Carl Hauptmann
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Carl Hauptmann

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Fünftes Kapitel

Franz Popjel befand sich in einer schwierigen Lage.

Er hatte, wie er aus dem Konzert seines Bruders heraus trat, Baron Vogelsang getroffen mit dem ebenso eleganten Oliven zusammen. Oliven mit seiner hohen, ein wenig schnarrenden Stimme und mit einem Geruch von Reseda, sodaß der junge Elegant wie eine Demimondedame in einer Wolke von Arom hinschritt.

Franz waren diese beiden jungen Männer in dem Augenblicke sehr unangenehm. Er hatte zwar den langen, nachdrücklichen Handdruck Olivens geduldig in seiner Hand ertragen. Er war auch eine Weile mit ihnen gelaufen. Aber der Widerwille in ihm war allzu mächtig.

Und auch der Lärm, den die Schatten des Gehörten jetzt in der Stille der Seitenstraße immer lebendiger in ihm zu machen begannen.

So war Franz plötzlich stehen geblieben, hatte die beiden vornehmen Kameraden mit einer Miene Verdrusses angesehen, hatte die Pflicht vorgegeben, seinen Bruder aus dem Hotel heimholen zu müssen. Und ehe Vogelsang und Oliven die Stimmung des dumpfen Franz richtig begriffen, war er bereits um die Straßenecke verschwunden.

Es war in der Vorstadt.

Ein kalter Zug ging über das Pflaster. Strohhalme tanzten im Rinnstein.

Aus einer Tür hörte man ein paar Droschkenkutscher, die mit Gläsern Bier dastanden, schallend lachen. Ein heller Schein fiel auf den Bürgersteig, so daß man ihre Schattenbilder wie zwei dicke Tanzbären gegen das Licht der Stube sah.

Franz lief und lief. Er hielt nicht inne.

Wenn jetzt ein zweiter, hohläugiger, magerer Franz in fröstelnder Gestalt, den Überzieherkragen hoch aufgeschlagen, den Hut in die Stirn gedrückt wie ein unbekannter Ritter sein Visier, entgegengesetzten Weges gekommen wäre, diesem wirklichen, aufgewühlten, mit sich streitenden Franz entgegen, und hätte mit dem tiefsten Dumpfklang seiner Stimme den irrenden und hastenden Franz liebend angerufen, so wäre unter einem tollen Hohnlachen der Bann von dem irrenden Ritter abgefallen. Der wirkliche Franz hätte plötzlich all das unnütze, nächtliche Wandeln von Straßenecke zu Straßenecke im Laternenlicht so unsinnig blöde und hündisch gefühlt, und hätte seine Sucht wegwerfen können wie die Eidechse ihre Haut, um den nach Licht und Reinheit, nach Frieden und Arbeit, nach Bruderliebe und Wohlklang, nach innerer, freier Haltung und Kraft sehnsüchtigen Franz mit ganz sicheren Schritten vor das Hotel und dann Arm in Arm gelegt, Bruder mit Bruder, die zugigen Stadtstraßen entlang in die kleine Wohnung der Popjels zu führen.

So wäre es gewesen, wenn jetzt ein zweiter Franz dem dunkelverkappten Franz in den Weg gelaufen wäre.

Franz würde plötzlich hell aufgelacht haben wie ein Wahnsinniger, der durch ein Wunder sehend wird.

Vielleicht würde er den schwelenden, schleichenden Franz, dem jetzt schon die Beine zitterten vor unbestimmtem Verlangen nach irgend einem wirklichen Feuer, das er verschlingen könnte wie der Geizhals die Funken, verhöhnt und mit seinem Stocke wütend geschlagen und in die Flucht getrieben haben, bis der wirkliche Franz allein und einfach und frei auf der Straße gestanden, ein ganz vornehmer Herr mit schwarzem Überzieher über seinem Gehrock, mit Handschuhen und einem feinen Schlapphut, der nur der Popjelschen Wohnung zustrebte.

Aber kein zweiter Franz wollte sich herzu finden.

Das Gespenst, das da war, blieb allein und schob um die Straßenecken, indes Strohhalme aufwirbelten.

Franz war jetzt nicht mehr aufzuhalten. Er ging schon mit gemesseneren Schritten.

