Carl Hauptmann
Nächte
Carl Hauptmann

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Neuntes Kapitel

Draußen lachte der helle Morgen.

Als Hieronymus im Morgengrauen ins Hotelzimmer eingetreten, hatte er sich, wie er ging und stand, erschöpft übers Bett geworfen. Nun war er aus einem jachen, gepeinigten Schlafe aufgeschreckt.

Ein Lärm, der den im Schlafe gehetzten Priester noch beängstigender überfallen, hatte ihn ans Fenster getrieben. Fahl und zitternd bog er den Vorhang zurück.

Unten auf der Straße stand ein Menschenhauf um ein gefallenes Pferd gaffend versammelt. Männer schrieen, um dem gemarterten Tiere wieder auf die Beine zu helfen.

Hieronymus kam nicht zu sich. Hart und leer kroch sein Blut in den Adern hin.

Er starrte nur nieder in das Menschengewühl, ohne sich auf irgend etwas besinnen zu können. Und starrte dann ewig auf die Kerze vom Nachttisch, die zu einem winzigen Stumpf herabgebrannt, noch mit blassem Schemen leuchtete.

In dieser Stunde konnte kein Helfer der Seele rufen.

Ein gewalttätiger, harter Sinn ergriff ihn.

Als er aus dem Hotel ausging, dachte er nicht mehr daran, etwas zu sich zu nehmen.

Er lief ohne Ziel. Jetzt gleichsam getrieben von der sinnlosen Zerrüttung, die sein Blut erbarmungslos ausfüllte.

So stand er bald vor einem Waffenladen.

Gewehre waren in schöner Ordnung nebeneinander aufgestellt. Dolche von eingelegter Arbeit lagen im Schaufenster ausgebreitet. Revolver hingen zur Rechten und Linken.

In dieser Stunde konnte kein Helfer der Seele rufen.

Um Hieronymus klang nur jetzt die freche Stimme des nüchternen Tages. In seinen Mienen nagte eine stumme, bleiche Rachsucht.

Hieronymus schritt hastig die beiden Stufen in den Waffenladen empor.

Er redete leise und dumpf nur so hin, daß irgendwo ein Forstmann wäre, der einen dieser kostbaren Revolver brauchte. Er murmelte höhnisch Worte in die Luft.

Der alte, grauhaarige Waffenschmied war sehr devot vor dem jungen Geistlichen und war heimlich sehr verwundert.

Hieronymus ging mit bleichem Gelächter sogleich wieder zur Tür zurück, als er den Revolver an sich genommen.

»Sie vergessen die dreizehn Franken, Ehrwürden!« sagte der alte Waffenhändler.

»Ja so!« sagte Hieronymus und kam noch einmal an den Ladentisch zurück.

Er hatte den letzten Fünfzigfrankenschein für den Revolver in Zahlung gegeben.

»Ich bin immer in Gedanken,« sagte er und versuchte den Waffenschmied anzulächeln. »Entschuldigen Sie nur!«

»Ich habe nichts zu entschuldigen, Ehrwürden!« sagte der Alte.

Hieronymus hatte die Worte des Waffenhändlers gar nicht mehr gehört.

»Ich werde den Minister töten, wie ein Echter van Doorn,« redete es in ihm. »Und dann werde ich mich töten . . . und die Edeldame wird gar nicht ahnen, daß ein Priester auch ein Held sein kann!«

Solche Worte trieben sich um in ihm.

Aber er irrte doch nur sinnlos lachend in der Menge weiter.

Der Strom der Menschen hatte ihn willenlos mit in ein großes eisernes Portal hinein getrieben.

Es war ein mächtiges Kaufhaus durch viele Etagen.

In Hieronymus Sinnen kroch eine feile Neugier auf. Er begann die tausend Dinge, die jetzt um ihn lagen, ein jedes einzelne Ding lüstern und aufdringlich anzusehen.

Die Verkäuferinnen allenthalben boten ihm sehr gefällig ihre Dienste an.

Sein Gesicht war krankhaft zerfurcht. Seine nervigen Hände waren zerfahren und ruhelos. In der rechten Tasche seines Priesterrockes preßte er noch immer den Revolver. In der linken Tasche zerkrümelte er welke Blumen, die ihm einmal Frau Hartje am Strande in die Hand gelegt.

