Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV
Belehrende Einflüsse: Oscars Gedichte

Das wichtigste Ereignis in Oscars Jugendleben trat noch während seiner Studentenzeit in Oxford ein: Sein Vater Sir William Wilde starb im Jahre 1876 und hinterließ seiner Gattin Lady Wilde fast sein gesamtes, aus etwa £ 7000 bestehendes Vermögen, dessen Zinsen kaum ausreichten, um ihre dürftigen Verhältnisse standesgemäß zu gestalten. Da diese Summe so klein ist, muß man wohl dem Gerücht Glauben schenken, daß Sir William Wilde wirklich in seinen späteren Lebensjahren ein offenes Haus führte: – »wo der Whisky in Strömen floß und es einen guten Happen gab«, und daß er überdies wegen seiner Liebesabenteuer berüchtigt war. Oscars bescheidenes Erbe – ein wenig Geld und ein kleines Haus nebst etwas Grund und Boden – kam gerade zur rechten Zeit. Er verwendete einen Teil des baren Geldes, um in Oxford ein paar Schulden zu begleichen, während er mit dem verbleibenden Teil die Kosten einer Reise nach Griechenland bestritt. Es war selbstverständlich, daß Oscar Wilde, der alle Eindrücke so eifrig in sich aufnahm, wie ein Schwamm das Wasser aufsaugt, die beste akademische Ausbildung der damaligen Zeit erhalten und sie durch Reisen vervollkommnen mußte. Uns allen wird gewissermaßen die Ausbildung zuteil, nach der wir Verlangen tragen, und Oscar Wilde schien mir stets überbildet zu sein, d. h. er besaß zu viel Bücherwissen und nicht genug Lebensklugheit und hatte zu wenig selbständig nachgedacht. Aber meine Leser werden sich darüber selbst ein Urteil bilden können.

Im Jahre 1877 unternahm er in Professor Mahaffys Gesellschaft eine lange Rundreise durch Griechenland. Das Vergnügen und der Nutzen dieser Reise waren für Oscar so groß, daß er die festgesetzte Zeit überschritt und verspätet nach Oxford zurückkehrte, so daß die Dons ihm wegen dieses Verstoßes gegen die Hausgesetze eine Geldstrafe von fünfundvierzig Pfund auferlegten. Als er aber im folgenden Jahre das Schlußexamen mit Auszeichnung bestand und den Newdigate-Preis erhielt, erstatteten sie ihm das Geld zurück.

Dieser Aufenthalt in Griechenland in seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahre festigte die Lebensanschauungen, die er sich bereits gebildet hatte und auf die ich wohl in der oben erwähnten Unterhaltung mit Pater zur Genüge hingewiesen habe. Wer aber Oscar Wilde verstehen will, darf die Tatsache nicht einen einzigen Augenblick vergessen, daß er zum Heiden geboren und, wie Gautier sich ausdrückt, »ein Mensch« war, »für den nur die sichtbare Welt existiert«, – der mit der ganzen Sinnenfreude und Liebe des Griechen zur Formenschönheit begabt war; ein Heide wie Nietzsche und Gautier, dem das Verständnis für das Christentum vollkommen fehlte, ein Mitglied »der Gemeinde der Ungläubigen, die nicht glauben können Wildes eigene Worte in »De profundis«.«, für die das Bewußtsein der Sünde, das Gefühl der Reue Zeichen der Schwäche und eines ungesunden Zustandes sind.

Oscar pflegte häufig zu sagen, es sei seine größte Freude in Rom gewesen, als er sah, daß die griechischen Götter und die Helden und Heldinnen der griechischen Geschichte im Vatikan thronten. Ihm galt Niobe mehr als die mater dolorosa, und Helena mehr als beide, und er behauptete, daß der Kult des Leides dem Kult des Schönen weichen müsse.

Ein zweiter vorherrschender Charakterzug des jungen Mannes soll an dieser Stelle verzeichnet werden.

Bereits während seines Aufenthalts in Oxford begannen seine Neigungen – seine Geistesrichtung und sein Temperament – seiner Zukunft die Richtlinien zu geben. Die Ferien verbrachte er in Dublin und besuchte stets seinen alten Schulfreund Edward Sullivan in seinen Zimmern im Trinity College. Und Sullivan erzählt, daß Oscar bei jeder Zusammenkunft ganz erfüllt von seinem gelegentlichen Aufenthalt in London war und nur von dem Eindruck sprach, den die Bühne und die Bühnenkünstler auf ihn gemacht hatten. Von Jugend an übte das Theater eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus; er besaß nicht nur die ganze Eitelkeit des Schauspielers, sondern auch das, was man die Liebe des geborenen Dramatikers zum bunten Leben der Bühne nennen könnte – zu den farbigen Dekorationen und Trachten, der Rhetorik und vor allem dem dazugehörigen pathetischen Hauch, der zu humoristischen Übertreibungen herausfordert.

»Ich entsinne mich«, schreibt Sullivan, »daß er mir von Irving als ›Macbeth‹ erzählte, der einen großen Eindruck auf ihn gemacht hatte, er war ganz entzückt davon. Jedoch befürchtete er, daß er in derselben Weise auf das Publikum gewirkt haben könnte, eine Tatsache, die ihm, wie er behauptete, den Genuß an einer außergewöhnlichen Leistung verderben würde.« Er verehrte auch Ellen Terry über alle Maßen, ebenso wie in späteren Jahren Marion Terry, Mrs. Langtry und Mary Anderson.

