Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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VIII

Der Kampf mit dem blinden Gotte

Er war nicht vierunddreißig Jahre geworden, ohne sich ein Weib erträumt zu haben.

Schon hinter den abgenützten Büchern des Gymnasiasten, durch die Reihe der Mühen und Aufgaben, hatte er im Geiste eine junge Frau schimmern sehen, die mit ihm und seiner Mutter die Freude theilen sollte, wenn das bescheidene Ziel erreicht sein würde, und der er selbst alles sein wollte. Ihr Antlitz war deutlicher geworden, ihre Gestalt mehr hervorgetreten, als er auf der Akademie die neuen Schularbeiten in neuer Form nach einander durcharbeitete und sich dem Priesterkragen immer mehr näherte. Sie war blond und mild, und ein Schatten glitt über ihre Augen, wenn an Arvid Versuchungen herantraten, deren man sich schämt, wenn man seine Braut in die Arme schließt.

War ihr erträumtes, sanftes Bild stärker als die Versuchungen?

Nicht immer. Bei einer Prüfung nach dem Maaßstabe der Pedantenmoral, würde Arvid, obgleich ihn die Kameraden als einen moralischen Pedanten betrachteten, zu leicht befunden worden sein. Aber das erträumte Bild seiner künftigen Pastorin hatte seinerseits dazu beigetragen, ihn vor dem tiefen moralischen Falle so mancher Anderer zu bewahren, und es hatte in der Energie des Fleißes und in der Armut gute Bundesgenossen gehabt.

Sie sollte sanft und blond und ein Mädchen aus dem Volke sein, das sich niemals für besser als seine Mutter halten und diese über die Achsel ansehen würde. Sie würde seine Pflichten als Pflegerin der Kranken und Freundin der Armen theilen; ihre kleine Frauenhand und große Liebe würden da durchdringen, wo der Priester ausgeredet hatte und der Mann rathlos stand. Nicht einmal die Elendesten dürften fühlen, daß sie zu fein für sie war.

Mit einem Schlage hatte das Bild Antlitz und Gestalt gewechselt. Hoch und imponirend, dunkel wie die Nacht, obgleich hold wie die Maisonne, fein im Wesen und stolz im Benehmen, hoch über ihm und seiner Mutter, durchbohrte sie Beide mit großen, braunen, glänzenden Augen, sie, die ohne darum zu wissen, sich in jedes Atom seines Herzens gestohlen hatte.

Barmherziger Gott, wie sollte es enden!

Daß sie die Braut eines Anderen war, machte ihm keine Sorge, so fern und unnahbar schien sie ihm. Eher erfüllte ihn dies mit bitterer Genugthuung; dies würde mit einem Male alle hirnverbrannten Gedanken ersticken; dies würde sie aus seiner Nähe entfernen und ihn von der Qual befreien, sie sehen und mit ihr sprechen zu müssen. –

Der alte Oern wurde schlechter und schlechter. Der Pastor konnte ihn nicht sich selbst überlassen. Aber er änderte Tag und Stunde seiner Besuche; wenn Fräulein Gerda regelmäßig jeden zweiten Tag kam, so würde er sie nicht treffen.

Das ging gut, ein Mal, zwei Mal, aber dann mußte auch sie ihre Besuchszeit verändert haben, denn als er kurz vor der Thür des alten Fahnjunkers war, hörte er ihre Stimme durch das Fenster. Und da machte er einen langen Umweg durch den Wald und kam doch wieder zurück. Unter der Tanne, an der damals Zuleima angebunden gestanden hatte, warf er sich in's Moos und ging nicht eher in die Hütte, bis er ein lichtes Kleid durch die Bäume schimmern sah.

So nahe und doch so fern!

Das erträumte Bild hatte Antlitz und Gestalt gewechselt.

Freilich, aber war nicht auch sie, das hohe, dunkle, elegante Mädchen, der Trost der Armen und die Hülfe der Kranken? Und war wohl je Eine so freundlich, so rücksichtsvoll, so zartfühlend gegen seine Mutter gewesen wie Gerda?

So fern und doch so nahe!

Sein Angesicht glühte, und er drückte es in das feuchte Moos.

Wann würde ihre Hochzeit sein?

