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Oscars letzte Tage.
Ein Brief

Mit besonderer Genehmigung von Dr. Max Meyerfeld, der das Übersetzungsrecht für die deutsche Sprache besitzt. Alle Rechte vorbehalten.

Robert Roß an …

Den 14. Dezember 1900.

Am Dienstag den 9. Oktober schrieb ich an Oscar, von dem ich seit einiger Zeit nichts gehört hatte, daß ich am Donnerstag den 18. Oktober auf einige Tage in Paris eintreffen würde und ihn dann zu sehen hoffte. Und am Donnerstag den 11. Oktober erhielt ich folgendes Telegramm von ihm: »Gestern operiert, komm so schnell wie möglich.« Darauf drahtete ich ihm, daß ich alles aufbieten würde, um seinen Wunsch zu erfüllen, und erhielt die Drahtantwort: »Furchtbar schwach, bitte, komm.« Ich reiste am Dienstag den 16. Oktober abends ab und ging Mittwoch vormittag gegen l0 ½ Uhr zu ihm, um ihn zu besuchen. Er war sehr gut gestimmt, und obwohl er mir versicherte, daß er schrecklich zu leiden hätte, lachte er gleichzeitig schallend und erzählte viele Geschichten, die auf die Ärzte und seine eigene Person gemünzt waren. Bis 12 ½ Uhr blieb ich bei ihm und fand mich um 4 ½ Uhr wieder ein. Oscar zählte dann wieder alle seine Klagen über das Harrissche Lustspiel auf. Selbstverständlich hatte Oscar – so weit ich aus der Geschichte klug wurde – Harris bei der ganzen Angelegenheit angeführt. Denn Harris schrieb das Theaterstück in dem Glauben, daß Sedger der einzige war, der mit £ 100 abgefunden werden mußte, die er Oscar im voraus für den Auftrag gegeben hatte, während in Wirklichkeit Kyrle Bellew, Louis Nethersole, Ada Rehan und sogar Smithers Oscar alle bei verschiedenen Gelegenheiten £ 100 gegeben hatten. Nun drohten sie alle, gerichtlich gegen Harris einzuschreiten, der Oscar infolgedessen nur £ 50 als Abschlagszahlung Oscar hatte nicht mehr als fünfzig Pfund von mir verlangt: das war die ganze vereinbarte Summe. In Wirklichkeit gab ich ihm noch einmal fünfzig Pfund, ehe ich Paris verließ. Damals wußte ich nicht, daß er das Szenarium überhaupt anderen Leuten erzählt, geschweige denn verkauft hatte, obwohl ich das vielleicht erraten mußte. gab. Denn er mußte sich zuerst mit diesen Leuten auseinandersetzen. Das waren Oscars Klagegründe. Als ich ihn darauf hinwies, daß seine Lage eine viel bessere war als früher, da Harris doch jedenfalls die Leute schließlich abfinden würde, die einen Vorschuß gezahlt hatten, und da Oscar selbst schließlich etwas erhalten würde, erwiderte er in seiner charakteristischen Art: »Frank hat mich meiner einzigen Einnahmequelle beraubt, da er ein Stück übernommen hat, mit dem ich mir immer £ 100 beschaffen konnte.«

Ich ging jeden Tag zu Oscar, bis ich Paris verließ. Reggie und ich nahmen zuweilen das Abend- oder Mittagessen in seinem Schlafzimmer ein; dann war er stets sehr gesprächig, obwohl er sehr elend aussah. Als mein Bruder Aleck am 25. Oktober kam, um ihn zu besuchen, war Oscar in besonders guter Verfassung. Seine Schwägerin Mrs. Willie und ihr Gatte Texeira hielten sich auf der Hochzeitsreise vorübergehend in Paris auf und stellten sich zu derselben Zeit ein. Bei dieser Gelegenheit machte er die Bemerkungen, daß er über seine Verhältnisse sterbe … und das Jahrhundert nicht überleben würde, … daß das englische Publikum ihn nicht dulden wollte, – er wäre für den Mißerfolg der Ausstellung verantwortlich, da die Engländer sich entfernt hatten, als sie ihn dort in so guter Kleidung und so froher Stimmung sahen, … das ganze französische Publikum wüßte das auch und wollte ihn nicht länger dulden … Am 29. Oktober stand Oscar mittags zum erstenmal auf und bestand darauf, nach dem Abendessen auszugehen, – er gab mir die Versicherung, daß der Arzt es ihm erlaubt hatte, und wollte auf keine Widerrede hören.

