Carl Hauptmann
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Carl Hauptmann

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Drittes Kapitel

Am Hause des Herrn Kroen kroch die Herbstsonne über Dachwerk und Giebel und legte den großen Zackenschatten mitten hinein in braunes, raschelndes Laub und blaue Astern. Aus dem fein durchbrochenen Eisenwerk des Tores fuhr jetzt oft der tief gesenkte Wagen, darin Herr Kroen wieder mit heiteren Lebemienen und zur Rechten neben ihm Frau Hartje saß, jung und mit neu aus Leiden aufgewachten Augen die Welt der spinnnenden Herbstfäden und der weißen, schreienden Meervögel und die weiten, blauen Himmel darüber gespannt einsaugend. Oder Frau Hartje trat mit sanften Schritten, von Herrn Kroen oder von der pflegenden Nonne am Arm gehalten, auf die Kieswege im Garten und lachte leise die bunten Astern an, und die Möve, die über den Garten hinstreichend in Lüften hing und sie mit einem hochhallenden Rufe grüßte. Oder Frau Hartje saß auch, weil der Herbst warm und froh war, oft Stunden im Garten allein und ihre Gedanken waren ungebunden, und ihre Sinne flatterten sorglos wie junge Vögel, die zum ersten Male wieder aus dem Neste fliegen. Ein wenig hilflos noch war alles an ihr jetzt. Ihre Hände waren noch schwach. Und wenn sie Rosen griff, die Herr Kroen brachte, so mußte sie den vollen Strauß im Schoße stützen. Und sie zerpflückte dann langsam und mit Augen, die halb offen standen und hell glänzten, die Schleifen und Bänder, daß die Fülle der blühenden Blumen ihr gelöst im Schoße lag. Bis die zärtliche Hand jedes einzige, volle Blumengesicht einzeln aufhob und alle ihre Sinne ewig darein staunen konnten.

Aber sie war im Genesen. Das sang ihr das fröhliche Herbstgeläute aus der Ferne, wenn der Wind vom Lande stand und die Glockenklänge der Dorfkirche bis zu ihr durch die Lüfte sich schwangen. Das hing hoch in den weißen Wolkenschiffen. die in langen Scharen bis zum Horizonte sich verloren im blauen Himmel. Das sang ihr das helle Brausen des fernen, silbernen Meeresstreifs, wenn sie auf dem Steinaltan ihres Hauses den letzten Abendschein grüßte und nicht begriff, daß diese wonnigen, sonnigen Tage und die sorgenfreien, dunklen Schlummerstunden wieder ihr Leben geworden. Oh, sie begriff es doch. Sie dünkte sich fröhlicher noch, als sie je gewesen. Oft, daß sie sich, wenn sie so lange gelegen und in die spinnenden Lüfte gestarrt, selber wie der einsame Reiher hoch und fern und frei zu schweben schien.

Herr Kroen war immer voll Vergnügen um Frau Hartje.

Manchmal sagte er pfiffig: »Ein Wunder hat dich mir wiedergegeben.«

Dann zupfte er an ihren Schulterbändern herum und steckte wohl auch Frau Hartje das kirschrote Seitentuch fester um den Hals zu, das zu dem goldenen Herbstgewirr des Gartens einen lieblichen Eindruck gab. Dann mußte Frau Hartje lachen, weil es ihr sanft dünkte, daß sie ein Wunder Gottes gerettet hatte, und sie dachte von ferne an eine Macht ohne Grenzen, von stummen Menschenblicken und lautlos bewegten Menschenlippen herab gefleht, die heimlich willfährig gekommen war, ihr müdes, durstendes Herz neu mit Kraft und Glauben zu tränken. Oh, ihr junges Herz schlug jetzt fühlbar. Sie träumte oft der bleichen Nonne mit sanfter Röte im Gesicht in die frommen Augen hinein den Traum der himmlischen Gnade. Und es kam wie ein fernes Erinnern auch, als wenn des Heilands beide sanften Hände selber nach ihr sich ausgestreckt hätten, sie aus Ängsten der Finsternis und der eisigen Abgründe ins warme Licht emporzuheben.

Aber eines Tages kam endlich der junge Priester zu Herrn Kroen ins Haus. Er stand im Treppenhause, bleich und asketisch wie immer. Er tat sanfte Fragen, schon wie er mit Herrn Kroen die Treppe zu Frau Hartje emporstieg.

Da mußte sich Frau Hartje, die an der offenen Terrassentür im Lehnstuhl lag, vom Ton der Stimme getroffen, plötzlich besinnen. Da kam für ihr Erinnern, wie aus einer Brunnentiefe Perle um Perle, so das Bild eines Beters und Gottüberwinders herauf und ihrem inneren Blick immer näher, so daß sie vor dem Bilde, jetzt schon in den Rahmen der Terrassentür leibhaftig hineingeschaut als großer Schatten, gebunden dalag, als läge sie diesem Heiland in seinen ringenden Ruferarmen, und als hörte sie noch immer die stummen Gewalten mit zerrissenen Ausrufen aus diesem Munde Gott um ihre kranke Menschenseele bitten.

Hieronymus van Doorn war in dem Augenblicke mit Herrn Kroen wirklich eingetreten. Herr Kroen ganz wie ein Weltkind. Herr Kroen mußte laut lachen, weil Frau Hartje erst eine lange Weile nach dem Eintreten zu sich kam. Um so mehr, weil sie noch vollends ganz erbleichte, als sie Hieronymus van Doorn erkannte, den feinen, mageren, tonsurierten Mann, der jetzt nur im schlichten Priesterrock vor ihr stand.

