Carl Hauptmann
Nächte
Carl Hauptmann

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Elftes Kapitel

Heimlichkeiten lassen sich für manches Blut schwer ertragen. Heimlichkeiten sind Schatten, die im Blute umgehen. Das Blut sehnt sich, sie in Licht zu verwandeln.

Aber manche Heimlichkeit muß ertragen werden. Da gab es auch für Hellen kein Besinnen.

Wenn Hellen in ihrer Einsamkeit zurück sann, sehnte sie sich, ohne Erinnern zu leben, wusch und wusch sie das Schweißtüchlein ihrer heimlichen Schmach und Schmerzen.

Aber vor Eduards Blicken ging aus der Höhle des Grams und der Vernichtung ein Hauch reiner Himmelsgeschenke, gab sich nicht ein zufrieden strotzendes Leben, sondern ein Streben und Ersehnen und Erringen und Werden ins Licht, eine inbrünstige Genugtuung, ihm zu dienen, und die Stimme des Grams mit liebender Tat zu übertönen.

Hellen war in der Zeit bis gegen den Frühling ein ganz verwandeltes Wesen.

Das Kühle und Gläserne ihres Blickes und ihrer Geste schien schmiegsam und edel gebeugt, demütig und stolz. Die Augen hatten den Glanz von hellem Wasser noch immer. Aber sie waren groß geworden, lagen voll Erstaunen. Und die kleinen, geschwungenen, hellbraunen Flügel der Brauen zitterten oft von verhaltenem Leben. Der Mund lag fein geschlossen, aber so lieblich nur auf einander gelegt die Lippenränder, als wenn sie sich noch in Liebe auf Eduards breite Lippen legten.

Hellen war kaum wieder zu erkennen, so hatte Schmach und Liebe sie verwandelt.

Auch ihre Kunst hatte sich erschlossen, wie Knospen sich erschließen zu vollem Leben.

»Wer ohne die letzten Geheimnisse das große Wunder wecken wollte, wäre ein Tor!« sagte sie oft mit Eduards Worten, stolz auf ihn lauschend, wenn er neben ihr aufragte und mit seiner Geige sang. Und ihre Seele das Wunder wähnte.

Und wunderlich auch: Hellen wurde allmählich der Erinnerungen Herr und ließ sie hinter sich. Als wenn etwas nicht gewesen wäre, und das Blut Macht hätte über das Tote. Die Minuten gelebten Wahnes und niederer Verlockung schwanden völlig aus ihrem Besinnen. Sie besann sich nicht mehr, einmal ohne Licht in der Tiefe den Zwang kalter Grüfte in ihrem Blute beleidigend genossen zu haben. Sie lebte wieder nur die freie Macht, die das tätige Leben ihr täglich neu aus Licht und Tönen und aus Eduards zutraulichen Blicken zuführte.

Hellen genas auch gegen Franz.

Franz stand nicht mehr als ein böser Schatten irgendwo. Seine Macht war zerronnen wie ein Gespenst, sodaß der leere Pelzflausch allein noch zum Ausklopfen auf der Stange hing, der einmal wie ein Unhold geschienen.

Als Franz einmal zufällig noch bei der Mutter stand, wie Hellen ins Haus eintrat, war nur plötzlich ein tiefes Mitleiden in ihr heiß und ohne Erinnern aufgestiegen.

Franz war wie ein feiner Herr gekleidet. Hellen grüßte ihn freundlich.

Und Franz verbeugte sich wirklich, von der gütigen, freien Reinheit überwältigt. Er küßte ihr die Hand, was er nie im Leben je getan hatte. Er verbeugte sich auch bei ihren schlichten Worten, bei denen sie ihn kindlich ansah. Er fühlte ihre sanfte Rede, die von nichts Wichtigem, nur von seinen Studentenhoffnungen plauderte, wie einen weichen Flügelschlag, fühlte sich ergeben und klein gemacht und wußte nach der Begegnung mit Hellen den Weg zu sich in langer Zeit nicht zurück zu finden.

Übrigens hatte Franz dabei durchaus seine Haltung bewahrt. Er war ja doch auch in dieser Zeit ein sicherer Herr geworden. Er hatte auch versucht einen Blick anzunehmen, der verriet, daß er Arbeit wußte und Ziele sah.

In dieser Zeit war Franz auch öfter in den Klub gelaufen, wo man ihn sehr liebte. Er hatte immer viel Geld zum Vertun und Verspielen mitgebracht.

Baron Vogelsang hing wieder an ihm. Eine Weile hatte Vogelsang Franz nicht vergeben können, daß er den jungen Oliven ihm vorgezogen.

Oliven war ein übermäßig schlanker, spitzer, gefälliger Mensch, braun im Gesicht wie ein Indianer. Der immer lustig sein konnte, und eine Leidenschaft hatte, Jongleurkünste zu treiben. Daneben auch ein ausgezeichneter Chemiker und unter seinen Kommilitonen wegen seiner Gescheitheit sehr angesehen.

