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VII
Oscars großer Ruf und Gefolgschaft

Glaube mir, mein Kind, das ganze Unglück dieses Herrn entstand durch seine Erziehung auf einer höheren Schulanstalt …

Fielding.

 

In England ist der Erfolg eine Pflanze, die sich langsam entwickelt. Die Stimmung der guten Gesellschaft ist zwar der politischen Begabung gegenüber verständnisvoll und für die in Geld umzusetzende Begabung offenkundig und stark empfänglich, – aber das Geistige wird verschmäht, und die höchsten Glanzleistungen des Redners werden kaum höher bewertet als die Kunststücke eines Seiltänzers. Die Menschen sind eigensinnig und schwerfällig, sie haben mehr Vertrauen zu einem Bankguthaben als zum Verstand und lassen nur widerstrebend die scharfsinnige Überlegenheit gelten. Der Weg, der in England zu Macht oder Einfluß führt, ist voller Fallgruben und viel zu mühselig für die Leute, denen er weder durch ihre adlige Abstammung noch durch ihr Vermögen geebnet wird. Die natürliche Ungleichheit der menschlichen Verhältnisse wird überall durch tausend veraltete Standesunterschiede verschärft und vermehrt, anstatt durch Gesetz und Sitte ausgeglichen zu werden. Selbst in den höchsten Kreisen, in denen eine gewisse zwanglose Vertraulichkeit herrscht, ist immer eine Clique vornehmer als die andere, und die stolzesten Gipfel ragen durch ererbtes Recht in einsamer Höhe.

Da nun die Verhältnisse in England so liegen, scheint es zuerst fast unmöglich, einen hinlänglichen Grund für Oscars schnell errungenen gesellschaftlichen Erfolg zu finden. Aber wenn wir seine Vorzüge zusammenzählen und einen oder den anderen, der bis jetzt noch nicht berücksichtigt worden ist, mit auf Rechnung setzen, so werden wir fast alle Elemente finden, die zur Beliebtheit führen. Durch sein Talent und seine Überzeugungen war er zum Liebling der Aristokratie geboren, deren selbstsüchtige Vorurteile er verfocht, und deren Mußestunden er verschönte. Wie bereits erwähnt, haßte und verachtete ihn der Mittelstand, aber sein gesellschaftlicher Einfluß ist gering und seine Presse, insbesondere der »Punch«, verbreitete Oscars Namen durch seine zeitgemäßen und unzeitgemäßen Angriffe. Dieses wöchentlich erscheinende Witzblatt trug durch die fast unerklärliche Schärfe seiner Schmähungen tatsächlich dazu bei, seinen großen Ruf zu begründen.

Eine zweite wirksame Macht kam ihm zu Hilfe. Von Anfang an spielte er die Rolle des volkstümlichen Schauspielers und benutzte jede Gelegenheit, um alles, was er tat, ins volle Licht zu setzen. Seine Selbstbewunderung war, wie er sich ausdrückte, »eine lebenslängliche Verehrung«, – und er verkündigte seine Leidenschaft von allen Dächern.

So wurden unsere Namen zufällig in irgendeiner Zeitung – es war wohl die »Pall Mall Gazette« – zusammen erwähnt, und er fragte mich, was ich darauf zu erwidern gedächte.

»Nichts«, lautete meine Antwort, »weshalb sollte ich mir die Mühe machen? Ich habe noch nichts getan, was ausposaunt zu werden verdient.«

»Du begehst einen Fehler«, sagte er in ernstem Ton. »Wenn du Ruf und Ruhm auf dieser Welt und Erfolg zu deinen Lebzeiten haben möchtest, solltest du jede Gelegenheit ergreifen, um für dich Reklame zu machen. Entsinnst du dich des lateinischen Spruches, daß der Ruhm im eigenen Hause erzeugt wird? Ebenso wie andere Weisheiten, stimmt's mit dieser Weisheit nicht so ganz: den Ruhm macht man sich selbst.« Und er lachte ganz entzückt. – »Du mußt herumgehen und immer wieder sagen, wie bedeutend du bist, bis die stumpfe Menge daran glaubt.«

»Der Prophet muß sich selbst verkündigen und seine eigene Sendung bekanntmachen, nicht wahr?«

