Gerhart Hauptmann
Der Narr in Christo Emanuel Quint
Gerhart Hauptmann

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

In dieser Nacht, als Quint mit nassen Kompressen um den Kopf im Grünen Baum zur Ruhe gegangen war, hielten die Jünger im hinteren Zimmer des Wirtshauses bis zum Morgen Rat miteinander. Sie konnten es voreinander nicht mehr verbergen, daß ihr Glaube an Quint, seit sie in der Stadt lebten, von leisen Zweifeln getrübt und durch die Ereignisse dieser letzten Nacht, mehr noch als durch die jüngste Feldpredigt und den mit ihr verknüpften Steinhagel, geradezu erschüttert worden war.

Mit wachsender Unruhe, ja mit Besorgnis waren sie Quint in die Stadt gefolgt und, zwar gehorsam, aber doch ängstlich von Tag zu Tag eine Offenbarung erwartend, seinen Fußstapfen nachgegangen und seinen Befehlen nachgekommen. Das unbeirrte, täglich erneute Treiben der großen Stadt, das jeden Morgen, als ob es keine Erdbeben, keine Posaune des Jüngsten Gerichts, kein nahes Weltende, keinen Heiland und keinen Emanuel Quint gäbe, mit Wagengerassel, Geschrei, klappernden Menschenschritten, heulenden Dampfpfeifen von frischem begann, trug dazu bei, sie irrezumachen. In diesem allem, das ihnen neu war, lag ein gewaltiger Lebensmut und etwas wie eine kühne, entschlossene Freudigkeit. Es war mit ihren stillen, beschränkten Seelen ähnlich, wie es mit einem kleinen Weiher sein würde, wenn plötzlich ein starker und breiter Bergstrom sich seinen Weg durch ihn gebahnt hätte: der ruhige Spiegel ihres Innern ward gleichsam zerbrochen und in eine strudelhafte Bewegung zerstückt.

Als die Jünger nun, anfänglich furchtsam und flüsternd, im Hinterzimmer des Grünen Baums beim Schein einer Kerze Rat hielten, hatten sie sich in kurzer Zeit, nachdem erst das Eis gebrochen war, nicht minder im Zweifel als früher im Glauben gestärkt, wobei Emanuel nicht zum einfachen Menschen, sondern weit mehr zum Feind, zum Dämon, zum bösen Geiste sich umbildete. Emanuel wollte nichts wissen von einem sogenannten Kirchenlied. Er meinte: die schlichte, fruchtbare Einfalt der Lehre leide unter einem weichlich aufgeschwemmten Gefühl, das in einer sumpfigen Trübsal dahinsickere. Dies bekannte er eines Tages, in Gegenwart vieler, Dominik. Diese Ansicht deutete man ihm nun als Verbrechen aus. Quint hatte gesagt: »Buße? Was Buße? Tut meine Worte!« Er hatte es zu dem zerknirschten Weber Schubert gesagt, der sich vieler heimlicher Sünden anklagte. Er bedeutete Dibiez, wie der öffentliche Sündenbekenntnisdrang eine öde Falle des Satans sei. Seine Worte waren: »Der Teufel sündigt, solange der Teufel in euch ist; mag der Teufel dem Teufel Sünden vergeben! Gott aber, wenn er in euch ist, sündigt nicht: so kann er sich auch nicht Sünden vergeben, noch kann er in euren Seelen Buße tun.« War nicht, fragten die angstvollen, ja entsetzten Augen der Jünger untereinander, auch diese Ansicht teuflisch und ketzerisch?

Am allermeisten bildete aber der Verkehr Emanuels mit einer wachsenden Anzahl gebildeter Menschen für die Seinen ein Ärgernis. Sie sahen erstens, nach Art ihrer Sektengenossen, Teufelswerk in aller Bildung und Wissenschaft und besaßen außerdem jenen Haß gegen bessere Kleider, edleres Aussehen und überlegene Lebensform, der dem Paria der Gesellschaft eigen ist. Zudem waren auf Grund des Glaubensrestes, der ihnen geblieben war, die Angst, sie könnten durch jene Elemente auch im kommenden Reich um ihren Vorrang geprellt werden, und zugleich die Eifersucht auf den persönlich geliebten Emanuel Quint erwacht, und alles dies wirkte in jenen Stunden dahin, daß sie, aufs heftigste gegen ihren Meister erregt, zu entschlossenem Handeln bewogen wurden.

