Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Der alte Ajax.

Seine Augen blitzten stolz, sein Haar war schwarz wie die Nacht und dabei glänzend wie Bronze; hoch trug er die Stirn, edel war sein Gang, sein Sinn war der eines wohlerzogenen Kindes, sein Name Ajax, und er selbst rechtes Kutschpferd bei Gutsbesitzer Larsson auf Klinthamra. Gutsbesitzer Larsson war ein Tierfreund. Lange bevor die menschliche Behandlung unserer stummen Brüder vom ökonomischen Standpunkt aus anerkannt wurde, behandelte man auf Klinthamra alle Tiere wie Freunde, doch Ajax wie ein Kind, ein Kind, das der Stolz der ganzen Familie war. Und einmal, als er noch sehr klein war, hatte Karlchen ihn mit in den Eßsaal genommen, wo seine kleinen Hufe große, häßliche Furchen in den weißen Tannenfußboden machten, aber Mama Larssons fleischige Hand hatte ihm doch liebevoll die schwarze Mähne gestreichelt. Und später, als Ajax vier Jahre alt wurde, und die klaren Wintertage kamen, da fuhren vier Schlitten auf einmal unter betäubendem Schellenklang vor der Terrasse vor, um die ganze Familie auf's Nachbargut zu fahren; da standen die Kinder mit klopfendem Herzen – gerade so wie die großen Kinder, wenn eine Generaldirectorstelle besetzt werden soll – und warteten mit Spannung ab, wer den Ehrenplatz an Papa's Seite in »Ajaxens Schlitten« bekommen würde.

Er war ein alter, echter, vollblütiger Orientale von der jetzt bei Seite geschobenen Flyingerrasse, die Schweden die besten Pferde geschenkt hat. Keine unnöthig »schwere Ware«. Die Kraft war bei ihm concentrirt wie bei einem Blitz oder einem Sonnenstrahl. Wenn er über die schneebedeckte Haide dahintanzte, sah man in der ganzen edlen Gestalt nicht eine Muskel, nicht eine Unze Fleisch, die nicht folgerecht, elegant und harmonisch mit daran arbeitete, Ajax zum Ziele zu bringen.

So waren die alten Freunde von Flyingen, die ein Norling bewunderte, aber die jetzt unseren höchst aufgeklärten, hippologischen Kennern nicht mehr gut genug sind.

Ajax war es, der Karlchen reiten lehrte. Gehorsam ließ er sich in der Koppel von der kleinen, schwachen, ungeschickten Kinderhand zum nächsten Erdhügel führen, machte sich so klein, daß der Freund auf seinen breiten Rücken klettern konnte, und dann ging es fort, über Stock und Stein, ohne Sporn und Zügel. In der ersten Zeit konnte es vorkommen, daß Ajax mitten in der Fahrt eine plötzliche Erleichterung spürte, und wenn er dann stillstand und sich umwandte, lag der Reiter rücklings im Grase. Da senkte Ajax seine schwarzen Nüstern auf die Wange des Kleinen, wieherte ein leises »es war nicht so bös gemeint«, und das Spiel begann von Neuem, bis es in der ganzen Gegend keine Hecke, kein Geländer, keinen Zaun mehr gab, über die die Beiden nicht setzten.

Papa Larsson war nicht besonders von diesen Uebungen erbaut, denn seit die Einhegungen für Ajax nicht mehr vorhanden waren, konnte man ihn ja nicht mehr in die Koppel schleppen. Aber die beiden Jungen – das Pferdekind und das Menschenkind – flogen mit jedem Tage verwegener dahin, Karlchen schrie: »Hei hopp!« wenn sie mitten in der Luft über dem Hinderniß schwebten, und Ajax wieherte »alles gut«, wenn er wieder festen Boden unter den Füßen fühlte.

Karlchen wuchs auf, las fleißig in seinen Büchern und wurde Student. Ajax wurde alt und fett und ließ Zäune und Einfriedigungen in Ruhe. In den Ferien, als die beiden Freunde zusammentrafen, machte man nur noch hin und wieder einen soliden Spazierritt auf ebenem Wege. Doch manchmal klopfte der junge Kandidat sein Leibroß auf den Hals und sagte: »Hei, alter Junge, wir Beide würden doch wohl noch ein Hinderniß nehmen können?« und Ajax wieherte zustimmend, aber sie wagten es nicht, wenn es galt.

