Carl Hauptmann
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Carl Hauptmann

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Fünftes Kapitel

Oben am Kamme schoß Junggrün aus den Moorwiesen, und die Knieholzgebüsche huschten drüber wie dunkle Schatten. Hoch dehnte sich der Äther in blauer Klarheit. Vogelgezwitscher und Jubilieren flatterte einsam in die flechtengelben Steinfelder und koste das Ohr des Wanderers in den Einöden.

Wenn Claus Tinnappel jetzt hier oben am Hange dem Raubvogel nachschlich, sah er vergraben und fremdartig aus. Seine Blicke hatten nichts Gutes mehr. Er sah in die blendenden Lüfte auf und sandte die Kugel aus der Büchse. daß sie unbarmherzig wie ein höhnischer Pfiff klang, und der schweifende Bussard mit dumpfem Fall ins Gestein ging.

Claus Tinnappel war ein ganz andrer Mann jetzt. Das Lachen hatte er ganz verlernt. Nämlich dazu hatte es für ihn gar nicht erst der Aufklärung bedurft.

Die weiten Felder von Rehheide lagen wieder golden im Glanze.

Aber wie Salie auch nur einmal nicht mehr in dem nächtlichen Glanze erschienen war, wie er auch nur einmal umsonst die Abhänge nieder gesehen und ihre fliegenden Schritte gesucht hatte, war ihm der Zusammenhang gleich klar geworden.

In dem Hause der Frau Rotkegel war Salie nicht zu finden gewesen.

Auch Frau Rotkegel hatte zuerst gar nichts gewußt.

Dann war es bald ruchbar geworden, daß Salie längst einem andern Manne am Halse hing.

Die kleine, zarte Frau Rotkegel ließ sich überhaupt gar nicht mehr sehen. Sie war hinter ihren Vorhängen und Spitzengardinen vor Scham ganz leidend geworden.

Salie hatte in den Tagen, wo wieder die großen Mohnblumen vor dem Rotkegelschen Hause geblüht und das Trauerjahr vorüber war, nicht lange gewartet. Sie hatte mit Herrn Hecht . . . so hieß der schnauzbärtige Fremde, der jetzt als neuer Besitzer der Brauerei ins Dorf eingezogen war, Hochzeit gehalten.

Alle Welt lachte.

Salie saß jetzt in dem großen Giebelhause der Brauerei, einhergehend wie eine junge, dralle Wirtin, und als wenn sie sich an einen Claus Tinnappel gar nicht mehr erinnerte.

Eine Schmach fraß Claus im Blute, daß er gar nicht mehr zu Tale ging. Eine jagende Unrast, die ihn in den Forst trieb, und die ihn empfindlich machte und jäh. So daß er die Fährten des Wildes wie ein Spürhund ausspähte und die Fährten der Wildschützen noch besser, nur um sich Ruhe zu schaffen.

In dieser Zeit konnte er nirgends sein.

Der Wald und die Hänge waren sein ständiges Wandern.

Dort wanderte er noch kaum rechts und links blickend. Nicht einmal die Pfeife hing ihm aus den verächtlichen Lippen.

Die Hände hatten etwas von zitternder Wut immer gleich, auch wenn nur ein Holzfäller etwas versehen hatte. Oder wenn ein Gesicht in klarer Waldluft flüchtig vor seinem inneren Auge vorbei gestrichen war.

Man begriff es.

Man ließ ihn jäh sein.

Auch der Förster sah, daß Claus ganz unzugänglich und abweisend war. Daß er es in seiner Lage ablehnte mit Menschen groß zu reden, außer wenn es der Dienst unbedingt verlangte.

Den Signierhammer in Händen schlug Claus mit hartem Schlage. Er tat alle Arbeit mit einem jachen Gefühl, als könnte er ebenso das Leben wie einen Baum dann treffen, daß nichts übrig blieb von all der Narrheit und den Lüsten, wie eine lächerliche Nummer.

In diesen Tagen, im Spätherbst, wo die Hirsche noch oben in der Heide standen und schrien, und der Frost nur eine Glasdecke über den Kamm gelegt hatte, war er einem berüchtigten Wilddiebe in den Strich gelaufen.

Sagasser war ein Mann, der klettern konnte wie ein Rehbock und schießen und paschen, was das Zeug hielt.

Oben am Teichrande war Sagasser seines Weges fürbaß geschritten und trug in der Hucke sein Geheimnis.

