenn Du nicht glaubst, daß Luise und ich so anrichten können, daß Du Dich nicht zu schämen brauchst.«

Arvid legte den Arm um ihren Hals und blickte ihr in's Auge.

»Liebste Mutter, ich wollte Dir nur die Mühe ersparen. Wenn Ihr, Du und Luise, Euer Bestes thut, so lade ich sogar den König getrost zum Abendessen ein!«

Im selben Augenblick kam die Baronin, um sich zu verabschieden, aber sie ließ sich leicht durch Arvid zum Bleiben bewegen, und nun ging man in's Freie, um sich die Umgebung anzusehen.

Der alte Graf betrachtete das wüste Gärtchen, das sich bis an den See hinunterzog, klemmte das Pincenez auf die Nase und meinte, hier müßten Gänge in schottischem Stil und ein kleines chinesisches Lusthaus angelegt werden, auch könnte man die alten Süßkirschenbäume durch edle Birnbäume ersetzen ...

Lina Axelsson sagte, hier könnte es ganz reizend werden, eine Weinanlage würde auf dem Abhange vorzüglich gedeihen und diesen selbst könnte man terrassenförmig bis zum Wasser abfallen lassen.

Arvid hörte zu.

»Sie sind vielleicht noch nicht darauf verfallen, Fräulein Axelsson, über eine so triviale Sache nachzudenken, wie viel Gehalt ein Pastor in meiner Lage bezieht.«

»O nein, darüber habe ich noch nie nachgedacht!«

»Nun ja, es ist so schrecklich wenig, daß er ganz gezwungen ist, seinen Garten im reinsten Tagelöhnerstil zu lassen und sich mit den natürlichen Terrassen und seinem lutherischen Tempel zu begnügen.«

»Ach, wie schade!« rief Fräulein Lina und legte das Köpfchen auf die Seite. »Aber warum petitioniren Sie nicht um ein paar Tausend Kronen mehr? Heutzutage petitionirt man ja um alles Mögliche.«

Während die Andern hier und dort herumflanierten und Arvid seine Gäste nach Kräften zu unterhalten versuchte, saß Gerda einsam auf der Veranda. Plötzlich sah sie Mutter Martha in den Salon gehen, auf eine Art angeputzt, die Gerda einen Augenblick das Gesicht vor Lachen in dem Taschentuch verbergen ließ.

Den Frauentitel hatte Mutter Martha stets bestimmt abgelehnt, aber eine Art Frauenhaube oder »Negligé«, wie die Frauen der fünfziger Jahre es nannten, hatte sie doch für die Würde einer Pastorenmutter nöthig gehalten. Und nun hatte sie nicht allein die Warptaille mit einer schwarzen Tuchjacke vertauscht, sondern auch die feine Haube aufgesetzt. Doch in der Eile hatte sie es verkehrt gemacht, die Halsbänder hingen über die von Schweiß und Eifer glänzende Stirn herab und die Gesichtskrause umschloß eng den braunen Hals.

»Nein, die Alte war zu gut, als daß alle die Fremden über sie lachen sollten!« Und Gerda ging hinein.

»Ach, liebe Mutter Martha, Sie machen sich unseretwegen zu viel Mühe.«

»Oh, Unsinn, das macht nichts.«

»Nein, welche prächtige Spitzen Sie an Ihrer Haube haben! Entschuldigen Sie, ich liebe Spitzen so sehr.«

»Kreuz, ich verstehe mich gar nicht auf so Etwas; aber fein ist es wohl, denn Arvid hat zwei Thaler dafür in der Stadt gegeben.«

»Ja, das sage ich auch, aber ich meine, die Haube würde sich noch besser aufnehmen ... darf ich? Wenn wir sie zum Beispiel so aufsetzten, oder was meinen Sie, Mutter Martha?«

»Oh, wie fühlt es sich gut am Halse an! Vorher war es gerade, als ob es sich da so stramm zöge.«

