Carl Hauptmann
Nächte
Carl Hauptmann

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Zehntes Kapitel

In Franz Popjels Blute und Sinnen war Winter wie in einer kalten, zugigen Stadtstraße, so daß er immer irgendwo auf der Flucht schien, um sich zu bergen.

Wenn ihn nicht die Verderbnisse der Triebe unversehens zum Herren gemacht und er dann für sich emporwuchs aus der heimlichen Verkümmerung und sich selber zum Staunen aufragte wie ein über Nacht stattlich aufgeschossenes, giftiges Kraut.

So war er auch vor Hellen Raddas umnachteten Augen aufgewachsen.

Aber er war dann davon geschlichen, wie Mörder davon schleichen.

Hellen war eine Zeitlang heimlich zerrüttet. Der Gedanke an Eduard zerriß sie. Ihre Schmach schrie in ihrer Seele. Stumm und hart lag diese Schmach in ihr. Sie hätte die Worte nie im Leben finden können, die ihre Schmach in Eduards reine Seele ätzten. So trug sie das Heimliche, unbegreiflich scheu und demütig geworden. Und hütete fast mit jäher und krankhafter Sucht die Reinheit der Flamme, die in Eduards Liebe noch immer ganz ungestört für sie brannte.

Und es wechselten wieder schallende Feste in den Sälen der Reichen mit stillen Stunden klingender, jauchzender Arbeit der beiden. Und das stumme Wesen der Zeit verschluckte fort und fort Ziel und Geschehnis. Und alles gelebte Leben blieb noch immer nur wie ein Echo von Gutem und Bösem zurück.

Draußen war Winter. Und in Franz Popjels Blute und Sinnen lag es grau in grau und windig und jämmerlich.

Franz hatte einen Ausweg gefunden. Er wohnte jetzt nicht mehr mit Mutter und Bruder zusammen. Er hatte mit aller Bestimmtheit erklärt, daß das Musizieren im Hause ihm das Arbeiten unmöglich mache, und daß er der Universität näher sein müsse.

Franz sprach das alles vor der Mutter mit vollem Gewicht.

Wer in diesem Augenblicke die steinmodellierten, harten Manneszüge, die bleich und grau, mager und verzehrt waren, genau angesehen, wenn Franz die Gründe hervorsuchte, die ihn zwangen, aus Rücksicht für die Seinen ganz frei zu werden, der hätte das natürlichste Begehren und die volle Wahrheit nicht anzuzweifeln gewagt.

Es sprach die Wahrheit daraus, daß ihn daheim von den Wänden die eigenen Lügen anschrieen. Daß er die Lüfte, die um die kleine alte Dame mit dem Seidenhäubchen wehten, mit greulichem Staube erfüllt fand, der seine Augen ewig tränen machte. Daß aus der verschlossenen Tür zum Vaterzimmer Gestalten in seine offenen Augen huschten, schwarz und greulich und hager wie Gerippe mit Krallenfingern, die sich an ihm rächten wie die Totengeier am Aase.

Das war einfach für ihn nicht auszuhalten.

Warum sollte er sich schwach machen lassen? Warum sollte er immerfort nur kriechen? Wenn er jetzt nur von ferne Hellens Schritte hörte, warum sollte er in der Luft wie verworfenes Gelächter kichern und höhnen hören? Warum, wenn er wähnte, daß sich Hellen nahte, sollte er es leibhaftig ertragen, daß ihm eisige Hände ins Gesicht schlugen und Münder ihn anspieen?

In Franzens Erschöpfungen waren allerlei unsinnige Vorstellungen mit im Spiele.

Manchmal machte er sich auch Vorwürfe, daß er diese Vorstellungen noch lüstern übertrieb.

Es waren Selbstquälereien, die sich einstellten, wenn er nach seinen nächtlichen Gängen wieder daheim an der alten Stätte sich ganz ins Nüchterne zurück geschlafen, wo er einmal als reines, unschuldiges Kind gelegen.

Jedenfalls hatte er mit aller Bestimmtheit der ängstlichen Frau Popjel erklärt, daß er für sich zöge.

Und weil es auch Eduard hoffnungsvoll dünkte, daß Franz endlich einmal ans Examen dachte, so saß Franz jetzt in einer entfernten Straße im Norden oben im vierten Stock mit Gesindel, das zu ihm paßte.

Dort oben auf der Bodenhöhe wohnten einzelne, kleine Leute.

Ein junger Kerl, der ein Schlosser war, grüßte Franz bei den ersten Begegnungen fast ehrerbietig, weil Franz ihn sofort mit sicherem Blicke umgarnt hatte. Der Mensch war vor Franz gleich sehr ergeben, als wenn er in ihm seinen Meister sähe.

Eines Abends kam er sogar unversehens in Franzens Zimmer. Gerade in dem Augenblicke, als Franz auf dem Rande seines Bettes saß, noch vertierter und dumpfer, als er je vor der Mutter Augen sich aus schwerem Schlafe brütend zurecht gefunden.

Aber Franz ermannte sich gleich, als der junge Badura sich in der Tür zeigte. Er bildete sich sogar ein, eben von diesem Menschen geträumt zu haben.

Das durchzuckte ihn wie eine Lockung, machte ihn ganz wach, und er zeigte sich der gutmütigen, zutraulichen Rede Baduras gleich ganz willfährig.

