Gerhart Hauptmann
Der Narr in Christo Emanuel Quint
Gerhart Hauptmann

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Sechzehntes Kapitel

Zu Anfang des Monats März erschien in der Gärtnerei ein entsetzlicher Kerl, der einem Affen, ja einem Pudel fast ebensosehr als einem Menschen glich. Die Gärtnerburschen, die eben, weil die Märzsonne einen klaren Tag begann, die langen Reihen der Frühbeete lüfteten, schrien einander lachend an und verspotteten ihn. Der böhmische Josef fragte nach Quint, und als man ihm das Haus des Obergärtners und das Giebelzimmer, das der Schützling des Gurauer Fräuleins bewohnte, gewiesen hatte, schritt er, plumpen Ganges, mit seinen gebogenen Beinen gegen die Eingangstür. Hier traf er auf die schlanke Gestalt der bleichen Ruth Heidebrand, die er lange anstarrte und dann ebenfalls nach Emanuel Quint fragte. Zurechtgewiesen, begab er sich über die knarrende Stiege zu jenem hinauf.

Der böhmische Josef war der vierte oder auch fünfte Bote, den die Talbrüder an Quinten gesandt hatten. Dieser hatte den Sendungen allen nach der Reihe sehr bestimmt erklärt, wie es seine und aller christlichen Brüder Pflicht in Jesu sei, geduldig des kommenden Tages zu harren. Jeder, riet er, solle einstweilen an seine ihm nach Gestalt der Dinge zugewiesene Arbeit gehn: ein Rat, den sie indessen nicht befolgt hatten.

Als nun der arme Messias designatus der Talbrüder, Quint, den Boten nach seinem Begehren fragte, rückte dieser beinahe dummdreist trocken mit der Frage nach Quintens Geheimnis, dem Geheimnis des Reiches Gottes, heraus.

Emanuel sah ihn an und lächelte.

Dieses liebe, kaum merkliche Lächeln, das zuweilen um Emanuels Lippen spielte, war etwas, das ihm unwiderstehlich viele Herzen gewann. Martha Schubert, die barmherzige Schwester Hedwig Krause, Ruth Heidebrand und Maria Krause träumten davon. Dies stumme Lächeln, das so viel zu verstehen, so viel zu vergeben schien, glich einem Frühlingssonnenblick, der zu gleicher Zeit das Eis zerschmilzt und die Blume zum Blühen bringt. Dies Lächeln lockte die Schar der Kinder, von denen Emanuel, wo er sich blicken ließ, immer sogleich umgeben war. Es war ein verführerisches Lächeln, das auch den böhmischen Josef wehrlos auf die Knie und zu einem keuchenden Handkuß zwang.

Quint wurde ernst, und anstatt zu antworten, forschte er den seltsamen Boten nach dem Leben der Brüder und nach dem Anlaß seiner plötzlichen Frage aus.

Josef ließ sich dahin vernehmen, es sei, um dieses Geheimnisses willen, ein großer Streit unter ihnen entbrannt. Der eine sage: denen, die an die Sendung Quintens glaubten, sei allbereits das Geheimnis schon offenbar. Denn es bestünde eben just darin, daß Quint der neue Messias wäre! Der andere meine: er glaube, Emanuel sei in einem gewissen Betracht der wiedergekehrte Erlöser selbst, aber wer seine Worte, die er bei dieser und jener Gelegenheit gesprochen habe, beherzigt hätte, der müsse auch wissen, wie es noch ein letztes Geheimnis gäbe, das Emanuel Quint für sich behielt. Beide Meinungen hatten Anhänger. Andere erklärten, und wagten es zu erklären, trotz des fanatischen Glaubens der Brüder Scharf, es sei überhaupt noch nicht erwiesen, ob Quint der wahre Gesalbte sei. Diese Frage bedecke Quintens Geheimnis.

Die letzte Ansicht hatte einen wütenden Kampf entfacht. Der böhmische Josef begann ihn nach seiner Art, ernsthaft und pfiffig zugleich, zu schildern. Die Brüder Scharf, er verhehlte es nicht, hatten mit rasenden Stimmen den Lärm der Streitenden überschrien und einen Menschen, der sich so deutlich erklärt habe wie Emanuel Quint, falls er dennoch das Blut des Sohnes, den Geist des Vaters nicht in sich trage, den größten Betrüger der Welt genannt.

Der arme Emanuel war ein Gottsucher. Jede andere Bemühung, jeder andere Zweck seines Daseins trat hinter dieses Suchen, dieses Gottfinden, Gottergreifen, Gottbehalten zurück. Aber nicht mit dem Verstande suchte er Gott, sondern er suchte ihn mit der Liebe. Und diese Liebe, gleichsam in den Besitz der Gottheit gelangt, strömte, nicht anders als eine Sonne der Gnade, über Brüder und Schwestern, Kinder und Greise, Lahme, Taube und Blinde aus. Das göttliche Licht weckte göttliches Licht! und dann war zwischen Quint und dem Bruder, Quint und der Schwester die Fremdheit wie ein Nebel zerstört und die reine Einheit in Gott gewonnen. So ward er zuzeiten mit Maria, zuzeiten sogar mit der somnambulen Ruth Heidebrand heimlich unter die gleiche Illumination, unter die gleiche Erleuchtung gestellt.