Dann kam der Sturm, der das Haus umriß. Papa Larsson starb, und Alles, alles mußte verkauft werden, um die Gläubiger zu befriedigen. Es reichte doch nur so knapp. Die älteren Brüder besorgten den geschäftlichen Theil bei der Zerstückelung des alten Heims unter dem Hammer des Auctionators, und als Karl als neugebackener Lehrer in die Heimat kam, die Brüder traf und sie nach der alten, goldenen Uhr des Vaters fragte, antworteten sie mit finsterem Stirnrunzeln:

»Verkauft.«

»Und der alte Ajax?«

»Natürlich auch verkauft.«

Lehrer Karl seufzte und versuchte zu erfragen, wohin der alte Freund gekommen war, aber das war unmöglich, denn Ajax war schon durch mehrere Hände gegangen und konnte nicht mehr aufgespürt werden.

Und Lehrer Karl wurde Extraordinarius am Gymnasium der Kreisstadt und hatte es gut; er wurde fest angestellt und wurde feiner, bewegte sich in der Gesellschaft, wurde eine gute Partie und Gegenstand des unverhülltesten Wohlwollens von Seiten der Töchter und der Mütter. Er hätte sich im Umsehen recht gut verheirathen können, wenn er nur sein Herz hätte zur Raison bringen können. Doch die Brust hatte sich geweitet, die Lungen waren gewachsen und das Herz in den frischen Knabenjahren auf dem Rücken des alten Ajax so groß geworden, daß er, Gymnasiallehrer Larsson, kein gewöhnliches, modernes, vertrocknetes Junggesellenherz besaß. Sein Herz klopfte stolz und unbändig und war sich darüber klar, daß, wenn nicht das Herz der Tochter des Cavallerieobersten mit ihm im selben Takt klopfen wollte, so würde er einsam bleiben.

Und das sagte er dem jungen Fräulein selbst, und sie betrachtete seine schöne Figur und seinen Lieutenantsschnurrbart, und hielt ihn durchaus nicht für so verrückt, wie Gymnasiallehrer Karl anfangs befürchtet hatte. Und als sie ein Bischen über die Sache nachgedacht hatte, sagte sie ihm, daß, wenn sie nicht bald Frau Larsson heißen dürfe, so müsse ihr Papa, der Oberst, schleunigst einen Platz für sie in der Klangensköld'schen Familiengruft zurecht machen lassen.

Aber der Oberst war Aristokrat und wußte außerdem, daß, wenn er seinen Abschied vom Felddienste hienieden nahm, Fräulein Agda ihre sicheren Hunderttausend in gangbaren Münzsorten und sicheren Papieren haben würde. Außerdem war er ein Militairwurm, sah nur einen Cavallerieoffizier für einen ganzen, einen Artilleristen für einen dreiviertel und einen Infanterielieutenant für einen halben, einen Gymnasiallehrer aber für gar keinen Menschen an. Als nun ein solches Geschöpf kam und seine Agda haben wollte, statt des gräflichen Rittmeisters, den er sich als Schwiegersohn erträumt hatte, machte der alte Klangensköld ein Gesicht, als hätte man ihm vorgeschlagen, ein spathlahmes Füllen zu kaufen oder sein Leibroß, seine eigene Karutschka, mit der Wassertrense zur Parade zu reiten.

Und die beiden Jungen trauerten, wie man im Frühlinge des Lebens trauert, wenn ein unerwarteter Nachtfrost auf den Rosengarten des Herzens fällt.


Draußen auf der Villa des Commerzienrathes, dicht an der Stadt, war ein Fest. Man tanzte im Salon, spielte Reifen auf dem Rasenplatz und schwärmte im Parke umher. Die ganze Jugend aus der Stadt war gebeten, Oberstens und Doctor Larsson ebenfalls. Am Rasenplatze führte die Landstraße vorbei, und plötzlich wurde der allgemeine Jubel von rohen Flüchen und sausenden Peitschenhieben unterbrochen. Man blickte auf den Weg hinaus, und dort stand ein schmutziger Heringsfahrer neben seinem häßlichen, stinkenden Wagen und ausgemergelten Pferde und schlug es, um es anzutreiben. Es war ein alter, schwarzer, zottiger Gaul, dessen Knochen gen Himmel zeigten. Im Nu tanzten Doctor Larssons flinke Hände einen munteren Hopser auf des Heringscommissionsraths aufgeschwemmten Wangen, und er hielt ihm in scharfen Worten die Unmenschlichkeit vor, ein armes, kraftloses, überanstrengtes Thier noch zu peinigen.

Doch plötzlich hielt der Doctor mit der Execution auf; er erbleichte, wurde still, schritt vorwärts und betrachtete den Gaul. Richtig! Der Halswirbel war derselbe, ebenso die beiden helleren Ränder am linken Vorderhuf, und der weiße Stern an der linken Stirnseite auch. Das war er, trotz der Erniedrigung!

Das war Ajax!

Der Doctor kam nicht zur Gesellschaft zurück. Mit Erstaunen sah man ihn das alte Thier abspannen, und ohne Ueberzieher und ohne sich zu verabschieden, sich in Gesellschaft des Heringsfahrers und dessen Wagens in der Richtung der Stadt entfernen.