Ich hatte ihn dringend gebeten, einige Tage früher aufzustehen, da der Arzt es erlaubt hatte, aber bisher hatte er sich geweigert. Wir gingen nun in ein kleines, im Quartier Latin gelegenes Kaffeehaus, und er bestand darauf, Absinth zu trinken. Der Hin- und Rückweg bereitete ihm einige Schwierigkeiten, aber er schien sich ziemlich wohl zu fühlen. Ich fand nur, daß sein Gesicht plötzlich gealtert war, und machte Reggie am nächsten Tage darauf aufmerksam, daß er ganz anders aussah, wenn er auf und angekleidet war. Im Bett machte er einen verhältnismäßig gesunden Eindruck. (Zum erstenmal bemerkte ich, daß sein Haar leicht ergraut war. Ich hatte immer die Beobachtung gemacht, daß die Farbe seines Haares während seines Aufenthaltes in Reading Ich (Frank Harris) habe in Reading bemerkt, daß sein Haar an der Stirn und den Schläfen grau wurde; aber als wir später zusammenkamen, war die graue Farbe verschwunden, und ich glaubte, daß er ein Färbemittel benutzte. Ich erwähne das nur zum Beweise, daß zwei glaubwürdige Zeugen in Bezug auf eine einfache Tatsache verschiedener Meinung sein können. unverändert geblieben war: es hatte seine mattbraune Schattierung behalten. Sie müssen sich entsinnen, daß er darüber zu scherzen pflegte und zur Belustigung der Wärter immer sagte, daß er ganz weißes Haar hätte.) Ich war nicht überrascht, daß Oscar am nächsten Tage an einer Erkältung und an starken Ohrenschmerzen litt. Nichtsdestoweniger erlaubte ihm Dr. Tucker, wieder auszugehen, und am nächsten Nachmittag fuhren wir ins Bois, da das Wetter sehr milde war. Oscars Befinden war viel besser, doch klagte er über ein Gefühl des Schwindels, und gegen 4 ½ Uhr kehrten wir heim. Am Sonnabend den 3. November traf ich morgens den Panseur (Heilgehilfen) Hennion bei ihm (Reggie nannte ihn immer den »Libre Penseur«), der täglich kam, um Oscars Wunden zu verbinden. Er fragte mich, ob ich mit Oscar sehr befreundet oder mit seinen Verwandten bekannt wäre, und gab mir die Versicherung, daß Oscars Allgemeinbefinden sehr bedenklich war und er höchstens noch drei bis vier Monate leben könnte, wenn er seine Lebensweise nicht änderte. Er meinte, daß ich mit Dr. Tucker sprechen sollte, der Oscars ernsten Zustand nicht richtig erkannte, – und daß das Ohrenleiden an sich nicht viel zu bedeuten hätte, aber ein folgenschweres Symptom wäre. Am Sonntag morgen ging ich zu Dr. Tucker – einem einfältigen, gutmütigen, braven Mann –, der mir sagte, Oscar sollte mehr schriftstellerisch arbeiten, es ginge ihm viel besser, und sein Zustand würde nur bedenklich werden, wenn er das Bett verließe und in gewohnter Weise umherginge. Ich bat ihn, mir ehrlich die Wahrheit zu sagen, und er versprach mir, Oscar zu fragen, ob er über seinen Gesundheitszustand offen mit mir reden dürfte. Am folgenden Dienstag ging ich, unserer Verabredung entsprechend, zu ihm; aber er drückte sich sehr unbestimmt aus und bestätigte zwar Hennions Ansicht in gewisser Beziehung, sagte aber dann wieder, daß Oscar jetzt auf dem Wege der Besserung wäre, doch das Trinken aufgeben müßte, sonst würde er nicht mehr lange leben. Als ich Oscar im Laufe des Tages besuchte, fand ich ihn sehr erregt. Er sagte mir, daß er nicht wissen wollte, was mir der Arzt erzählt hatte, und daß es ihm gleichgültig wäre, wenn er nur noch kurze Zeit leben sollte. Dann ging er auf ein anderes Thema über – seine Schulden –, die sich nach meiner Schätzung auf etwas über £ 400 beliefen. Roß stellte später fest, daß sie sich auf £ 620 beliefen. Er bat mich, dafür zu sorgen, daß auf alle Fälle ein Teil bezahlt würde, wenn ich nach seinem Tode dazu in der Lage sein würde. Denn in Bezug auf einige seiner Gläubiger machte er sich Gewissensbisse. Zu meiner großen Erleichterung erschien Reggie nach kurzer Zeit, und Oscar erzählte uns nun, daß er in der vorigen Nacht einen furchtbaren Traum gehabt und »mit den Toten zu Abend gespeist« hätte. Darauf gab ihm Reggie folgende sehr bezeichnende Antwort: »Mein lieber Oscar, vermutlich hast du Leben und Bewegung in die Gesellschaft gebracht.« Oscar freute sich sehr darüber und wurde wieder ganz munter, fast hysterisch. Als ich ihn verließ, war ich ziemlich besorgt. Noch an demselben Abend schrieb ich an Douglas, daß ich gezwungen wäre, Paris zu verlassen, – daß Oscar nach ärztlicher Ansicht sehr krank wäre und daß … ein paar seiner Rechnungen begleichen müßte. Denn sie bereiteten Oscar große Sorgen, und diese Angelegenheit verzögerte seine Genesung, – was Dr.Tucker ausdrücklich betont hatte. Am 2. November, dem Allerseelentage, war ich mit … auf dem Kirchhof »Père Lachaise« gewesen. Oscar bekundete reges Interesse und fragte mich, ob ich für ihn eine Grabstelle ausgesucht hätte. In vollkommen sorgloser Art sprach er über Grabschriften im allgemeinen, und ich hatte keine Ahnung, daß er dem Tode so nahe war.