Sir William Wildes Tod bereitete dem Familienleben in Dublin ein Ende und machte die Hinterbliebenen freizügig. Lady Wilde hatte ihren Gatten und ihre einzige Tochter am Merrion Square verloren, das Haus barg für sie zu viele traurige Erinnerungen, und so hatte sie den lebhaften Wunsch, alles hinter sich zu lassen und nach London überzusiedeln.

Das »Requiescat« in Oscars erstem Gedichtband war dem Andenken seiner Schwester gewidmet, die im jugendlichen Alter von noch nicht zehn Jahren gestorben war. Er vergleicht sie mit einem »Sonnenstrahl«, der »durch das Haus tanzt«. Bereits in der Jugend nahm er den Beruf ernst, den er in sich fühlte. Er hatte die Empfindung, daß er sein Leid besingen und von allem Kunde geben sollte, was ihm das Leben brachte. Aber für den Verlust, den der Tod ihm bereitet hatte, war ihm keine neue Ausdrucksform gegeben.

Willie Wilde kam nach London, fand Beschäftigung als Journalist, und der Herausgeber des Gesellschaftsblattes »The World« ließ ihn bald fast nach seinem Belieben schalten und walten. Mit ungewöhnlicher Selbstlosigkeit oder vielleicht auch mit echt keltischem Familiensinn trug er ziemlich viel dazu bei, Oscars Namen in die Öffentlichkeit zu bringen. Jede kluge Bemerkung, die Oscar gemacht hatte oder die ihm zugeschrieben werden konnte, wurde von Willie in der »World« wiedergegeben. Diese Reklame und Oscars persönliche besondere Rednergabe, hauptsächlich wohl aber die verstohlenen Gerüchte von seinen heimlichen Sünden hatten auf diese Weise schon frühzeitig begonnen, ihn gewissermaßen mit einem Mythos zu umspinnen. Er war bereits auf bestem Wege, eine Rolle zu spielen; er weckte eine bestimmte Neugierde, ein aufregendes Interesse für alles, was er tat. In der vom Trinity College herausgegebenen Zeitschrift »Kottabos« und in anderen Blättern hatte Oscar Gedichte veröffentlicht. Die Leute fingen an, ihn nach seinem eigenen Werturteil als Dichter und als geistreichen Kopf einzuschätzen, und zwar um so bereitwilliger, als dieser Ehrgeiz in keiner Weise ihren materielleren Bestrebungen im Wege stand.

Für Oscar war jetzt die Zeit gekommen, sich London ebenso zu erobern, wie er sich Oxford erobert hatte. Die erste Klasse in der großen Schule der Welt lag hinter ihm, und sein Eifer war darauf gerichtet, es mit der nächsten zu versuchen, dort, wo seine Fehler die einzigen Lehrmeister waren und seine Wünsche ihm seine Aufgaben vorschrieben. Die Erfolge, die er auf der Universität erzielt hatte, verleiteten ihn zu dem Glauben, daß er von einem Triumph zum anderen schreiten und die Ausnahme bilden würde, welche die Regel bestätigt, – die da lautet, daß der Sieger in den akademischen Schranken selten auf dem Schlachtfeld des Lebens noch einmal zum Sieger wird.

Es fehlt das genügende Verständnis dafür, daß die Erlernung des Lateinischen und Griechischen und die Erziehung zu luxuriösen Gewohnheiten auf anderer Leute Kosten zur positiven Untauglichkeit und Hemmung im wilden Getriebe der großen Stadt führen – dort, wo Habgier und gewissenlose Entschlossenheit am Ruder sind und wo besondere Kunstleistungen des Gedächtnisses oder wohlgesetzte Worte nur selten mit einer Auszeichnung bedacht werden. Wenn es dem studierten Manne im Leben glückt, so glückt es ihm zumeist trotz seiner sogenannten Bildung, nicht aber um ihretwillen.

Es ist wahr, daß die Mehrzahl der englischen Akademiker für ihre eigene Ausbildung unvergleichlich besser sorgen als die vorgesetzten Instanzen. Sie widmen sich mit begeistertem Eifer dem Sport in seinen verschiedenen Formen. Zu ihrem Glück kann man unmöglich den Körper entwickeln, ohne zugleich den Willen zu stählen. Wer in der Athletik Meister werden will, muß seine Tage in emsigem Fleiß verbringen. Er darf nicht nach Belieben essen, noch trinken, wenn er durstig ist. Fast unbewußt werden ihm tiefgründige Lehren zuteil: er lernt seine Begierden meistern und Schmerz und Unbehagen leicht ertragen. Er braucht keinen Aristoteles, der ihm den Wert der Sitten beibringt, denn er ist bald gezwungen, sie als Schutzwaffen gegen seine Lieblingsschwächen zu verwenden. Vor allem wird er erkennen, daß die Selbstverleugnung durch eine tadellose Gesundheit belohnt wird, daß auch die Distel der Mühsal ihre Blüten treibt. Es ist eine landläufige Wahrheit, daß die akademischen Athleten es meistens im Leben zu etwas bringen, denn die strenge spartanische Zucht bewährt sich unvergleichlich besser als die griechische Formenlehre.