»Es geht nicht anders!« sagte Krezig, der Handelsmann. »Wir müssen ihm sagen, wir wollen endlich bestimmt Bescheid wissen.«

Dennoch mußten drei oder vier Tage vergehen, bis sie sich gegen den Meister herauswagten. Dieser blieb inzwischen meist allein, empfing auch die wenigen Leute nicht, die jetzt noch kamen, um seinen Rat in Lebensnöten zu erbitten, machte einsam weite Spaziergänge, einige Male mit Dominik, aber nur ein einziges Mal mit den Jüngern, die indessen in Abstand hinter ihm bleiben mußten und kaum eines Wortes teilhaftig wurden, und schien in Sorgen und Grübeleien versunken zu sein.

 

Man befand sich im Wirtsgarten eines ländlichen Gasthauses, etwa zwei deutsche Meilen entfernt von der Stadt, und auf Veranlassung Quints war das Mittagessen durch die Seinen in einem kleinen, mit frischem Sand bestreuten Tanzsälchen bestellt worden, das nach dem Garten zu offenstand. Während man unter den Kastanien auf und nieder ging, war das Geflüster der Jünger zu gegenseitiger Aufmunterung stärker und stärker geworden, und Krezig hatte sich eben gefaßt gemacht, eine vorbereitende Frage an Quint zu tun, als zur größten Verwunderung, ja zur Freude aller die Gestalt des böhmischen Josef durch ein Hintertürchen im Garten erschien.

Nachdem der Sturm des Empfanges vorüber war, Josef etwas sprunghaft auf die Menge an ihn gerichteter Fragen geantwortet hatte und Emanuel das verlorene, scheinbar wiedergefundene Schaf seiner Herde begrüßt und mit einem durchdringenden Blicke gemustert hatte, fing das Geflüster von neuem an. Quint mußte bemerken, wie die Kreise, die seine Jünger in lebhaft gestikulierenden Gruppen um ihn beschrieben, weiter wurden, ja er befand sich schließlich im Garten allein, indessen die Seinen außerhalb um das ganze Anwesen herumstrichen.

Er setzte sich nieder und lauschte dem Bienengesumm, verfolgte den Lärm einer Spatzengesellschaft, den Schwalbenflug, sog Duft von Reseda und Goldlack ein und hielt einen Maikäfer in der Hand, der abwechselnd über ihre innere und äußere Fläche krabbelte. Endlich flog der Käfer davon, Schubert, die Scharfs, Schmied John und die anderen tauchten auf, und Quinten kam plötzlich das alte unendliche Mitleid mit diesen ihn hündisch verfolgenden Leuten an.

Inzwischen hatten jene sich mit Hilfe des böhmischen Josef, auf dessen in der Ziegelei geäußerte Zweifel sie jetzt zurückgekommen waren, einen Mut gemacht, und indem sie vor ihren Verführer und Abgott als feierliche Gesamtheit hintraten, erbaten sie die Erlaubnis von ihm, eine Anzahl Fragen stellen zu dürfen. Sie ward ihnen unverzüglich gewährt.

»Wer bist du?« fragte also der erste Sprecher, Handelsmann Krezig, Emanuel.

»Erstlich der, der ich mit dir rede!« war die Antwort.

