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Und Franz hatte das Weihnachtsfest wirklich unter den Seinen verlebt.
Die kleine Frau Popjel hatte es über ihn vermocht.
Sie hatte ihn in den beiden Tagen oder gar in dreien vor dem heiligen Abend daheim gehalten.
Sie hatte ihm allerlei Aufträge mit der schmeichlerischsten Miene und mit flehenden Augen zu geben gewußt, die den unsteten Grübler immer wieder von den Straßen heimgeführt hatten.
Es hatte Franz sogar Spaß gemacht, die tausenderlei Zierraten und Behänge für den Weihnachtsbaum selber einzukaufen.
Frau Popjel wußte das von früher.
Grade dieser Junge hatte ehemals berauscht vor dem bunten Lichterglanze gestanden. Ehemals, wie ihn noch nicht das Leben wie mit Krallenhänden an sich gerissen.
Franz sah jetzt wie erwachend die kleinen Menschenspäße.
Auch er begann sich zu erinnern.
Er kaufte gleich ziemlich unsinnig. Viel zu viel. Lichter und Perlen und bunte Flitterbehänge, Christkindelhaar im Überfluß, allerlei kleine Gestalten aus der Christusgeschichte. Und wer weiß was? So daß Mutter und Eduard hell auflachten, als er mit dem Packträger ankam, der ihm die Menge Schachteln und Kästchen nachtrug.
Franz hatte also in den Tagen gekauft und gesorgt. Und er hatte auch mit getan, wie Hellen und die Mutter den Baum und die Geschenktische behingen und belegten. Wie Eduard auf die Leiter stieg, um eingewickelte Bescherungen, für jeden Blick noch geheimnisvoll, unter die Süßigkeiten an die Zweige zu hängen. Wobei man sich wie Kinder nichts wie Torheiten sagte, und sich selber oder dem andern fortwährend Süßigkeiten in den Mund schob.
Auch der Abend war voll Laune herangekommen.
Eduard hatte Franz gewichtig lachend und zutraulich einen blinkenden Schmuck grüner Halbedelsteine mit Diamanten, leicht in Gold gefaßt vor die Augen gehalten.
Und weil der bleiche Franz wirklich sanft und gütig wie ein Junge aus seinen brennenden Augen heraus auf die Steine sah und sie bestaunte, hatte Eduard stolz hinzugefügt, daß Hellen seine Verlobte wäre, und daß er ihr den Schmuck als Verlobungsgeschenk brächte.
Einen besonderen Eindruck schien diese Mitteilung auf Franz nicht zu machen.
Er hatte sich im Anschauen und Umundumwenden der Steingehänge und Ohrringe nicht groß weiter stören lassen.
Nur ein Huschen von häßlichem Gelächter, das Franz dabei hören ließ, hätte Eduard beinah aus der Stimmung gerissen.
Aber weil Franz doch völlig gutmütig und treuherzig verblieb, besann sich Eduard rechtzeitig, als er sich wieder mit Franzens Blicke begegnet war, und machte sich heimlich Vorwürfe über seine Unduldsamkeit.
Erst gegen Abend war ein scharfer Mißton gekommen.
Frau Popjel war in des seligen Herrn Popjel Zimmer geeilt, in das stille, immer feierlich liegende Heiligtum.
Sie war lange nicht dazu gekommen hineinzugehen.
Jetzt, wie die Glocken draußen über die Häuser der Großstadt zu surren und zu sausen begannen, wie unten in den Straßen über dem Lärm und dem Geleuchte die Tonwogen wie Weihnachtschoräle brandeten und ebbten, hatte die kleine, ängstliche Frau mit gefalteten Händen vor der Kerzenflamme gesessen, hatte Gott gedankt, hatte mit weinenden Augen die Nähe ihres verstorbenen Mannes empfunden. Und dann war in ihr ein Gedanke aufgeblitzt, Eduard eine besondere Ehre und Freude anzutun.
Sie suchte nach Vaters kostbarem Steinpetschaft, das er einst von einem russischen Großfürsten zum Geschenk erhalten.
Sie wollte es rasch noch für Eduard mit unter den Weihnachtsbaum legen.
Der Baum begann schon aus Dunkel seine Strahlenlichter auszuschicken.
Eduard und Franz gingen um den Baum mit Stöcken, daran Wachsstockenden leuchteten und tropften, sorglich von Licht zu Licht und mahnten Hellen, zurückzutreten, die schon in ihrer weißen, schlichtfließenden Moiréseide schlank dastand.
Da war Frau Popjel erschrocken und jammernd wieder dazugekommen.
Die Söhne beide lachten zuerst, weil die Mutter noch einmal wieder verschwunden war.
Sie lachten, weil sie meinten, daß sie ihre Brille oder irgendeinen Schlüssel suche, die sie eigentlich immer suchte, solange sie sie nicht fest ans Kleid angebunden trug.
Aber so einfach war es diesmal nicht.
Frau Popjel war gleich ganz außer sich.