Wie Sagasser Claus Tinnappel, den Forstgehilfen. kommen gesehen, hatte er sich nicht groß besonnen, dem vergrabenen, vom Schicksal gehänselten Tinnappel den Rücken zu kehren. Kühn wie er war, hatte er das Stück Hirsch, das er unausgeweidet auf der Hucke im Sacke trug, die Felsen des Teichrandes im voraus niedergeworfen und sich selber auf die Hucke setzend gleich dahinter, und war heidi wie auf bequemem Winterschlitten die eisglatten, nackten Felsränder niedergesaust.

Aber Sagasser hatte sich in Tinnappels Todesverachtung getäuscht.

Claus Tinnappel galt jetzt das Leben auch keinen Dreier.

Er war mit sicheren Schritten, gleitend und packend, auf seinen schweren Nagelschuhen ohne Aufenthalt nachgefahren und unten am Wasserrande ebenso eilig gelandet.

Da gab es ein Ringen.

Claus umklammerte die Hand Sagassers, in der ein Hirschfänger offen blinkte.

Sie lagen bald über einander.

Es wäre beinahe um Sagasser zu tun gewesen. Nur hatte sich Claus Tinnappel plötzlich erinnert, daß Sagassers Häuschen im Dorfe neben der Brauerei lag, wo Salie jetzt wohnte.

Das war es, was seine Kraft schwach machte, die wie ein stählerner Ring noch immer die Hand des Wildschützen umspannt hielt.

Claus Tinnappel sprach jetzt nur ganz leise.

»Wart einmal!« sagte er mit gepreßtem Atem, »Du Hund Du . . . wirf nur erst Dein Messer weg . . . dann magst Du ruhig Deiner Wege gehen . . . weil mir . . . alle . . . Rache für meinen gemordeten Vater . . . doch nicht die Schmach . . . von der Seele wäscht . . . die ich von dem Weibe an mir trage,« hatte er nur fast geröchelt in der Anstrengung.

Er hatte Sagasser dabei so elendiglich und schwermütig angesehen, daß Sagasser sogleich die ganze Sache begriff und auch wirklich das Messer wegwarf und aufsprang.

Claus Tinnappel machte sein eigenes Wort verlegen. Er lachte nur ganz irr, wie Sagasser aufgesprungen war. Er sah nur den Steinhang an, den Sagasser und er, einander jagend, hernieder zu rasen gewagt hatten.

Und Sagasser begann Tinnappel sofort zutraulich und gutmütig zu erzählen, daß Salie großartig im Brauhause und in der Wirtsstube herum scharwenzte und herum lachte, auch in der feinen Brauerkutsche wie eine große Dame in der Gegend herumführe und sich mit ihrem handfesten, reichen Brauersmanne überall sehen ließe. So daß Claus eine Weile ganz bleich geworden, stumm zuhörte.

Bis ihm die Röte wie Purpur neu ins Gesicht und in die Augen schoß, als der Wildschütz wie zufällig noch dazu gab, daß das junge Weib doch wohl endlich vernünftiger werden würde, wenn sie zu dem bereits erwarteten Kinde käme.

»Halts Maul, Hund Du!« schrie Claus nur Sagasser sprühend in die Augen.

So daß der Wildschütz hastig Hucke und Packen griff und sich springend aus dem Staube machte. Jetzt zurück lachend. Aber in der Ferne noch einmal zögernd.

»Schönen Dank, Herr Tinnappel!« rief er dem Forstgehülfen noch zurück. »Diesmal hätte es einem oder dem andern doch die Seele kosten können! . . . verraten Sie mich nicht, Herr Tinnappel . . . gelt nee? . . . Sie verraten mich nicht?« rief er, daß es über dem Wasser verhallte, als er um die Felsecke verschwunden war.

Claus Tinnappel stand noch lange in den Felsen am Teichwasser, darin die eisigen, grauen Steinränder seltsam tief und kristallen wiederspiegelten.

Die starren Gräser in den Halden waren längst gelb geworden. Die Luft hoch oben hing in milchigem Opalglanze über den Schroffen. Der Winter war im Kommen.

Da saß dann Claus Tinnappel bald in der kleinen Forststube, war graugelb im Grame, rauchte und war nirgend aufzuwecken.

Das ganze Gebirge lag tief eingebettet in Schneelasten. Hirsche und Rehe waren mit den Menschen zu Tale gegangen, um sich vor den Wintergewalten zu bergen. Hoch oben sangen nur die Flockenwirbelstürme ihre johlenden, höhnenden Choräle und der Schnee jagte in Huschen über den weißgrauen Hang.


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