Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Inspektor Bergmann

»– – – – und so hoffe ich denn, mein lieber Bergmann, daß ich mit Ihnen zufrieden sein werde. Mißgriffe und Dummheiten verzeihe ich gern, aber was ich verlange, ist Treue, unwandelbare Treue.«

»Wie der Herr Graf befehlen ...«

Das war der junge Inspector Bergmann, der beim Grafen auf Härensborg Anstellung erhalten hatte.

Und er diente sein Probejahr und der Graf war zufrieden, und er diente zwei Jahre und der Graf gab ihm von selbst Gehaltszulage, und als er die Ernte des dritten Sommers hereingebracht hatte, wurde im Inspectorhause hübsch tapezirt und neue Fußböden gelegt. Und die Tapeten nahmen sich so nett aus, daß die Haushälterin jedes Mal, wenn sie über den Hof ging, durch das offene Fenster nach ihnen hinschielen mußte. Und wenn die Erzieherin spazieren gehen wollte, ging sie erst immer hinein und fragte den Inspector, in welchem Hagen der böse Stier gerade wäre.

Man wird doch wohl das Recht haben, um sein Leben bange zu sein, wenn man auch nur eine arme Lehrerin ist!

Besonders wenn der Inspektor mindestens ebenso hübsch ist wie die Tapeten. Drei Ellen und zwei Zoll, hoch und schlank, braunes Haar und braune Wangen. Und dabei dunkelblaue Augen, die so treuherzig aussahen, wenn er betheuerte: »Ich versichere Sie, Mamsell, daß der Stier heute gar nicht hier in der Gegend ist.«

Denn dazumal nannte man die Erzieherinnen noch »Mamsell«.

»Aber, Herr Bergmann, wenn Sie doch mit mir durch die Pforte kommen und nachsehen wollten ...«, schlug die Mamsell vor.

Und dann lächelte er und begleitete sie höchstens 500 Ellen weit, aber dann mußte er stets nach der Dreschmaschine oder den Kartoffeln oder den Füllen sehen, denn treu war er, unwandelbar treu.

Als das kleine Fräulein Julia reiten lernen sollte und der alte Graf sie nicht immer begleiten konnte, hatte Inspektor Bergmann mehr Zeit. Da konnte es vorkommen, daß Knechte und Tagelöhner sich ordentlich verschnaufen konnten; da konnte es vorkommen, daß Inspector Bergmann zwei ganze Stunden fortblieb. Er konnte ja ebensogut mit wie der Kutscher. Der Abstand zwischen ihnen Beiden und Fräulein Julia war gleich unmeßbar. Aber wie unvorsichtig Fräulein Julia auch war und wie muthwillig auch »Gabriele« unter ihrer federleichten Bürde tanzte, immer brachte Bergmann sein Fräulein sicher heim. Und ihr loses, langes, braunes Haar wallte ungeordnet um das weißrothe, pfirsichweiche Gesichtchen, die fünfzehnjährigen Augen glänzten und die Wangen des Inspectors brannten und sein Herz klopfte. Doch sie sagte Nichts und er sagte Nichts, denn treu war er, unwandelbar treu.

Dann als Fräulein Julia sechzehn war, und die jungen Adligen der Provinz ihren Adelskalender durchgelesen und sich über das Areal an bestellbarem Feld auf Härensborg informirt und herausgebracht hatten, daß die Gräfin viel zu kränklich sei, als daß man hoffen konnte, sie würde Fräulein Julia noch Geschwister schenken, da brauchte sie Inspector Bergmann immer seltener auf den Spazierritten zu begleiten. Da kamen junge Vettern und Halbvettern und andere junge, wohlgestaltete, sportliebende Herren aus der Gesellschaft, und Alle wollten sie Fräulein Julia Gesellschaft leisten, so daß manchmal selbst die Arbeitspferde gesattelt werden mußten.

»Darf man fragen, wer der junge Mann da in den Runkeln ist?« konnte da Einer der Cavaliere, der nach der Seite des Weges blickte, ganz plötzlich fragen.

»O, das ist Bergmann, Inspector Bergmann, ein sehr netter Mensch«, versicherte Fräulein Julia.

»Hm ... aber sollte nicht diese große Besitzung einen erfahreneren Inspektor erfordern?« meinte Vetter Georg, klemmte das Monocle fester in's Auge und meinte innerlich, daß Inspector Bergmann durchaus nicht wie ein Inspector aussähe.

»O gewiß nicht! Bergmann ist so treu, unwandelbar treu«, fiel Fräulein Julia ein.

Und mehr erfuhren die jungen Herren nicht von Inspector Bergmann, denn diesem wurde natürlich nicht gestattet, »mit bei Tisch zu essen«.