Oscar Wilde wußte nichts von dieser strengen Zucht. Er hatte seinen Körper nie zur Ausdauer, noch seinen Willen zur Festigkeit geschult. Er war ein vollendetes, blühendes Produkt des akademischen Studiums und der Muße. Auf dem Magdalen College hatte er eine üppige Lebensweise und die Genüsse kostspieliger Neigungen kennen gelernt: er war sozusagen in Capua erzogen und entnervt und seine Eitelkeit mit weltfremden Triumphen zur Genüge gespeist worden; er war zugleich vergnügungssüchtig, selbstgefällig und schwach. Er war jahrelang darin bestärkt worden, seinen Regungen nachzugeben, seinen Empfindungen freien Lauf zu lassen und, als Schellenkappe der Narrheit, selbst im Kampf auf Leben und Tod einen phantastischen Ehrenkodex aufrechtzuerhalten, während er die Religion verschmähte, die ihm ein gewisses Eigentumsrecht auf die Achtung seiner Landsleute bieten konnte. Welche Aussichten hatte dieser feingebildete, ehrliebende Sybarit in dem unerbittlichen Ringen des modernen Lebens, in dem die wichtigste Eigenschaft die Willenskraft ist und die einzig erforderliche Kenntnis die Wertschätzung des Geldes bildet. Ich möchte der Auffassung vorbeugen, daß ich in irgendeiner Weise Oscar hier zu nahe treten will. Aber ich darf gewiß behaupten, daß die Blume weniger widerstandsfähig ist als das Unkraut, ohne das Unkraut dadurch zu adeln oder die Blume zu erniedrigen.

Oscar Wilde hatte nun den ersten Teil seiner Lebensreise zurückgelegt. Wir wollen versuchen, ihn so zu beurteilen, wie er sich damals selbst beurteilt hat, und zugleich seine wahren Beziehungen zur Welt feststellen. Glücklicherweise besitzen wir ziemlich eingehende Selbstbetrachtungen von seiner Hand.

In Fosters Buch »Alumni Oxonienses« gab sich Oscar Wilde, als er Oxford verließ, für einen »Professor der Ästhetik und Kunstkritiker« aus, eine Reklame, die in meinen Augen zugleich unendlich lächerlich und pathetisch ist. »Lächerlich«, weil sie eine so vollständige Unkenntnis des Lebens verrät, das restlos den Menschen gehört, die fleißig die Dunggabeln zu hantieren verstehen – jenen »Gergesener Säuen«, die, wie Carlyle sich ausdrückt, »emsig auf der Suche nach Erdnüssen wühlen und grunzen«. »Pathetisch«, weil sie so unverfroren ist wie die Jugend selbst, mit einem aus jugendlicher Selbstgefälligkeit und Übertreibung gefärbten Einschlag. Wieder eine ehrgeizige Menschenseele auf der Schwelle des Lebens, die sehnsuchtsvoll irgendeine annehmbare vornehme Tätigkeit in der Welt sucht, ohne die leiseste Ahnung, daß ideale Bestrebungen überall verachtet und unterbunden werden. Denn die große Masse verlangt heutzutage unsolid gebaute Fachwerkhütten und fragt nichts nach Kirchen, Kunstpalästen und Tempeln des Geistes.

Man möchte behaupten, daß es nicht die richtige Zeit und ganz gewiß nicht der richtige Ort für einen »Professor der Ästhetik« ist, und man möchte wohl wissen, ob Zululand für einen solchen Mann nicht ein günstigerer Boden wäre als England. In Deutschland, Frankreich und Italien finden die, welche das Schöne lieben, auf den Universitäten, in den Gemäldegalerien, Museen und Opernhäusern manches Berufsfeld, und vor allem herrscht dort eine wohlerzogene Achtung vor dem Künstler und Schriftsteller. Ebenso wie auch in staatlich unterstützten chemischen Laboratorien und polytechnischen Schulen, die, selbst vom Nützlichkeitsstandpunkt betrachtet, vortreffliche Ergebnisse zeitigen, die Jünger der Wahrheit ihre Betätigung finden. Aber dem reichen England stehen im ganzen nur ein paar Dutzend solcher Stellen zu Gebote, und diese werden gewöhnlich mit einer zynischen Geringschätzung des wahren Verdienstes vergeben. Das klägliche gesetzlose England, das inmitten seiner leiblichen Genüsse seelisch verkümmert ist und jetzt den Heloten durch das Beispiel den Beweis erbringen will, daß der Mensch von Brot allein nicht leben kann – dieses England und Oscar Wilde! das »schwarze Land« und der »Professor der Ästhetik« – fürwahr, meine Herrschaften, eine Narrenwelt!

Wir müssen uns nun mit der betrübenden Wahrheit vertraut machen, daß in dem Zwist dieser beiden Elemente die Schuld nicht ganz einseitig war. Vielleicht war England sogar vom Idealen noch weiter entfernt als der vermeintliche »Professor der Ästhetik« – eine Tatsache, die uns wohl Anlaß und Stoff zum Nachdenken geben kann. Man hat uns vom organischen Fortschritt gesprochen, und hätten wir Augen im Kopfe gehabt, so würden wir wirklich erkannt haben, daß die sogenannte Entwicklung sich von der einfachen zur komplizierten Form vollzieht. Deshalb hätten unsere führenden Männer die stetig zunehmende Kompliziertheit des modernen Lebens und der modernen Menschen berücksichtigen müssen. Ein guter Gärtner sucht sogar aus Ehrgeiz neue Arten zu züchten. Unsere Politiker hingegen geben sich nicht einmal die Mühe, den neuen Arten, die in Erscheinung treten, eine Lebensmöglichkeit zu bieten. Sie sind scheinbar allzu eifrig damit beschäftigt, ihre eigene Stellung festzuhalten.

