Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Die schauerlichen Gebrechen des Herren Adjuncten

Byköping, eine Eisenbahnstation, sollte einen neuen Pastorsadjuncten bekommen. Der Pastor war so alt und schwach geworden, daß er das Predigen nicht mehr aushalten konnte, und nur noch so eben an den Sonntagen zu predigen vermochte, an denen begüterte Gemeindemitglieder beerdigt werden sollten und man auf 1 Mark oder 1,50 Mark für die »Personalien« rechnen konnte. Außerdem hatte der Aermste so zitterige Hände, daß ein Versuch, armer Leute Kinder zu taufen, ganz nutzlos war; doch wenn sich wohlhabende Familien, bei denen man auf ein kleines Extrahonorar rechnen konnte, vergrößerten, dann stärkte Gott die Kräfte des alten Pastors auf so wunderbare Weise, daß er die Taufe wirklich tadellos verrichtete.

Und nun sollte er einen neuen Adjuncten erhalten, denn der bisherige war durch Gottes Gnade und die einstimmige Wahl der Nachbargemeinde dort zum zweiten Prediger erhoben worden.

Die Tochter der Cousine der Bäckerfrau hatte von einer Schulfreundin gehört, daß deren Tante bei dem Photographen in der Stiftsstadt ein Bild von Pastor Johannesson gesehen habe. Ein Bild mit einem göttlichen Backenbart, träumerischen, blauen Augen, schlanker, hochgewachsener Gestalt und Haaren, die wie ein Strahlenkranz eine hochgewölbte Stirn umrahmten, welche er unmöglich länger als höchstens zweiunddreißig Jahre besitzen konnte.

Als die Frau des Bahnhofsinspectors dies hörte, sagte sie zu ihrer Tochter: »Klärchen, ich bin so ängstlich und unruhig und habe so wunderliche Stiche in der Brust. Gott weiß, ob es wohl ganz recht ist, daß wir so viel in das verflixte Missionshaus laufen? O, ich fühle es im Herzen, daß man weit besser im Schooße der theuren Staatskirche ruht, in der ich getauft und confirmirt worden und die den Segen zum Ehebunde mit Deinem Pap ...«

Hier flossen die Thränen in Strömen über die Wangen der Inspectorin, und von nun an begann sie jeden Sonntag mit Klara in den Hauptgottesdienst zu gehen.

Und die neunundzwanzigjährige Schwester des Krämers begann ein Schaukelstuhlkissen mit Glaube, Liebe und Hoffnung in Kreuzstich zu sticken. Sie machte sowohl das Kreuz wie den Anker schon schrecklich fein, zum Herzen aber, das die Liebe vorstellen sollte, gebrauchte sie sogar vier Loth Zephyrwolle. Es heißt ja auch, daß die Liebe die größte unter ihnen ist.

Im Pastorhause wurde das beste Giebelzimmer neu tapeziert. Papa selbst meinte, daß Tapeten zu fünfunddreißig Pfennig genügen würden, aber Fräulein Amalie fiel ihm um den Hals, küßte ihn innig und sagte: »Lieber Vater, nimm welche zu fünfzig Pfennig!« Und später trug Fräulein Anna die beste, geschliffene Wasserflasche, einen selbstleuchtenden Streichholzbehälter und den porzellanenen Spucknapf aus der Eckstube hinauf.

Feldmessers hatten fünf Töchter, die alle schrecklich viel mit Lesezeichen in Perlstickerei, Lampenhütchen und Eckborden zu thun hatten. Und die Mama musterte die Fräulein mit den Blicken einer bekümmerten Mutter und commandirte und instruirte: »Sitz grade, Annette! – Kichere nicht so, Laura! Wie kannst Du glauben, daß Du so einem ernsten Manne gefallen kannst! – Mein armes Jennychen, badest Du Deine Sommersprossen Morgens und Abends auch fleißig? – Auguste, Du mußt Dir eine richtige Tournure von Moirée mit Federn nähen, Du darfst Dir nicht länger das Wiegenkissen Deines Brüderchens unterstopfen! – Kiki, mein Kind, übst Du auch die Choräle fleißig auf dem Harmonium?«

Die Tochter der Frau Hauptmann saß die halben Nächte auf, um einen Schreibtischteppich mit einem Kelch daraus fertig zu bekommen, und die Volksschullehrerin fragte Alle, die sie traf, ob sie glaubten, daß es schwer wäre, Bäffchen bügeln zu lernen.

Im Allgemeinen kann man sagen, daß sich mit dem Gerücht von Pastor Johannesson's baldiger Ankunft in Byköping sowohl der häusliche Fleiß wie der Kirchenbesuch hob.

