Carl Hauptmann
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Carl Hauptmann

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Zweites Kapitel

Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern ein einsames Leben in Gott gelebt. Seine Welt lag innen. Sein Auge, das blau war, schien dunkel, weil es verzehrt aussah, erhitzt von der Glut sehnsüchtiger Kasteiung. Seine Wangen waren hohl, seine Stirn war kalt und sehr blaß. Sein Gang, wenn er zu einem Sterbenden durch die Dünen schritt, hatte etwas sehr Edles, etwas von einer heiligen Mission, als wenn er nicht ohne Eile, doch mit ehernen Händen den Goldkelch mit Gottes Blute forttrug, oft gepeinigt, daß er den Verröchelnden noch rechtzeitig stillen und in den Saum von Gottes Kleide einhüllen könnte, den er schon auf dem einsamen Wege inbrünstig herniedergefleht.

Auch heute war ein Bote gekommen, der Hieronymus in ein entfernteres Stranddorf rief.

Der graue Herbstwind sang und raschelte in dem Epheu, der das rote Ziegelhaus seiner Pfarre überspann. Draußen in den Dünenhügeln zitterten die fahlen Gräser im Abendsinken, und dunkelgraue Wolkenzüge jagten vom Lande ins Meer. Hieronymus van Doorn war wie immer in solchen Lagen in tiefem Gebete. Möven zogen über ihn mit einsamem Klagen. Der verhallende Ruf war wie aus seiner eigenen Seele geboren und verwob sich in die heimliche Weihe dessen, der am Strande hinschritt.

Es war die Frau eines hohen Regierungsbeamten, die in ihrem Himmelbette lag und die Augen nicht auftat, als Hieronymus van Doorn eintrat. Der Hausherr war ein Lebemann. Er sah aus wie ein frischer Stutzer. Aber seine Mienen kamen dem Priester verängstigt und hilfeflehend entgegen.

Hieronymus hatte seinen Überrock kaum abtun können und stand schon im feierlichen Meßgewand hager aufragend, so hatte ihn die heiße Inbrunst getrieben, in das Gesicht der Sterbenden hineinzusehen.

Die Sterbende sah engelhaft bleich aus. Ihre Augen waren tief geschlossen. Man stand am Bette und beobachtete ihre hastigen, jagenden Atemzüge. Hieronymus blickte lange auf den Mund, der ein wenig offen stand. Die Lippen waren wie vom Schmerz etwas eingezogen, aber fein und selig. Eine Nonne, die dabei stand, versuchte einen kühlen Schwamm auf die feinen Lippen aufzulegen, um den heißen Atem zu feuchten. Es war eine wundersame Stille in dem Raume, der hoch und vornehm war. Am Bette stand ein Strauß schöner Rosen.

Hieronymus van Doorn wollte gleich niederknien und beten. Aber er besann sich noch einmal. Er trat zu Herrn Kroen zurück und sah dem frischen Lebemanne lange ins Gesicht.

»Herr Kroen,« sagte er vor sich hinflüsternd, »die Kranke ist noch jung, und Sie lebten im Glücke mit ihr.« Er wußte in dem Augenblicke nicht, was er redete. Die Luft im Zimmer, das voll eines müden, edlen Geruches war, weil die Rosen bei der Sterbenden ihren Duft hauchten, hatte ihn benommen, daß er eine Weile ganz in sich versunken nur den jetzt lauten Atemzügen von Frau Kroen zuhörte. Es mischten sich geröchelte Laute in die hastigen Rhythmen.

»Vielleicht daß es um Ihr Glück ganz geschehen ist,« sagte er dann plötzlich ganz hart und ließ den Blick des geängstigten Regierungsherrn noch immer nicht aus seinen brennenden, schmerzlichen Augen.

Die Haare der Sterbenden lagen blond um ihr vom Fieber gequollenes, hohles, erhitztes Gesicht. Die feinen Zähne zeigten weißen Glanz. Dann nahm Frau Kroen die trockenen Lippen zusammen und schien zu hören, was um sie herum vorging.

Hieronymus van Doorn sah, daß das Gesicht des Herrn Kroen jetzt eine verzweifelte Miene trug. Es deuchte ihm, daß er harte Worte geredet und ihn noch tiefer erschreckt hatte. Es standen große Tränen in Herrn Kroens Augen. Deshalb trat der junge Pfarrer noch einmal vom Bette zurück und begann in Herrn Kroen neu hineinzuflüstern.

»Wir wissen nichts,« sagte er ebenso eifrig und bestimmt. »Lassen Sie sich von meinen Worten nicht ein Jota aus Ihrer Hoffnung und Ihrem Glauben vertreiben! wer glaubt, hat Gott im Blute. Auch ich werde jetzt mit Glauben beten.« sagte er. Und wenn man den tiefen Blick Zuversicht, der aus ihm allein sprach, ein Lächeln nennen könnte, so war dieses Lächeln eine wonnevolle Verheißung.

Draußen ums Haus heulte und pfiff der Herbststurm. Man hörte es, weil die Stille um die Sterbende tief war. Ausgehöhlt das Harren, daß es wie ein leerer Raum jeden heimlichen Laut einsog.

Auch in Hieronymus van Doorn gingen Trauergewalten um und schüttelten sein Herz. Er kannte Herrn Kroen nicht. Er achtete auch nicht, daß der Reichtum des Hauses groß schien. Er hatte nicht gesehen, daß Diener im Vorhause auf den Stufen standen. Nun gar, wo sein gottgeweihter Sinn das stille Geschehnis in Himmel und Erde, dieses einzige, weite, junge Sterben in der Nähe auskostete und einsog, das jetzt in den geschlossenen Lippen der Frau sich selber auffing. Hieronymus war im priesterlichen Meßgewande wieder ans Bett getreten, kostbaren Schmuck über Brust und Schultern gebreitet, indessen die Ministranten sich anschickten, die heilige Handlung leise zu bedienen.