Ebenso auch mit den Brüdern Scharf und mit allen jenen mühseligen und beladenen Menschen, mit denen gemeinsam er sich in irgendeiner Stunde der Andacht, auch nur ahnungsweise, im Bereich der göttlichen Liebe gefunden hatte.

Aber nun hob sich mitten aus dieser Schar eine schwielige Faust und bedrohte ihn.

Quint litt seit Wochen schlaflose Nächte. Bis dahin hatte der stille Friede, das gesicherte Gleichmaß der Seßhaftigkeit, hatten gewisse Annehmlichkeiten des Lebens ihn in eine Art harmonischer Ruhe eingelullt. Sie hatten auch die Leidenschaft seines Gotterlebens vermindert. Eben aus diesem und keinem anderen Grunde stand er bei allen, die ihn damals gekannt hatten, später in angenehmster Erinnerung. Denn er näherte sich, außer durch den Äther des Göttlichen, seinen Mitmenschen eigentlich nicht: weder dadurch, daß er etwa eigene, persönliche Angelegenheiten zur Sprache brachte, noch etwa an solchen Geschicken anderer Anteil nahm. Naturen wie Maria Krause schien diese persönliche Unnahbarkeit des Sonderlings gerade etwas wie göttliche Nähe zu sein.

Aus diesem Halbschlaf war nun Emanuel gleichsam durch eine Folge von harten Schlägen gegen die Tür seines Hauses erweckt worden. Ein Nebel zerriß, und er fand sich mit seiner Liebe und Gott im Herzen, nackt, den Forderungen seiner leidenden Brüder und Schwestern, dem unbarmherzigen Haß der Welt und dem gebietenden Ruf seines eigenen Gewissens oder auch Dämons gegenübergestellt.

Das Wort Betrüger erschütterte ihn, obgleich er sich von irgendeiner Schuld des Betruges vollkommen frei fühlte. Ja es stieg in ihm eine Wallung jäher Entrüstung auf, die aber gleich darauf in Versöhnung endete. Diese Menschen irrten, waren betört, aber sie hatten mit der gleichen Leidenschaft wie er selber Christum gesucht, und so blieb er ihnen in Christo verbunden.

Er fühlte wohl den Bann der Gefahr ihrer Zähigkeit. Die Gebrüder Martin und Anton Scharf liefen wie die Leithunde einer nach Erlösung lechzenden Meute hinter ihm her. Seit sie auf dem Markte der kleinen Stadt, wo er seine erste Bußpredigt hielt, seine Spur aufgenommen hatten, ließen sie seine Fährte nicht los und folgten ihm über Flüsse und Abgründe. Dennoch sah er sie nicht als jagende Raubtiere, sondern mehr als gehetzte Schafe einer verirrten Herde an und war ihnen, wie gesagt, mehr in Kameradschaft und Liebe, in hirtenhafter Verantwortlichkeit als durch Furcht verbunden.

Immerhin erlebte der arme Designatus schon jetzt und bei der Erzählung des böhmischen Josef das kurze Entsetzen eines ahndevollen Augenblicks: eines Augenblicks, wo er sich selbst als das Wild fühlte, das mehr und mehr von unbarmherzigen Jägern umgeben war. Er spürte die unsichtbaren Feinde, die sich um seine Stätte sammelten. Oder waren es Richter, und hatte er irgendeine Schuld abzutragen an die Welt?

Nein! Er hatte sich höchstens schuldbewußt gegen Gott empfunden, bevor seine Rechnung mit ihm durch Jesum, den Mittler, beglichen wurde. Durch Jesum, der in ihm, ja der seine Seele war.

»Nicht ich lebe, sondern Christus lebet in mir«, dieses apostolische Wort war ihm zur eigenen Natur geworden.

Doch leider: aus dieser Wiedergeburt stieg, wie der Keim aus dem Mutterboden, das traurige Schicksal des Toren hervor.

Ich habe die mystische Hochzeit gefeiert, sagte er sich, und der Traum im Kerker, wo der Heiland in ihn hineingegangen war, stand täglich vor ihm, mit der Kraft einer Wirklichkeit. Bin ich Jesus, so trage ich seine Verantwortung. Ich bin Jesus und trage sie, schloß er weiter. Die Talbrüder, die mich den Heiland nennen und die seine Werke von mir fordern, haben in diesem Sinne recht. Man könnte sagen, daß sich das Heilandsbewußtsein Quintens in dem Maße vergröberte, als er genötigt war, es den rohen und grellen Forderungen der niederen Bedürftigkeit seiner Gemeinde anzupassen.