Ihn ergriff ein Thätigkeitsfieber, womit starke Seelen gewöhnlich ihre Herzensschmerzen zu betäuben pflegen. Er suchte die Alten und Kranken an den äußersten Grenzen der Quislinger Gemeinde auf; er machte lange Wege, um dem Unterrichte in den Volksschulen beizuwohnen, und er schrieb oft seine Predigten, obgleich er wußte, daß er wohl vorbereitet sich ohne Risico auf die Eingebung des Augenblickes in Betreff der Vortragsform verlassen konnte. Auch ließ er ein Brachland für die Roggensaat zurecht machen und sah selbst täglich zwei Mal nach, was Karl und Luise vor sich brachten. Ein paar Mal war er bei Onkel Strandin in Sjöreda gewesen. Die fuchsrothe Perrücke und die freundlichen, kleinen, lebhaften blauen Augen des Alten strahlten ihm schon in der Allee entgegen. Die kleine, kugelrunde Tante Strandin kam aus der Webekammer und rief in den Saal hinein: »Kinder, er kommt!« und Eva und Lotte errötheten hastig und zogen flink die neuen, noch nicht Alltags getragenen Kattunkleider an, worin sie Beide vortheilhaft aussahen, die kleinen, wohlbehäbigen Gestalten, alle Beide schneckenfett mit runden, angenehmen, durchaus nicht häßlichen Gesichtern, blauen, bittenden Augen und einer Fülle flachsblonder Locken, die Lotte vorn auf der Stirn gekräuselt trug, während Eva einen geraden Scheitel für bethörender hielt.

Ein Mal war Mutter Martha auf dringendes Bitten mitgekommen. Da kamen die verborgenen Herrlichkeiten des Leinenschrankes zum Vorschein, und die Milchkammer wurde von oben bis unten besehen.

»Arvid, Arvid! So etwas habe ich noch nie gesehen! Hier liegen dreißig Paar frisch gemangelter Laken für jedes Fräulein und fünfundzwanzig Gedecke!«

»Ja, Mütterchen, Tante Strandin ist ebensolche Ameise gewesen wie Du, aber sie hat nicht wie Du allein für einen großen, langen Buben Sorge tragen müssen, und daher hat sie nun alle diese Schätze, während wir daheim nur fünf Gedecke und vierzehn Paar Laken haben, oder wieviel sind es?«

»Vierzehn Paar! Recht nett, Bruder, recht nett! So etwas muß die junge Frau mitbringen«, bemerkte Onkel Strandin.

»Ja, es ist so eng hier in der Vorrathskammer, daß die Leinenschränke der Mädchen bald fortkommen müssen, einer zum Wenigsten«, sagte Tante und blickte zu den Borten auf.

Als sie spät Abends heimfuhren, sagte die Mutter:

»Arvid, sahst Du, daß sie alte silberne Löffel und Gabeln hatten und Sternmuster auf dem Tischzeug?«

»Ja, Mutter.«

»Herr Gott, Arvid, wenn Du Dich da hineinheirathen könntest! Die Mädchen würden gut zu Deiner alten Mutter sein.«

Arvid hielt Pålle an und sah der Mutter tief in's Auge.

»Ich werde nie heirathen, Mutter. Nie kommt eine andere Hausfrau nach Quislinge als Du.«

»Gott bewahre uns, was sagst Du! Das wäre doch das Jämmerlichste, was man sich denken kann.« – –

Im Saale zu Sjöreda saß Onkel Strandin mit der allerlängsten Pfeife, die er besaß, im Munde.

»Was glaubst Du eigentlich, Mama? Welche von den Beiden will Magnusson haben?«

»Ja, das mag Gott wissen, lieber Alter! Mit Lotte sprach er so viel über Gartenbau und mit Eva über seinen Roggen. Ich fürchte, daß Lotte sich in den netten Menschen verliebt hat.« – –

Bald darauf verpachtete der in Sjöreda wohnende Major das Gut an einen jungen Landmann, Strömberg mit Namen. Dieser machte drei oder vier Besuche im Pfarrhause und er fiel gleich Lotten's Stirnlöckchen und Leinenschrank zu Füßen. Eines schönen Tages machte er einen feierlichen Antrag. Lotte weinte und wollte nicht »Ja« sagen.