Vielleicht war jetzt die Zeit gekommen.

Die Nonne heftete ihre Blicke fragend auf den Priester und dann auf die Sterbende. Sie versuchte noch vor sich wie einen abmahnenden Ratschlag. In dem stillen Raume stand schon der heilige Beter hoch aufgerichtet. Und eine Sterbende hielt ihr kleines Lebenslicht vom Winde hin und her geweht in ihren weißen Händen. Nichts anderes schien bald im Raume zu leben.

Herr Kroen stand und sah in Starre nieder. Auch die Nonne hütete sich jetzt, die eherne Ruhe des Rufers ums Heil mit einem Geflüster noch zu stören.

Wenn die Stürme ums Haus pfeifen, sind die Wintergewalten nahe. Aber ein heißer Rufer ums Heil kann die Flockenstürme wegfegen und kann die sterbende Seele an die Planken des Bootes fest anbinden, um sie zu retten. Er kann dem Tode wehren.

Die Ministranten standen und beugten die Knabenköpfe und knixten lautlos mit den jungen Beinen und taten feierlich ihre Hantierung. Die Nonne kniete. Die hellen Augen des Herrn Kroen fingen an, sich wie in einem Wunder weit aufzutun.

In dem jungen Priester war von Anfang an die Gnade lebendig. Er hatte in den kranken, bleichen Zügen bald eine Hoffnung gelesen. Er betete jetzt, als wenn mit seinen stummen Worten Lasten sich lösten. Als wenn er mit seinem brünstigen Atem die kleine Lebensflamme sanft anblies.

Da wurde das Geheimnis langsam und lautlos groß und größer, das von dem jungen Priester ausging und rings im Raume Macht gewann.

Herr Kroen begann aufzustöhnen. Die junge Frau Kroen hatte jetzt ganz die Augen aufgetan. Sie erkannte den Pfarrer. Ihre Augen schienen nichts zu ahnen, womit der Pfarrer rang und worum Herr Kroen sein Stöhnen nicht meistern konnte. Niemand redete. Auch der Geistliche gab seinen Worten noch immer nicht einen Flüsterlaut. Er sprach nur im Geist. Aber der Geist war wie die Luft um ihn, daß alle ihn schmeckten.

Die kleinen Kerzen der Ministranten brannten lautlos und erhellten den Dämmer der Stube. Es fiel ein Goldschein der Sterbenden ins Gesicht. Die Lippen schienen jetzt feucht und frisch. Das Auge war voll Glauben. Entrückt und frei schien das Auge im Raume zu glänzen und zu lachen.

Dann lag die Hostie zwischen ihren heißen, fiebernden Lippen. Und auch Hieronymus van Doorn erbebte im Grunde, weil er den Schluck Gottesblut auf der Zunge hielt und das heilige Arom einzog und mit Gott ein Leib war.

Wer ihn in diesem Augenblick ansah, wußte, daß er die Kraft und der Glaube selber geworden, und daß er jetzt Berge aufhob. Die hellen Augen der Sterbenden suchten seine Kraft und umklammerten ihn und lauschten auf die gestammelten Worte, die jetzt abgerissen aus des Priesters murmelnden Lippen hervordrangen.

Die Augen der jungen Frau ruhten dann lange in seinen dunklen Augen, und beide schienen in Gott geborgen.

Es war eine lange Zeit des Gebetes noch, ehe der Pfarrer von seinen Knien sich aufhob und die eherne Stille endlich zerbrach.

Die Nonne konnte nicht begreifen, daß des Priesters Stimme zu Herrn Kroen jetzt fast irdisch klang. Hieronymus van Doorn sah Herrn Kroen wieder ins Gesicht. Als wenn er ihn prüfen wollte. Wie eine Röte schoß ihm dabei in die Wangen. Weil auch die Augen der jungen Frau Kroen eben sanft zugefallen waren, als ob ein engelhaftes Mädchengesicht mit Träumen und Lächeln auf den Lippen in den Schlaf sinkt. Hieronymus sah dann nur wieder die Schlafende an.

»Wir wissen nichts,« sagte er sanftmütig und mit einem Ausdruck tiefer, unsäglicher Sehnsucht. »Aber wer glaubt, ruft Gott zur Hilfe hernieder,« sagte er dann, indem er die strengen, entsagungsvollen Linien der Mundwinkel und die feine, magere Haut auf den hohlen Wangen ein wenig wie ein Kind zum Lächeln verzog.

Er war fast schon nur in sich beschäftigt. Als wenn er ganz abwesend und für sich allein wäre, und als wenn er den Heimweg nach seinem Fischerdorfe schon einsam durch die Nacht angetreten.

Dann schritt er durch die Dünen im Nachtsturme, umflüstert und umtost von den Strandgewalten, die heransprangen wie weiße Gesichte und ihn aus seinen Himmeln ein paarmal aufschreckten.

Er war voll Entrücktheit. Er trug die feine weiße Gestalt jetzt in seine Arme gebettet, in den Mantel der göttlichen Liebe tief eingehüllt, daß nicht der harsche, finstere Seewind, der an seinen Mantelfalten herumriß, und nicht die zischenden Meerwogen dränge, die ihn mit Gischt aus der Düsternis anwarfen, der von Gott Erflehten ein Leid taten. Er war jung, kaum viel über die Mitte der Zwanzig, und er hatte die Welt nie gesehen.


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