Die Unterredung zwischen Quint und Josef, der übrigens Ruth Heidebrand hinter der Tür zur Dachkammer, wo die Blumenzwiebeln aufbewahrt wurden, gelauscht hatte, wäre nun wohl mit Quintens gelassenen Worten geschlossen gewesen, durch die er die Brüder, ohne die Frage nach dem Geheimnis zu beantworten, grüßte und zur Geduld ermahnen ließ; aber der böhmische Josef fing nach einigem Zögern aufs neue zu reden an, immer weiter und weiter ausholend, bis ein höchst sonderbarer Bericht zutage kam, dessen Schluß Emanuel Quint, entrüstet von seinem Sitze aufspringend, durch einen Schlag auf den Tisch begleitete.

Nie hatte Ruth, die an der Türspalte das Antlitz des Narren in Christo beobachten konnte, ihren Abgott im Zorne, geschweige in einem so heiligen Zorne wie jetzt, gesehen.

»Man soll nicht neuen Wein in alte Schläuche füllen wollen«, rief Emanuel. Und mit einer mehr gewöhnlichen, gar nicht biblisch gezirkelten Redeweise sagte er heftig etwa dies:

»Geh und sage den Brüdern: was sie da treiben, ist Unfug, aber nicht Gottesdienst! Sage ihnen, der Heiland ist in Gott und Gott in ihm, und erkläre ihnen, wie er weder zur Rechten Gottes noch Gottvater zu seiner Linken sitzt. Wenn sie sich um den Vorrang im himmlischen Reiche streiten wollen, so ist es das gleiche, als wenn sich die Kriegsknechte streiten oder würfeln um die Kleider des toten Christus am Kreuz. So lüfte ich mein Geheimnis, ihr verwilderten Knechte der Gier! Ihr höllisch Wahnwitzigen! Habt ihr des Menschen Sohn zum Richter am Jüngsten Tage gemacht, so seid ihr selbst zu Verbrechern geworden! Habt ihr ihn zu einem König mit Szepter und Schwert und zum Herrn der Erde gemacht, so habt ihr ihm eine blutige Narrenkrone aufgesetzt und ihn als König der Himmel entthront! Ihr Narren und Narrenknechte, dient ihr um Lohn? So zieht den Pflug und freßt euer Futter! Wollt ihr euch Schätze sammeln, Gold und reiche Kleider verdienen, so geht und dient dem Mammon, nicht Gott! Was wollt ihr mit euren tausend irdischen Jahren, diesem einen kurzen Tag vor Gott? Fressen, saufen, huren, bei Tafel obenansitzen, verfluchen, verdammen, Bluturteil sprechen, zitterndes Lob singen einem schrecklichen Adonai, dessen Linke euch streichelt, dessen Rechte eure Brüder, Schwestern, Väter und Mütter, Myriaden um Myriaden, aus den Gräbern reißt, lebendig macht und in den höllischen Abgrund schleudert? Giert ihr nach diesen tausend Jahren mehr als nach dem Leben in Jesu Christo von Ewigkeit zu Ewigkeit? Und wehe, wenn euch das Himmelreich nichts weiter als ein erquickender Trunk für die brennende Glut eurer Rachsucht ist! Sage den Brüdern, im Himmel werden die Letzten soviel wie die Ersten, die Ersten soviel wie die Letzten sein.«

Es war der erste Gedanke Quints, die zudringlich lächerliche Gefolgschaft dieser Talbrüder abzuschütteln, die ihn zum Gegenstand eines schreienden Aberglaubens gemacht hatte. Gleich darauf aber reute es ihn, und jene Stimme, die es ihm eben geraten hatte, wurde zwar als eine Mahnung gesunder Vernunft erkannt, aber doch wurde ihr Schweigen geboten: im Namen dessen, wie Emanuel meinte, der ganz Mitleid, ganz Liebe und der Inbegriff göttlicher Weisheit ist.

Und dieser, nämlich der Wille des Heilands selbst, befahl Emanuel, noch am gleichen Abend den Weg zu den Talbrüdern anzutreten.

 

Er schickte den böhmischen Josef voraus, damit er ihn in der Talmühle anmelde. Er selber verließ die Gärtnerei, ohne von jemand Abschied zu nehmen, bei nachtschlafender Zeit. Seine Seele in dieser Stunde war wehmütig. Obgleich er wiederzukehren gedachte und auch nach einigen Tagen wiederkam in das Gärtnerhaus, fühlte er doch den nahen Abschied für immer schon heut im Herzen. Mit leisen Schritten trat er, nicht ohne vorher an der Schlafkammertür der kleinen Ruth gezögert zu haben, in die einsame Klarheit des Mondes hinaus. Aber er fühlte, trotzdem er auch an dem Mauerpförtchen des Parkes noch einmal gedankenvoll stehenblieb, daß seines Bleibens in diesem Garten nicht länger war, wohin man ihn, wie einen Baum, aus steinichtem Boden verpflanzt hatte.