Am Montag den 12. November ging ich mit Reggie in das Hôtel d'Alsace, um Lebewohl zu sagen, da ich am nächsten Tage nach der Riviera fahren wollte. Das Abendessen war bereits vorüber und die Stunde vorgeschritten. Oscar erörterte seine ganzen Geldverlegenheiten. Denn er hatte gerade von Harris einen Brief über Smithers' Ansprüche erhalten und war sehr aufgebracht. Ich fand, daß seine Sprache etwas undeutlich klang, aber er hatte in der vorigen Nacht Morphium bekommen und trank am Tage stets zu viel Champagner. Er wußte, daß ich kam, um Lebewohl zu sagen, beachtete mich aber kaum, als ich ins Zimmer trat, was mir damals sonderbar erschien; alle seine Bemerkungen waren an Reggie gerichtet. Während wir uns unterhielten, kam die Post und brachte einen sehr netten Brief von Alfred Douglas nebst einem Scheck. Ich glaube, das war wohl teilweise auf meinen Brief zurückzuführen. Oscar weinte zuerst ein bißchen, beruhigte sich aber bald. Dann hatten wir alle eine freundschaftliche Auseinandersetzung. Oscar ging dabei im Zimmer umher und eiferte in ziemlich erregter Art. Gegen 10 ½ Uhr stand ich auf, um wegzugehen. Da wandte Oscar sich plötzlich an Reggie und den Krankenpfleger mit der Bitte, einen Augenblick das Zimmer zu verlassen, da er mir Lebewohl sagen wollte. Zuerst sprach er zusammenhanglos über seine Schulden in Paris, dann bat er mich flehentlich, nicht abzureisen, weil er fühlte, daß während der letzten Tage eine große Veränderung mit ihm vorgegangen war. Ich nahm eine ziemlich unzugängliche Haltung an, da ich wirklich glaubte, daß Oscar nur hysterisch wäre, wenn ich auch wußte, daß seine Bestürzung über meine Reise ganz echt war. Plötzlich fing er an, heftig zu schluchzen, und sagte, daß er mich nie wiedersehen würde, weil er fühlte, daß alles zu Ende war. Dieser sehr schmerzliche Zwischenfall dauerte ungefähr dreiviertel Stunden.