»– – – – und dann müssen wir die Thüren ein Bischen mit Grün verzieren und Guirlanden zu den Balkonpfeilern haben. Ordentlich fein, denn ... ja, Ihnen, Herr Bergmann, kann ich es ja heute schon sagen: morgen verlobt sich Comtesse Julia mit meinem Neffen, dem Grafen Georg; aber still davon bis morgen.«

»Wie Herr Graf befehlen«, sagte Inspector Bergmann und verbeugte sich tief.

»Herr Gott, sind Sie krank, Herr Inspektor?« sagte die Haushälterin, die Herrn Bergmann auf dem Hofe begegnete und ihm aus ihren kleinen, braunen Augen warme, liebevolle Blicke, zuwarf.

»Wie so, Mamsell Grete?«

»Herr Jesses, Sie sind ja so bleich, daß man sich darüber erschrecken kann«, sagte die Mamsell und eilte in die Küche, um ihrem Günstling etwas recht Stärkendes zu Mittag zu kochen.

Ehrenpforten und grüne Guirlanden auf Balkon und Verlobung und seiner Zeit auch Hochzeit, und die durfte sogar Bergmann mitmachen!

Eine alte, adlige Wittwe begegnete ihm auf der Treppe, als er hoch und stattlich in seinem neuen Gesellschaftsanzuge ankam.

»Einer der Trauzeugen, vermuthe ich?« lächelte die verwittwete Gnädige.

»O, Tante, das ist ja nur der Inspector«, erklärte eine der Brautjungfern.

»Nun, das muß ich sagen, das ist doch wieder auch so eine von Vetter Heinrich's philanthropischen Ideen, einen solchen Menschen zur Hochzeit zu laden«, flüsterte die Gnädige.

Und Alles ging seinen ebenen, herkömmlichen Gang, Trauung und Diner, Reden und Hochrufe und Verse auf die Brautjungfern, Nachfeier, Hochzeitsreise und Heimkehr des jungen Paares, das sich im Flügel von Härensborg einrichtete. Und dann kam da ein Söhnlein, und wie Saat und Ernte mit einander abwechseln, so kamen ihrer Zeit auch feine Särge mit silbernem Wappen für das alte gräfliche Paar.

»Sie bleiben wohl bei uns, Herr Inspector?« sagte Graf Georg, als Bergmann bei ihm war, um die Inventaraufnahme mit zu unterschreiben.

»Ich weiß nicht ... ich habe ein kleines Gut von einem Onkel geerbt und ...«

»Nun, nun, Herr Bergmann, thun Sie uns das nicht an!« bat Gräfin Julia und klopfte ihm auf die Schulter.

Der Inspector blickte das milde, schöne Gesicht in der Trauerhaube einen Augenblick lang an, sah auf die kleine weiße, nun ein Bischen rundliche Hand, die auf seiner Schulter ruhte, nieder. Sie regierte ihn damit ebenso leicht, wie sie einst »Gabriele« gezügelt hatte; er verbeugte sich und antwortete:

»Wie Euer Gnaden befehlen.«

Und dann ging er in seine einsame Wohnung, wo die hübschen Tapeten verblichen waren, und in die jetzt keine warmherzigen Haushälterinnen mehr verlangende Blicke warfen, und als er sich dort an den Tisch setzte und in's Wirthschaftsbuch blickte, da fühlte Inspector Bergmann, daß er nicht eine Woche würde leben können, ohne sie zu sehen, die ... hm ... »Andreas in Fållen zwei Tage krank. Erich aus der Seehäuslerei das Bein gebrochen und sieben Wochen fortgeblieben. Lenau aus Ekenas ... Pfui, schämt Euch, Ihr alten Augen, wollt Ihr mir das Wirtschaftsbuch naß machen ...«


Der junge Graf auf Härensborg lebte flott und kostspielig. Es ging noch an, so lange Graf Georg lebte, der sich dem widersetzte, aber als er im Alter von nur einigen fünfzig Jahren abgerufen wurde, da versilberte Graf Heinrich Alles, was an Korn und Vieh auf dem Gute war. Als das nicht reichte, erhielt Inspector Bergmann den Befehl, die Wälder zu verkaufen. Als es mit dem Walde zu Ende war, mußte der Inspector mit immer größeren Hypothekenscheinen zum Landtag reisen, und als gar Niemand mehr borgen wollte, reiste der junge Graf Heinrich an einem düstern Novembermorgen nach Amerika ab. Am selben Morgen überdies noch, wo es entdeckt werden mußte, daß er ganz auf eigene Hand einen Wechsel mit drei Unterschriften ausgestellt hatte.

Gräfin Julia's Haar ist so weiß, so weiß geworden. Die roth und weißen, pfirsichweichen Wangen sind gelb, sehr, gelb, und der Rücken, der grade und schlank einst auf »Gabriele« geschaukelt hat, ist sehr krumm.