»Ist es wahr, daß du gottgesendet bist?« hieß die zweite Frage. – Die Antwort: »Meint ihr, daß der Satan sich gegen sein eigenes Reich selbst bewaffnen wird?«

»Du hast gesagt, du bist Christus! Bist du es wirklich?« hieß es weiter. – Die Antwort war: »Du sagst es, und du sagst recht daran!«

Da sprachen sie zu ihm, indem sie fast alle bleich wurden: »Was tust du für ein Zeichen, auf daß wir sehen und glauben dir? Was wirkest du?« – »Habt ihr nicht gehört, was geschrieben steht: es wird diesem bösen und mirakelsüchtigen Geschlecht, das die Zeichen der Zeit nicht siehet, kein Zeichen gegeben? Warum forschet ihr nicht in der Schrift, wo ihr doch selber meinet, ihr habet das ewige Leben darin?« sagte Quint.

Schmied John aber sagte: »Auf das Wort des Heilands sind böse Geister aus den Menschen in Säue gefahren. Er hat des Jairus Tochter, den Jüngling zu Nain und Lazarus von den Toten auf erweckt. Lazarus roch bereits, er hatte vier Tage im Grabe gelegen. Jesus verrichtete viele Wunder. Er machte Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein.«

»Ihr seid Toren«, sagte Emanuel. »Ihr, die ihr selber ein Zeichen Gottes seid, begehret Zeichen! Das macht der Feind: er hat euch gegen die Zeichen Gottes überall im Himmel und auf Erden blind gemacht. Würdet ihr glauben, wenn ich trockenen Fußes über das Wasser der Oder ginge, die dort fließt? Es stehet geschrieben: des Menschen Sohn speisete mit fünf Gerstenbroten und zween Fischen fünftausend Mann, und es wurden davon zwölf Körbe mit Brocken gesammelt, er ging trockenen Fußes über das aufgeregte Meer gen Kapernaum, und danach glaubten sie doch nicht an ihn, denn im sechsten Kapitel des Evangeliums Johannis steht zu lesen, gleich nachdem diese Wunder beschrieben sind, im dreißigsten Vers, ebendas, was ihr zu mir gesagt habt: ›Da sprachen sie zu ihm: Was tust du denn für ein Zeichen, auf daß wir sehen und glauben dir? Was wirkest du?‹«

Die Männer riefen: »Wir würden glauben! Wir würden glauben! Versuche es!«

Quint redete weiter: »Höret, der Satan sprach eines Tages zu mir: ›Mache, daß diese Steine Brot werden!‹ Des Menschen Sohn aber antwortete ihm: ›Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.‹ Des Menschen Sohn hat niemals fünftausend Mann mit fünf Gerstenbroten und zween Fischen gespeiset. Ihr Satanskinder! Warum versucht ihr mich? Des Menschen Sohn hat ihnen aber Brot vom Himmel zu essen gegeben und hat euch Brot vom Himmel gereicht, und ihr habt es in die Pfützen geworfen!« – Sie riefen mit Ungeduld: »Zeige uns dieses Brot!«

Mit einem tiefen Grauen im Ausdruck, als ob er einem Gespenst, dem ewigen Urfeind aus den Tiefen der Zeiten her unerwartet wieder ins Auge sähe, sagte Quint: »Ich . . . ich . . . ich! Ich bin das Brot des Lebens!«

Auf diese Worte des Narren in Christo trat ein verlegenes Schweigen ein; Krezig aber hatte den Mut, es auszusprechen, wie er sich nicht erinnern könnte an irgendein Brot, das Quint ihnen jemals zu essen gegeben, geschweige, daß sie es in eine Pfütze geworfen hätten. Alle, ausgenommen die Scharfs, blieben dabei, der Heiland habe Wunder getan, sowohl an anderen wie an sich selbst: denn er sei am dritten Tage nach seiner Kreuzigung und nach seinem Begräbnis sogar von den Toten auferstanden.