Er sprach über verschiedene Dinge, die ich schwerlich hier wiederholen kann. Obgleich das Ganze recht herzzerreißend war, legte ich meinem Abschied wirklich keine Bedeutung bei. Und so ging ich auf die Gemütsbewegung des armen Oscar nicht genügend ein, besonders als ich das Zimmer verließ und er zu mir sagte: »Sieh dich in den Hügeln bei Nizza nach irgendeinem kleinen Nest um, wo ich hinfahren kann, wenn es mir besser geht, und du mich häufig besuchen kannst.« Das waren die letzten klaren Worte, die er überhaupt noch zu mir gesprochen hat.

Ich reiste am nächsten Abend – den 13. November – nach Nizza ab.

Während meiner Abwesenheit ging Reggie täglich zu Oscar, um ihn zu besuchen, und sandte mir jeden Übertag einen kurzen Bericht. Oscar fuhr mehrmals mit ihm aus und schien sich viel besser zu befinden. Am Dienstag den 27. November erhielt ich Reggies ersten Brief und fuhr nach Paris zurück. Ich lege diesen und die folgenden Briefe (die erst nach meiner Abreise eintrafen) hier ein. Ich sende sie Ihnen, weil sie Ihnen die Sachlage sehr gut veranschaulichen werden. Ich hatte beschlossen, meine Mutter am folgenden Freitag nach Mentone zu bringen und dann am Sonnabend nach Paris zu fahren. Aber am Mittwoch nachmittag um fünfeinhalb Uhr erhielt ich von Reggie ein Telegramm, das die Worte enthielt: »Fast hoffnungslos.« Ich erreichte noch gerade den Schnellzug und kam morgens um 10 Uhr 20 Minuten in Paris an. Dr. Tucker und Dr. Kleiß, ein Spezialarzt, den Reggie zugezogen hatte, waren zugegen und teilten mir mit, daß Oscar höchstens noch zwei Tage zu leben hätte. Sein Anblick war sehr schmerzlich, denn er war ganz mager geworden, der Körper sah bläulich aus, und der Atem ging schwer. Er versuchte zu sprechen, er empfand es, daß Menschen im Zimmer waren, und hob die Hand, als ich ihn fragte, ob er uns verstand. Er drückte uns die Hände. Dann begab ich mich auf die Suche nach einem Geistlichen und fand nach großen Schwierigkeiten Pater Cuthbert Dunn vom Passionistenorden, der mich sofort begleitete und die Taufe und Letzte Ölung vollzog, – Oscar war nicht mehr imstande, das Abendmahl zu nehmen. Sie wissen, daß ich Oscar immer versprochen hatte, einen Geistlichen zu holen, wenn er im Sterben läge. Nun fühlte ich mich ziemlich schuldbewußt, daß ich ihm so häufig abgeraten hatte, katholisch zu werden, aber Sie kennen ja die Gründe, die mich dazu bewogen haben. Ich sandte Drahtnachrichten an Frank Harris, an Holman (der sich mit Adrian Hope in Verbindung setzen sollte) und an Douglas. Tucker sprach später wieder vor und sagte, daß sich Oscars Ende vielleicht noch einige Tage hinziehen könnte. Da der Pfleger ziemlich überanstrengt war, ließen wir einen »gardemalade« kommen.

Es mußten schreckliche Handreichungen gemacht werden, auf die ich nicht näher einzugehen brauche, Reggie war vollkommen zusammengebrochen.