Er begriff gar nichts.

Er hatte nur lange vor den kostbaren Teppichen gestanden und ging dann langsam durch blanke Möbelstücke.

Er erinnerte sich jetzt an niemand.

Er war auch in die Abteilung der Goldschmiedewaren eingetreten, wo kostbare Stücke zum Teil unter Glas lagen.

Das bunte, juwelische Funkeln und Blinken begann ihm eine Weile im Blute zu prickeln wie mit feinen Nadelspitzen.

Zum ersten Male. daß jetzt ein Gefühl in ihm aufkam.

Ein kleiner erlesener Berloque blitzte in Hieronymus Augen wie eine geile Lockung.

Das Kleinod bestand aus einer gold- und steinverzierten Reiterfigur, die auf einem großen Rubin befestigt war.

Hieronymus' jähe entzündliche Blicke begannen in ihrer ausgehöhlten Einbildungskraft mit dem Kleinod ein Spiel.

Aber wie er aus seiner lüsternen Vertiefung erwachte, war er scheu und wie ertappt sofort von den Juwelen hinaus getreten.

Und doch kam er auf einem andern Wege bald dahin zurück.

Seine Augen begannen in lässiger Gaukelei neu an dem Berloque herum zu sehen und herum zu tüfteln.

Es war eine feine Glasglocke über das Juwel gestülpt.

Auch an der Glasglocke versuchten sich seine Augen eine Weile zu schaffen zu machen, sie in Gedanken einen ganz unsichtbaren Spalt einmal empor zu heben.

So hatte der junge Priester mehrere Minuten sinnlos vertieft davor gestanden.

Aber als ihm die Verkäuferin andere Kleinodien sehr verbindlich zur Ansicht hin hielt, hatte Hieronymus seinen bohrenden Blick auch auf die Spangen und Agraffen geheftet und sie und die Verkäuferin irr belächelt.

Und doch konnten sich seine inneren Blicke, auch wie er jetzt wieder unter den Möbeln stand, von dem blinkenden Berloque heimlich nicht mehr lösen. Sie versuchten den Berloque richtig aus dem Glasgefängnis heraus zu eskamotieren.

Hieronymus sagte das Wort »Glasgefängnis« pfiffig vor sich hin. Sodaß in seinem beschäftigten Gesicht von dem Augenblicke an der sinnlos befriedigte Ausdruck nicht mehr zu verschwinden schien.

Nun war Hieronymus schon zum dritten Male zu den Goldschmiedestücken zurückgekehrt.

Und jetzt kam der Augenblick, der seine Pulse jach antrieb.

Seine Hände krampften sich. Seine Blicke wurden wie Stein.

Und weil keine Verkäuferin mehr das hütende Auge auf den jungen bleichen, zernagten Mann im Priesterrocke geheftet hielt, weil grade ein Kreis vornehmer Herren und Damen die Verkäuferin umringte, trug der Priester den köstlichen Raub, den seine Augen sich in ihrer tiefen Lüsternheit ausgesonnen, längst mit weihevollem, heiligem Gange die Treppen des Kaufhauses nieder.

Jetzt stand er schon vor dem Wirt seines Hotels.

Er hatte eine ganz freudige Miene. Er sah sehr stolz aus.

Er zögerte eine Weile, und sagte dann mit priesterlicher Herablassung, daß er sich nicht genug mit Gelde versehen. Und dann sah er das kostbare Kleinod an, das er in einem leeren Hausflur eilig an seiner Uhr befestigt hatte, und bot es zum Pfande.

Der Wirt war sehr gefällig und half seinem priesterlichen Gaste mit reichlichem Gelde aus der Verlegenheit.

So hatte Hieronymus van Doorn den Priesterrock bald in einen vornehmen Herrenrock verwandelt.

Am Nachmittag saß er unter den Gästen des Café Imperiale auf der Straße zum Opernhaus.

Jetzt sah er aus wie ein Edelmann.

Den Abend hatte er zuerst im Opernhaus ein Ballet angesehen.