»Des Menschen Sohn hat gesagt: ›Ich bin die Auferstehung und das Leben!‹ Er ist es! Aber er ist niemals als ein körperlicher Leichnam aus einem Grabe hervorgegangen«, sagte Quint. »Ich bin die Auferstehung und das Leben! Wer es fassen mag, fasse es! Wem es aber der Vater gegeben hat, daß er diese Worte zu begreifen imstande ist, der und der Vater, der und der Sohn, ja der und der Geist sind eins.«

»Herr«, sagte Martin Scharf, »rede deutlich mit uns! Wir sind arme, ungelehrte Leute und verstehen deine rätselhaften Worte nicht. Bist du von deinem Vater gesendet, so kann es nicht dein irdischer Vater sein, den du meinst, sondern nur der himmlische. Öffne uns einmal nur den Himmel für einen einzigen Augenblick und zeige uns deinen Vater in seiner Herrlichkeit, so fallen wir nieder und beten dich an.«

»Martin, so lange bin ich bei euch«, sagte Quint, »und du kennst mich nicht? Wie sprichst du denn: zeige uns den Vater? Wer mich siehet, der siehet den Vater. Glaubet ihr nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist?«

Sie riefen: »Tue das kleinste Zeichen, so glauben wir! Tue das kleinste Zeichen, so fallen wir nieder und beten dich an!«

»Selig sind, die nicht sehen und doch glauben«, antwortete Quint. »Und wer mich siehet, der siehet nicht mich, sondern den, der mich gesandt hat. Wer aber den, der mich gesandt hat, nicht siehet, der siehet auch nicht mich. Wer aber den siehet, der mich gesandt hat, der betet nicht an, außer den Vater, und betet nicht anders an als der Sohn, und sein Gebet ist die Kraft der Wahrheit und des Geistes allein. Der Satan ist ein Gewalttäter, der Vater aber ist kein Gewalttäter! Und wie ihr noch heute vor Gewalttätern anbetet und im Staube liegt, vor den Königen, die da Kinder des Satans sind, und vor Satan selbst anbetet, so sollt ihr vor dem Vater nicht anbeten. Der Vater ist in euch oder der Feind, und wo er in euch ist, nämlich der Vater, so weiß er, wessen ihr bedürfet in Ewigkeit.«

Anton Scharf tobte jetzt in einer überstürzten Verlegenheit. »Wir haben geglaubt, und wir sind dir nachgefolgt. Wir haben das Unsere zu Geld gemacht, und viele von uns haben ihr Gewerbe und ihr Haus vernachlässigt. Wir haben Tag für Tag gehofft und sind des festen Vertrauens auf eine Offenbarung gewesen. Warum hast du uns in die Stadt geführt? Wozu haben wir unser Geld zusetzen müssen? Warum sind wir in diese Löcher des Lasters hinuntergestiegen? Warum umgibst du dich mit den Studierten und Vornehmen? Warum hast du dem Schuft, der dich schlug, die Hand geküßt und nicht lieber Feuer vom Himmel gerufen, ihn und die ganze Höhle der Unzucht zu verbrennen und auszutilgen?«

»Wisset ihr nicht«, sagte Emanuel Quint, »wes Geistes Kind ich bin?« Es war überraschend anzusehen, wie, durch diese enttäuschten Männer gestellt, dieser in die Enge getriebene Tischlerssohn trotzdem sein Messiasgewand nicht ablegen konnte.

»Es ist wahr, ihr habt mir euer irdisches Brot zu essen gegeben, und ich habe euch weder Gold noch irdisches Brot dafür zurückgeschenkt. Verdammt mich denn, verleugnet mich. Und wenn ihr meine Worte zwar höret, aber nicht glauben, sondern verwerfen wollt, so werde ich euch nicht richten. Denn ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern selig mache. Ich habe weder Silber noch Gold noch Brot, das ich euch zurücklassen könnte, aber meinen Frieden lasse ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt, und nicht so, wie ihr mir gegeben habt. Wer aber nehmen will, was ich gebe, der nehme und habe meinen Frieden.«