Wir blieben beide über Nacht im Hôtel d'Alsace und schliefen in einem Zimmer des oberen Stockwerks. Zweimal rief uns der Krankenpfleger, da er glaubte, daß Oscar bereits in der Agonie lag. Gegen 5½ Uhr morgens ging eine vollkommene Veränderung mit ihm vor, die Umrisse seines Gesichts verwandelten sich, und ich glaube, daß jene keuchenden Laute einsetzten, die man als Todesröcheln bezeichnet. Aber ich hatte nie zuvor etwas Ähnliches gehört; es klang wie das grausige Knarren eines Rades. Bei einer oberflächlichen Untersuchung stellte sich heraus, daß die Augenreaktion bereits erloschen war. Schaum und Blut drangen aus seinem Munde und mußten andauernd von einer an seinem Bette stehenden Person abgewischt werden. Um 12 Uhr ging ich hinaus, um etwas zu essen, während Reggie die Wache übernahm. Er ging dann um 12 ½ Uhr hinaus. Von 1 Uhr an verließen wir das Zimmer nicht mehr, denn die schmerzlichen Laute aus seiner Kehle wurden immer lauter. Reggie und ich vernichteten Briefschaften, nur um uns überhaupt aufrecht zu halten. Die beiden Krankenpfleger waren nicht zugegen, und der Besitzer des Hotels war hinaufgekommen, um sie zu vertreten; um 1 ¾ Uhr wurden die Atempausen unregelmäßig. Ich trat ans Bett und nahm seine Hand, – der Puls fing an zu flackern. Er seufzte tief auf, – es war der einzige natürlich klingende Seufzer, den ich seit meiner Ankunft gehört hatte, – die Glieder schienen sich unwillkürlich zu strecken, der Atem wurde schwächer, und genau 10 Minuten vor 2 Uhr nachmittags verschied er.

Nachdem wir die Leiche gewaschen und eingehüllt und die entsetzlichen »débris« weggeschafft hatten, die verbrannt werden mußten, begaben Reggie und ich uns mit dem Hotelbesitzer nach der Mairie, um die amtliche Anzeige zu erstatten. Es hat keinen Zweck, die langwierigen Einzelheiten aufzuzählen, die mich noch in Zorn bringen, wenn ich nur daran denke. Der brave Dupoirier verlor den Kopf und erschwerte die Angelegenheiten, indem er Oscars Namen als Geheimnis behandelte. Allerdings lag ein Hindernis vor, da Oscar unter dem Namen Melmoth im Hotel eingetragen war und es gegen das französische Gesetz verstößt, sich unter angenommenem Namen in einem Hotel aufzuhalten. Von 3 ½ bis 5 Uhr nachmittags trieben wir uns in der Mairie und den Polizeibureaus herum. Dann wurde ich ärgerlich und bestand darauf, zu dem Leichenbestatter der englischen Botschaft namens Gesling zu gehen, für den Pater Cuthbert mir eine Empfehlung gegeben hatte. Nachdem wir alles mit ihm abgemacht hatten, ging ich fort, um ein paar fromme Schwestern für die Totenwache zu holen. Ich glaubte, daß das gerade in Paris am allerleichtesten sein würde: aber erst nach unglaublichen Schwierigkeiten fand ich zwei Franziskanerinnen.

Gesling war höchst einsichtsvoll und versprach, sich am nächsten Morgen um 8 Uhr im Hôtel d'Alsace einzufinden. Während Reggie sich im Hotel aufhielt, wo er mit Journalisten und lärmenden Gläubigern verhandelte, ging ich mit Gesling, um die verschiedenen Amtspersonen aufzusuchen. Da wir uns erst um 1 ½ Uhr trennten, können Sie sich wohl einen Begriff von den Formalitäten, den Verwünschungen, dem Geschrei und den ausgestellten Bescheinigungen machen. In Paris ist das Sterben für einen Ausländer wirklich ein sehr schwieriger und kostspieliger Luxus.