Aber Baron Vogelsang hatte sich jetzt neu überzeugt, daß in Franz eine ganz verrückte, geniale Seele steckte, wie er sich lachend auszudrücken pflegte.

Man machte oft Ausfahrten im Automobil und dergleichen, weil einige Vorfrühlingstage hinausgelockt.

Da war es in einer Nacht im März.

Auch Franz hatte mit den jungen Tänzerinnen gespeist, deren eine mit Baron Vogelsangs Gelde eine reizende Wohnung inne hatte. Die jungen Männer hatten Tollheiten getrieben. Oliven hatte mit Ananas, Orangen und Perlen über dem Tische voller Weinkelche seine Jongleurkünste gezeigt. Man saß in entzückenden, losen Kostümen.

Auch Franz war im Frack erschienen.

Der Speiseraum war von erlesenem Geschmack. Die Wände einfarbig purpurn. Die wenigen Möbelstücke, eine Kredenz und ein weites Buffet waren von hellem, altem Rosenholz. Die Tischplatten von schwarzen Mohren mit goldenen Schürzen getragen. Lange Orchideenzweige standen da und dort aus Krystallkelchen ragend.

Er war ein schwüles Arom im Raume. Das gleichmäßig an der kassettierten Decke verteilte Licht gab einen lichten Dämmer. Und junge Männer und Frauenstimmen lärmten durcheinander, lachten und kreischten und kicherten.

Da war es plötzlich am Schlusse des Mahles über Franz gekommen wie eine herausfordernde Verachtung.

Franz hatte einen Streit richtig vom Zaune gebrochen.

Er war mit Oliven über Frauenkleider an einander geraten, und hatte unversehens die Parfums der anwesenden Damen getadelt und ihren Geruch gemein und niedrig genannt.

Es mochte sein, daß er in diesem Augenblicke die ganze Atmosphäre stechend und abstoßend empfunden.

Jedenfalls hatte er gleich eine Miene angenommen, als wenn er das Fest verlassen wollte.

Weil seine schroffen Bemerkungen bei Olivens blonder Geliebter zu Tränen und bei Vogelsangs zigeunerischer Hetäre zu drolligen Verhöhnungen geführt hatten, so hatte sich Franz in seiner augenblicklich aufquellenden, inneren Bestürmung gar nicht mehr halten können. Er hatte geschrien, daß er lieber in einer Kneipe mit Bauerndirnen und Dienstmädchen, die heimlich von der schweißigen Arbeit von Hause gelaufen und nach Fleisch und Lüsternheit röchen, als mit solchen künstlichen Puppen sich amüsieren möchte. Dann war er hinaus gelaufen und hatte die Tür in seiner Zornanwandlung hinter sich zugeworfen.

Was ihn überfallen, wußte er selber nicht. Es war Nacht. Er lief auf den Stadtstraßen.

Aber seltsam genug, daß er nicht einen Weg wußte, wohin zu gehen? Nur fühlte er, daß er es im Blute hatte, was ihn am reichbesetzten Tische der zigeunerischen Hetäre und in der Gesellschaft der Klubfreunde angewandelt, ihn zum Streite und zu Schmähungen hingerissen und jetzt weiter in die Irre brachte.

Der Mensch ist ein Ding, das Speise und Trank zum Schlüssel seines Lebens braucht, und Sonnenstrahlen, die es warm durchdringen, damit es im Lichte wandeln kann. Aber der Mensch ist auch ein Turm, mit seinen Grundfesten tief in die Zeit hinein gebaut. Auf allerlei vergrabenen Schätzen und versunkenen Götterbildern ruht sein Bau. Und die Kämpfe, die in ihm wühlen, können weder Wein noch Speise, weder der Mond noch die Sonnenstrahlen in Harmonien verwandeln.

Da ist ein Wirken und Geschehen und Schicksal, das sich seine Wege aus der tiefsten Tiefe ans Licht sucht wie brennende Lava, die das Innere mit lebendigem Feuer ausfüllt und die Umgegend mit Feuer überschüttet.

So ging es in dieser Nacht aus Franzens Blicke heraus gleich wie sengende Funken.

Der Abscheu hatte ihn erschüttert. Die Sehnsucht zerriß ihn.

Wenn er jetzt irrte und nichts sah, was in den grauen Nachtstraßen um ihn war, so waren es Schreie, die sich in ihm aufrangen.

Er war lange nicht daheim gewesen. Seine Schritte wurden hastig. Er dürstete nach einem Tranke reiner Luft. Er lief, was er konnte.

Er war in die Straße gekommen, wo die Wohnung der Seinen lag.

Oben im dritten Stock im Zimmer seiner Mutter schien noch Licht hinter den Vorhängen.

Franz stand ewig unten auf der Straße. Er starrte sehnsüchtig in die Höh. Er sah jetzt einen Schatten gegen das innere, warme Licht. Es deuchte ihn, daß er die gebeugte Gestalt der kleinen Frau Popjel unterschiede.

Wie von einem Zapfen kalten Eises floß Gefühl von Franzes armer, dürrer Seele.