»Ganz richtig«, erwiderte er lächelnd, »ganz richtig.«

»Jedesmal wenn mein Name in einer Zeitung genannt wird, schreibe ich sofort an das Blatt, daß ich der Messias bin. Weshalb ist Pears' Seife so in Aufnahme gekommen? Nicht weil sie besser oder billiger ist als irgendeine andere Sorte, sondern weil ihre Reklame eindringlicher ist. Der Journalist ist für mich ›Johannes der Täufer‹. Erscheint ein Buch von dir, so würdest du viel darum geben, wenn du einen langen Artikel in der ›Pall Mall Gazette‹ veröffentlichen könntest, um das Publikum darauf aufmerksam zu machen. Hier bietet sich dir ein Anlaß, deinen Namen in ebenso weiten Kreisen zu verbreiten, weshalb machst du keinen Gebrauch davon? Ich lasse mir nie eine gute Gelegenheit entgehen.« Und um ihm gerecht zu werden, muß man sagen, daß er jede Möglichkeit auf das äußerste ausnutzte.

Merkwürdigerweise besaß Bacon dieselbe Erkenntnis, und ich habe mich später häufig gefragt, ob Oscars Weltklugheit angeboren oder von dem großen Streber aus Königin Elisabeths Tagen entlehnt war. Bacon sagt:

»Ihr müßt dreist Euer eigenes Lob ausposaunen, und ein paar Leute werden immer daran kleben bleiben … Die Ungebildeteren und die breite Masse werden daran kleben bleiben, wenn auch die weisen Leute darüber lächeln mögen; und wenn man bei vielen einen großen Ruf errungen hat, so wird das die Verachtung einiger Menschen aufwiegen … Und zweifellos werden nicht wenige von denen, die gediegen geartet sind und – weil es ihnen an dieser Aufgeblasenheit fehlt – nicht alle Segel auf der Jagd nach dem eigenen Ruhm ausspreiten können, etwas benachteiligt und büßen durch ihre Zurückhaltung Stand und Ehre ein.«

Viele Briefe, die Oscar in diesen Jahren an die Presse geschrieben hat, waren belustigend und manche voller Humor. Als er z. B. aufgefordert wurde, ein Verzeichnis der hundert besten Bücher zusammenzustellen, was bereits von Lord Avebury und anderen mittelmäßigen Menschen ausgeführt worden war, schrieb er zurück, »daß er kein Verzeichnis der hundert besten Bücher zusammenstellen könnte, da er nur fünf geschrieben hätte«.

Seine geflügelten Worte gingen in der Stadt stets von Mund zu Mund. Als irgendein Theater eröffnet wurde, fand man es furchtbar häßlich und sagte, das ist »früh-viktorianischer« Stil (early Victorian).

»Nicht doch«, erwiderte Oscar, »so eigenartig ist er nicht, sagen wir lieber »früh-Maplescher Stil« (early Maple Maple war ein bekannter großer Dekorateur.).

Selbst seine Keckheiten fanden ein williges Ohr. Bei einem großen Empfang fragte ein Freund ihn im Vorübergehen, woran man die Gastgeberin Lady S. erkennen könnte. Da Lady S. klein und stark war, erwiderte Oscar lächelnd:

»Geh durch dieses und dann durch das nächste Zimmer, lieber Junge, und immer weiter, bis du jemand findest, der wie ein öffentliches Denkmal, z. B. wie die Britannia- oder die Viktoriasäule aussieht, dann hast du Lady S.«

Obwohl er zu behaupten pflegte, daß diese ganze Selbstreklame wohlvorbereitet und beabsichtigt sei, konnte ich ihm nicht so recht glauben. Aus übertriebener Eitelkeit lag ihm sehr viel daran, über sich selbst zu schreiben, und spätere Betrachtungen boten Anlaß, seine Neigung zu rechtfertigen. Aber gleichviel, von welchen Ursachen er sich leiten ließ, die Wirkung war handgreiflich. Sein Name war dauernd in aller Leute Mund und sein Ruhm wuchs von mal zu mal. Wie Tiberius sich über Mucianus äußerte: »Omnium quae dixerat feceratque arte quadam ostentator.« (Er verstand die Kunst, alles, was er sagte und tat, ins rechte Licht zu setzen.)

Aber persönliche Eigenschaften, und wären sie noch so vortrefflich – Vorzüge des Herzens, des Geistes oder der Seele hätten einem jungen Manne in wenigen Jahren niemals zu Oscar Wildes gesellschaftlicher Stellung und Beliebtheit verhelfen können.