Seit dem Mittelalter ist in England keine neue Berufstätigkeit ins Leben gerufen worden. Inzwischen haben wir neue Kunstgewerbe, neue Wissenschaften und Künste ersonnen. Wann werden sie zu neuen, einen Lebensunterhalt gewährenden Berufen ausgestaltet und organisiert werden, damit junge, geschickte Menschen ein passendes Gebiet für ihre Fähigkeiten finden können und nicht mit oder gegen ihren Willen gezwungen sind, nach Erdnüssen zu wühlen, wenn es für sie und uns gewinnbringender wäre, ihre vornehmeren Gaben zu verwenden? Nicht nur die Armen sind in England ärmer und zahlreicher als in anderen Ländern, auch für die »Intellektuellen« wird weniger gesorgt; und infolgedessen krankt der Organismus an seinen beiden Polen. Es ist die höchste Zeit, daß diese beiden Gebrechen in Behandlung genommen werden; denn England ist jetzt nach einstimmigem Urteil so ungefähr der am schlechtesten organisierte und vom Ideal am weitesten entfernte Staat unter allen modernen Ländern.

Auch für die vorhandenen Berufstätigkeiten müßte etwas getan werden, damit sie eines berechtigten Ehrgeizes wert sind. Eine dieser Organisationen – die Kirche – ist eine edle, aber seelenlose Körperschaft, und wir wittern es, daß ihre Seele vor einiger Zeit verschieden ist, während der ärztliche Beruf eine edle Geistigkeit mit einer elenden, halbentwickelten Körperlichkeit besitzt. Es ist ein gutes Zeugnis für die unzerstörbare Lauterkeit und das ehrfürchtige Mitleid der menschlichen Natur, daß unsere Ärzte sich beharrlich mühen, alle Krankheiten zu heilen, während der Eigennutz ihnen augenscheinlich gebieten würde, die Leiden ihrer Patienten in die Länge zu ziehen. Was für eine gesetzlose, von Eigendünkel verblödete Welt ist dieses England! Wie wird dieser ästhetische Professor mit ihr fertig werden?

Da ist er nun, diese Zierde der englischen Universitätsausbildung, im Besitz einiger der höchsten akademischen Auszeichnungen, ohne irgendwelche nennenswerte Möglichkeiten, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen, wenn nicht zufällig durch den Journalismus. Und der englische Journalismus leidet unter der alles beherrschenden Gesetzlosigkeit. In Frankreich, Italien und Deutschland gilt er für einen Beruf, in dem ein wortgewandter, gebildeter junger Mann sich in Ehren die Sporen verdienen kann. Und in vielen Ländern kann ein begabter und hochgesinnter Mensch diese Art des Broterwerbs noch zu einer Kunst gestalten. Aber in England wird der Journalist oder moderne Prediger hauptsächlich infolge der vom Kapitalismus listig ersonnenen Anonymität der Presse zu einem käuflichen Sprachrohr, einem seelenlosen Marktschreier, der bezahlt wird, um für die Ware seines Herrn Reklame zu machen. Und so wird unser »Professor der Ästhetik und Kunstkritik« wohl zweifellos im London des 19. Jahrhunderts seine trüben Erfahrungen machen.

Wie wir bereits gesehen haben, hatte Oscar schon sein kleines väterliches Erbteil angegriffen und konnte sich nicht verhehlen, daß er bald von den paar Pfund leben mußte, die er sich wöchentlich verdiente. Aber er war ja ein Dichter mit grenzenlosem Vertrauen zu seinem eigenen Können. Für eine Künstlernatur ist die Gegenwart alles; und er nahm sich vor, nur heute noch – dieses eine Mal so zu leben, wie er es gewöhnt war. So fuhr er denn erster Klasse nach London und kaufte sich alle Bücher und Zeitschriften, die ihm die Fahrt verkürzen konnten. »Gebt mir die Überflüssigkeiten des Lebens«, pflegte er zu sagen, »so überlasse ich den anderen die Notwendigkeiten.«

Aber in einem entlegenen Winkel seiner Seele hausten ernste Besorgnisse. Viel später erst hat er mir erzählt, daß der Tod seines Vaters und die Kärglichkeit seines Erbteils ein schwerer Schlag für ihn gewesen waren. Damals faßte er jedoch, im Hinblick auf den verhältnismäßig guten Erfolg seines Bruders, wieder Mut und schob alle Befürchtungen und Zweifel mit Geringschätzung beiseite.

Es spricht für ihn, daß er zuerst bemüht war, seine Ausgaben einzuschränken und ein arbeitsames Leben zu führen. Er mietete sich zwei möblierte Zimmer in der Salisbury Street, dicht am »Strand« – die richtige Grub Street Eine Straße, in der dürftige Schriftsteller wohnen. für einen eleganten Mann, und fing an, journalistisch zu arbeiten, während er gleichzeitig einen Gedichtband zur Veröffentlichung zusammenstellte. Seine journalistische Tätigkeit war zuerst durchaus nicht erfolgreich. Es war sein Mißgeschick, daß sein Ausdruck nur für die klügsten Köpfe bestimmt war, und kluge Köpfe sind nirgends sehr reichlich vorhanden. Überdies war seine Ausdrucksform noch akademisch und gekünstelt. Sein Bruder Willie war durch seine alltäglicheren Neigungen für diese Tätigkeit anscheinend besser geeignet. Aber Oscar erzielte von Anfang an einen gewissen gesellschaftlichen Erfolg.