Daß die Schritte gewichtiger und länger wurden, daß seine schmächtige Gestalt im Überzieher sich fast streckte, war das deutliche Zeichen, daß die Verlockungen und Gesichte im Blute klarer und klarer geworden und den Rest guter Erinnerungen ganz ausgetrieben hatten.

Franz war in eine Unterführung eingebogen, wo ein elektrisches Licht kalten Schein gab. Er mußte bekannt sein. Ein dickes Weib mit bemalten Augenbrauen, jung, aber rund wie ein Faß, ziemlich gewöhnlich gekleidet, wackelte in den Hof und grüßte ihn mit Gekreisch wie einen Duzbruder.

Obgleich Franz darauf keinerlei Acht gab, schien ihn noch einmal ein Zaudern anzukommen. Er sah an sich herab, daß ein feiner Herr gewissermaßen sich ganz zu verleugnen im Begriff stand.

Sonst kam er gewöhnlich im abgeschabten Kittel. Kam er, wie er im Chemielaboratorium gestanden, als er dort noch ein eifriger Arbeiter war.

In diesem Augenblicke konnte er unmöglich für die Hölle noch Toilette machen. Er lachte höhnisch. Denn sein Atem ging süchtig wie bei einem Pferde, das ein heimlicher Reiter jetzt mit harten Geißelhieben peitschte.

So stand er bald mitten unter Zuhältern und Dirnen.

Kreischende Weiberstimmen schrieen durcheinander.

Freche, feile Burschen, die Mützen auf vollen Haaren, lümmelten am Tische und schlugen die Karten. Es war eine Rauschluft.

Franz Popjels Schatten, der hier im gemeinen Dunste lüsterner Künste verkaufter Seelen aufragte, begann Herr zu werden.

Franz schien an dem schwarzen Tische, darauf die schmutzigen Karten fielen und den Huren und Lumpen rings umkränzten, allmählich groß wie ein Herrscher unter den Seinen.

Die Dirnen saßen mit Prunkkleidern, die verschmutzt waren. Vergriffen und zerrissen hingen die Achselbänder an den fleischigen Armen nieder. Die Busen lagen offen für jede tolle Berührung. Die Gesichter waren staubig und grob bemalt wie die Larven auf Jahrmarktsfesten oder wie Tänzerinnen bei einem Dorfzirkus.

Manches Weib saß halbnackt, die Bluse auf einen Stuhl geworfen, weil die Schwüle sie toll gemacht.

Alle Gesichter wirkten wie Grimassen.

Lachen zerklirrte wie Scherben im Kehricht.

Ein widerlicher Staubdunst. Ein ewig heiseres Geschrei aus Männer- und Weiberkehlen. Franz Popjel stand groß und lang gereckt.

Er lachte nicht.

Er stand wie ein Herrscher unter den Seinen.

Sein hohlwangiges Gesicht mit den Brandblicken hatte einen Ausdruck eiserner Ruhe. Seine Augen glommen in Sicherheit. Die Farbe seines Gesichtes schien sich zu röten.

Er hatte ein Goldstück auf den Tisch geworfen, und stieß einen häßlichen, höhnischen Laut aus. Dunkel gekleidet wie mit einem Kaftan, gar nicht mehr wie seine Herren, die in den Konzertsaal gehen, jetzt wie ein Teufel in der Messe.

Franz fühlte leibhaftig wie aus dem Goldstücke, das er auf den Tisch warf, eine Macht ausging.

In der Ecke begann man an einem Tisch neu zu bechern.

Die dicke Wirtin humpelte herzu und flüsterte Franz mit feilem Blicke etwas in die Ohren.

Franz nahm ein Goldstück und legte es hochmütig in ihre fette, ausgestreckte Hand.

Allen schien Franz eine Macht.

Die Weiber lächelten ihm fast demütig zu.

Frech, auf Du und Du schienen mit ihm nur einige Männer, die vor niemand Furcht hatten, weil sie auch vor Mord nicht scheuten.

Der strupphaarige Faßband war ein Dieb. Er spielte heute mit Glück und gewann Franz Gold ab. Franz stieß einen häßlichen, höhnischen Laut aus und warf mehr aus seiner Tasche.

Die rothaarige Böhmin wollte Franzens Beine von hinten umklammern, wie wenn sie zu einem Kreuze betete.

Franz schüttelte das tolle Weib mit einem jähen Rucke von sich.

Seine Blicke spielten mit dem Golde auf dem schwarzen Tische.

