Carl Hauptmann
Nächte
Carl Hauptmann

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Achtes Kapitel

In der Zeit um Weihnachten herum schlief Franz, wenn er einmal daheim war, ziemlich immer bis in den Nachmittag.

Die Vorwürfe der kleinen, runzeligen Frau Popjel, die darüber ganz sprachlos war, halfen gar nichts.

Sie drangen kaum in seine Ohren.

Selbst wenn Franz sich im Bette vor der Mutter aufrichtete und mit mühsam geöffneten Augen ins Licht des Tages sah. Oder wenn er in Mutters Lehnstuhl in ihrer Arbeitsstube hockte, in sich zusammen gesunken aschfahl und abwesend.

Franz war und blieb unheilbar in seiner Verwahrlosung.

In Eduard stand es längst fest, daß es um alles in der Welt galt, sich gar nicht weiter darnach umzusehen. Vorwärts zu schaffen und zu arbeiten und aufrecht und heiter zu scheinen, selbst wenn sich den frischen, männlich herben Zügen und dem Blicke aus der braunen Klarheit heimlich eine drängende Welle Schwermut zugesellte.

Eduard hatte in diesem Winter eine besonders zärtliche Seele.

Er tat der kleinen, verschüchterten Mutter gegenüber immer wie ein an seine Arbeit eisern gebundener Sohn, vermied es fast ängstlich, ihr Vorwürfe wegen Franz zu machen, streichelte mit langem Zeigefinger die weichen Runzeln der Sorgenstirne unter dem Seidenhäubchen und ließ die zarte Frau Popjel fühlen, daß er versöhnlichen Sinnes wäre.

Eduard war es wirklich. Er war nicht nur leidenschaftlich an seine Geige gebunden. Es gab jetzt andere Dinge, die ihm heimlich Wunder getan.

Hellen Raddas, die keusche, gläserne, kühle Hellen war ein ganz heißatmendes Leben geworden. Wenn er zu ihr kam, barg sie sich an ihn wie an einen Hort. Sie umschlang ihn und hielt ihn. Nicht nur mit ihren Tönen im Raume wie früher, als auch zwei Seelen sich verwoben hatten. Jetzt stumm und mit leisen, wonnigen, duftenden Atemzügen. Mund an Mund. Die weichen Finger in Eins verschlungen. Die jungen Leiber in Eins gehalten.

Gleich an dem Abend, als Franz bei Hellen gewesen war, war es über sie gekommen, wie wenn es kein Heil gäbe, als sich Eduard hinzuwerfen, demütig und anbetend. Diesem jungen, reinen, echten, keuschen Eduard, der nie gewagt hatte, sie auch nur mit seinen Fingerspitzen zu berühren. Der, wenn er auch nur einmal ihren Leib unversehens gestreift hatte, fast errötend und scheu um Vergebung gebeten.

Jetzt war sie in seinem Schutze. Jetzt sah sie zu ihm auf.

Und Eduards Geige schien jetzt noch mehr seiner Seele innerste Stimme geworden. Wenn seine junge, ehern vertiefte Gestalt neben ihr aufragte, sang und jubelte es, daß ihr mitten in ihr Spiel Tränen kamen.

Um das Leben dieser Beiden war jetzt ein Ring geschlossen. Eine große Festigkeit wie eine Mauer. Daraus nahm Eduard seine Kraft gegen etwas, was er gar nicht kannte. Was, wenn er es gekannt hätte, grade in der Zeit seiner ersten Verklärung durch Hellens Liebe ihn wie stinkende Luft und Leichengeruch angeweht und angewidert hätte.

Auch die kleine Frau Popjel mochte daraus einige Kraft nehmen.

Eduard und Hellens Bund war noch durchaus unerklärt vor der Welt. Das Heimliche ihres Zustandes dünkte ihnen eine besondere Süßigkeit. Liebende fürchten Menschen. Eduard und Hellen waren sich Welt genug, zusammen geschlossen ohne Lücke wie eine runde Sonne. Nur eine weite Blumenwiese brauchten sie, still und einsam, um mit ihren eigenen Strahlen in alle Winkel und Schatten hinein zu tändeln.

So ging es aus Eduard.

Das mochte es auch sein, was in die Mutter Popjel übersprang und sie trotz allem und allem doch auch lachen machte. Wenn durch die Zimmertür herein Hellens perlende Rhythmen mit Eduards seligen Geigenstrichen verwoben ihr Ohr umstrickten, deuchte es ihr, als ob Geister aus der Höhe in ihrer kleinen Behausung ihr Wesen trieben.

Aber in Franzens verzehrte und erstarrte Sinne hämmerten diese Klänge hinein wie mit ehernen Hämmern.

Wie glühende Tropfen in die kalte, schweißige Stirn eines Höllenverdammten bohrten sie sich so ins Unbestimmte seines vertierten Bannes.

Und wenn sich der Violingesang aufhob, saß Franz mit offenem Munde, als wäre das bißchen Blut in dem jungen Duldergesicht längst geronnen und die grauen starren Menschenzüge von Leben ganz ausgeblasen.