Anfänglich ward ihm traurig, aber schon auf der Landstraße hinter dem Park ward ihm entschlossen und frei zumut, und er hatte nicht nur erkannt, was er hinter sich ließ, sondern auch, was er vor sich hatte. Emanuel Quintens Brust war voll Dankbarkeit. Er erkannte die Güte des Gurauer Fräuleins, der Krauses, der Heidebrands und aller derer, die ihm den Zugang in das Bereich einer höher gesitteten Lebensführung eröffnet hatten: dennoch ging er jetzt mit einem festeren, freieren Schritt seine Straße dahin als jemals seit Monaten.

Er handelte wieder unter eigner Verantwortung. Er trat die allen gemeinsame Muttererde und hatte den allen gemeinsamen Raum des Himmels über sich. Er genoß kein Asyl, er genoß kein Almosen. Alle die sanften Fesseln und Rücksichten, die ihn im Laufe des Herbstes und Winters heimlich immer dichter und fester umstrickt hatten, fielen nun plötzlich von ihm ab. Es war ihm zumute, als ob der Gast, Freund, König und Gott seines Innern nun erst wieder in einer seiner würdigen, weiten, geräumigen Wohnung wäre.

Er selbst schritt dahin wie Gott.

Emanuels Wesen war im Göttlichen demütig. Allein es gibt einen hohen Stolz der Berufung, der ihn jetzt mit neuer Stärke erfüllte und der mit göttlicher Demut vereinbar ist. Er fühlte wohl, die laue Güte der im Kreise des Gurauer Fräuleins gewonnenen Freunde hatte ihn aus der feurig strömenden Bahn seines Daseins in ein stilles, kühles, stehendes, seichtes Wasser hineingezogen, wo weder Strudel noch Tiefe und also auch keine Gefahr des Ertrinkens ist. Alle diese Leute, bieder und rechtschaffen, übten an ihm, wie sie meinten, die anbefohlene Christenpflicht der Barmherzigkeit, dabei selbst nicht ahnend, wie sie es, nach Emanuels Ansicht, nur unter der Bedingung oder wenigstens nur in der Hoffnung getan hatten, daß er Jesum Christum verleugne.

Er schwenkte die Arme, er hieb, als wenn er wie Petrus das Schwert des Malchus in der Faust hielte, durch die Luft. Fast liebte er nun, im heiligen Zorn seines seltsamen Gottesstreitertums, mehr jene Feinde, die ihn aus seinem Asyl verjagten, als die Freunde, die es ihm bereitet hatten und die ihn darin behalten wollten.

Den Talbrüdern drohte ein Strafgericht. Aber der Irrtum, den Quint in diesen armen Leuten vernichten wollte, erhöhte ihn. Sie hingen an ihm mit ihrem ganzen törichten Glauben, mit ihrer ganzen törichten Hoffnung, mit allen ihren törichten Wünschen und mit einer wilden und blinden Leidenschaft. Die hinter ihm blieben, die er im Rücken ließ, duldeten ihn. Es ist ein anderes, aus gutem Herzen geduldet zu werden, oder, wenn auch in Einfältigkeit und Torheit, ersehnt, geliebt, ja vergöttert zu sein.

Freilich hatte der Narr von alledem keine Vorstellung, was sich mittlerweile in den Zusammenkünften der Talmühle ereignet hatte.

 

Hier herrschte die ärgste Verwilderung.

Mit Kommen und Gehen, Hoffen und Harren, mit Beten und Singen, mit Brotbrechen und »Trinken des heiligen Blutes Jesu«, wie sie sagten, hatten sie den Winter in der Mühle des Müllers Straube zugebracht. Dieser, ein Mann, wie gesagt, dessen schweigsames Wesen nicht leicht zu durchschauen war, schien sich nicht übel dabei zu stehen, obgleich er vielleicht auch sonst, mit dem Zug ins Abenteuerliche, der ihm eigen war, den Talbrüdern die Tür seiner verfallenen und entlegenen Mühle geöffnet hätte.

Dibiez, der entlaufene Leutnant der Heilsarmee, hatte nach und nach von den orgiastischen Andachtsübungen seiner Sekte dieses und jenes bei den Talbrüdern eingeführt, die sich übrigens, nach dem Vorschlage Anton Scharfs und nach der Epistel an die Epheser, die »Gemeinschaft des Geheimnisses« nannten.