»Sehen Sie, Herr Pfarrer, wie sie noch schwach ist! Das Blut fährt ihr gleich aus den Wangen, wenn sie den leisesten Schreck hat,« sagte Herr Kroen und nahm ihre Hand und küßte die Hand, indem er sie dann dem Priester fast sorglich in die seine legte.

»Sieh hier, mein gutes Weib Hartje,« sagte er dann sanft. »Der Herr Pfarrer kommt persönlich nach dir fragen.«

Aber Hieronymus van Doorn hielt nur jetzt Frau Hartjes Hand in der Seinen und sah auf die Hand nieder, die ein wenig in der seinen lastete, und verlor sich beinah in der stillen Betrachtung, daß diese weiße, feine, bläulich durchäderte Hand Frau Hartjes Hand wäre. Er sah die Hand lange an und sah dann in Frau Hartjes Augen hinein, die so blau waren wie das Aderwerk der Hand. Und er verstand noch immer nichts zu sagen, weil er sich beinahe wieder in der stillen Betrachtung verlor, daß diese Augen, die heute so selig und gläubig und frei und so glänzend wie der Himmel in seine Blicke sich senkten, die Augen von Frau Hartje wären, die einmal nur von letzten Ängsten gejagt, sich gläubig an ihn geklammert hatten.

Aber Hieronymus van Doorn besann sich. Frau Hartje hatte jetzt gelacht mit hellem Klingen. Frau Hartjes Lippen bewegten sich und plauderten mit Purpurröte. Er sah die blinkenden, kleinen Zähne in offenen, feuchten Lippen liegen. Und die kleine Weiberzunge zwischen Zähnen und Lippen spielen. Er hörte den lieblichen Ton ihrer Rede. Und sein Gefühl erfüllte eine Genugtuung, weil es von Dankbarkeit hallte. So daß Hieronymus van Doorn allmählich aus seiner Verwirrung ganz aufgerichtet emporwuchs. So daß nun das Lied der Genesung, das auch ihm in den letzten Wochen nur heimlich ohne Namen und Bestimmung in dem Geläute der Kirchenglocken und dem Brausen des Meeres in den Dünen und dann aus ihm über seine Kirchengemeinde hin als Preis der Gottesjungfrau und Gottesmutter gehallt und geklungen, in ihm deutlicher jetzt als Kraft aufsprang und er wie ein Jüngling zu Frau Hartjes lieblich tönenden Worten zu lächeln anfing.

Herr Kroen hatte dem jungen Priester einen Seidenstuhl in die Tür geschoben.

Er saß nun, ein lächelnder Schatten, vor ihr.

Die Sonne kam glühend über die fernen Meerwogen, saß als Scheibe auf dem Meerrand und umfloß Frau Hartjes reiche Haarzöpfe, die blond über ihre kleinen Ohren lagen. Blinkend lagen die reichen Falten des blaugrünen Seidenkleides an ihrer schlanken Mädchengestalt herab. Ein kostbarer Goldreif mit einer Perle hielt das Haar an der Stirne in wenig gebunden. Die Augen waren voll Strahlen. Von ihren sanften, frommen Händen funkelten Steine und Perlen. Ihr Gesicht stand zärtlich zur Seite genommen mit drolligem Augenzwinkern frei im Raume.

Hieronymus van Doorn hörte und sah. So daß auch ihm eine Anwandlung von Farbe in die mageren, hohlen Wangen kam. Er sah auch die vollen, dunklen Wimperkränze, die die jungen Blicke ewig umschatteten. Er sah alles. Er war gefangen in der Pracht der Jugend, die hier neu und strahlend das Leben liebte und lebte, die eine Auferstehung feierte in das irdische Herbstparadies, das innen und außen, über Terrasse und Garten und Himmel und Meer gebreitet lag. Alles umspann ihn. Alles sang die Sprache der Genesung, die auch Herrn Kroens volle Lippen erzählten und die in seinem Monokle in die untergehende Abendsonne hinausblitzte. Es war jetzt ein sanftes und eindringliches Geplauder von Munde zu Munde und von Auge ins Auge hinein. Auch Hieronymus van Doorn, obwohl er noch in der Morgenfrühe mit verzehrten Blicken und heimlich sehnsüchtig von der Gottesminne lockende, heilige Worte gemacht und die Macht der Gnade gepriesen, tändelte in diesem Augenblicke nur wie ein vom Stamme gelöstes Herbstblatt. Er saß in den verbleichenden Strahlen der goldenen Himmelsscheibe und wußte nur jetzt, daß er ein echter van Doorn und aus vornehmem, alten Geschlechte war.

Man sprach von weltlichen Dingen. Schüchtern rühmte Hieronymus den Glanz der Erde und die Schönheit des Kroenschen Strandschlößchens. Und er begann froh in Frau Hartjes Augen hinein von den Burgen Derer van Doorn, die sie einst im Lande besessen, eine flüchtige Erzählung.

Erst wie die Erde erblich und das Meer mit grauen Schaumkämmen den Strand peitschte und in Nacht einsank, ging der junge Priester hastig und ohne Acht auf den fauchenden Seewind mit mancherlei lichten Gestalten in Blute und Sinnen durch die Dünen heimwärts.


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