Dann irrte er durch finstere Straßen, scheu wie ein vornehmer Schatten.

Das Sternenlicht fiel spitz in die Häuserschlünde hinab.

An einem alten, finsteren Haus, das ihm der Portier genau bezeichnet, hatte er ein bronzenes Furienhaupt, daran als Ring eine Bronzeschlange lag, lange angestaunt.

Bald hörte man in der Finsternis der Gasse mehrere dumpfe Schläge.

Wie sich das schwere Tor lautlos in tiefem Dunkel auftat, fiel ein kleiner Lichtschein heraus, der Hieronymus Schatten an die kahle, fensterlose Mauer von gegenüber warf.

Der Blick eines kalten Frauenauges verständigte ihn ohne Worte, sodaß er sogleich durch den langen Gang vorwärts ging, der unheimlich und gewölbt schien.

Hieronymus Herz schlug so hart gegen seine Brust, daß er eine Weile wähnte, es wäre ein fernes Hämmern.

Dann trat er in spiegelnde, erleuchtete Räume ein.

Schimmernde Frauen aus seidigem Glanze lachten ihm allenthalben entgegen. Die meisten schienen hell und blond wie Hartje. Eine war von zitronengelber Hautfarbe, hatte dunkles Haar und war wie eine Katze schlank und geschmeidig in ihren Bewegungen. Sie tanzte im Kreise, indem sie dazu das Tamburin schlug.

Die andern Frauen saßen in Seiden und Spitzen um die Tanzende, schlugen in die Hände und sangen dazu die Endzeile.

Der elegante Herr Hieronymus van Doorn trat lachend in den Kreis ein, den Seidenzylinder in den Nacken geschoben, schlug auch in die Hände und begleitete bald den Tumult wie die andern vornehmen Lebemänner, die herum standen.

Scham war nicht im Raume. Man konnte sich hier dreist in die Augen sehen und an jedes Leibe prüfend herabblicken.

Eine junge, anmutige Dirne mit blauen Augen, die zwei dicke, gelbe Zöpfe um ihren Kopf geschlungen trug, hatte Hieronymus einen Schlag auf den Rücken gegeben, ihn lustig um sich selber gedreht und hatte ihn dann in ihre fleischigen Arme aufgehoben und in feierlich drolligem Gange auf das Sofa getragen.

Man trank. Man kreischte Lieder zum Weine.

Auch Hieronymus schrie.

Weil Hieronymus mit Gelde prahlte und nicht zurück hielt, hatten sich auch andre Dirnen an seinen Tisch hinzu gefunden. Hieronymus und Hartje, denn so hieß zufällig die blonde Person, die ihn aufs Sofa getragen, hockten in einander gewunden. Eine der Damen tanzte unterdessen auf dem Tische über Gläser und Flaschen hinweg. Allen erschien Hieronymus wie ein besonders vornehmer Herr, der das Tollsein verstünde.

Aus den Weingeistern stieg das Wirrsal, daß man sich jetzt neu umeinander schwang. Und daß der junge Priester in verzehrter Sucht vollends Hartje umfaßt und sie jäh und ungebärdig in ihre Kammer gerissen hatte.

*           *
*

Und Hieronymus van Doorn war dann wie in ein tiefes, abgründiges, hoffnungsloses Dunkel versunken.

Er war ganz ausgeblasen. Von ferne nur schien es, als wenn er in tiefster Hölle irgendwo begraben läge.

Die Wölbung der Finsternisse war aus schwerem Urgestein und preßte ihn.

Ein heißes Brennen wie der furchtbarste Durst trocknete seinen Gaumen.

Wer ihn gesehen hätte neben der blonden Hartje, die auch im Schlafe lag, hätte auf einen in der Qual der Entbehrung lallenden Mund und in ein Gesicht des bleichen Entsetzens gesehen.

Der Schlaf war nicht der Tod, er war die Verdammnis.

Rings herrschte tiefe Nacht. Das kleine Gewölbe lag in tausend grauen Schatten.

Durch die Fenster dämmerte die Graunacht.

Hartjes Atem ging gleichmäßig und hörbar.

Hieronymus' Atem schien nicht mehr zu leben.