Es wollte sich durchaus keine Kostbarkeit finden.
Es gab eine richtige Aufregung im Hause. Sie durchsuchte Kisten und Kasten.
Auch Eduard war heimlich erschrocken, wie er hörte, worum es ging.
Aber er verscheuchte sofort jedes böse Mißtrauen.
Die kleine Frau kam weinend, die brennende Kerze in zitternden Händen, so daß sie sich noch das ganze Festkleid mit Stearin volltropfte.
Aber das war ihr in diesem Augenblicke völlig gleichgültig.
Das kostbare Fürstengeschenk war nicht zu finden.
Sie suchten gemeinsam, Eduard und die zitternde, weinende Mutter.
Auch Franz hatte zuerst versucht, sich wie arglos zu Frau Popjel zu wenden und an dem Ereignis teilzunehmen. Aber es war doch wie ein Zucken über sein Gesicht gegangen, das seinen Blick ganz versteint hatte.
»Die Mutter hat es verkramt . . . nicht anders wie tausendmal!« sagte er dumpf vor sich hin, wie er mit Hellen unter dem blinkenden Lichterbaum noch wieder allein stand und vollends erstarrt war.
Aber auch Eduard kam jetzt. Er hielt die Mutter am Arm. Er streichelte sie und tröstete sie mit denselben Worten, die Franz schon für sich geredet.
Und weil die kleine Frau Popjel ihre Tränen unter den Lichterglanz brachte und noch immer nicht stillen wollte, wurde er endlich unwillig.
»Du hast es viel zu gut aufgehoben, gute Frau Sorge! Nur das ist es!« sagte er zärtlich.
So daß endlich auch Frau Popjel daran glaubte, daß sie das Kleinod nur verkramt hätte, und sich wieder an die Weihe des Abends erinnerte.
Und die Laune der Liebenden und der Glanz der strahlenden Weihnachtslichter hatte das Dräuende vollends weggefegt.
Aber die Bescherung ging doch noch ziemlich ohne Worte, nur mit zärtlichen Blicken hin.
Auch Franzens Züge bemühten sich wieder zu einigem Ausdruck. Er schien schwächlich und erschöpft und bleich. Am Tische noch hielt er zuerst fortwährend das blinkende Glas in Händen, starrte hinein, war stumm und stürzte hinunter, was Eduard ihm eingoß.
Bis ihn der Wein immer lauter machte.
Die Mutter Popjel war von dem ersten Schluck Wein fröhlich geworden. In Eduard und Hellen spann wieder voll die heimliche Heiterkeit.
Und Franz begann jetzt immer leidenschaftlicher aufzuwachen. Er bekam allmählich große Augen. Die strenggezogenen Runen seiner weißen Stirn schienen wie Zeichen der Weisheit. Steinern war sein Gesicht. Er schien edel wie eine Statue. Ein feines Zittern umspielte seine derben Nasenflügel. Um den Mund zuckte es von Überzeugung.
Und er begann Worte zu suchen.
»Was ist denn euer so berühmtes Weihnachtsfest?« sagte er mit Hochton. »Mein Gott! . . . die Menschen sind blöde Narren . . . weil sie nur immer sich an Namen klammern, die im Grunde gar nichts bedeuten . . . Namen ändern gar nichts an diesem unabänderlichen Gaukelspiel,« sagte er wie ein feierlicher Prediger.
Er verwandelte seinen Ton immer mehr in Härte.
»Aber eben . . . das Aufbrechen des Schimmers . . . des goldenen, wärmenden Glanzes . . . Ja . . . aus Orten, wo es sonst dunkel ist . . . das ist das große Geheimnis . . . vielleicht muß das Glänzende immer wieder in Finsternis tauchen . . . auch in mir mag es so zugehen!« sagte er mit sicheren Blicken. »Das Unheimliche verwandelt sich in ein Lichtfest . . . in jedem Menschen steckt eine verborgene Grube, darin die Genien mit den Dämonen in toller Umklammerung liegen und schlafen . . . oder auch manchmal durcheinanderträumen!« sagte er emphatisch.
Franz konnte jetzt sprühen. Mutter und Eduard kannten ihn kaum wieder. Hellen lächelte flüchtig zu Eduard hin und sah Franz in die funkelnden Augen.
»In einem jeden steckt solch eine verborgene Grube . . . darin die Dämonen der Finsternis sich vielleicht gar in Genien des Lichtes verwandeln können . . . wer soll denn das Geheimnis mit Worten ausdrücken?« sagte er dumpf. »Denn im Grunde ist überhaupt gar nichts von alledem zu greifen . . . alles geht in der verfluchten Verwandlungskunst dieser Welt seine geheimen Wege . . . das Gute und das Böse!« sagte er.
Eduard mußte am Ende lachen. Es war eine Weile wie eine Erhabenheit im Raume. Auch Hellen lachte schüchtern auf.
Da ging die Erregung Franzens wieder unter.