In den Nachmittagsstunden sprach der Bezirksarzt vor und erkundigte sich, ob Oscar Selbstmord begangen hätte oder ermordet worden wäre. Den von Kleiß und Tucker ausgestellten Totenschein wollte er sich nicht ansehen. Gesling hatte mich am vorhergehenden Abend darauf aufmerksam gemacht, daß die Behörden in Anbetracht des Namens, den Oscar angenommen hatte, und seiner wahren Identität darauf bestehen könnten, die Leiche nach der Morgue zu schaffen. Selbstverständlich war ich über diese Aussicht entsetzt, sie erschien mir wirklich als der letzte Hauch des Grauens. Nachdem der Bezirksarzt den Leichnam sowie tatsächlich alle im Hotel anwesenden Leute untersucht hatte, – nachdem er eine Anzahl von Getränken zu sich genommen, unangebrachte Scherze gemacht und ein reichliches Honorar empfangen hatte, ließ er sich herbei, den Erlaubnisschein zur Beerdigung zu unterzeichnen. Dann erschien irgendeine andere widerwärtige Amtsperson, die sich erkundigte, wie viel Kragen Oscar besessen und wieviel sein Regenschirm gekostet hatte. (Das ist nicht etwa übertrieben dargestellt, sondern die reine Wahrheit.) Dann sprachen verschiedene Dichter und literarische Persönlichkeiten vor, u. a. Raymond de la Tailhade, Tardieu, Charles Sibleigh, Jehan Rictus, Robert d'Humières, George Sinclair sowie mehrere Engländer, die falsche Namen angaben und von zwei verschleierten Frauen begleitet waren. Es wurde allen gestattet, die Leiche zu sehen, unter der Bedingung, daß sie ihre Namen schriftlich eintrugen …

Ich freue mich, sagen zu können, daß der gute Oscar ruhig und würdig aussah, wie damals, als er aus dem Gefängnis kam. Und die Leiche hatte gar nichts Grausiges mehr an sich, nachdem sie gewaschen worden war. Den geweihten Rosenkranz, den Sie mir gegeben haben, trug er um den Hals, und das Bild des heiligen Franziskus, das mir eine der frommen Schwestern gegeben hatte, auf der Brust. Es waren auch ein paar Blumen da, die ich hingelegt und die ein ungenannter Freund im Namen seiner Kinder überbracht hatte, obwohl ich nicht annehmen kann, daß die Kinder etwas von dem Tode ihres Vaters wußten. Selbstverständlich fehlte es nicht an dem üblichen Kruzifix, den Kerzen und dem Weihwasser.

