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»Die macht Claus Tinnappel auch noch zum Flederwisch . . . das ist ein Galgenvogel . . . kaum zwanzig is' se . . . und zwei Männer liegen schon im Erdboden eingescharrt . . . die wird ihre Schlingen schon um den jungen Kerl zu werfen wissen . . . die hat auch in Trauerkleidern Courage.«
Es war Nacht.
Die mürrische Erzählung machte eine quarrige Stimme, die aus einem vorgebeugten, mageren, grauen Schädel kam, dessen blinzelnde Augen in ein kleines, wieder neu sprühendes Waldfeuer sahen. Die harten Hände rissen frische Fichtenzweige umständlich und fest aus einem mächtigen Reisighaufen heraus und deckten sie gemächlich über die sausenden und krachenden Dunkelflammen. Der alte Buchwald ragte gegen die graue Dämmerluft und den Schein der jagenden Funkenschwärme, die stumm und geisterhaft über die Waldgräser hinschwebten.
Es war hoch oben im Forste.
Die Lichter fern in der Tiefe der Täler waren erloschen.
Der Waldboden war kühl und feucht. Er atmete erdigen Wohlgeruch. Die Sträucher der Rehheide flüsterten am Hange. Sie schienen unter den bleichenden, starren Sternen wie geheimnisvoll erglüht, als wären goldblinkende Gewirke weit hin am Waldsaum gebreitet.
Die Schutzhütte stand offen.
Nur der alte Totengräber ging vor der Hütte ums Feuer.
»Die macht Claus Tinnappel auch noch zum Flederwisch . . . das ist ein Galgenvogel . . . und die Alte ist eine Hexe oder Eule . . . und was der Vater war, wie der noch lebte . . . der immer mit Vieren fuhr,« begann er neu seine Rede, als wenn er dem Feuer seine lustige Geschichte erzählte, weil der, mit dem er geredet hatte, längst unversehens wieder eingeschlafen war.
Drinnen in der Hütte lag auf Bündeln zu Häupten, mit Jacke oder Laub leicht zugedeckt, Mann an Mann, alte Holzfäller, die schwerfälligen Sinne noch vollends dem leisen Rauschen der Waldnacht und dem Glanze des Feuers und der Sterne verschlossen.
Der dürre, stakige Totengräber besaß allein die Unrast der Greise. Er muddelte ewig an seinem Pfeifenkopfe herum, schob den Kaffeetopf übers Feuer und machte sich auch in den tiefsten Nachtstunden immer zu schaffen.
»Oh du großer Gott und Heiland!« seufzte er vor sich hin. »Die Alte ist richtig ein Uhu . . . und was den Vater betrifft, wie der noch lebte . . . und immer mit Vieren fuhr . . .«
Das Gerede war plötzlich erstorben, weil der alte Totengräber jetzt verstohlen beobachtend ein Stück an der Waldlehne hingehumpelt.
Drüben in den Rehheidestrichen, die nachtgolden glühten, sah man im ersten Morgengrau ein paar Dämmergestalten, unbestimmt und doch blendend.
»Ihr Leute! . . . Ihr Leute!« . . . rief jetzt Buchwald pfiffig den Schlafenden in der Hütte zu. »Ich sagte es doch gleich . . . da stehen se . . . da stehen se . . . sie macht sich das Tüchel frisch um die Haare . . . weil Tinnappel sie richtig gezaust hat . . .«
Einer nach dem andern erhoben sich die alten Holzfäller von ihrem Laublager, reckten ihre erstarrten Leiber und kamen verschlafen in die Morgenluft.
»Und fort is' se . . . wie ein Rehkitz« . . . schrie der Totengräber verhalten. »Und liegt längst in den Federn, wenn die alte Eule zum Rechten sieht!«
Claus Tinnappel stand drüben in der Rehheide, und Salie war bereits im tieferen Bannwald dem Tale zu verschwunden.