Sobald er in London eingetroffen war, trat er keck ins Licht der Öffentlichkeit, besuchte alle »Premieren« und führte bei jeder Gelegenheit gern das Wort. Er verstand es nicht nur, hervorragend gut zu plaudern, er hatte auch stets ein Lächeln, beständig war er rege, voller Leben und Lebensfreude und insbesondere geneigt, alle Dinge und Menschen, die ihm gefielen, über die Maßen zu loben. Diese begeisterte Bewunderungsfähigkeit war nicht nur sein gewinnendster Charakterzug, sondern vielleicht auch der Hauptbeweis seiner ungewöhnlichen Fähigkeiten. Zweifellos war es auch die Eigenschaft, die ihm während seines ganzen Lebens am meisten zustatten kam. Er erzählte überall, wo er sich zeigte, daß Mrs. Langtry schöner sei als die »Venus von Milo« und Lady Archie Campbell bezaubernder als Rosalinde und Mr. Whistler ein unvergleichlicher Künstler. Diese Begeisterung von Seiten eines jungen, geistreichen Menschen war etwas Überraschendes und höchst Erfreuliches, und so wurden ihm in allen Gesellschaftskreisen die Türen aufgetan. Die Leute, die in überschwenglichen Worten zu loben verstehen, sind im allgemeinen gern gesehene Gäste, und wenn Oscar nichts zu loben fand, zuckte er die Achseln und schwieg. Diese lächelnden Lippen äußerten fast nie ein herbes Wort. Keine bewußte Taktik hätte in England mehr Erfolg haben können als die angeborene Gabe dieser strahlend guten Stimmung und Begeisterungsfähigkeit. Er lernte nicht nur sämtliche Schauspieler und Schauspielerinnen, sondern auch die Hauptgönner und Stammgäste des Theaters kennen: Lord Lytton, Lady Shrewsbury, Lady Dorothy Nevill, Lady de Grey und Mrs. Jeune und andererseits Hardy, Meredith, Browning, Swinburne und Matthew Arnold – tatsächlich die ganze Welt der Boheme und alle Leute aus Mayfair Mayfair ist ein vornehmer Stadtteil in London., die sich für geistige Dinge interessieren.

Aber obwohl er sehr viel in Gesellschaft ging, mit sehr vielen hervorragenden Persönlichkeiten zusammenkam und sich eine gewisse Popularität erwarb, brachte sein gesellschaftlicher Erfolg ihm kein Geld ein, sondern zwang ihn sogar zu Ausgaben. Denn der andauernde Beifall seiner Zuhörer weckte sein Selbstvertrauen. Er fing an, mehr zu plaudern und weniger zu schreiben, – und Droschken, Handschuhe und Blumen kosten Geld. So sah er sich bald genötigt, sein kleines Besitztum in Irland zu verpfänden.

Man muß zugleich anerkennen, daß er noch immer unermüdlich nach geistiger Vervollkommnung strebte, und in London fand er mehr schöpferisch veranlagte Lehrer als in Oxford, vor allem Morris und Whistler. Morris ist zwar, so lange er lebte, über Gebühr gerühmt worden, hatte aber seinen Zeitgenossen kaum eine Botschaft zu künden. Er suchte seine Ideale in einer erdichteten Vergangenheit, und was er lehrte und rühmte, war häufig vollkommen ungeeignet für moderne Verhältnisse. Whistler hingegen war der Modernste der Modernen und obendrein ein bedeutender Künstler. Er hatte sich nicht nur auf die neuesten Gedankengänge der Zeit eingestellt, sondern sie mit der magischen Macht der Genialität umgewandelt und zu seinem Eigentum gemacht. Noch früher als die Brüder Goncourt erkannte er bewundernd den Reiz des chinesischen Porzellans und der japanischen Holzschnitte, und seine eigene auserlesene gefühlsmäßige Erkenntnis hatte ihn, durch das Beispiel der Japaner bestärkt, darauf hingewiesen, daß seine innerliche Einsicht wertvoller war als irgendeine einfache äußerliche Darstellung des Lebens. Er empfand, daß die moderne Kunst eine Deutung, nicht aber eine Wiedergabe der Wirklichkeit sein soll, und er lehrte die goldene Regel des Künstlers, daß die Hälfte gewöhnlich vielsagender ist als das Ganze. So wanderte er durch London und predigte neue Dekorationsmethoden und eine zweite Renaissance der Kunst. Wäre er nichts anderes gewesen als ein Maler, so hätte er nie einen so ungewöhnlichen Einfluß ausgeübt, aber er war außerdem eine eigenartig interessante Erscheinung und ein vortrefflicher, mit plastischer Ausdrucksform und geradezu kaustischem Witz begabter Redner.

Oscar saß ihm zu Füßen und prägte sich so viel als möglich von diesem neuen ästhetischen Evangelium ein. Er wagte es sogar, ein paar der wirkungsvollsten Erzählungen des Meisters als sein Eigentum zu betrachten, und so kam es zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und seinem Lehrer.

Ein Zwischenfall soll hier erwähnt werden.