Die Entartung, wie sie nach und nach in den Versammlungen um sich griff, wurde zum Teil durch das Tamburin und die Davidsharfe der Heilsarmee und mehr noch durch den geheimbündlerischen Zug der Gemeinschaft verursacht. Dem romantischen Trieb zur Bildung geheimer Vereinigungen gaben Evangelien und Apostelgeschichte von jeher Vorwände in Fülle an die Hand. Der in der Menge Verlorene sondert sich gern im Geheimnis von ihr, wobei er sich selbst als einen Wissenden fühlen kann, die Masse der anderen als die Unwissenden. Er wird ein Kunde, wird ein Kundiger, und mit einer größeren oder geringeren Zahl von Genossen erachtet er sich und darf sich erachten als berufen und auserwählt: wo er doch sonst, ein Tropfen im Meer, nur als ein Geringer und, nach seinem geringen Verdienst, unbeachtet dahinzuleben gezwungen wäre. Schon Kinder, die ein Geheimnis gemeinsam haben, gewinnen damit ein Gefühl von besonderer Wichtigkeit. Durch Dibiez war es auch üblich geworden, in den Versammlungen laut zu beichten und dabei Zeugnis abzulegen für die Erleuchtung durch die Gnade Jesu Christi, deren man gewürdigt worden war. Aber diese ziemlich flachen und etwas mechanischen Betätigungen religiöser Erweckung, wie sie bei gewissen Sekten seit Jahrhunderten üblich sind und noch jetzt im Schwange gehen im großen Lager der Heilsarmee, wurden bald von anderen Bekundungen eruptiven Wahnsinns verdrängt und in Schatten gestellt.

Die Brüder und Schwestern sprachen »in Zungen«.

Auf diesem Gebiet zeigte sich Schneider Schwabe besonders als großer Matador vor dem Herrn. Er war es, der unter allen zuerst eines Tages weissagte und ebenso den apokalyptischen Ton, die apokalyptische Raserei und Phantasterei in die Gemeinde der Heiligen einführte. Er zuerst hatte überdies sich selbst, die Gebrüder Scharf, den Weber Schubert im apostolischen Geiste, wie er meinte, Heilige genannt. Je mehr sich dieses Bewußtsein der Heiligkeit und des Auserwähltseins bei Sprechern und Hörern der kleinen Gemeinde befestigte, um so maßloser wuchs der Schwärmergeist ihrer frommen Übungen an.

Wer diese Menschen früher gekannt hätte, als sie noch gedrückt und schweigsam unter dem Joche täglicher Mühe und Not dem Erwerb ihrer kümmerlichen Nahrung und Notdurft nachgingen, würde bei ihrem jetzigen Anblick über die unerhörte Wandelbarkeit der Menschennatur belehrt worden sein. Der Schneider Schwabe, früher ein Bild betulicher Schüchternheit, war jetzt und an diesem Ort ein Geist von gebietendem Range geworden. Gewisse Verzückungen, denen er, wie gesagt, angesichts der Gemeinde als erster anheimgefallen war, hatten ihn einstweilen beinahe zum unbestrittenen Führer des Kreises gemacht. Er eröffnete auf der Tenne des Müllers seine Andachten immer nur mit den gleichen Worten: »Stille! Stille! Volk des Herrn! Da, wo sein Wort verkündigt wird, ist er gegenwärtig! Ruhe! Gott ist gegenwärtig!« Und in ähnlichem Tone ging es fort. Man kann sich denken, daß im Klange der Stimme des Heroldes Gottes von der scheuen Bescheidenheit des ehemaligen armen Schmugglers nichts mehr zu merken war.

Wenn die Brüder nicht beteten oder Versammlungen abhielten oder schliefen, so stritten sie über dem biblischen Gotteswort, und man wird sich nicht wundern, wenn sich an den Texten der Evangelien, der Apostelgeschichte und der Episteln ihre harten und groben Köpfe nur mehr und mehr verwirrten, selbst wenn man die Offenbarung St. Johannis und die Schriften des Alten Testaments nicht in Rechnung zieht. Viele Worte, die aus den lodernden Seelen der Apostel stammten, richteten in den qualmenden Häuptern dieser Unmündigen schlimme Verwüstungen an.

Die mehr und mehr gefährliche Narrheit der Brüder gewann an Sicherheit, als der böhmische Josef eines Tages, den dicken Finger unter der Zeile, das Wort buchstabiert hatte: »Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht.« Ein anderer hatte zur Not diese Zeilen aufgefaßt: »So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind.« Ein dritter Ähnliches. Endlich schlug diesen übelberatenen, plötzlich in die üppigen Freuden des Tausendjährigen Reiches aufbegehrenden Hungerleidern alles und alles zum Schlimmen aus: ihre Hoffnungen wurden eine starre, unbewegliche Einbildung. Das Liebesgebot der Schrift trat aus dem allzugeringen Bereich, das in ihrem Wesen dem Geistigen übrigbehalten war, in die Tiernatur ihrer Leiber aus, deren eingeschläferte Triebe es aufreizte. Das ängstliche Harren und die Sehnsucht der Kreatur nach Erlösung ward in einen glühenden Durst, ward in ein Fieber der Gier, in eine unstillbare Sucht verwandelt, die einer verzehrenden Krankheit glich.

Und eines Nachts, nachdem man viele lange Stunden hindurch Himmel und Hölle, ewige Seligkeit, Sünde, Strafe, Gnade, Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist, das Neue Zion und das Jüngste Gericht in Bewegung gesetzt hatte, artete alles in einen bösen, ja schrecklichen Paroxysmus aus.