Eine andere Ursache war bei seinem stetigen Aufstieg mit im Spiel. Seitdem er Oxford verlassen hatte, wurde er von einer kleinen Schar leidenschaftlicher Verehrer, die ich seine Flügelmänner genannt habe, mit Beifall und Rückhalt versorgt. Diese Verehrer bildeten das bleibende Element bei seinem Fortschritt von einem gesellschaftlichen Gipfel zum anderen. Es waren größtenteils Leute, die man »geschlechtlich pervers« zu nennen pflegt, und die das Feuer seines Geistes zur Vergoldung ihrer geheimnisvollen Lüste ausersehen hatten. In England bestehen diese Kreise fast ausnahmslos aus Mitgliedern der Aristokratie und jenes höheren Mittelstandes, der die »elegante Gesellschaft« nachäfft. Sie sind ein unvermeidliches Produkt der englischen Schulalumnate und des Universitätssystems, in Wirklichkeit eins seiner charakteristischsten Produkte. Diese Behauptung wird mir wahrscheinlich sehr viel Feinde schaffen, aber sie ist wohlerwogen und muß aufrechterhalten werden. Fielding hat bereits dieselbe Anschauung zum Ausdruck gebracht; er sagt darüber:

»Eine höhere Schulanstalt, Joseph, war die Ursache allen Unheils, das ihm später widerfuhr. Die höheren Schulanstalten sind die Brutstätten aller Laster und aller Unsittlichkeit. Alle verdorbenen Burschen, die ich auf der Universität kennen gelernt habe, sind dort erzogen worden …«

Wenn die englischen Mütter das Leben in den Alumnaten mit seinen innigen Vertraulichkeiten zwischen den zwölf- bis achtzehnjährigen Knaben richtig kennen würden, so dürfte man mit Sicherheit behaupten, daß jedes Alumnat in einer einzigen Nacht verschwinden und Eton, Harrow, Winchester und alle übrigen Anstalten zu Tagesschulen umgestaltet werden würden.

Wer sich in der Schule oder auf der Universität üble Sitten angewöhnt hat, ist geneigt, diese Gepflogenheiten im späteren Leben fortzusetzen. Es ist ganz natürlich, daß sich diese Männer meistens durch ein gewisses künstlerisches Verständnis und häufig durch höchst reizvolle geistige Eigenschaften auszeichnen. In der Regel haben diese weibischen Wesen eine sanfte Stimme und eine einschmeichelnde Art und nehmen keinen Anstand, unmittelbar auf Herz und Gefühl wirken zu wollen; sie werden als die größte Zierde der Londoner Gesellschaft betrachtet.

Diese Verehrer und Anhänger rühmten und verteidigten Oscar Wilde von Anfang an mit der Zähigkeit und dem Mut jener Leute, die, wenn sie nicht zusammen an den Galgen kommen, wahrscheinlich einzeln gehenkt werden. Nach Oscar Wildes Prozeß und Verurteilung sprach der »Daily Telegraph« verächtlich von diesen »Dekadenten« und »Ästheten«, die man nach seiner Versicherung »in der Londoner Gesellschaft an fünf Fingern herzählen konnte.« Aber selbst der »Daily Telegraph« mußte wissen, daß es allein in den »eleganten Kreisen« Hunderte von diesen Schleppenträgern gibt, deren geistige und künstlerische Kultur ihnen eine Bedeutung verleiht, die in gar keinem Verhältnis zu ihrer Zahl steht. Die leidenschaftliche Gefolgschaft dieser Männer verhalf Oscar Wilde in erster Linie zu Namen und Erfolg.

Diese Tatsache ist wohl dazu angetan, den besonnenen Leser nachdenklich zu stimmen. Im Mittelalter, als vornehme Geburt und hohe Stellung eine unberechtigte Macht im Leben bedeuteten, bot die katholische Kirche gewissermaßen ein demokratisches Milderungsmittel gegen die Ungleichheit der sozialen Verhältnisse. Sie bildete eine Art »Jakobsleiter«, die aus den niedrigsten Gesellschaftsschichten mitten in den Himmel führte und dem hochstrebenden jugendlichen Talent eine Laufbahn erschloß, die zu unbegrenzten Hoffnungen und schrankenlosem Ehrgeiz berechtigte. Diese große Macht der katholischen Kirche im Mittelalter kann wohl mit dem Einfluß jener Leute im heutigen England verglichen werden, die ich Oscar Wildes Flügelmänner genannt habe. Wer sich in diesem Sinne einen bekannten Namen macht, gelangt am leichtesten zum Erfolg in der englischen Gesellschaft. Gleichviel welchen Beruf der Mensch gewählt haben mag, gleichviel wie bescheiden seine Herkunft ist, er wird dann sicherlich vornehme Freunde und leidenschaftliche Fürsprecher finden. Wenn man beispielsweise dem Heere angehört und unverheiratet ist, so wird man für einen Strategen von Cäsars Bedeutung oder für einen Organisator von Moltkes Verdiensten gehalten. Und handelt es sich um einen Künstler, so werden nicht etwa seine Fehler öffentlich gerügt und seine Schwächen gegeißelt, sondern seine Fähigkeiten gerühmt, und er wird mit Michelangelo oder Tizian verglichen. Ich möchte hier nicht gern übertreiben, könnte aber ohne weiteres Dutzende von Beispielen zum Beweis anführen, daß die geschlechtliche Perversität eine »Jakobsleiter« ist, die in London zum Erfolg in den mannigfachsten Formen führt.