Als eine Ausstellung der Whistlerschen Gemälde stattfand, erschien der Kunstkritiker der »Times«, Mr. Humphry Ward, um sie zu besichtigen. In seiner ungebührlichen Überhebsamkeit ließ er nicht locker, sondern zwang den Meister, ihm zuzuhören, und sagte, auf ein Gemälde deutend:

»Das ist gut, erstklassig, ein entzückendes Farbenfleckchen; aber hören Sie mal, – das da –«, fuhr er fort und wies plötzlich mit dem Finger rückwärts auf ein anderes Bild, »das ist schlecht, ganz verzeichnet – schlecht!«

»Mein lieber Herr«, rief Whistler, »Sie dürfen nie und nimmer sagen, daß dieses Gemälde gut und jenes schlecht ist! Gut und schlecht – das sind keine Ausdrücke, die Sie gebrauchen können. Sagen Sie lieber, dieses gefällt und jenes mißfällt mir, dann werden Sie Ihre Rechte nicht überschreiten. Und nun kommen Sie, wir wollen ein Glas Whisky trinken, denn der wird Ihnen sicherlich gefallen.«

Oscar war von dieser witzigen Schlagfertigkeit ganz hingerissen und rief:

»Ich wünschte, ich hätte das gesagt.«

Und mit blitzartiger Geschwindigkeit parierte Whistler:

»Unbesorgt, Oscar, das wirst du schon tun.«

Von allen persönlichen Einflüssen, die darauf gerichtet waren, Oscars Talent zu modeln, ist Whistlers Einfluß meines Erachtens der bedeutendste. Er lehrte ihn, daß geniale Menschen eine Sonderstellung einnehmen und sich ihre eigenen Gesetze vorschreiben; er bewies ihm auch, daß jede Eigenart – eine merkwürdige äußere Erscheinung, Witz, ja sogar Unmanierlichkeit – in einem demokratischen Staat doppelte Geltung habe. Aber weder sein eigenes Talent, noch die kühne, von Whistler erlernte Anmaßung verhalfen ihm zum Gelderwerb. Sein Ziel, London zu erobern, schien mehr denn je in eine unwahrscheinliche Ferne gerückt zu sein. Wie konnte er oder überhaupt irgend jemand dort, wo die Lorbeeren Whistler versagt geblieben waren, des Sieges sicher sein?

Ein weniger treffsicherer Professor der Ästhetik hätte sich durch die pekuniären und anderen Schwierigkeiten seiner Lage verstimmen lassen, oder von Anfang an vor der undurchdringlichen, lückenlosen Mauer des englischen Philistertums und der englischen Geringschätzung den Mut verloren. Aber Oscar Wilde war sich seiner großen Fähigkeiten bewußt und von zügelloser Eitelkeit gepeitscht. Anstatt im Hinblick auf diese Widerstände sein anmaßendes Wesen zu zügeln, steigerte er es. Er fing an, abends in Kniehosen und Seidenstrümpfen umherzugehen, und trug seltsame Blumen – grüne Kornblumen und vergoldete Lilien – im Knopfloch. Er nannte Baudelaire – den die Leute nicht einmal dem Namen nach kannten – einen weltberühmten Dichter und verkündigte das sonderbare Glaubensbekenntnis: »Nichts hat so viel Erfolg wie die Ausschweifung.« Sehr bald war sein Name in aller Leute Munde. London redete über ihn, und an tausend Teetischen bildete er das Gesprächsthema. Hatte er früher eine Einladung erhalten, so lief jetzt ein ganzes Dutzend ein: er wurde ein berühmter Mann.

Selbstverständlich gab es noch immer viele Leute, die ihn als bloßen »Poseur« bespöttelten; man hätte noch immer die ganze Lombard Street gegen eine Porzellanapfelsine zum Pfande setzen können, daß er unter den zehntausend stampfenden Füßen des gleichgültigen und verächtlichen Mittelstandes zermalmt werden würde.

Jedoch manche Umstände kamen ihm zustatten. Obwohl die künstlerische Bewegung, die vor Jahren durch die Präraffaeliten eingeleitet worden war, von der großen Menge noch als Schrulle verlacht und verhöhnt wurde, waren ein paar Menschen unentwegt geblieben, und allmählich hatte diese standhafte Minderheit die Oberhand über die Mehrheit gewonnen, wie es häufig in demokratischen Staaten der Fall ist. Oscar Wilde machte sich den Sieg dieser kunstliebenden Pioniere zunutze. Unter dem gleichgültigen Publikum gab es vereinzelte Männer, die sich zu der künstlerischen Lebensanschauung, und vereinzelte Frauen, die sich zu der gefühlsmäßigen Innigkeit des neuen Glaubensbekenntnisses hingezogen fühlten. Und so wurde Oscar Wilde zum Propheten eines esoterischen Kultes. Aber auch der Umstand, daß er stadtbekannt war, löste die pekuniäre Frage nicht, die immer dringlicher wurde. Zu Dutzenden von Malen schob er sie beiseite und zog es vor, sich in Schulden zu stürzen, statt sich Beschränkungen aufzuerlegen. Er glaubte immer, daß er auf irgendeine Art – wie eine Katze – auf seine Füße fallen würde. Aber die Menschen, die sich auf diese Weise trösten, fallen gewöhnlich einem anderen auf die Füße, – und so geschah es mit Oscar Wilde. Als er sechsundzwanzig Jahre alt war, merkwürdigerweise gerade zu jener Zeit, als er die Welt durch seine phantastische Kleidung mit unverschämter Keckheit herausforderte, ließ er sich herbei, seine Mutter um Geld anzugehen, das sie selbst schwer erübrigen konnte. Aber um ihr gerecht zu werden, muß man anerkennen, daß das Geld für sie Nebensache war, wenn ihre Zuneigung mit im Spiel war. Und sie liebte Oscar nicht nur, sondern war auch stolz auf ihn. Immerhin konnte sie ihm nicht viel geben, und so wurden die Schwierigkeiten nur aufgeschoben. Was war da zu machen?