Claus Tinnappel war straff wie ein junger Buchenbaum. Oben im Gebirge am Hochmoor stand noch das alte, kleine, wettergezauste Forsthaus aus Balken gebaut, darin er als Kind in der Wiege gelegen, und daraus er als Junge zu Tale gesprungen. Jetzt war Claus Tinnappel Forstgehilfe, angetan mit graugrünem Waldhabit, und hatte noch mehr einen Blick wie ein äugendes Waldtier. Er hatte geschworen sich unbarmherzig an den Wilderern zu rächen, die seinen Vater im tiefsten Forste zu qualvollem Tode gebracht. Sein rechtes, unteres Augenlid war gespalten. Er hatte einmal einen Streifschuß ins Gesicht erhalten, gerade als er den Wilderer scharf aufs Korn nahm. Auch die Mittelsehne seiner linken Hand war verkürzt, weil er in das Messer eines Wilderers in jachem Handgemenge hineingegriffen. Er wußte noch heute nicht, wie er damals davon kam. Claus Tinnappel konnte unbarmherzig sein. Er fürchtete sich vor niemand.
Jetzt stand er in der Rehheide im Morgengrau. Und Salie hatte ihm noch eben in den Armen gelegen.
Als der junge Forstgehilfe, die Büchse über der Schulter wie von einem Patrouillengange näher kam, krochen die alten Holzfäller noch einmal in ihre Schlummerlager zurück.
Der alte Totengräber ließ stumm den Kopf hängen und stöckerte im Feuer mit einem Reisigast. Alle taten, als wenn nur schlafende Stimmen grau über der Waldnacht hingen und Wunder und Sagen um die bleichen Stämme spännen.
Auch Tinnappel streckte sich wortlos ins Waldgras hin.
Nur der alte Buchwald nahm jetzt den Topf aus dem Feuer, schlürfte und ließ das Feuer einsinken.
Aber wie der Morgenschein über die Ginsterhänge floß, daß sie wie helle, goldene Fließe am Hange lagen . . . wie die alten Holzfäller zwischen den gestürzten Stämmen sägten oder die Äxte schwangen . . . als der junge Tinnappel am Waldrande stand, die kurze Pfeife dampfend im Munde, und der Förster herzu kam, rief auch er dem Forstgehilfen entgegen: »Die dachte wohl gar, ich erkennte sie nicht . . . übrigens sieht sie verteufelt unschuldig aus in ihrer dörflerischen Maskerade . . .«
Der Forstgehilfe wurde rot wie Purpur. Ganz übergossen wie ein junges Mädchen in Scham. Er konnte dem Förster nicht recht in die Augen sehen.
»Vor der warne ich Sie!« sagte der schwarzbärtige Förster, als er zu Claus Tinnappel herankam. »Zwei Männer hat sie schon unter die Erde gebracht . . . das ganze Dorf kennt ihre Tollheit,« sagte er hart.
»Ach Gott . . . Herr Förster!« . . . sagte Tinnappel kleinlaut. »Wie wilde Hummeln nun einmal sind!« . . . »Ich verstehe mich schon auf sowas« . . . sagte er jugendlich drollig und doch noch immer verlegen.
»Unter uns gesagt«, sagte der schwarzbärtige Förster begütigend, »eine hitzige Zigeunerin war mir auch immer lieber wie ein Lamm auf der Weide« . . . »Nun Gott befohlen . . . die ganze Sippschaft ist ziemlich sonderlich . . . ich wollte Ihnen nur einen guten Rat geben,« sagte er treuherzig, zündete sich auch die Pfeife an, nahm sein Forstbuch und seinen Signierhammer und maß die Stämme.
Unterdessen hallten auf der Lichtung die Axtschläge und summten rhythmisch die Sägen. Der nahe Wald wogte leise im Sonnenschein. Spechtrufe lachten. Und Claus Tinnappel sah einer einsamen Krähe nach, die in der Talrichtung ferner und ferner im Licht sich verlor.