Am Morgen des Tages, an dem Pastor Johannesson im Flecken eintreffen sollte, stampfte es derb und schnell auf der Treppe des Pfarrhauses.

»Wer kann so früh kommen?« fragte die Pastorin.

»Liebe Frau, es ist vielleicht Jemand, der mich seines Seelenheils wegen aufsucht« sagte der Pastor und legte sich eine große Käsescheibe auf das Butterbrod.

»Ja, weit gefehlt, dazu haben sie heute gewiß nicht Zeit; heute, da hier Viehmarkt ist«, antwortete seine Frau. »Du weißt ja, daß die Leute hier nicht anders Seelenkummer haben, als wenn sie die Kirchengebühren bezahlen sollen.«

Man ging nach der Thür, um zu öffnen, aber das war leichter gesagt als gethan. Die Thür stieß auf etwas Weiches, Dickes, das nicht weichen wollte, und es bedurfte der vereinten Kräfte der Hausfrau und des Pastors, sie aufzumachen.

Da standen nun vierundzwanzig sonntäglich gekleidete Mägde aus den feineren Häusern von Byköping, knicksten, dufteten nach Eau de Cologne und Lavendel, glänzten nur so von Pomade und fragten, welches Zimmer Herr Pastor Johannesson im Pfarrhause beziehen würde.

Und dann gingen sie dort hinein und begannen Bündel aufzuknüpfen und Körbe ohne Ende zu öffnen. Es waren nun zufällig nicht mehr als vier Ecken im Zimmer, aber die Mägde brachten neun Eckborde mit. Ein Sattler wurde geholt und er brachte je zwei übereinander und eine im Vorzimmer an. Ferner waren da Weinflaschen, Cigarrenkisten, Delicatessen, Apfelsinen, Reinetten, Weintrauben, Confect, Conserven, Tischdecken, Wonneklöße, einige Dutzend Bäffchen, ein gestickter Stiefelknecht, sieben Ofenklappenschnüre, elf gepolsterte Uhrbehälter, fünf Kissen, unter die Stutzuhr zu legen, und noch andere Dinge, die ich nicht so genau specificiren kann, jedes war mit einer Visitenkarte versehen. Und die Mägde knicksten, strichen sich den Scheitel glatt, schoben die Kopftücher wieder zurecht und sagten, das sei Alles für den lieben Pastor Johannesson, und damit gingen sie. Zuletzt kam die Kleinkinderlehrerin mit einem halben Kilogramm Brustbonbons, denn sie hatte von einer Bekannten, die dem lieben Pastor Johannesson in der Stadt begegnet war, gehört, daß er mitten auf der Straße gehustet hatte.

Mittags kam Pastor Johannesson und brachte die milden, blauen Augen und das lockige Haar mit. Auf dem Perron war es so voll von Damen, daß selbst der Himmel nicht viel voller von Engeln sein kann. Und der Pastor lüftete den Hut, und der alte Pastor schloß ihn in seine Arme, und die Damen drängten sich heran und sagten:

»Mein Name ist Frau Bergqvist und dies ist mein Töchterlein. Wenn Sie einmal in Amtsangelegenheiten schnell Fuhrwerk brauchen, so lassen Sie es meinen Alten nur wissen. Von Bezahlen ist natürlich keine Rede.«

»Dienerin! Mein Name ist Frau Lindqvist. Meine Töchter: Annette, Laura, Jenny, Auguste und Christine. Die lieben Kinder mühen sich mit ihrer Sonntagsschule rein zu Tode. Ach, helfen Sie ihnen, Herr Pastor, helfen Sie ihnen!«

»Herr Pastor, mein Name ist ...«

»Nein, nun müssen Sie wirklich Herrn Pastor Johannesson mit uns gehen lassen, damit er einen Bissen zu essen bekommt«, sagte die Pastorin ein wenig süßsauer. »Ach, ich habe Ihnen ja noch nicht einmal meine eigenen Töchter vorstellen können: Amalie – ach, Herr Pastor, die müssen Sie auf dem Harmonium spielen hören!«

Und der Pastor ging auf sein Zimmer und bürstete sein lockiges Haar, betrachtete seine Geschenke mit den milden blauen Augen und sagte zu dem alten Pastor:

»Hier im Flecken scheint eine erfreuliche geistige Erweckung zu herrschen.«

»Hm! ja, nicht so ohne«, antwortete der alte Pastor.

In Byköping wohnte auch ein Gutsbesitzer Kohlberg mit Frau und einer einundzwanzigjährigen Tochter. Der Gutsbesitzer war sein ganzes Leben hindurch ein lustiger, leichtsinniger, gottloser Mensch und geistig sehr verderbt gewesen, und wenn seine Magd kurz vor der Grogstunde (sechs Uhr) an die Thüren klopfte, so wußten die Herren im Flecken stets, daß ihnen ein vergnügter Abend bevorstand.