Seine Eitelkeit hatte mit seinem Aufstieg Schritt gehalten; für den Liebling der Gesellschaft wurde die Furcht vor der Entgleisung nur zum Ansporn; so sann er auf ein Mittel, die Philister für sich zu gewinnen, und wußte nichts Besseres zu finden als seinen Gedichtband. Fast ein ganzes Jahr hatte er sich immer wieder bemüht, ihn an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Verleger sagten ihm unumwunden, daß mit Gedichten kein Geschäft zu machen wäre, und weigerten sich, das Risiko zu übernehmen. Aber die Berühmtheit seiner Kniebeinkleider, seiner langen Seidenstrümpfe und vor allem die unablässigen Angriffe der Gesellschaftspresse kamen ihm zu Hilfe, und so erschien sein Buch im Frühsommer des Jahres 1881 mit der ganzen Würde, die ein stattlicher Einband, gutes Papier, breite Ränder und ein hoher Preis (10½ Schilling) ihm zu verleihen imstande waren. In Wirklichkeit hatte er die Drucklegung und Herstellung des Buches selbst bezahlt, und der Verleger David Bogue gab gegen eine Kommissionsgebühr seinen Namen dazu her.

Oscar hatte große, abenteuerliche Hoffnungen auf dieses Buch gesetzt. Bis an sein Lebensende hielt er sich für einen Dichter, und in der schöpferischen Bedeutung des Wortes war er zweifellos dazu berechtigt, aber er glaubte es auch im poetischen Sinne zu sein, und hier können seine Ansprüche nur mit manchem gewichtigen Vorbehalt anerkannt werden. Aber gleichviel, ob er ein Poet war oder nicht, die Hoffnungen, die er an dieses Buch geknüpft hatte, waren übertrieben. Er glaubte, daß es ihm nicht nur zum Ruhm verhelfen, sondern auch viel Geld einbringen würde, und in England verdient man mit der Dichtkunst nur selten Geld. Das Buch erzielte einen ungewöhnlichen und – wie man sicherlich behaupten darf – größeren Erfolg, als irgendein wirklich dichterisches Erstlingswerk jemals in England erzielt hat oder nach Menschenermessen je erzielen wird. Innerhalb weniger Wochen wurden vier Auflagen verkauft. Zwei der in diesem Bande enthaltenen Sonette waren Ellen Terry gewidmet: eins in ihrer Rolle als »Portia«, das zweite als »Henrietta Maria«. Sie trugen mit dazu bei, das Buch beim Publikum beliebt zu machen, denn Miß Terry war von den Sonetten entzückt und hob das Buch und seinen Verfasser in den Himmel In ihrem Buch »Recollections« schreibt Miß Terry, daß Oscar Wilde und Whistler von allen genialen Geistern den größten Eindruck auf sie gemacht haben.. Ich gebe hier das Sonett »Henrietta Maria« als eine hübsche Probe des Werkes wieder:

Königin Henrietta Maria

Harrend des Sieges steht sie im Zelt allein,
Die Augen trüb, von Kummernebeln bleich,
Der blassen Lilie wohl im Regen gleich;
Doch nimmer flößt gemeine Furcht ihr ein

Der Waffen Schall, des Himmels blut'ger Schein,
Des Kriegs Verderb, der Fall der Ritterschaft:
Mit stolzer Seele in der Liebe Kraft
Harrt sie des Königs, ihres Herrn, allein.

O Goldhaar! Purpurmund! O Angesicht!
Gemacht, daß jeder Mann nach dir entbrennt.
Du machst vergessen Mühe mich und Pflicht,
Den liebelosen Pfad, der Rast nicht kennt,
Der Zeit Gewalt, der Seele eitles Streben
Und Freiheit und republikan'sches Leben. Aus dem von Otto Hauser ins Deutsche übertragenen Gedichtband.

Die lyrische Dichtkunst ist durch die Vollkommenheit ihrer Form Englands Hauptkunst, ebenso wie die Musik vornehmlich Deutschlands Kunst ist. Ein Gedichtband wird fast mit Sicherheit von der englischen Presse nach Gebühr gewürdigt werden, während es ihr nicht lohnend erscheint, einem Werk wie »Sartor Resartus« oder Emersons ersten Essays ihre Beachtung zu schenken. Die ungewöhnliche Aufmerksamkeit, die Oscars Buch bei der Kritik erregte, war ein Beweis dafür, daß seine Persönlichkeit und sein gesellschaftlicher Erfolg auf die Zeitungsberichterstatter schon Eindruck gemacht hatten.