Aber »Nein« wollte sie noch weniger sagen. »Nehmen Sie Platz, Herr Strömberg!« sagte der Präpositus und ging hinauf in die Webekammer.

»Ja, was sollen wir nun thun, Mama?«

»Ja, Herr Gott, was hat man doch für Sorgen mit den Kindern. An Strömberg ist ja nichts auszusetzen. Doch ich denke, Magnusson, der ein so feiner Mensch und dazu noch Dein Amtsbruder ist, muß zuerst sich eine aussuchen.«

So bekam denn Herr Strömberg den Bescheid, daß Lotte sich sehr geehrt durch seinen Antrag fühle, aber ihr Herzchen noch nicht genau kenne, und um diese interessante Bekanntschaft zu machen, sich eine Woche Bedenkzeit erbäte.

Ein paar Tage darauf fuhr Onkel Strandin nach Quislinge.

»Ich betrachte Dich als einen Sohn, Bruder, und will Dir darum nicht verhehlen, was der Herr meinem Hause hat widerfahren lassen.«

»Danke, Onkel! Doch kein Unglück, hoffe ich?« –

»Hm ... Das hängt davon ab, wie Du ... hm ... Das heißt, wie man es ansieht. Strömberg hat um Lotte angehalten«, sagte Onkel Strandin und blickte Arvid scharf an, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten.

»Er soll ein guter Kerl sein, seine Pachtung ist ausgezeichnet, und er hat sicherlich so viel von seinem Vater geerbt, daß er sich gut steht. Ich gratulire von ganzem Herzen!« sagte Arvid mit der ruhigsten Miene von der Welt.

»Ja ... so ... hm ... ja ... Du meinst also, Bruder, daß wir ihm Lotte geben sollen?«

»Bester Onkel, darin kann ich Euch doch nicht rathen. Das kommt doch darauf an, welche Gefühle Fräulein Lotte für Herrn Strömberg hegt.«

»Ja–a–a– ... hm ... ja freilich. Adieu, Bruder.«

Als Onkel Strandin zu Hause anlangte, ging er sofort hinauf in die Webkammer.

»Höre, Mama, sag' Stine, daß sie sich gleich zum Ausgehen fertig macht. Sie soll einen Brief zu Strömberg tragen. Magnusson ist sicher in Eva verliebt. Na, nun darf er Nichts sagen, nun konnte er sich eine aussuchen. Des Herrn Wille geschehe! So, nun heule nicht, Lotte! Mit Gottes Hülfe bekommt Ihr nun Beide einen Mann.«


Der alte Oern starb und wurde begraben, begraben von dem jungen Freunde, der etwas Abendsonne über sein düsteres Lager hatte scheinen lassen.

Als Arvid nach dem Schlusse des Gottesdienstes aus der Kirchhofsthür trat, stand dort eine Equipage aus Hjelmskog. Die Baronin, Baron Gösta und Fräulein Lina Axelsson saßen schon im Wagen, aber Gerda sprang vom Trittbrett herab und ging dem Pastor einige Schritte entgegen.

»Ja, nun ist der Alte zur Ruhe gegangen. Dank Ihnen, daß Sie ihn zuletzt auch nicht vergessen haben, obgleich ... obgleich ich Ihnen dort nie mehr begegnete. Sind Sie krank gewesen? Sie sehen so bleich aus.«

Sie sah ihm forschend in's Gesicht.

»Guten Tag, Herr Pastor! Danke für die freundliche Aufnahme neulich. War sehr angenehm! Warum lassen Sie sich gar nicht bei uns sehen?« tönte es vom Wagen her.

»Bitte ergebenst ... ich war ... in meiner Gemeinde war eine Zeit lang viel Krankheit.«

»Ach, Unsinn, Pastor! Keine Flausen! Sie sind innerhalb vierzehn Tagen zwei Mal in Sjöreda gewesen. Wir trafen neulich die beiden Fräulein Strandin, und sie erzählten es. Sie waren ganz begeistert von den häufigen Besuchen«, versicherte Fräulein Lina Axelsson.