Die kleine, liebende Mutter strich Franz die dunklen Haare aus der Stirn, die ihm bei seiner fieberhaften Aussprache ins Gesicht gefallen waren, aber ihn nicht weiter gestört hatten.
Er lachte jetzt jäh. Er saß in toller, heißer Weinlaune. Halb Schmerz, halb Wollust beherrschte ihn. Und er blieb wieder lange stumm.
Man tändelte mit den Flittern vergoldeter Äpfel. Man knackte Mandeln und Nüsse.
Es war Weihnachtsfeier.
Franz sah dann in Eduards Augen mit schelmischen Blicken. Und sah herrisch in Hellens Augen hinein. Ein Herr war er jetzt wieder. Er hatte sich längst aus den Trümmern neu zu sich gefunden. Er war jetzt ein würdiges Glied dieser Tafelrunde.
Rühmens und Lobens über Eduards Kunst kam laut aus seinem Munde. Eduard war entzückt. Er sah Franz liebend an. Die Mutter hörte Franzens Worte wie ein Orakel. Und Franzens glimmende Blicke konnten jetzt immer wieder Hellens Augenglanz streifen, die sich an Eduard barg.
Es war eine seltsame Weihnacht.
Man fühlte sich aufgewühlt und gehoben.
Hellen bebte heimlich.
Noch viel mehr, als am Ende die alte Sorgendame aus guter Sitte verfügte, daß Franz Hellen heute in ihre Wohnung heimgeleiten sollte.
Hellen, in einem unbestimmten Gefühl von Duldung und Müdigkeit, ergab sich drein. Weil auch Eduard sich jetzt gescheut hätte, Franz dieses Zeichen brüderlichen Vertrauens von dem Weihnachtstisch zu streichen.
Eduard küßte Hellen auf Mund und Stirn und Hände. Und Franz und Hellen liefen dann durch die Straßen.
Aber in Franz wütete jetzt das Gift immer mehr.
»Dieses Frauenzimmer habe ich angefallen wie ein Raubtier und ihr dann Geld abgenommen . . . meiner Mutter habe ich eine unersetzliche Kostbarkeit gestohlen!« begann es in ihm verborgen zu schreien. Er wußte nicht, wie er mit sich fertig werden sollte. Und war doch jetzt Herr und ging hochgereckt.
Hellen ging neben Franz, in ihren Pelzmantel tief eingehüllt. Sie hatte seinen Arm ergriffen. Aber die Kälte machte sie schaudern.
»Warum muß denn grade ich eines andern Geliebte nach Hause führen?« sagte er hart, wie sie eine Weile stumm gegangen waren.
»Aber Franz, alte Damen wie Mama sind doch nun einmal so . . . voreingenommen,« sagte Hellen wie in einem Zwange oder Traume.
Franz hielt Hellens Arm wie in einer Klammer. Er ging mit harten Schritten, die laut stapften. Er hatte etwas unbegreiflich Tyrannisches und Jähes jetzt. Er sprach schon lange gar nichts.
Hellens Seele war wie ganz in diesen Augenblick zusammengepreßt, wie ein Ding ohne Vergangenheit und Zukunft. Wie ein Nichts fast, das doch eines andern Gewalt jetzt herrisch umspielte.
Sie fühlte fortwährend Franzens Blutwelle durch ihren Ärmel hindurch, und es schien ihr in unbestimmtem Erschauern, als wenn seine Blutwelle sich mit ihrer Blutwelle ewig zu schaffen machte.
Hellen war plötzlich krankhaft müde. Sie lief neben Franz bald wie im Bannschlaf. Und doch lebten beide schon miteinander ein heimliches Leben.
Wie sie so stapften, schien es Hellen, als wenn kein andrer als Eduard mit ihr ginge.
Franz hatte längst die Verwandlung in sich vollzogen. Er schritt sicher und anmutig, wie Eduard im Glücke schreiten konnte. Hellen träumte jetzt ganz deutlich Eduard neben sich in die Nachtluft.
Franz war einer, der in den Gründen der Seele Bescheid sah. Er fühlte Hellens Traum. Er wurde ganz zärtlich im Gange. Er störte Hellen nicht mehr und weckte sie nicht.
So liefen sie beide wie in schwerer Gebundenheit.
Keine Ausflucht. Auch wie sie längst oben im Atelier saßen, sie auf den Lehnstuhl hingestreckt und in tiefem Dunkel.
Franz hatte ausdrücklich kein Licht gemacht. Im Laternenschein von der Straße her waren sie im Treppenhause emporgekommen.
Bis Franz sich im Dunkeln von der Chaiselongue wieder erhoben hatte und auf sie zukam.
Da schrie Hellen auf. Aber es blieb ein Schrei ohne Seele. Es hallte nur wie aus einer Steinschlucht, geängstigt und unheimlich. Die Seele war nicht mit erwacht. Sie lag hinter Erstarrung und Zwängen gebunden. Sie träumte von Eduard. Und es blieb dunkel im Raume.