Gesling hatte mir geraten, die sterblichen Überreste sofort in den Sarg legen zu lassen, da der Zersetzungsprozeß sehr schnell beginnen würde. Und abends um 8 ½ Uhr erschienen die Leute zur Einsargung. Auf meine Bitte machte Maurice Gilbert eine photographische Aufnahme von Oscar, die aber nicht glückte, weil das Blitzlicht versagte. Kurz, ehe der Sargdeckel geschlossen wurde, kam Henri Davray, der sehr gütig und nett war. Am nächsten Tage – einem Sonntag – traf Alfred Douglas ein, und verschiedene andere Leute, die ich nicht kannte, sprachen vor. Vermutlich waren es zumeist Journalisten. Am Montag morgen setzte sich der Leichenzug um 9 Uhr vom Hotel aus in Bewegung. Wir alle – Alfred Douglas, Reggie Turner und ich –, der Hotelbesitzer Dupoirier, der Krankenpfleger Henri und der Hoteldiener Jules, ferner Dr. Hennion und Maurice Gilbert mit zwei Fremden, die ich nicht kannte, folgten dem Leichenwagen zu Fuß bis zur Kirche St.-Germain des Près. Nach einer stillen Messe, die einer der Vikare am Altar hinter dem Sanktuarium abhielt, las Pater Cuthbert einen Teil der Begräbnisliturgie. Wie mir der Kirchendiener sagte, waren sechsundfünfzig Personen zugegen, – darunter fünf Damen in tiefer Trauer. Ich hatte nur drei Wagen bestellt, denn ich hatte keine Traueranzeigen verschickt, da mir daran lag, daß das Leichenbegängnis in aller Stille vonstatten gehen sollte. Im ersten Wagen saß Pater Cuthbert mit dem Meßgehilfen, im zweiten Alfred Douglas, Turner, der Hotelbesitzer und ich; im dritten Madame Stuart Merrill, Paul Fort, Henry Davray und Sar Luis; zuletzt folgte eine Droschke mit Fremden, die mir unbekannt waren. Die Fahrt nahm einundeinehalbe Stunde in Anspruch; das Grab befindet sich in Bagneux auf einem provisorischen Platz, der auf meinen Namen gepachtet ist. Sobald ich in der Lage bin, werde ich eine andere Grabstelle käuflich erwerben – beispielsweise auf dem Père Lachaise. Ich habe mich bis jetzt noch nicht entschlossen, was geschehen soll, oder wie das Denkmal beschaffen sein wird. Im ganzen hatten wir vierundzwanzig Kränze, von denen einige anonym übersendet worden waren. Der Hotelbesitzer spendete ein feierliches Gewinde aus Glasperlen mit der Inschrift »A mon locataire«, während eine zweite, ebenfalls künstliche Trophäe vom »service de l'Hôtel« gestiftet worden war. Die übrigen zweiundzwanzig Kränze bestanden selbstredend aus frischen Blumen. Alfred Douglas, More Adey, Reginald Turner, Miß Schuster, Arthur Clifton, der »Mercure de France«, Louis Wilkinson, Harold Mellor, Mr. und Mrs. Texeira de Mattos, Maurice Gilbert und Dr. Tucker hatten Kränze geschickt oder übersenden lassen. Ich legte zu Häupten des Sarges einen Lorbeerkranz mit der Inschrift nieder: »Als Zeichen der Huldigung für seine literarischen Leistungen und seine literarische Bedeutung«. An der Innenseite des Kranzes befestigte ich eine Karte mit den Namen der Personen, die ihm während oder nach seiner Gefangenschaft ihr Wohlwollen bekundet hatten; sie lauteten: »Arthur Humphreys, Max Beerbohm, Arthur Clifton, Ricketts, Shannon, Conder, Rothenstein, Dal Young, Mrs. Leverson, More Adey, Alfred Douglas, Reginald Turner, Frank Harris, Louis Wilkinson, Mellor, Miß Schuster, Rowland Strong«, und auf besonderen Wunsch »C. B.«, die Initialen eines Freundes, der in dieser Form genannt werden wollte.

Es wird mir schwer, von dem Edelmut, der Menschenfreundlichkeit und Barmherzigkeit, die der Besitzer des Hôtel d'Alsace, Jean Dupoirier, bewiesen hat, ohne Überschwang zu sprechen. Kurz vor meiner Abreise aus Paris erzählte mir Oscar, daß er ihm über £ 190 schuldig war. Aber seitdem Oscar bettlägerig war, sprach Dupoirier nicht mehr davon und erwähnte auch mir gegenüber diese Angelegenheit erst nach Oscars Tode und auf meine Anregung. Er war bei Oscars Operation zugegen und versorgte ihn jeden Morgen persönlich. Die vom Arzt verordneten oder von Oscar selbst bestellten Leckerbissen und Bedarfsgegenstände bezahlte er aus eigener Tasche. Ich hoffe, daß … oder … ihm jedenfalls seine Auslagen zurückerstatten wird. Auch Dr. Tucker hat noch eine große Summe zu bekommen. Er war überaus gütig und gewissenhaft, obwohl er meines Erachtens den Fall vollkommen falsch beurteilt hat.

Reggie Turner war in vielen Beziehungen von uns allen am schlimmsten daran; – er hat die ganze schreckliche Ungewißheit und die entsetzliche Verantwortung, deren Umfang er nicht kannte, zu tragen gehabt. Aber allen, die Oscar zugetan waren, wird es stets zur Genugtuung gereichen, daß er in seinen letzten Tagen, solange er noch der Sprache mächtig und für Güte und Aufmerksamkeit empfänglich war, einen Menschen von Reggies Art um sich gehabt hat …

Robert Roß.


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