Da kam es wie eine verwirrende Zermalmung.

Da trug er ewig von irgend woher lockende Seligkeiten in seinem Blute wie glühheiße Brände, sehnte und träumte er in den Dämmer von Frau Popjels Arbeitsraum Flüche und Abwehr gegen die weiche, jauchzende Welt, die in Schönheit einherkam.

Ein zernagter, grauer Fels dünkte er sich, den ein sonnbeglänzter, bis in fernes Licht hingebreiteter Ozean hoffnungslos anspülte. Ein auf einsamem Geröllhügel im Meere längst gebleichter, verworfener Totenschädel dünkte er sich, den keine Herrlichkeit mehr weckte.

Das waren Krankheitsgefühle. So saß Franz starr und zerrüttet in der gebrechlichen Frau Popjel Lehnstuhl. Und weil er erschöpft und nicht zu erwecken war, fühlte er sich in seinem tiefsten Brüten doppelt wie ausgestoßen.

Aber das Weihnachtsfest nahte.

Eduard hatte sich ausgesonnen, daß man Mutter Popjel am heiligen Abend überraschen müßte. Eduard war in seinem Rausche allerlei eingefallen. Er hatte dabei auch gleich liebend an Franz gedacht. Er war vor Hellen sehr überzeugt, daß auch Franz an der Freude teil haben, vielleicht gar eine besondere Umwandlung verspüren würde.

Hellen war darüber erschrocken. Sie war sehr schüchtern geworden.

Sie hatte Franz im Popjelschen Hause nur flüchtig wiedergesehen, sich mit ihm ohne groß Worte ein paarmal die Hand gereicht.

Aber sie hatte noch den Schrecken seiner Blicke und seine Verworfenheit im Blute summen, so daß sie bei Eduards Erwähnung des Bruders eine Weile richtig die Augen unversehens geschlossen und dann immer wieder nur ungläubig mit dem Kopf geschüttelt hatte.

Aber Eduards zutrauliche Gutgläubigkeit blieb doch Sieger.

Er sprang von der Chaiselongue auf, drehte sich um sich selber, griff sich Hand in Hand mit Hellen, wie wenn er mit der schlanken, jungen Gestalt ringen wollte, lachte ganz nahe und zärtlich in ihre hellen Blicke hinein, drückte ihre Hände sanft und stark nieder. Und wie ihr schmiegsamer Leib vor ihm langsam auf die Kniee sank, weil er ihre Hände unbarmherzig umbog. sagte er mit neckischer Donnerstimme:

»Wenn Eduard Popjel für seinen geliebten Bruder redet und seiner alten Mutter ein Weihnachtsfest zu machen wünscht, wird Hellen Raddas nur demütig sich verbeugen und zu Eduard liebend aufblicken . . . das ist doch nur alles äußerlich . . . denn im Grunde beugt sich ins Joch grade der, der aufrecht steht . . . und die, die zu Füßen liegt und aufblickt, ist doch die Gewaltige!« sagte er.

Und sie lachten beide, wußten nicht, wo sie waren, wußten nur, daß Hand in Hand verschlungen war und Blick in Blick Glanz und Kraft gewann.

Die Stunden eilten wie weiße, stille Vögel im blauen Raume.

Es war durchaus kein irdischer Himmel ausgespannt.

Draußen am Atelierfenster rüttelte der Wintersturm.

Finstere Nachtgewölke hingen über der Stadt, die im Dunste von Millionen Lichtern schwelte und lärmte.

Draußen war kalte, rauhe Winternacht.

Aber wer immer liebt, wie Eduard jetzt lieben konnte, einer, der bisher verzehrt nach der blauen Blume seine Stunden und Wochen, Monate und Jahre nur die singende Geige umbuhlt, einer, der zu feinfühlig erregt war, um das gebundene Leben der Knospen mit lüsternem Finger aufzutun, einer, der als Künstler ein Mann geworden, in der Seele noch immer ein Knabe war, gesund und stark und von keiner Lockung verdorben . . . Ja wer immer liebt, wie Eduard jetzt lieben konnte, der mußte sich in dem Sonnenlichte solcher Liebe wie im Paradiesgarten spielend dünken.

Hellen, die kühle, klare, spröde Hellen, deren Blicke aus ihrer Wasserklarheit jetzt kindlich und behutsam und sehnsüchtig geworden, war seine Geliebte.

Eduard dünkte sich oft, als wenn er über ihre anmutig schwebenden Schritte statt seines schwarzen Regenschirmes richtig einen bunten Blütenschirm hielte, wie ein japanischer Diener.

So neckisch wandelte sie.

So hold konnte sie aufschauen, wenn die beiden allein ihre Stunden vertändelten.

Übrigens waren beide noch jung genug. Er noch einige Monate von den dreißigen entfernt. Und sie in der ersten Hälfte der zwanzig.

Und auch ihre Jugend war Arbeit und Ehrgeiz gewesen. Sie waren beide Menschen voll hohen Sinnes.


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