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Einige Tage und Wochen waren hingegangen. Der Termin des Konzertes kam heran.
Franz war besonders lustig aufgelegt. Da gab es kein dumpfes Scheelsehen. Er schien gradezu gemächlich. Er spottete über den Agenten. Und wenn jemand wirklich liebend für Eduard sorgte, war es der bleiche, brandäugige Franz mit der vorgebauten Stirn und den glattrasierten, hohlen Wangen, die mager auf den Knochen saßen.
Franz hatte sich in der Zeit um alles gekümmert. Er hatte so zu sagen tagelang gute Werke getan. Im Konzert selbst saß er auf der Seite ganz nahe dem Podium.
Ein Konzert! Ein Schwirren von Menschenstimmen zuerst, die aus schwatzenden Mündern kommen. Eine Fülle stechender Lichter, die hoch im Raume über tausend Köpfen hängen und in die Augen blenden, wohin das Auge sich flüchtet. Damenköpfe, Haarwülste und Flechten aufgetürmt, darin Steine blinken. Geruch aus Haaren und Leibern. Herren, die im Frack stehen, den Zylinder in der Linken und durch Gläser in die Menge blicken. Allenthalben zwischen Dunkel die hellschimmernden Flecken der nackten Frauenschultern. Und alles in ruheloser Bewegung, alles in ruhelosem Geschwirr.
In solchem Umwühlen von Menschen gibt es lange keinen Stillstand. Oben auf den Galerien stehen Züge von Menschen, die nicken, sich wenden, herab und hinauf sehen, sich setzen oder Mäntel ablegen, Zettel vor die Nase halten oder Glas oder Monokle putzen. Da ist noch nirgend Stille und Ruhe.
Bis Eduard aus der Künstlertür Hellen Raddas über das Podium heranführt, die im Lichten dasteht, und deren Blicke mit denen Eduards freundlich und tief sich neigen.
Da beginnt plötzlich aus tausend Seelen die schöne, erhebende Weihe.
Und nun tropfen zuerst leise, dann immer mehr schwellend und steigend die Töne, aus Hellens Händen ausgestreut.
Und die Geige Eduard Popjels singt süße Cadenzen, schwingt sich über die versunkenen Hörerköpfe zu den Lichtern im Raum, beginnt ein seliges Widerstreiten mit Hellens volltönigen Klangweben und macht die stummen Seelen der Lauschenden immer höher und himmlischer schlagen.
Bis auf Frau Roßberg, die mit ihrem Taschentuche sich unentwegt eine Fliege wedelt und sich dann und wann ganz gleichgültig umsieht.
Franz Popjel fühlte das Rauschen und Rascheln ihres Seidenkleides, obwohl er die Hand vor die Augen gepreßt dasaß.
Er hätte beinah ein Zornwort gerufen.
Er bezähmte sich, sandte nur einen jähen Blick zu der Dame hinüber und war neu versunken.
Man spielte auch die Elegie von Sinding. Das floß ganz ein wie Leiden in Franzens Blut.
Wenn es jemand hätte leben können, was Franz fühlte und lebte, wenn er im Zauberbann der Töne tief gefangen saß. Seine innerste Natur war ein heißer Krater. Alle Feuer waren jetzt darin lebendig. Jähe Opferherde brannten. Die Flammen waren langgedehnte sprühende, lodernde Zungen. Die Tonschwalle sangen, wie der Sturm rast in Flammenwogen. Die losen Töne stachen wie Funken.
Nirgend stille, klare Lichter wie Sonnenstrahlen am friedlichen Tage.
So war nicht Franzens Seele, die in Musik vergraben sich mühte.
Ganz erdversunken war die Welt, die in ihm aufquoll, wenn er Musik hörte.
Das schlug ihm Wunden, daß er wie ein Gemarterter lachte. Verzehrende Brände, nicht Blumen. Sausende Stimmen schrieen in diesen Abgründen nach Erlösung.
Man ahnt nicht, wie Musik aussehen konnte in diesem Blute. Welche Urgewalten und Höllendünste sie aufwühlen konnte. So daß nach solchen Stunden, mit tönenden Mächten durchkämpft, eine noch unsinnigere Gier zurückblieb, einmal bis zum letzten Geheimnis aller Erdentiefen durchzudringen.
An diesem Abend hatte es Franz abgelehnt, noch mit den Künstlern zusammen zu sein.
Wie man in dem kleinen Hotelsaal an dem vornehm und blumig gedeckten Tische mit den Gläsern klang, die lachenden Damengesichter Fräulein Hellen Raddas und die losen Künstlerköpfe hin und her dem Meister Popjel zuwinkten und zutranken, und bald immer lauter Geschwatz und Geschrei hier und da an den Nebentischen sich erhob, war Franz Popjel nur durch den halberleuchteten Hinterhof des Konzerthauses hinaus gehastet und seiner Wege gegangen.