Carl Hauptmann
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Carl Hauptmann

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Siebentes Kapitel

Wenn jetzt Hieronymus van Doorn unter seinen Fischersleuten ging, trug er ein sehr jaches Wesen zur Schau. Was er sagte, klang hart und unversöhnlich. Die andächtigen Fischersleute sahen sich dabei oft verwundert an. Es schien ihnen, als ob einer mit dem Teufel kämpfte, nicht als spräche der Heiland, wie es früher war.

Die Einfalt hatte richtig empfunden.

Hieronymus brauchte jetzt alle Inbrunst und alle Gebete, um sich gegen sich selber aufzurichten. Nicht äußerlich. Er ging noch immer hochaufgerichtet. Aufgerichteter wie je. Herausfordernd. »Welcher Mensch könnte mich einer Sünde zeihen?« So stand es fast pharisäisch in seinen Blicken und Mienen geschrieben.

Aber in seinem verborgenen Leben hinter den Mauern des Pfarrhauses war weder Gott, noch die heilige Jungfrau im Raume.

Hieronymus van Doorn saß dort vor sich hinbrütend und brachte so oft Stunden im Halbtraum zu.

Es war in der Zeit, wo Herr und Frau Kroen in ihr Palais in der Hauptstadt zurückzukehren pflegten.

In dieser Zeit war Hieronymus van Doorn völlig zerschlagen. Er besann sich nicht groß mehr auf andere Pflichten. In seinen Träumen war er kein Priester mehr. Seine Träume hatten aufgehört von Engeln mit Schalmeien und von weißen Tieren zu träumen. Wenn es ein weißes Tier war, so konnte es nur ein weißer Zelter sein, der eine Burgfrau als Braut in eine van Doornsche Ritterfeste hineintrug.

Frau Hartje war die Burgfrau, Hieronymus van Doorns allergeliebtestes Erdenweib, das er selber in seinen starken Ritterarmen auf den Zelter emporgehoben.

Und er träumte dann, wie er sie mit Kostbarkeiten und Steinen und Schätzen wie aus Tausendundeinenacht glückstrahlend behangen. Daß ein van Doorn Frau Hartje wie eine mythisch reiche Königin mit Glanz und Kleinodien besät, noch ganz anders, als ein Kroen je ein junges Weib hatte schmücken können.

Auch jetzt träumte er noch oft den Kranz blauer Blumen auf sein Haupt, mit dem Frau Hartje ihn einmal draußen in den Dünen gekrönt hatte. Er hatte das ärmliche Gewinde in ein weißgoldiges Brokattüchlein gehüllt und verwahrte es im Schube unter heiligen Dingen.

Und wenn er es ansah, küßte er es, wie er den Goldkelch Gottes leibhaftig mit den Lippen berührte.

Da stand auch wieder der junge, feuchte Mund und das frommselige Gesicht der Frau Hartje vor ihm. Und dann wähnte er gar den Himmel aller Seligkeiten offen. Dann fühlte er, daß er Frau Hartjes schlanken, schmiegsamen Leib in seinen Armen festgebunden hielt. Und er war in Verzückung und kam lange nicht zu sich.

Endlich erwachte er doch wieder in seiner Pfarrhausarmut.

Er hatte kaum mehr als Bett und Stuhl, ein paar dürftige Regale, einen hölzernen, plumpen Tisch den er seinen Schreibtisch nannte. Und wenn nicht die Gottesmutter in allerlei bunten und Goldtünchen auf dem Betpult gestanden, wären der Farben und des Glanzes wahrhaftig hier nicht viel zu greifen gewesen.

Dann lachte Hieronymus höhnisch.

Dann sah er scharf und verletzt die bunten Bilder der Götter kalt und nüchtern ragen.

Dann begriff er gar nichts als nur, daß seine Lage durchaus nicht eine van Doornsche, jedenfalls aber eine völlig zerrüttete war.

Die großen Meerwellen kamen aus dem Grau und überstürzten sich mit Schaumkämmen und schlugen den öden Strand. Die Sturmtrompeten aus dem Norden bliesen eherne, johlende Laute. Die Sturmvögel schrieen in die verdüsterte Meerluft. Sie strichen vom Lande her. Auch im Kroenschen Strandschlößchen fegte der Herbstwind durch den Garten, trieb rote Blätter in den Wegen um und machte die anmutige, lichte Frau Hartje im Herzen trübe.

Das waren für Hieronymus van Doorn schwere Tage.