Erscheinungen, Umgehen von Gespenstern, Manifestationen Verstorbener, Klopfgeister hatte der Seuchenherd der Talmühle längst zur Genüge ausgeheckt. Was nun hinzutrat, war der Ausbruch einer physischen Krankheitsform von der Art, wie sie in den glaubenseifrigen Zeiten des Mittelalters oft epidemisch gewesen sind. Es nahm seinen Anfang mit diesem Ereignis:

 

Ein starkes blondes Bauernmädchen von achtzehn Jahren, die den Namen Therese Katzmarek trug, begann plötzlich in der Zerknirschung, unter dem Eindruck glühender Zurufe, wunderlich ihren Kopf zu schütteln, anfangs langsam, später mit einer solchen unaufhaltsamen Schnelligkeit, daß viele der bäurischen Brüder und Schwestern es merken mußten, wo sie denn ihre Andacht unterbrachen, um diesem sonderbaren Betragen des Mädchens womöglich Einhalt zu tun. Aber da war durchaus kein Halt. Anruf, ja selbst der schraubstockartige Griff von schwieligen Bauernfäusten fruchteten nicht. Der Kopf der Therese Katzmarek bewegte sich. Das wiederbefreite, unschuldig kindlich hübsche Mädchenhaupt flog, krampfhaft geworfen, hin und her, das starke Kinn von Schulter zu Schulter, und zwar so schnell, daß der Blick nicht folgen konnte und der Eindruck für das Auge verwirrend war. Der arme Kopf schien ein Wesen für sich geworden zu sein, eine Art gefangenen Vogels, der sich aus einer Schlinge loswürgen wollte; genau so, schien es, wollte hier der Kopf unter jeder Bedingung vom Körper los. Natürlich entstand eine allgemeine Aufmerksamkeit und damit eine allgemeine Stille. In dieser Stille nahm sich der hilflos geschleuderte Kopf des armen Kindes, verbunden mit dem Geräusch, das er machte, noch grauenerregender aus. Erst klatschte der Zopf ihr um Brust und Schultern; als die Bewegung wilder wurde, peitschte das aufgelöste Haar ihr zischend ums Gesicht. Der offene Mund, die starr geöffneten Augen des Mädchens sahen in ihrem entsetzten Staunen unendlich rührend aus. Es schien keine Rettung. Es war jeden Augenblick, als müsse die Verbindung zwischen dem vollen, knirschenden Hals des Mädchens und dem Rumpf nun endlich zerrissen sein.

In diesem Augenblick fing es an einer anderen Stelle der von drei oder vier Laternen beleuchteten Tenne zu rumoren an. Alles wandte sich nach der anderen Seite, wo allbereits das bleiche, faltige Haupt eines alten Weibchens in gleicher Weise sich toll und wild zu gebärden begann. Kaum hatte man sie ins Auge gefaßt, so ward eine dritte zur Erde geworfen: die Frau eines Ziegelstreichers, die selber das gleiche Handwerk ausübte, in einer Ziegelei der Nachbarschaft. Sie bog sich, lallte, sprang auf eine eigentümliche Weise schnellend, wie ein großer Fisch, der ins Trockene geraten ist. Als diese drei Opfer des langen Wachens, Betens, Singens, der Selbstanklage, der Zerknirschung und jeder erdenklichen himmlischen sowie höllischen, beseligenden oder angstvollen Einbildung gefallen waren, hub sich ein allgemeines Schreckensgeschrei, das durch den unwillkürlichen Ruf einer einzelnen Stimme einen verheerenden Sinn gewann.

Diese Stimme schrie, das Ende der Welt und der Jüngste Tag seien angebrochen.

Jetzt war in dieser Versammlung nicht einer, den langen, dunkelhaarigen Müller Straube ausgenommen, der nicht von der gleichen sinnlosen Raserei ergriffen ward. Die Nacht war finster. Die Bäume rauschten. Die Zahl der sich Wälzenden mehrte sich, andere rannten, einander das leere Gebälk der Scheune weisend, gegen die großen Tore und kleinen Pförtchen der Scheunentenne, drängten ins Freie und wie durch ein Schlupfloch ein und aus.

Von denen aber, die ins Freie gelangt waren, horchten einige, ob sie nicht durch das Ohr die ersten Laute des nahenden Welt- und Strafgerichts erhaschen könnten. Andere fielen erst hier zur Erde und schrien, indem sie gen Himmel wiesen, sie sähen dort, auf Thronen, von Engeln umgeben, über Wolken, Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Man stieg auf Bäume. Die Kinder weinten. Martin und Anton Scharf wateten, um irgend etwas genauer zu sehen, bis übers Knie in den dunkel gurgelnden Mühlbach hinein.