Der Kampf, den Franz jetzt führte, hinauf zu gehen, schien ihm lächerlich. Weiche Gefühle galten ihm einen Fluch. Er war zu sich gekommen, versuchte neu Haltung zu nehmen, und schritt wie ein feiner Herr weiter, stolz den Stock auf den Rücken gepreßt, und das Monokle, das er unter den Klubfreunden getragen, aus verächtlicher Anwandlung wieder ins Auge gekniffen.

So spazierte er weiter und bog in die Promenade.

Es war eine Vorfrühlingsnacht. Die Erde roch stark. Das betäubte ihn sogleich neu, sodaß das Monokle wieder achtlos seinem Auge entglitt, und er in die alten Schmerzen neu gebunden war.

Wenn man Franzens Herz in diesem Augenblicke hätte anpacken und aus der Umklammerung hätte herausreißen können, so wäre es einem in den Händen geblieben, das hämmernde, zuckende Herz eines Schwermütigen, der nach seiner Jugend und seiner Menschlichkeit irren und suchen ging.

Franz war wieder in die Stadt eingebogen.

Es kam ein Leichenzug. Sonst war die Nachtstraße ganz leer. Schmucklos und kahl stand ein gewöhnlicher Brettersarg auf dem Leichenwagen. Ein Selbstmörder mochte in dem Brettersarge liegen. Ein paar gewöhnliche Arbeitsleute hasteten mit den Pferdetritten um die Wette. Die Pferdehufe trappten dumpf und eilig. Der Wagen gab ein dumpfes Rollen, das sich rasch im trüben Straßenschlunde verlor.

Ein langes, endlos langes Gefühl begann Franz ganz auszufüllen, ein vollständiges Umwobenwerden der Sinne und der Seele, wie wenn es kein Entrinnen gäbe nah und weit, tastend und greifend in die graue Nachtluft und hoch über Häuser und Zinnen in das hoffnungslose Dunkel.

Er hatte das Haupt erhoben, um aufzublicken. Es war eine Nacht ohne Raum. Die schwelende Dämmersphäre der Stadt schloß sich ganz nahe über den Häuserzinnen. Es blieb ewig diese enge Kapsel, in der er saß wie ein Kern in drückender Schale, selber nur lebend, um dieses lange, einzige, hoffnungslose, unentrinnbare Gefühl des Begrabenseins in Grüften auszukosten.

Franz hatte lange im Sinnen dagestanden. Erst eine fremde Hand mußte ihn schütteln und wecken, so daß er sich zuerst fast bedroht sah, weil er völlig in einer andern Welt gebunden gewesen.

Aber es war keine Gefahr. Badura schüttelte seinen Arm.

Badura war auch als feiner Herr gekleidet wie Franz. Auch er trug einen Zylinder und lachte wie ein Mädchen. Und er sprach jetzt so sanft, wie wenn er eine Beichte täte. Er erzählte Franz sein Vorhaben und wünschte mit ihm weiter zu gehen.

Der fremde, harte, unbeugsame, herrische und ablehnende Franz lachte mit Schärfe, wie es Badura längst von ihm gewohnt war und wies den Kameraden auf seinen Weg weiter. Das alles nur so leise hin in der Finsternis der späten Nachtstunde, die auch Franz auf seine Weise noch in ihrer Klammer fest hielt.

Ein gemachter Gruß beider, die ihre Zylinder tief abnahmen vor einander, machte dem Flüstergespräch wie in einem Schauspiel ein Ende.

Franz war hart umklammert. Gefühle, die wie der Tod sind, können sich nicht von einer Straßenecke zur andern lösen.

Um Franz war nur ewig jetzt ein dumpfes Trappen der Pferdehufe und ein dumpfes Rollen, als wenn der Tod Straße um Straße, Ecke um Ecke mit ihm vorwärts zöge.

Franz war tief geängstigt. Er war auf seinem Irrpfade wieder in die Straße gekommen, wo oben im dritten Stockwerke das Fenster von Frau Popjels Zimmer lag. Jetzt nur noch beglänzt vom äußeren Laternenschein. Die kleine gebrechliche Frau schien nun zu schlafen. Innen war Tiefdunkel.

Die Angst schlug Franz jetzt jäh mit Zittern und Klappern der Kiefer. Er hatte keine Macht über sich. Weil er den Haustürschlüssel immer im Rocke bei sich trug, hastete er die Treppen zur Popjelschen Wohnung empor. Er stand ewig vor der Korridortür und bebte und horchte.

Es war tiefe Nacht. Wenn er jetzt eingedrungen wäre, wäre er wie ein Dieb auf Schleichwegen gekommen.

Am Ende schlich er die Treppen wieder sorglich nieder. Und lief in seine Wohnung. Und fiel in einen ehernen Schlaf, darin Selbstmörderscharen ihn anwehten wie im Wirbel bei schwerem Flockenfall, und das todbleiche Gesicht seiner Mutter fortwährend flehend auf ihn gerichtet im Raume stand.


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