Kisten und Kasten standen im Hause gepackt. Die alte Gräfin mit der jungen Komtesse waren schon vorher heimgefahren. Auch von Frau Hartje sollte er jetzt für einen langen, einsamen Winter Abschied nehmen.

Das Blut des jungen Priesters stockte in allen Adern.

Auch Frau Kroen litt heimlich von dem Gedanken an die Trennung.

Wie Hieronymus durch die durchpfiffenen Dünen ging, rief er ihren Namen in die stoßende, harsche Grauluft.

Des Weges hatte er nicht geachtet.

Er kam durchwettert vor dem hohen Eisentor an.

Frau Kroen stand trotz des pfeifenden Sturmes im Garten. Ihr kirschrotes Tuch um die Schultern flatterte. Sie lachte wehmütig in das Treiben der Blätter.

Herr Kroen war nicht in der Nähe.

Frau Hartje hatte beide feinen, schmalen Hände dem bleichen Asketen ängstlich und scheu entgegengestreckt. Und Hieronymus hatte diese beiden, süßduftenden Hände auch sogleich inbrünstig geküßt.

Und es war ihm, als wenn seine Kraft vollends zu ihren Füßen nieder in den Erdboden versänke, als wenn er jetzt ihre junge Gestalt in seinen Armen wirklich aufheben und forttragen müßte, als wenn es jetzt keine Macht Himmels und der Erden mehr gäbe, die ihn abhalten könnte, das Weib Hartje an sich zu reißen und ihres Lebens letzte, lieblichste Süße ganz auszukosten.

Es war nur ein Augenblick.

Frau Hartje hatte deutlich die Gefahr empfunden. Sie hatte eine so flehende Gebärde gemacht. Ihre blauen Augen baten so zärtlich. Ihre schönen Hände lagen so gebenedeit abwehrend gegen ihn in der Abendluft, noch ehe er eine kleinste Bewegung aus seiner Erstarrung und aus seinem Erstaunen getan. Denn wie er Frau Hartjes Hände geküßt und losgelassen, hatte er sie ins Auge gefaßt, als ob er noch nie im Leben je eine solche lichte Herrlichkeit angesehen.

So stand Hieronymus noch erstarrt, als Herr Kroen lustig dazutrat und den bleichen Priester mit vergnüglichem Handschlag begrüßte.

Dann saß man mit heiterer Wehmut bei Tische.

Und weil die Abende jetzt früh hereinbrachen, hatte Frau Hartje Befehl gegeben, die Kerzen am Flügel anzuzünden. Und nun quoll Lied um Lied aus versunkenen Mienen und ihren feuchtglänzenden Lippen sehnsüchtig in die unheimlich tosende Düsternacht.

Fromme Gesänge, die von heiliger Inbrunst sprachen und die Herr Kroen lobte.

Hieronymus van Doorn sogen sie Blut aus Hirn und Schläfen, wie Vampyre saugen.

Der bleiche Priester saß in einer Ecke des Kroenschen Musiksaales, in sich eingesunken. Die nervige, ruhelose Hand jetzt ganz aufs Gesicht gepreßt.

Und durch einen Fingerspalt sah er Frau Hartjes vom Kerzenschein vergoldetes, junges, inbrünstiges, singendes Gesicht. Und er hörte ihre glockenreine Stimme und war nicht bei sich.

Er wußte dann auch nicht, wie er ins Pfarrhaus und in sein Bett gekommen war, als er sich am andern Morgen daheim entdeckte. Er war ganz zerfahren und völlig unschlüssig, ob er in die Welt seiner heiligen oder unheiligen Pflichten – was galten sie ihm noch? – je zurückkehren sollte?

Frau Hartje und Herr Kroen fuhren an diesem Morgen in die Hauptstadt zurück.

Und der Winter kam.

Und Frau Hartje saß in der großen Gesellschaft. Ging in fließenden Schleppkleidern, schlank und lustig und vornehm durch die Salons.

Sie saß im Königsschlosse neben Generalen und Kavalieren, die mit ihr lachten und scherzten.

Und sie dachte von ferne auch manchmal des Hieronymus van Doorn, der in seiner armen Pfarre saß, doch wieder ganz eingeschnürt in seine heiligen Pflichten. Der durch die Dünen verwettert zu Sterbenden und Kranken lief und dann einsam ins Pfarrhaus zurückkehrte, darin die Wände ihn arm und leer anstarrten, und die heiligen Figuren, die nur Holzpuppen waren, ihm seine Hoffnungslosigkeit ins Gesicht schrien.


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