Wer wüßte nicht, in welchem Umfang allein die Nacht die Dämonen im Innern der Menschen entfesseln kann und wie dagegen die schöne Klarheit der Sonne die Abgründe deckt und die Seele zu Licht und Ordnung verklärt. Was in diesen Minuten des allgemeinen Taumels geschah, das hätte der Tag nie zugelassen. Man denke, wie das Bindemittel aller Gemeinden in Jesu Christo die Liebe ist. Wie Paulus sagt, wird eine Mauer oder Wand zwischen Mensch und Mensch durch den Namen des Heilands hinweggenommen. Man erkennt die Gefahr, die mit dem Niederreißen von dergleichen Mauern gegeben ist. Weh aber, wenn außerdem, durch Unberufene, apostolische Worte wie diese gepredigt wurden: daß jedermann allein durch den Glauben gerecht werde, daß der Glaube Berge versetze und daß dem Gerechten kein Gesetz gegeben sei.

Kurz, die Angst, das Entsetzen, der Jubel, die Raserei brachte viele dazu, daß sie sich, Hilfe flehend oder nicht wissend, was sie taten, umklammerten, andere fielen einander in die Arme und küßten und herzten sich. Im kleinen Gemüsegärtchen des Müllers sah man, beleuchtet von einem schwachen Lichtschein, der durch ein Fenster fiel, einen Bruder und eine Schwester sich miteinander im Tanze drehen. Frauen – oder war es immer dieselbe Frau? – rannten, mit fliegenden Haaren und Röcken, gespensterhaft suchend, um das Mühlgebäude herum, und einige, die sich aus irgendeinem Grund im Sturm der Nerven das grobe Hemd von den Schultern, den Rock von den Lenden gerissen hatten, rannten, vielleicht in irgendeinem passiven Opferdrang, splitterfasernackt über die Böschung hinauf und ins Feld hinein. Hier spukte wohl irgendeine Idee aus dem Gleichnis der törichten und klugen Jungfrauen und des himmlischen Bräutigams. Man muß nun sagen, daß durch die List des bösen Feindes hier der himmlische Bräutigam in einigen Fällen durch einen ebenfalls orgiastisch verwirrten Bruder ersetzt wurde.

Der Müller Straube nahm sich der wieder beruhigten Therese Katzmarek an. Der böhmische Josef schlich schweigend herum, mit glühenden Augen, und was er im Dunkel und in der Verwirrung alles verrichtet hatte, wußte man nicht.

 

Religiöse Orgien dieser Art wiederholten sich. Gerüchte davon, die langsam durchsickerten, waren eines Tags auch zu Nathanael Schwarz gelangt. Der Unfug machte ihm schlaflose Nächte. Endlich hatte er den Entschluß gefaßt, und zwar trotz der Gefahr, die er lief, mit seinem ehrlichen Namen in das lästerliche Treiben verwickelt zu werden, persönlich zum Rechten zu sehn und womöglich dem Ärgernis zu steuern. So nahm er denn eines Abends, nachdem der verrückte Schneider Schwabe eine Menge illuminierten Unsinns gepredigt hatte, am Rednertische in der Scheune der Talmühle seine Stelle ein.

Was er vorbrachte, würde unzweifelhaft eine im ganzen heilsame Wirkung getan haben, besonders hatte er auf die Scharfs, die durch Quintens Abwesenheit und durch das Treiben der Brüder beunruhigt waren, mit seinen Mahnungen, seinen Warnungen, seinen heftigen Apostrophen, ja starken Drohungen einen beinahe befreienden Eindruck gemacht. Leider ließ sich der Bruder verleiten, den Nerv der Torheit der Talbrüder anzutasten, wodurch er ihre Verrücktheit, der er, ganz gegen seine Absicht, nur Nahrung gegeben hatte, zu seinem Entsetzen in ihrer ganzen nackten Gewalt zu schmecken bekam.

»Ich habe«, sagte er, »euren Emanuel Quint gekannt, wahrscheinlich bevor irgend jemand von euch etwas von ihm erfahren hatte.« Und nun malte er seinen Hörern aus, wie dieser Emanuel, leider, nach Aussage seines Vaters und seiner Mutter sogar, nicht nur nach dem Zeugnis vieler gewichtiger Leute, von Jugend an, gelinde gesagt, in die Irre gegangen sei. Er wolle dann, wie er sagte, die Gläubigen dieses Kreises nicht schelten, wenn sie der Täuschung verfallen wären, in Emanuel einen begnadeten Diener am Wort zu sehen: er selber, Nathanael, sei durch ein gewisses schlichtes und sanftmütiges Wesen des falschen Propheten, fast ebensosehr wie sie, getäuscht worden. Er setzte hinzu: er sei sogar eine Sünde, die er an sich selbst und Emanuel Quint begangen habe, zu beichten bereit, um derentwillen er von Gott schon mit vielen heißen Gebeten Vergebung erfleht habe. Dann fügte er einen treuen Bericht von dem Morgengange mit Emanuel und von dem Vorgang am Bache ein, der ja in der Tat beinahe einer Taufe geglichen hatte. Er behauptete, daß eigentlich er durch Emanuel zu dieser ihm unbegreiflichen Aufwallung verführt worden sei. Dagegen wolle er freimütig zugeben, wie diese Taufe, nicht im rechten Sinne erteilt, noch weniger im rechten Sinne empfangen, Emanuel zum Verhängnis geworden wäre. So wolle er auch seinen Teil der Schuld an dem Ärgernis, das der Tor gegeben habe, hiermit eingestehn. Denn schwerlich hätte sich sonst der Ärgernisstifter in seinem lästerlich überheblichen Wandel durch irgend etwas so sicher bestätigt gefühlt.