Die Zeitschrift »The Athenaeum« erwies dem Buch die Ehre, es in ihrer Ausgabe vom 23. Juli in einem Leitartikel zu besprechen. Die Rezension war streng, aber nicht ungerecht, und lautete: »Mr. Wildes Gedichtband kann als die Verkündigung eines neuen Glaubens betrachtet werden. Er unterscheidet sich von anderen Evangelien dadurch, daß er dem Kultus, den er stiften will, nicht vorausgeht, sondern nachfolgt … Wir können jedoch nicht erkennen, daß der Apostel der neuen Kultform irgendeine bestimmte Botschaft zu bringen hat.«

Dann machte sich der Kritiker die Mühe, wörtlich nachzuweisen, daß »das Buch fast vollständig nachgeahmt ist …«, und bemerkt zuletzt: »Werke dieser Art haben keinen bleibenden Wert.«

Die »Saturday Review« ging am Schluß eines Artikels über »Neue Lyrik« etwas nichtachtend mit dem Buch um. »Weder gut noch schlecht« lautete das Fazit. Der Rezensent beanstandete nach englischer Art den sinnlichen Ton der Gedichte, gab aber im ganzen ein ziemlich gerechtes Endurteil ab: »Dieses Buch enthält manche kluge Wendung, wird aber insgesamt durch Nachahmung, Unehrlichkeit und Geschmacklosigkeit entwertet.«

Zu gleicher Zeit waren die Bemerkungen im »Punch« über die Maßen herbe, während die Besprechungen in »The World«, die größtenteils von Oscars Bruder redigiert wurden, übertrieben rühmlich waren. »Punch« erklärte, daß »Mr. Wilde wohl ästhetisch, aber nicht originell genannt werden könnte … ein Buch voller wohlbekannter Klänge … Swinburne mit Wasser verdünnt.«

Was sollte es aber bedeuten, daß das »Athenaeum« ein neuerschienenes Buch mit nachgeahmten Gedichten so ernst nahm, es als die »Verkündigung eines neuen Glaubens« bezeichnete, mit der beiläufigen Bemerkung, daß »es dem Kulte nachfolgt« und so weiter?

Vermutlich hat das »Athenaeum« Oscar Wilde fälschlich für einen Vollender der präraffaelitischen Bewegung gehalten mit der halbbewußten und spezifisch englischen Vorstellung, daß alles, was »ästhetisch« oder »artistisch« ist, unbedingt etwas Schwächliches und Wertloses, wenn nicht gar noch Schlimmeres ist.

Bald nach Oscars Abgang von Oxford begann der »Punch«, ihn zur Zielscheibe seiner Zerrbilder zu machen und den Kultus dessen, was er »The Too Utterly Utter« (Übermäßiges, allzu Übermäßiges) nannte, ins Lächerliche zu ziehen. Neun Zehntel aller Engländer freuten sich über die wilden Schmähungen, mit denen das Lieblingsorgan des englischen Mittelstandes jene Erscheinung überschüttete, die, milde ausgedrückt, als »ästhetische Schrulle« bekannt war.

»Punch« veröffentlichte z. B. unter dem Titel »A Poet's Day« (Ein Dichtertag) folgende Glossen:

»Oscar beim Frühstück! Oscar beim Mittagessen!!
Oscar beim Abendessen!!! Oscar beim Nachtessen!!!!«

»›Sehen Sie, letzten Endes bin ich doch ein Sterblicher‹, bemerkte der Dichter mit einem unaussprechlich ansprechenden Lächeln, als er den Kopf von den zierlich angerichteten, aber trotzdem nahrhaften Speckeiern (Ham and Eggs) hob. Mit seiner langen, gertenschlanken Hand fuhr er durch das wallende Haar und streifte mit der Lässigkeit eines Grafen d'Orsay einen Lockenwickel ab, der aus Versehen hängen geblieben war.

Nach dieser Kraftanstrengung äußerte Mr. Wilde, daß er sich etwas angegriffen fühlte, und mit halb entschuldigendem Lächeln bestellte er sich eine zweite Portion Setzei mit Speck.«

Ähnlich geartet waren die Verse, die der »Punch« über dieses Thema brachte –, sie bekundeten mehr Bosheit als Humor. Unter dem Titel »Petersilie« (Sage Green; von einem verblühenden Ästheten) veröffentlichte er folgendes Machwerk:

Der Lilienblüte gleichet meine holde Fee,
( Das Blau des Pfau-Gefieders kränzt ein Heil'genschein)
Wie knospend ich ihr Blumenfenster seh',
( Der süßen Petersilie will mein Lied ich weihn, Heissa, juchhei!)
Mir armem Sänger, ach! Entsagung winkt!
( Das Blau des Pfau-Gefieders kränzt ein Heil'genschein)
In Liebchens Beutel nie ein Goldfuchs springt!
( Der süßen Petersilie will mein Lied ich weihn, Heissa, juchhei!)

Wenn man die Kritik in ihrer Gesamtheit betrachtet, ist es zwecklos, in Abrede zu stellen, daß eine perverse Veranlagung des Dichters, die sich angeblich in seiner Dichtung widerspiegelt, als stillschweigende Voraussetzung gilt. Nur auf diese Weise läßt sich die Ablehnung erklären, die viel schärfer ist, als die Verse es verdienen.

Die Gedichte lieferten Oscar das für eine Gesellschaftsperiode notwendige Kleingeld und steigerten seinen Ruf, trugen aber wenig oder gar nicht dazu bei, die Sachverständigen für ihn zu gewinnen. Das Buch enthielt kein denkwürdiges Wort, keinen neuen Rhythmus und keinen Herzenslaut. Doch lyrische Erstlingswerke sind in der Regel eine Nachahmung, und der Versuch war nicht uninteressant, wenn er sich auch vielleicht mit »Venus und Adonis« nicht messen konnte.

Selbstverständlich war die Kritik eine Enttäuschung für Oscar; aber der Absatz und das Aufsehen, welches das Buch erregte, ermutigten ihn, und er war entschlossener denn je, sich durchzusetzen.

Was sollte nun zunächst unternommen werden?


 << zurück weiter >>