Gerda ging wieder auf die Veranda. Also dies war das Predigerhäuschen. Hier würde Pastor Magnusson Jahr aus, Jahr ein, leben. Oder vielleicht bekam er bald eine bessere Pfarre; er hatte ja »so gute Gaben«. Doch es gehörten gewiß viele Dienstjahre dazu, um aufgestellt zu werden. Nein, er würde sicher noch manches Jahr über die kleinen, knorrigen Fußböden gehen. Sollte er es hier nicht doch manchmal leer und einsam finden? Wie ein solches Leben in Stille und Armuth wohl sein möchte? Ja, wenn es zwei wären, die wirklich Etwas von einander halten und nichts Besseres gewohnt sind, dann ginge es vielleicht leichter als man glaubte. Vielleicht käme auch bald ...

»Nein, Axel, wie hast Du mich erschreckt!«

Es war der Bräutigam, der sich leise über das Geländer gelehnt, das bezaubernde, stolze Haupt an sich gezogen und einen Kuß auf die warmen, rothen Lippen, gedrückt hatte.

Aber der kleine Auftritt hatte einen Zeugen gehabt. Düster und ernst stand Arvid drinnen im Saale; seine Hände zitterten, und ehe er es sich versah, fiel die Bierflasche, die er aufziehen wollte, auf den Boden und zerbrach.

Einen Augenblick später kam Mutter Martha in den Garten, knickste und lud zu einem einfachen Butterbrod ein. Der Baron verbeugte sich vor ihr und krümmte artig den Arm.

Aber Mutter Martha, die nie in ihrem Leben zu Tisch geführt worden war, glaubte, daß der Baron etwas Schmutziges auf den Rockärmel bekommen hätte, und begann eifrig mit ihrer Schürze darauf herumzubürsten.

»Nun ist nichts mehr zu sehen«, erklärte sie, und die Gräfin, sowie die beiden Axelsson's Mädchen kamen beinahe um vor unterdrücktem Lachen.

Doch im Gesichte des Barons rührte sich keine Muskel, und als er fand, daß er unmöglich in aller Hast Mutter Martha begreiflich machen könnte, was er eigentlich von ihr gewollt hatte, faßte er sie mit einer Verbeugung ganz einfach bei der runzeligen, schwieligen Hand und führte sie, wie man ein Kind führt, hinein zum Tische, wo frische Butter, Eier, Mettwurst, ein vortrefflicher Käse und zwei braungebratene, prächtige Hähne den Gästen eben so gut mundeten, wie ein feineres Souper es gethan haben würde. Als sie fortgefahren waren, ging Arvid in sein eigenes kleines Zimmer und schloß die Thür hinter sich. Er war leichenblaß und sank mit dem Antlitz auf den Schreibtisch nieder. Der Anblick auf der Veranda, die so natürliche Sache, daß ein Bräutigam seine Verlobte küßt, hatte seine Seele wie ein Blitz getroffen und ihn in sein eignes Herz schauen lassen.

Er liebte sie! Großer Gott, daß er es nicht vorher gewußt hatte, wie theuer sie ihm war, lieber als sein eigenes Leben! Wie sollte dies enden! Barmherziger Vater! Gieb mir Sorge und Qual, aber reiße dies wahnwitzige Gefühl aus meinem Herzen! Er hörte nicht, wie seine Mutter leise eintrat.

»Arvid!«

Er rührte sich nicht.

»Arvidchen!«

Sie hob sanft sein liebes Haupt auf und erblickte große, große Thränen in den dunkeln Augen.

Da schlug sie die blaucarrirte Schürze vor's Gesicht und schluchzte: »Arvid, Arvid! O daß ich die Hähne schlachtete! Ich wußte ja, wie Du Dich über sie freutest, weil sie von einer ausländischen Rasse waren, aber weine doch nicht so, Kind, über zwei seelenlose Geschöpfe!«


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