Nur tiefste Stille drinnen und draußen. Die Stadt schlief dem Morgen zu.

Und Hieronymus fühlte nur von ferne, daß er irgendwo im Grabe läge und nicht von den Wunden und Schwären erwachen könnte.

Und es kam ein Dröhnen.

Die Wölbung gab es kaum erst als Ton. Nur wie ein Surren.

Und Hieronymus träumte. daß Männer bei ihm stünden über seinem Grabe. Und daß der eine mit der Hand auf ihn wiese und zum andern laut sagte: »Oh, Herr, er stinket schon!«

Da schlug wieder ein gewaltiges Dröhnen und Surren aus der Höhe in Hieronymus tiefste Finsternis.

Und Hieronymus träumte, daß die beiden Männer, die über sein Grab sich beugten, Jesus Christus und der blonde Johannes selber wären.

Und er lag lange starr mit Schwären und Wunden im finsteren Grabe.

Aber das Dröhnen schwoll und quoll wie Wogen in der Finsternis. Es gab ein Branden und ein hehres Erklingen. Es war wie wenn Engelstimmen heimlich sich mischten.

Und Hieronymus träumte, daß Jesus Christus Gestalt sich tiefer über sein Grab herab beugte, die bleiche, sanfte Hand nach ihm reckend, mit der er seine Rechte ergriff, und daß Jesus mit freundlichem Augenglanz sagte . . . »Lazare. komm heraus!« . . .

Da war ein Gewimmel von Tongewalten, die um Hieronymus geschlossene Augen sich zu ergießen begannen. Die anschwollen und ebbten und brandeten. Und die Nachtluft erzittern machten. Und Hieronymus' Blut gleich mit Eiskälte trafen und vollends erweckten.

Die Domglocken dröhnten ihren Frühgesang.

Hieronymus sprang aus dem Bette.

Er sah sich nicht um.

Er warf die Kleider über.

Er floh in die Morgenluft.

Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat.

Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar weiß geworden.

*           *
*

Am andern Tage nach langem Fasten und blutiger Kasteiung war Hieronymus zum Bischof gefahren.

Der alte Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen bis ins Innerste erschrocken. Er mußte sich lange bemühen, Sinn in Hieronymus' gehetzte Worte zu bringen.

Wie der ehrwürdige Herr endlich alles begriffen hatte. war er zunächst zur höheren Ehre der Kirche beflissen, die irdischen Spuren der begangenen Verbrechen noch vor dem völligen Ruchbarwerden auszutilgen.

Das ist ihm auch unschwer gelungen.

Und vor allem hatte der Bischof Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt, wodurch die greuliche Sündenlast langsam gesühnt werden sollte.

*           *
*

Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strandschlößchen eingekehrt und am Strande entlang geritten waren, hatten sie bald den Pfarrer des Dorfes begegnet.

Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen.

Aber wie sie ihn heimlich erschrocken mit zutraulichem Gruße grüßten, war der bleiche Mensch mit scheuer Gebärde, und als wenn er vor dem Glanze der Höllenkönigin auf der Hut wäre, an ihnen vorüber gehastet.

Hieronymus van Doorn war jetzt ein Büßer. Aber er war keiner von denen, die Bischof oder irdische Sündenvergebung je zu lösen vermochte.

Wer Hieronymus sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem Hunger nach Reinheit, einen ganz in sich Gekehrten und Verzehrten, der immer neu die heimlichen Qualen niederrang.

Hieronymus war jetzt ein Gebetsrufer aus der Tiefe seiner Seelenschande, der nur die heiße, heilige Anklammerung an die letzte Verheißung noch lebte und litt in der Jagd seiner nie gestillten Gewissenspein.

*           *
*

Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachtstage die Fischersleute in der Dorfkirche vergeblich auf Hieronymus gewartet. Er war nicht vor dem Altar erschienen.

Wie man ins Pfarrhaus eindrang, fand man ihn halb entblößt, den Rücken mit blutigen Striemen bedeckt, in seinem Schlafzimmer vor dem Kreuze erstarrt auf der Diele liegen. mitten in der Inbrunst seiner Zerknirschung vom »Erlöser« mit weicher Hand in die ewige. abgrundtiefe Ruhe gebettet.


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