Carl Hauptmann
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Carl Hauptmann

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Drittes Kapitel

Claus Tinnappel war so nüchtern, wie Salie verrückt und verschroben und nach allerhand Aberglauben und Märchentorheiten lüstern war. Sie hatte nicht umsonst unter dem Zauberballast im Rotkegelschen Hause ihre Jugend zugebracht, um nicht selber Verwunschenes genug an sich zu tragen und mit Wahrsagen und Hexensprüchen ihre Stunden und Tage zu vertändeln.

Aber eine Wahrheit lag in ihr, heiß wie Sonnenfeuer und dunkel wie Abgründe. Das junge, starke Blut Claus Tinnappels hatte draußen und hoch im Blütenmeer der goldenen Rehheide die stumme Sprache verstanden, die Salies Atem und Pulse redeten.

Und Salie dachte, daß sie sich nur nach Claus je gesehnt hätte. Sie lief jetzt oft oben an den Waldhang, wenn der Mond golden in der Nachtluft hing.

Aber sie hatte Claus nie gesagt, daß sie mehr als Heimlichkeiten wünschte.

Das kränkte Claus.

Mit der Zeit war ihm auch das Gerede der Holzfäller und des Försters zu dumm geworden.

So war er eines Tages zu Tale gelaufen und stand vor dem Rotkegelschen Hause.

Er hatte Frau Rotkegel nie von Angesicht gesehen.

Es war dem straffen Claus Tinnappel eine lächerliche Beklemmung, als er jetzt gar in dem feinen Treppenhause stand und unter den seltsamen Wohlgerüchen atmen mußte, die aus einem indischen Bazar gewiß nicht üppiger aufstiegen.

Aber Claus Tinnappel war gewissermaßen aufgebracht.

Er war gekommen, die steilen Steinwege und durchs Dickicht nieder, wie Hirsche durch die Dickung brechen. Er wollte etwas in Klarheit bringen. Er dachte nicht viel mehr, als daß er einmal die ganze Lage sich mit eigenen Augen besehen und daraus erkennen würde, wie weit ihn seine törichten Sinne narrten.

Verdacht ist ein Arom. Könnten wir unser verdächtiges Blut prüfen, wir könnten vielleicht eine feine Flamme damit grün färben, oder wer weiß mit welchem nie gesehenen Zauber. Verdacht lag Claus Tinnappel im Blute. Obwohl auch er jetzt in Salies Blicke verzehrend hinein sah, wie in einen Purpurkelch.

Claus war gleich über die Teppiche im Rotkegelschen Hause empor gelaufen, obgleich Boden und Füße ein wenig unter ihm schwankten.

Aber er mußte doch lachen, als er in die Tür zu Frau Rotkegel vollends eintrat.

Die Glasservanten alle in dem gewölbten Zimmer schielten und spiegelten. Sofa und Tisch und Lehnstühle darin waren mit Spitzenzeug reich behangen und schwiegen in ganz versunkenem Gehaben. Auch Frau Rotkegel war mit Spitzen behangen wie Tisch und Sofa. Sie sah sehr weiß und sehr zierlich aus.

Claus Tinnappel konnte die blinzelnde Dame ruhig betrachten, weil sie ihn zuerst nicht ansah.

Ihre Augen schienen ziemlich verzweifelt. Sie blickten auf den Erdboden oder an die Wände. Ihre Augen schienen dunkel wie Salies Augen, aber in einem sehr feinen, bleichen Gesicht. Ihre Lippen waren schmal. Unentschlossen lag der erste Gruß auf den Lippen. Sie war Claus Tinnappel wie abwehrend gleich bis an die Tür entgegengelaufen, indessen sich das dienende Bauernmädchen noch immer nicht entfernen gewollt.

Claus stand ziemlich ratlos.

Er hatte außer dem Gruße, den er aus Verlegenheit hervorstieß, sich in allen Winkeln umgesehen und die beiden, großen Bernhardshunde, die ein jeder in einer Fensternische nur den klugen Kopf hoben, ins Auge gefaßt.

»Ja, was wollen Sie denn bei mir?« hatte die kleine Frau Rotkegel jetzt ausgerufen.

Da hatte Claus Tinnappel sich zwar gleich besonnen, daß er vor Salies Mutter stand, und daß er nun eigentlich einmal wissen müßte, was es mit ihrer Tochter für eine Bewandtnis hätte?

Aber diese Frau Rotkegel war allzu fein und zierlich und leise, und gar nicht so, wie Mütter sind, die über das Schicksal von Töchtern sich nüchtern und sicher verbreiten könnten.