Es war zu erkennen, wie durch alle diese Reden der wankende, ja fast zerstörte Glaube der Landleute nicht gestärkt worden war. »Tue ein Zeichen«, riefen sie durcheinander. »Tue ein noch so geringes Zeichen, an dem wir erkennen, daß du wirklich der von Gott Gesendete bist!« Da stand Emanuel von dem Gartenstuhle auf, wo er gesessen hatte, und sprach: »O ihr Ungläubigen, des Menschen Sohn ist kein Wundertäter, das heißt, kein Gewalttäter. Der Wundertäter ist ein Gewalttäter. Siehe, die Gerechtigkeit Gottes umgibt euch wie ein Gewand zum Schutz vor der Kälte. Sie ist wie ein Dach über eurem Kopf, zum Schutz vor Hagel, Regen und Schnee und vor stürzenden Felsmassen. Die Gerechtigkeit Gottes ist wie ein sicheres Haus, sie macht, daß ihr aufrecht geht und steht und ihr vor Schwindel und Wahnsinn bewahrt bleibet. Der Wundertäter ist der Gewalttäter. Nur der Feind will die Mauern der Gerechtigkeit Gottes zerschlagen und die Dämme vor der Sintflut durchbrechen, der Sintflut, darin ihr alle ersaufen müßtet. Nur der Feind, sage ich euch, will Wunder tun. Des Menschen Sohn ist aber kein Wundertäter und also kein Gewalttäter, sondern ein Wohltäter. Sollte er wohl die Wohltat der Gerechtigkeit Gottes antasten wollen? Wollt ihr den Sohn gegen den Vater bewaffnen, wo doch der Vater den Sohn am Herzen trägt?

Der Fürst dieser Welt ist ein Gewalttäter. Gott aber ist kein Gewalttäter. Wenn ihr Augen hättet zu sehen und Ohren zu hören, so würdet ihr die Hölle dieser Welt, die Hölle des Abgrundes dieser Welt, die Hölle des Gewalttäters durch die Jahrtausende ächzen, stöhnen und heulen hören. Nun also: die Gewalttäter hassen mich, denn ich bringe den Frieden; weil ich aber den Frieden bringe, so hassen sie mich ohne Ursache. Ihr aber sollt mich lieben und nicht verwerfen, wie der Fürst dieser Welt, denn ich liebe euch. Werdet Gottes Kinder!

Ich sage euch: entzündet euer Licht an dem Licht, solange das Licht bei euch ist! Nur eine kleine Zeit ist es noch bei euch, dann überfällt euch die alte Finsternis. Glaubet an das Licht, dieweil ihr es habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid!«

Alle diese Worte hatten nicht den geringsten Eindruck auf Quintens Jünger gemacht: zu lange war ihre Hoffnung hingehalten, ihre Erwartung und ihre Neugier getäuscht worden. »Rede deutlich! Wenn du wirklich bist, was du zu sein behauptest: der König in Zion, der König des Tausendjährigen Reichs, so kannst du es uns durch ein Wort, durch einen Wink deiner Hand beweisen.«

»Brechet alle diese Kirchen ab«, sagte lächelnd Quint, »deren Türme dort aus der Ferne herüberblicken, und in zween Tagen will ich eine neue Kirche aufrichten, daß man der alten nur mit Grausen gedenken soll.«

Die Jünger riefen: »Wie können wir denn die Kirchen abbrechen?« – »Da liegt es!« schloß Emanuel Quint mit einer aus dem Lächeln in tiefen Ernst sich verkehrenden Zustimmung.

Diese mißverstandenen Worte hatten nun wieder auf den Kreis der acht einen gewissen Eindruck gemacht. »So sage uns wenigstens endlich«, schrie Weber Schubert, »was es mit dem Geheimnis des Reiches Gottes, das du uns vorenthältst, für eine Bewandtnis hat!« – »Und was heißt das?« fragte der Schmied John. »Wir haben dies alles hingeopfert, und dafür soll uns Finsternis, wie du sagst, überfallen?«

Emanuel griff sich, wie in Verzweiflung gen Himmel blickend, mit beiden Händen gegen den Kopf. »Es steht nicht in meiner Macht«, sagte er, »euch aufzuklären. Ich will meinen Vater bitten, daß er eure Herzen erleuchten soll. Wenn ihr euch aber dermaleinst bekehret und sehend seid, wie ihr jetzt verfinstert seid, so werdet ihr euch erinnern und werdet erkennen und begreifen alles das, was ich euch gesagt habe.«

»Werden wir sterben, oder werden wir, die wir dir nachgefolgt sind, mit diesen unseren leiblichen Augen die Herrlichkeit Gottes und das Neue Zion herabkommen sehn?« fragten einige.