Inspector Bergmann ist auch alt. Der Schädel ist kahl und die Augen fangen an trübe zu werden. Aber der Greis hält sich noch grade, und es sieht beinahe aus, als sei er jetzt heiterer als früher.

Aber nicht mehr in den Salons von Härensborg empfängt er die Befehle der Gräfin und erstattet ihr Bericht. Härensborg ist längst unter den Hammer gekommen, und der alte Inspektor hat nun einen kleinen, nur ganz kleinen Hof zu verwalten.

Die Frau Gräfin ist wohl ein Bischen stumpf geworden. Sie begreift nicht recht, wie es mit dem Gütchen eigentlich zusammenhängt.

»Hören Sie, Herr Inspector Bergmann« – pflegte sie manchmal im ersten Jahre zu fragen – »ist es nun auch ganz gewiß, daß Lilienthal mir gehört?«

»Euer Gnaden haben ja selbst den Bestätigungsschein gesehen.«

»Ist es ganz gewiß, daß es mein Eigen ist, so daß hierauf nicht so schreckliche Hypotheken stehen wie auf Härensborg?«

»Euer Gnaden haben selbst die Belastungsurkunde gesehen.«

»Ja, aber ich kann dies nicht verstehen, Herr Bergmann. Amtsrichter Svensson sagte ja, daß Nichts übrig bleiben würde, als wir Härensborg verkauft hatten?«

»Nein, aber nachher, als Euer Gnaden die Güte hatten, die Geschäftsangelegenheiten mir alle zu übertragen, da ... da ... hm ... glückte es mir, von den jungen Herren, für die Graf Heinrich sich verbürgt und statt derer er hatte bezahlen müssen, viel Geld wieder zu bekommen.«

»Das war Glück, Herr Bergmann.«

»Großes Glück, Euer Gnaden. Und so kauften wir denn Lilienthal. Ich habe die Rechnungen darüber.«

»Lassen Sie mich die Rechnungen sehen, Herr Bergmann!«

»Ja gewiß ... hm ... sehr gern ... ja gewiß ... hm ... das heißt ... Euer Gnaden hatten früher stets Vertrauen zu mir ... hm ...«

»Nein, lassen Sie die Rechnungen nur, Bergmann. Ich will Sie nicht verletzen. Ich weiß es ja, Sie waren stets treu, unwandelbar treu. Und dann noch Eins, hier in Lilienthal, in unserem einfachen Alltagsleben, halte ich es für unnöthig, daß Anna zwei Tische deckt. Sie können mit mir essen, wenn ich speise, Herr Bergmann.«

»Euer Gnaden! Wie könnte ich Euer Gnaden genug für soviel Güte gegen einen alten Sonderling danken, der weiter Niemand in der ganzen Welt hat, der sich um ihn kümmert als Euer Gnaden!«

Und am Mittag kam der alte Bergmann, stolz wie ein König, um »mit bei Tisch zu essen«. An seinem eigenen Tische!


So wurde er denn zuletzt doch noch glücklich, der alte Bergmann. Er durfte sie lieben und pflegen, so viel er wollte, sie, die ihm Alles auf dieser Welt gewesen war von dem Augenblicke an, als er ihr zum ersten Male im Vestibüle von Härensborg begegnete. Es war an einem Sonntagsmorgen und sie trug ein weißes Linonkleid und kleine gelbe Schuhe.

Seine Liebe war heiliger, größer und edler, als sie gewesen wäre, wenn sich die Kluft zwischen dem Inspektor und Comtesse Julia hätte ausfüllen lassen. Es war eine romantische Jugendliebe mit siebzig Jahren. Eine Liebe, die niemals durch übersättigten Genuß geschädigt worden war, eine Liebe, die sich ungeheißen hingab. Eine alte Liebe, aber mit der ganzen Schüchternheit und Reinheit der Wünsche und Gefühle eines eben erwachten Herzens.

Alter Narr! Da saß er den ganzen Abend und betrachtete das weiße Köpfchen, die runzeligen Wangen und die zitternden Hände. Doch nicht »diese« sah er. In der Camera obscura jugendfrischer, einschmeichelnder Erinnerungen sah er Fräulein Julia mit losen, braunen Locken um die heißen Wangen mit den schelmischen Grübchen, sah sie auf »Gabriele's« Rücken und sich selbst daneben, jung und stark, aber schüchtern, ach so schrecklich schüchtern ...

»Aber, Herr Bergmann, was machen Sie da?«

»Ich? Nichts, Euer Gnaden ...!«

»Sie sitzen ja und schnalzen mit der Zunge, als ob ein Pferd im Zimmer wäre, und Sie wissen doch, daß wir kein Pferd auf Lilienthal haben.«


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