Claus war plötzlich ganz seltsam abgestoßen.

Gar nicht unlieb.

Die kleine Frau war ja wie ein feiner Gesang. Aber einen Gesang und ein Märchen war Claus Tinnappel nicht zu hören gekommen.

Er gab seine ganze Absicht verloren.

Er suchte nach andern Ideen, die ihn aus seiner Lage wieder heraus bringen könnten, in die er durch seine Hast geraten war.

Claus war einsilbig wie Frau Rotkegel.

Er fragte nur, ob sie Holz für den Winter brauche? Sagte, daß er nur deshalb gekommen wäre.

So daß jetzt auch das Bauernmädchen sofort gleichgültig aus der Stube verschwand.

Claus sprach ziemlich jäh. Er stotterte einiges über die Holzpreise für den Winter. Er kam nicht zu Ende. Er lächelte sogar jetzt, daß die feine Spitzendame mit den grauen Scheiteln errötete. Und hielt wieder inne, um für ihre Antwort endlich eine Pause zu lassen.

Aber da tat sich zum Glück eine Seitentür auf und mit zwei roten Flatterrosen an der jungen, braunen Brust, die aus einem eng fließenden, silbergrauen Falbelgewande hervorlugte, wie eine schwebende Göttin, lachend und toll, wie wenn es hier gar keine zarte Frau Rotkegel weiter gäbe, kam Salie hereingestoßen, selbst ganz überrumpelt und jetzt auch ihrerseits überrumpelnd. Und wie sie Claus Tinnappel verlegen stehen sah, ihm an den Hals fliegend, ihn mit drollig tollen Namen benennend.

»Meine Haideschnucke,« begrüßte sie ihn.

So daß Frau Rotkegel fast einer Ohnmacht nahe war.

Aber da hätte weder Ohnmacht, noch sonst irgendeine Macht der Erde, wenn sie in Frau Rotkegel lebendig gewesen, je etwas anderes jetzt zu wecken vermocht, als daß auch Claus die junge, seidene, jähe Gestalt Salies fest an sich gepreßt und gehalten hätte.

Aber er hatte sie dann doch sogleich wieder losgelassen.

»Das ist nämlich mein wahrhaft Erkorener, mein liebes, ängstliches Mutterschnäuzchen,« sagte Salie mit drolligem Tone. »Und keinen andern habe ich je geliebt . . . weder vor noch zurück . . . und alle können mir jetzt gestohlen sein!« sagte sie mit einem Anfluge von Hohn.

Die kleine Dame stand lange ganz nur in starrem Erstaunen. Und das starre Erstaunen hätte sicherlich kein Ende gefunden, wenn nicht Claus Tinnappel gleich in aller guten Sitte und knabenhafter Seligkeit zu Frau Rotkegel gesprochen und sie dabei flehend angesehen hätte. Claus Tinnappel sagte seine Worte jetzt ganz feierlich, ganz als wenn er wüßte, daß man den Alten in sanftem Flüstertone solche Entscheidungen des Lebens zu bekennen hätte.

»Ja . . . nämlich . . . wirklich . . . Frau Rotkegel . . . ich liebe Salie,« sagte er mit leiser Stimme. »Nehmen Sie es nur freundlich auf . . . und geben Sie mir vertrauensvoll Ihre Tochter!«

Warum Frau Rotkegel bei diesen Worten weinte, hätte sie selbst in dem Augenblicke nicht zu sagen gewußt. Der Ton mochte ihr fremd sein und schien sie wohltätig zu rühren. Auch an das Wesen Salies mochte sie denken, das unstet und haltlos war, und sie mochte insgesamt Leid aus Vergangenheit und Zukunft ungeschieden in ihren Tränen tragen.

Sie stand völlig abgewandt.

»Wenn es schon wieder gleich sein muß,« sagte sie dann mit traurigem Blicke und blieb ganz von fern.

Wie Claus endlich hinaus war, hatten ihn wohl die Ringe der einstigen Ehemänner, die Salie vor den Augen der Mutter immer am Finger trug, einen Augenblick wieder ins Auge gestochen. Aber er lachte doch kindlich und froh, als er im Bergwalde aufstieg.

Und Salie hatte daheim mit der Mutter keine Geduld gehabt. Sie hatte bei deren Mahnungen beide Goldreife glatt vom Finger herunter gestrichen und sie der erschütterten Dame hohnlachend vor die Füße geworfen.

Die Ringe blieben lange im Teppich liegen.

Und die kleine sanfte Frau Rotkegel sah den Tag noch bleicher aus wie sonst.


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