»Welcher Phantast! Sie werden sehen, daß er den Bauer zur Bestrafung zur Polizei führt«, sagten die jungen Herren.

»Das wäre wahrhaftig nicht so übel von einem Schulfuchs«, murmelte der alte Oberst und drehte seinen grauen Schnurrbart.


Draußen vor der Stadt lag ein Wald, in dessen nahegelegenen Theilen die Stadtbewohner zu spazieren pflegten, wenn es auf den Straßen zu heiß wurde. Es war am Tage nach dem Feste des Commerzienrathes. In einer Lichtung standen Doctor Larsson und der alte Ajax, die früheren Spielkameraden! Das Leben hatte Beiden Prüfungen gebracht, aber für Ajax sollten diese bald zu Ende sein, denn nun hatten die Männer dahinten gleich ein hinreichend tiefes Grab gegraben, und die fieberheiße Hand des Doctors schloß sich hart um den Revolver in der Joppentasche. Er wollte dem Jugendfreunde den letzten Dienst leisten.

Nachdem am Abend vorher Ajaxens Besitzer seine fünfzig Thaler für die Schläge und den Gaul erhalten hatte und hohnlachend seinen Weg gegangen war, hatte Karl mehrere Stunden lang neben dem alten Freunde im Stalle einer Ausspannung gestanden und ihn mit dem besten Roggenbrod gefüttert. Und Ajaxens lange, alte Zähne und müde Kinnbacken hatten viel Arbeit mit dem Brode, aber er sah Karl mit einem Blicke an, der sagen zu wollen schien: »Dir zu Liebe«, und dann kaute er weiter, matt und unlustig.

Und Doctor Karl stand daneben und dachte an seine Eltern, die nun auf dem Kirchhofe schlummerten und an das alte Klinthamra, das meistbietend verkauft worden war, an den Weg über die Haide, den er wohl nie wieder sehen würde, an den Schlitten mit den gelben Rändern, der schon lange zerbrochen war, und an den stolzen, feurigen Ajax, der nun zitternd und elend neben ihm stand. – Und dann besorgte er ihm ein gutes Strohlager für die Nacht und ließ seine Hand noch einmal liebkosend über den skelettartigen Körper hinfahren und flüsterte: »Morgen, du alter Freund!«

Und nun war der Augenblick gekommen. Die Todtengräber wurden verabschiedet. Karl wollte allein mit Ajax bleiben, allein, wie sie es früher in ihren besten Tagen so oft gewesen waren. Leise setzte er den Revolver dicht unter das zottige, schlaffe Ohr, drückte ab – und dann lag Ajax zu seinen Füßen ... einige Zuckungen und Alles war vorbei.

Der Doctor warf den Revolver von sich, fiel auf die Kniee, umarmte den mageren, dünnen Hals und schluchzte: »Lebewohl und Dank für Alles, du armer, alter Freund!«

Als er aufsah, standen – der Oberst und Fräulein Agda neben ihm. In den Augen des jungen Mädchens glänzte eine Thräne, der Oberst sah merkwürdig aus, kaute an seinem grauen Schnurrbart und schluckte Etwas hinunter, was nicht da war. Schließlich sagte er:

»Bombenelement! Das war, meiner Treu, fast ebenso schön wie ein Choc gegen ein geschlossenes Quarré. Wer ein Herz für ein Pferd hat, der ist ein Gentleman, wenn er auch nichts weiter, als ein verfluchter Schulfuchs ist, und wer so gegen einen alten Gaul handelt, der wäre, beim Hufhaar meiner Karutscha! werth, vor der Front einer Schwadron zu reiten, wenn er auch nur Larsson heißt ...«

Der Oberst grüßte und ging, aber Etwas in seiner Stimme und in Fräulein Agda's Blicken sagte dem Doctor, daß »seinetwegen« keine Wirthschaft in dem von Stangensköld'schen Erbbegräbniß angestellt werden würde, daß er, obgleich nur ein armer Civilist, einen prächtigen Choc gegen ein geschlossenes Quarré ausgeführt und die Schlacht gewonnen hatte.

Lange, lange stand er entblößten Hauptes und blickte der eleganten, schlanken Mädchengestalt nach, die allmählich hinter den Föhren verschwand. Dann trat er noch einmal zu dem Pferde, schloß ihm die gebrochenen Augen und jubelte:

»So nahmen wir denn zuletzt doch noch einmal zusammen ein Hinderniß, alter Ajax!«

Merkwürdig! Es war ihm, als weiteten sich die eingeschrumpften, haarlosen Nüstern, um noch einmal zu wiehern: »Alles gut, Kamerad!«


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