Als der letzte Laut dieser Worte nur gerade eben verklungen war, erhob sich ein Gemurmel des Unwillens und zugleich die Stimme eines Handelsmannes und Lumpensammlers, der sich Quintens Gemeinde erst in Giersdorf angeschlossen hatte und bei dem Überfall zugegen gewesen und zu Schaden gekommen war. Dieser Mensch war über die Fünfzig, durch zahllose kleine Schachergeschäfte profitwütig gemacht und im übrigen bleich und zusammengeschrumpft. In seinen Blicken lag der fieberhafte Glanz eines inneren Leidens, im übrigen aber ängstliche Ungeduld und irgendeine verzweifelte Gier. Es ist erstaunlich, bis zu welchem Grade der hypochondrische Mensch, wenn er sich gleich nur durch bitteren Fron vor bitterem Mangel einigermaßen schützen kann, am Leben hängt und das Ende fürchtet. Es ist Todesangst, die den Menschen nach der Phantasmagorie des ewigen Lebens greifen läßt. Feigheit ist es, die immer wieder naive Naturen Quacksalbern Leibes und der Seele in die Garne treibt.

Dieser Lumpensammler hatte nach den Illusionen und Mythen, die sich um Quinten gebildet hatten, mit verzweifelter Hand gegriffen, dem Ertrinkenden gleich, der den Strohhalm ergreift.

Er schrie, daß Quint entweder das, was er sich selbst genannt habe, oder der größte Schurke, der größte Betrüger sei, der je und je auf Erden gelebt habe. Aber er kehrte sogleich seine Waffe um, wandte sie gegen den Wanderbruder und fiel ihn an, mit einer so leidenschaftlichen Wut, mit einem so wilden Strom von Worten, daß alle, die zugegen waren, nicht zuletzt den Betroffenen, ein Grausen befiel.

So wurde Bruder Nathanael, der Reihe nach, Lügner, Verräter, Satans Apostel und zuletzt sogar Judas genannt, und dieses Wort fiel, einem zündenden Funken gleich, in ein Pulverfaß und brachte somit eine Wirkung hervor, der sich Bruder Nathanael nur durch schnellen Rückzug und Flucht zu entziehen vermochte.

Der Besuch und die Flucht des Bruders Nathanael, der Judasruf und das Wort vom Betrüger, das von dem tobenden Lumpensammler gebraucht worden war: dies alles hatte doch, trotzdem sich die Atmosphäre allgemeiner Verrücktheit täglich verdickte, jene Diskussion der tonangebenden Gläubigen über Quintens Sendung zur Folge gehabt und eben die Botschaft, die man durch den böhmischen Josef an Emanuel hatte gelangen lassen.

 

Seit der böhmische Josef mit dem Bescheid, Emanuel werde selber kommen, bei den Talbrüdern oder in der »Gemeinschaft des Geheimnisses« eingetroffen war, nahm die Aufregung dieses Kreises natürlich wiederum die seltsamsten Formen an. Man weinte. Der Jubel schlug hohe Wellen. Man grüßte einander mit den Worten: »Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.« Man erzählte einander Quintens »Wunder«. Man ging die Ereignisse seines Wandels, seit der Predigt auf dem Markt der Kreisstadt, in phantastischer Weise nochmals durch, alles wiederum glorifizierend. Es wurde dabei eine geradezu erschreckliche Summe verrückter Einbildungen zutage gebracht. Die Scharfs erklärten, sie fühlten sein Nahen körperlich. Weiber und einige Mädchen, die sich ein wenig von der stundenlang Kyrie eleison und Halleluja singenden, etwa aus fünfzig Personen bestehenden Menge entfernt hatten, kamen atemlos schreiend zurückgelaufen, die eine hier, die andere dort, und schwuren, sie hätten den Heiland – die eine über die Wiese, die andere über den Acker hinter dem Mühlwäldchen, die dritte über den Bach heranschweben gesehen.

Soweit der böhmische Josef Quintens strafende Äußerungen verstanden hatte, wurden sie dem engeren Kreise der Brüder, zu dem, außer den Scharfs, Schneider Schwabe, Schubert, Krezig, der cholerische Handelsmann, der Müller und noch einige andere gehörten, in der Mühlstube überbracht. So erfuhren die angstvoll und gierig Lauschenden zwar, wie ihr Idol über irgend etwas, worin sie gefehlt hatten, entrüstet gewesen wäre, aber sie wurden doch durch die Schilderungen des böhmischen Josefs im Ganzen ihres tollen Glaubens noch sichrer gemacht.

 


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