»Vergessen Sie uns nicht; Können Sie nicht heute Nachmittag kommen?«

»Ich danke, aber ...«

Gerda hob den Kopf, sah ihn an, als fände sie seine abgebrochene Redeweise sonderbar, reichte ihm die Hand und sagte:

»Kommen Sie!«

Er kam. Er kam gegen seinen Willen, ganz wie ein Hypnotisirter. Die gräflichen Herrschaften waren nach Säfby zurückgereist. Sie konnten ihre ausgedehnte Wirtschaft nicht länger sich selbst überlassen und mußten auch noch Ein oder das Andere für die Jungen in Stand setzen.

Im August sollte die Hochzeit sein.

»Sieh da, ergebenster Diener, Herr Seelsorger! Was der Tausend, sind Sie aber mager geworden! Das sieht, meiner Seel', nicht so aus, als wolle bei Ihnen das Wort Fleisch werden!« rief Major Axelsson aus, als er den Pastor erblickte.

Die höflichere Begrüßung der Uebrigen erstickte die scharfe Antwort, die Arvid auf der Zunge schwebte.

Fräulein Gerda nahm den Gast für sich in Beschlag.

»Sind Sie mir böse? Habe ich Ihnen Etwas zu Leide gethan? War ich bei Ihnen zu Hause zu dummdreist? Ich meinte nichts Böses damit.«

»Aber, Baronesse, was in aller Welt ...«

»Nein, nein! Keine conventionellen Redensarten! Sie laufen vor mir fort, Sie verstecken sich, Sie sind unfreundlich! Was habe ich Ihnen gethan?«

»Das sind viele Fragen auf einmal, Fräulein Gerda. Wie können Sie, die Glückliche, Bewunderte, Beneidete, es der Mühe werth finden, den armen – Schloßcaplan so genau zu beobachten?«

»Pfui, wie bitter! Sie waren früher so freundlich«, sagte sie leiser und ein Schleier lag über den braunen Augen.

»Verzeihen Sie mir! Ich bin kein Weltmann und daher nicht Herr über Stimme, Gefühle und Umgangston wie ein solcher. Ich kann ja Sorgen haben, die mich wunderlich und schroff machen. Sie müssen damit zufrieden sein, Baronesse, wenn ich Ihnen versichere, daß Sie mir mit ihrer Freundlichkeit nichts als Gutes gethan haben, daß ich Ihnen dankbar bin und ...«

»Ein einziges kleines Duett, Herr Pastor! Gerda hat keinen Ton gesungen, seit Axel reiste.«

Es war die Baronin, welche bat.

Und sie sangen ...

Nun ging das Spiel mit ihm wieder an. Er jubelte in seiner Schlinge und küßte seine Bande und vergaß die Zukunft und den morgenden Tag in der Seligkeit des Augenblickes. Oh, wäre er doch in diesem Augenblicke gestorben, als er sich so an das Pianino lehnte und den weißen Fingern, die über die Tasten glitten, und dem wechselnden Ausdruck in dem dunklen, stolzen, energischen Gesichte mit verzehrenden Blicken folgte.

Kräftiger, stürmischer umwehte sie sein Geist in Dichterworte gekleidet; unter der Maske einschmeichelnder Melodien verbarg er seine eigenen Gefühle.

Ach, das Saitenspiel der Seele und der Stimme hatte – wie aus Versehen – seine Wohnung in dem Bauernsohne aufgeschlagen!

»Danke vielmals, Herr Pastor! Nun werde ich wohl nicht mehr oft das Vergnügen haben, Sie und Gerda zusammen zu hören. Wir haben in diesen wenigen Wochen noch so viel zu besorgen. Die Hochzeit wird schon im August sein.«

Hochzeit im August! Nun wohl, da ist ja Alles zu Ende. Unwiderruflich zu Ende. Warum sich dagegenlehnen, warum sich das Bittersüße versagen, noch einige Mal diese theure Stimme zu hören, in diese zauberischen Augen zu blicken! Armes Herz, genieße Deinen kurzen, vom Hagel zerschlagenen Sommer! Braune Augen, bohrt Euch in die Herzenswunde, so daß es schmerzt! Die Hochzeit wird ja im August sein!


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