Badura war ein schlanker, kleiner Mann, straff wie aus Stahl, und hatte blaue, angenehme Augen. Wenn er sprach, sah er oft weg, und er suchte das Gedachte auf dem Erdboden oder in den Giebelfenstern. Manchmal versuchte er es auch in einer momentanen Ungeschicklichkeit mit der Hand zu erschnappen, wobei Franz erkannte, daß seine Hände groß und häßlich waren, spinnenlang und unsicher und scheu. Und daß der Mund mit dem dunkeln Bärtchen und den sehr roten, mädchenhaften Lippen unversehens ein paar Augenblicke zuckte und stotterte.

Das alles mutete Franz empfindlich an.

In Franzens Augen vollzog sich dabei eine tiefe, sonderbare Überlegung.

Man muß wissen, daß Franz sich sehr scharf auf die harten Wahrheiten dieser Welt verstand, die im Fleisch geschrieben stehen. Das Blut summte ihm jetzt die Melodie einer solchen Wahrheit und machte daraus gleich eine ganze, lange Geschichte.

Aber Franzens Stummheit störte Badura durchaus gar nicht in seinen Einfällen.

Er begann ihm unbedenklich allerlei aus seiner Privatwerkstätte zu zeigen.

Nämlich Privatwerkstätte, das sagte Badura lächelnd wie ein Mädchen, wobei seine blauen Augen nur ganz schüchtern glänzten.

Das gab Franz sogleich volle Behaglichkeit.

Franz hatte ohne alle Erklärung verstanden, daß damit die kleine Bodenstube gemeint war, darin Badura dann und wann schon am sehr frühen Morgen heimlich hämmerte.

Badura arbeitete eigentlich in einer großen Werkstatt in einer Fabrik. Aber er zeigte jetzt Franz kleine Erfindungen, die er nur so zum Spaße für sich gemacht hatte. Feine Kunstschlösser.

Wunderbar wie die sanften Augen des jungen, mädchenhaften Diebes glänzten, während er sich mit den feinen Schlössern zu schaffen machte.

Franz verstand sofort alle seine Erklärungen und fühlte eine heimliche Lockung. Es kroch ihm wie eine Höllenfreude ins Blut.

Sie hantierten dabei so nahe beieinander, Leib an Leib, daß sie ihre Körperwärme durch die Kleider fühlten.

Baduras lange Spinnenhände, die die zierlichen Stahlgewerke der Schlösser sicher auseinander legten, schienen gar nicht der Seele zuzugehören, die aus seinen hellen Augen lachte.

Vielleicht hatten die Hände die Seele erst zum Diebe gemacht.

Überhaupt lag in Badura etwas Unsagbares.

Franz fühlte sich sonderbar betroffen. Und völlig zu ihm hingezogen.

Die Natur hätte die Stimme dieses Menschen nicht sanfter bilden können.

Badura erklärte, als wenn er Wunder beschriebe.

Und Franz fühlte dabei auch, daß er allerlei nebenbei mit verriet. Daß er recht eigentlich und ganz heimlich von Dingen sprach, die sie gemeinsam ausführen würden.

Badura hatte dann auch Prägstöcke für Münzen aus seiner Dachstube herüber geholt.

Alles das war wie ein offenes Geheimnis aus seinen feuchten, roten, sanften Lippen gegangen.

Und Franz waren dabei Aussichten erstanden. Und er war bald mit Badura auf einem Streifzuge.

Hart lag der Winter in den Straßen. Es war eine wahre Verwirrung. Der Schnee war in schüttenden Massen gefallen. Die Kärrner der Stadt wußten seiner gegen eine Dunkelnacht nicht Herr zu werden.

In dieser Nacht war es schon zum zweiten Male, daß Franz einen Weg nach Westen ging. eingewickelt in fremdes Kleiderwerk, und in einen vornehmen Garten über den Eisenzaun einen Sprung wagte. Nicht anders wie ein Somnambuler wußte er die Wege der Hauskatze zu schleichen und hatte mit Spannung auf die Läden eines Balkons gehorcht und gespäht, der dann nur ein flüchtiges Geräusch gegeben.

Franz war in dieser Nacht gleich in seine Bodenstube zurück gekehrt. Er hatte es durchaus vermieden, mit Golde noch auf dem Spieltisch und unter den Dirnen herum zu werfen.

Er hatte sehr zufriedene Träume gehabt. Er hatte im Schlafe gelegen wie nach einem ruhmreichen Werke.

Auch am andern Tage quälte ihn gar nichts. Große Ruhe und Herrschaft im Blute fühlte er.

Und er war fein säuberlich nur in die Popjelsche Wohnung gelaufen. Er hatte vor der kleinen Frau Popjel gestanden, sie zärtlich streichelnd, und als wenn er ihr jetzt zeigen wollte, wie geordnet er wäre, und wie gut er Zeit und Geld angewendet. Er bat um gar nichts. Er erzählte mit Überzeugung von den Vorbereitungen des Examens, das er nun endlich machen würde.

Nur mit Eduard und Hellen vermied er zusammen zu treffen.

»Grüße Eduard!« sagte er hastig, als nur ein Schatten von Geräusch ihn anwehte. »Meinetwegen auch Hellen, die Reine!« sagte er. Und ein grelles Gelächter brach ab, verschwand wie ein trocknes Gespenst. So daß sein geängstigtes Auge noch einmal wieder mit Demut der kleinen, liebenden Mutter in die Augen sah.


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