Es scheint eine seltsame Wirkung des großen Ausgleichsgesetzes im Leben zu sein, daß ein mannhaftes, rauhes Volk wie die Engländer, die verwegene Abenteuer und kriegerische Taten über alles lieben, sich in alltäglichen Zeiten von weibischen Ästheten gängeln läßt. Aber keiner, der die Tatsachen kennt, wird in Abrede stellen, daß diese Leute auf allen künstlerischen und literarischen Gebieten in London ungeheuer einflußreich sind. Und ihre unablässige begeisterte Gefolgschaft hob Oscar Wilde so schnell zur Höhe empor.

Von Anfang an traten sie für ihn ein. Als er noch in Oxford war, räumten sie ihm eine führende Stellung ein. Aber seine ersten Schriften weisen keine Spuren einer derartigen Veranlagung auf; sie sind in keiner Weise anstößig und enthalten nicht einmal eine unmanierliche Andeutung, – tatsächlich sind sie ebenso unverdorben wie sein mündlicher Ausdruck. Aber sobald sein Name in der Stadt Geltung gewann, wurde er dennoch teils mit deutlichen, teils mit verstohlenen Worten bezichtigt, pervers zu sein. Es wurde allgemein so gesprochen, als wäre an seinen Neigungen überhaupt nicht zu zweifeln, und das geschah, trotzdem der Engländer gewohnheitsmäßig verschwiegen ist. Mir war es ganz unverständlich, daß diese Beschuldigung sich so dreist und ausnahmslos hervorwagen konnte; daß eine so schändliche Verleumdung – um die es sich meines Erachtens handelte – im Urteil der Menschen so fest verankert war. Immer wieder erhob ich Einspruch gegen diese Ungerechtigkeit und forderte Beweise, aber die einzige Entgegnung, die mir zuteil wurde, war ein Achselzucken und ein mitleidiger Blick, um auszudrücken, daß meine vorgefaßte Meinung wohl unüberwindlich sein müßte, wenn ich für das Unverkennbare eines augenscheinlichen Beweises bedurfte.

Es ist mir später von einer Seite, die wohl für glaubwürdig gelten kann, versichert worden, daß Oscar Wildes böser Ruf während seiner ersten Londoner Jahre ganz unverdient war. Und auch ich muß sagen, daß ich bei Beginn unserer Freundschaft niemals etwas bemerkt habe, das auch nur irgendeiner Verdächtigung seiner Person einen Wahrscheinlichkeitsschimmer geben konnte. Aber der Glaube an seine perversen Neigungen war weitverbreitet und stammte aus seinem Oxforder Aufenthalt.

Jedoch in den Jahren 1886-87 begann eine merkliche Veränderung in Oscar Wildes Benehmen und Lebensführung. Er war nun schon mehrere Jahre verheiratet und besaß zwei Kinder. Aber anstatt gesetzter zu werden, schien er plötzlich unbändiger geworden zu sein. Im Jahre 1887 übernahm er die redaktionelle Leitung einer Damenzeitschrift »The Woman's World« und spottete stets darüber, daß er als der »Geeignetste« für diesen Posten ausersehen worden sei. Er war bedeutend dreister geworden. Ich sagte mir, daß ein gesichertes Einkommen und eine gefestigte Stellung den Menschen selbstbewußt stimmen. Aber im Grunde meines Herzens regte sich ein Argwohn. Man kann nicht leugnen, daß sich seit den Jahren 1887-88 hin und wieder Zwischenfälle ereigneten, welche die Verdächtigungen seiner Person nicht einschlummern ließen und sie sogar verschärften und bekräftigten. Ich muß nun ein paar dieser Vorkommnisse besprechen, die mir als etwas bedeutsamer erscheinen.


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