Sie begannen auch mit den jungen Augen einer Dirne zu spielen, in denen die Zärtlichkeit aufzuleuchten versuchte.

Es war ein ganz unfertiges Ding. Sie war das Kind eines Jägerburschen, das eine armselige Maurerswitwe kümmerlich groß gezogen. Julie hieß sie. Ihre blauen Augen erinnerten an ein junges Waldtier. Ahnungslos und sanft schienen sie auf der Lauer. Und freuten sich doch in den Lichtdunst hinein.

Wenn Franz sie mit seinen süchtigen Blicken traf, deuchte es ihr wie Liebe.

Die bunten, schmutzigen Kostüme waren ihr ein Fest.

Sie hatte auch einen entblößenden Fetzen um ihre jungen, schlanken Glieder gezogen. Der Wein rann ihr im unschuldigen Blute. Fluchen und Lachen, das kannte sie längst als Lebenslaute.

Wenn Franz sie ansah, glomm es wie eine Gewalt über sie, die sie noch demütiger machte.

Franzens Schatten ragte am schwarzen Tisch.

Die frechen Mannsgesichter mit den Schnurrbärten, die vertrunken und aufgedunsen waren, schluckten Gold ein, wie die Wolken den Mond.

Die schlanke, sehnsüchtige Julie hatte sich verstohlen erhoben.

Franzens Blick traf sie noch immer nur wie zufällig, aber jetzt ganz herrisch. Sie hatte auch die Brüste offen. Sie schienen zart wie bei einem Reh. Sie lächelte demütig Franz zu.

Die Dirnen alle wußten jetzt, daß sie heute die Erwählte war.

Julie näherte sich langsam dem Schatten, der im langen Kaftan stand und unter Gekreisch das Gold anstarrte, das auf dem schwarzen Tische blinkte.

Franz Popjel schien ein ganz hochgereckter, sicherer Gebieter. Und Julie wie ein Hündlein, das ihn ankroch.

Sie streichelte an seinem Ärmel nieder. Er ließ es geschehen. Er lächelte Gnade. Obwohl Gold um Gold hinging. Er hatte noch immer genug.

Franz stieß einen häßlichen, heiseren Laut aus.

Alle lachten jetzt Julie zu.

Franz hatte ihr wie nebenher die rechte Hand um den Nacken gespannt. Wie drollig Julie dastand. den Nacken demütig beugend und die sanften Augen schließend, als wenn der Henker sie griffe.

Es war schon stiller geworden.

Eins nach dem andern waren die Paare verschwunden wie huschende Falter.

Die Männer einer nach dem andern zählten ihr Gold. Einige lachten. Andere fluchten.

Franzens Schatten begann am Ende noch mit Glück zu spielen.

Julie hatte sich in seinen Arm gehangen. Sie lächelte ihn zärtlich an, als wollte sie seine zernagte Seele zu sich ziehen. Sie war jung und wußte noch kaum in ihrer Jugend, was um sie herum vorging.

Alles Licht war allmählig ins Dunkel gesunken.

Die dicke Wirtin stand vor der einzigen Kerze, die noch den schwarzen Tisch beschien.

Ein paar scharfe, magere Männer, zum Jagen über die Dächer wie gestählt, zerrten noch vor Franz an den Karten herum.

Franzens harter Herrenblick traf sie, so daß sie neu die Karten auswarfen, und er jetzt mit Ruhe das Gold einstrich.

Aber er warf das gewonnene Gold wieder auf den Tisch zurück. Es war ein Geschenk, das seine Gnade jetzt vergeudete.

Er war ein Herr unter den Seinen.

Die wütenden Blicke der Männer wurden zahm. Die Männer nahmen das Gold und teilten es unter sich. Sie gingen lachend und sahen mit scheuen Blicken auf Franz zurück.

Julie küßte seine Hand, die das Gold hingeworfen. Sie sehnte sich, demütig und wie ein Hündlein vor diesem harten, sengenden Blicke zu kriechen. Die Blicke aus Franzens Augen hatten sie längst ganz umwunden. Sie war jung wie eine Blüte. Sie kannte nur Demut und Liebe bis zum Vergessen und zum Sterben.

Franz war dann mit Julie in einem ärmlichen, jämmerlichen Alkoven und trank Leib und Seele aus diesem jungen Blute, wie ein Vampyr trinkt.


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