Quint sprach: »Habe ich euch nicht immer wieder gesagt: ohne daß ihr von neuem geboren werdet, könnt ihr das Himmelreich nicht sehen? Und seid ihr von neuem geboren worden? Seid ihr, geheiligt durch den Geist, zu heiligen Menschen Gottes geworden? Ich habe mich für euch geheiligt durch den Geist und die Wahrheit, damit auch ihr durch den Geist und die Wahrheit geheiligt werdet. Aber ihr seid nicht geheiliget worden und habt euch selbst nicht geheiliget. Deshalb seid ihr Knechte der Welt. Aber ich bin kein Knecht der Welt. Und ich bin nicht mehr in der Welt, während ich mit euch rede, die ihr nichts anderes seid als Kinder der Welt. Wahrlich, ihr habt dem Menschensohne gedient, aber ihr habt ihm gedient um des Feindes willen, habt ihm gedient um des Fürsten willen dieser Welt. Des Menschen Sohn aber hat euch gedient um Gottes willen. Denn auch ich bin gekommen, nicht daß ich herrsche, sondern diene! Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit zeugen soll. Aber nur wer aus der Wahrheit ist, höret meine Stimme. Ihr aber habt Ohren, die nicht hören, und Augen, die nicht zu sehen vermögen. Meine Rede fasset darum nicht Boden unter euch . . .«

»Es ist nicht wahr«, lärmten sie wütend untereinander, »daß seine Rede nicht Boden gefaßt hat unter uns. Nur zu sehr hat sie Boden gefaßt. Und jeder von uns hat ihm gedient um Gottes willen und nicht gedient um des Teufels willen.« Krezig rief: »Vielleicht haben wir dir gedient, ohne zu wissen, um des Teufels willen, denn du bist vielleicht selber der Antichrist.« – »Er ist ein Narr, er ist ein Verführer, er ist der verrückte, verbummelte Tischlerssohn«, äußerte etwas im Hintergrunde der böhmische Josef, der mager und stark verändert war, »er hat uns alle ins Elend gebracht.«

»Wer mir dienet«, klang die feste Stimme Emanuels, »der dienet nicht mir, sondern dem, der mich gesandt hat. Und ich wiederhole euch: niemand hat teil an des Menschen Sohn, der nicht vom Vater wiedergeboren ist. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Gott aber ist nicht aus dem Fleisch geboren. Gott ist Geist. Der erste Mensch ist gemacht in das natürliche Leben und der letzte Mensch, des Menschen Sohn, ist gemacht in das geistliche Leben.«

So redete Quint, alles zusammengefaßt vor ihnen ausbreitend, was er sie jemals gelehrt hatte, mit Dringlichkeit. Aber seine Bedränger warfen ihm vor, er habe sie hingehalten, er habe sie mit Ausflüchten abgespeist, er habe niemals anders als in zweideutigen Gleichnissen zu ihnen geredet. Und sie forderten immer wieder, er möge ihnen seine Legitimation von Gott vorlegen, und wenn Gott wirklich sein Vater wäre, so müsse es ihm doch ein leichtes sein, sie etwas von seiner Herrlichkeit sehen zu lassen. »Zeige uns endlich den Vater!« riefen sie.

Und Emanuel rang die Hände. »Seid ihr denn immer noch unverständig?« seufzte er. »Habe ich nicht zu euch gesagt: wer mich siehet, siehet den Vater? So lange bin ich bei euch, und ihr kennt mich noch nicht! Wisset ihr nicht, daß der Vater in mir ist? Der Vater ist Geist, und niemand kann den Vater sehen, außer der selber vom Vater ist. Niemand kommt zu mir, außer daß der Vater ihn an mich ziehet. Niemand siehet den Vater, als den er selber verkläret hat. Sollte ich einem Blinden mit leiblichem Finger den Vater zeigen? ›Der Wind blaset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt.‹«

 


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