Nun kam die Magd wieder, und die lustigen Knaben machten sich schon auf eine gemüthliche Scatparthie bei Freund Kohlberg gefaßt, doch die Magd bestellte nur Grüße und sagte, »daß Gutsbesitzer Kohlberg und Frau die Herrschaften um sechs Uhr – zur Bibelstunde von Pastor Johannesson willkommen hießen.«

Und Kohlberg's hatten volles Haus, und Frau Kohlberg seufzte gottesfürchtig und spielte Choräle auf dem Clavier, und Herr Kohlberg strahlte vor innerer Befriedigung, und Alle waren schrecklich freundlich, fromm und interessirt, als der Pastor seine Handschuhe auszog und seinen Text auswählte.


Er hatte wohl so ein fünf oder sechs Verse gelesen und blickte auf, um seinen freien Vortrag zu beginnen, aber – beinahe wäre er vor Schrecken über das, was er sah, vom Stuhle gefallen:

Alle sahen wenigstens um zehn Jahre älter aus als im Augenblick zuvor, die freundlichen Mienen waren wie fortgeblasen, überall starrten ihm böse, drohende Augen entgegen; die Väter lächelten höhnisch, die Mütter waren bleich und sahen aus, als hätten sie beim Nachzählen der Wäsche gefunden, daß mindestens fünf Servietten vom neuesten Damastgedeck fehlten; die Mädchen verzogen bitter und überlegen den Mund.

Die Bibelerklärung wurde sehr kurz und nach derselben war Pastor Johannesson's ganze Liebenswürdigkeit total weggeworfen. Er versuchte umsonst mit dem Einen nach dem Andern ein Gespräch einzuleiten.

»Liebes Fräulein Lindqvist, wann wollen wir mit der Sonntagsschule beginnen?«

»Pfui, aus der Schule mache ich mir gar nichts. O, wenn ich nur an die schmutzigen Gören denke ...«

»Könnte ich wohl morgen eins Ihrer Pferde miethen, Herr Bergqvist? Ihre verehrte Frau Gemahlin hatte die Liebenswürdigkeit, mir anzubie ...«

»Morgen sind die Pferde anderweitig in Anspruch genommen, übermorgen auch und ich glaube, den ganzen Frühling hindurch.«

»Wir wohnen gewiß Stube an Stube im Pfarrhause, Fräulein Anna. Es wird mir ein besonderes Vergnügen bereiten, Sie auf dem Harmonium spielen zu hören. Ihre Frau Mutter erwähnte ...«

»Ich glaube nicht, daß daraus viel werden wird. Ich amüsire mich eigentlich am liebsten mit meinen Freundinnen. Eine lustige Polka auf dem Clavier, das ist etwas Anderes ...«


Der Pastor glaubte zu träumen und kniff sich verstohlen in die Nase, um zu fühlen, ob er wache oder nicht. Ja, wirklich ... Aber wo war die Liebenswürdigkeit der Byköpinger geblieben?

Frau Lindqvist hatte nicht Zeit gehabt, zur Bibelstunde zu gehen. Sie hatte so viel mit den Vorbereitungen zum nächsten Tage zu thun, wo der liebe, liebe Pastor Johannesson zum Souper kommen würde, und sie war gerade dabei, eine Stiege Eier zu all' den leckeren Speisen aufzuschlagen, als ihre Jenny mit hochrothen Wangen und schiefsitzendem Hut in die Küche stürmte.

»Spare die Eier, Mama! Er ist kein einziges werth!«

»Kind, was sagst Du da!«

Und Fräulein Jenny warf den Hut auf den Spültisch, die Handschuhe in den großen Eisentopf und sich selbst in die Arme ihrer besten Freundin, ihrer Mama, die sie in den Schlaf gesungen und zugedeckt hatte, als sie noch klein war, die so lange mit Papa gezankt hatte, bis er Jenny in das feinste Pensionat der Kreisstadt gegeben hatte, die nun zweimal im Jahre Kleider und Hüte für sie erbettelte und sie glücklich sehen wollte.

Und Fräulein Jenny weinte.

»Mein Liebling, was ist Dir?« fragte Frau Lindqvist.

Da erhob Fräulein Jenny ihre milden Augen, warf ihr hübsches Köpfchen mit lieblicher Grazie zurück, stützte ihre reine, uuschuldsvolle Alabasterstirn in die sammetweiche Hand und flüsterte in echt weiblicher Anmuth, so daß man es im ganzen Hause hören konnte:

»Pfui, Mama, der gemeine Kerl trägt einen Verlobungsring!«


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