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VIII
Oscars Entwicklung zur schöpferischen Eigenart um das Jahr 1890

Bei jedem Organismus ist die Entwicklungszeit am interessantesten und lehrreichsten. Und im Leben des einzelnen kann kein Augenblick der Entwicklung an Bedeutsamkeit mit jenem Augenblick verglichen werden, in dem ein Mensch über sein Zeitalter hinauszuwachsen und durch seinen Genius die künftige Entfaltung der Menschheit vorzuzeichnen beginnt. Gewöhnlich wird dieses Endstadium in Einsamkeit verbracht:

»Es bildet ein Talent sich in der Stille,
Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.«

Nachdem Carlyle eine Schillerbiographie geschrieben hatte, die wohl jeder Durchschnittsmensch zu schreiben vermocht hätte, zog er sich einige Jahre nach Craigenputtoch zurück und schuf dann seine satirische Schrift ›Sartor Resartus‹, die seine Persönlichkeit und sein seelisches Empfinden fast bis zur Überspanntheit enthüllte. Ebenso war Wagner in seinem Lohengrin und Tannhäuser nur Webers Gefolgsmann und fand erst in den Meistersingern und im Tristan, nach jahrelanger Gedankenvertiefung in der Schweiz, seine Eigenart.

Bei Oscar Wilde fing diese Periode mit seiner Heirat an. Nun er der elenden Verlegenheiten ledig war, durfte er wieder Mut fassen und sich selbst gerecht werden. Ich glaube, es ist Kepler gewesen, der die Armut als Nährmutter der Genies rühmt. Aber Bernard Pallisy kam der Wahrheit näher, als er die Worte sprach: »Pauvreté empêche bons esprits de parvenir« (die Armut bildet für auserlesene Geister einen Hemmschuh). Mit Ausnahme des Reichtums hat das Genie keinen ärgeren Todfeind als die Armut: Es ist heilsam, die Sporen von Zeit zu Zeit ein bißchen zu fühlen, aber ein dauerndes Stacheln lähmt die Kräfte. Als Redakteur der Zeitschrift »The Woman's World« konnte Oscar über etwas selbstverdientes Geld verfügen. Obwohl sein wöchentliches Einkommen nur etwa sechs Pfund betrug, machte es ihn unabhängig, und seine redaktionelle Tätigkeit lieferte ihm einen Vorwand, sich nicht durch eigene schriftstellerische Leistungen zu verausgaben. In den ersten Jahren seiner Ehe, ich möchte sagen, bis er sein Amt einbüßte, schrieb er wenig und sprach recht viel.

Während dieser Zeit waren wir häufig zusammen. Ein- bis zweimal in der Woche speiste er mittags mit mir, und ich wurde mit seiner Arbeitsmethode vertraut. Alles – seine Epigramme, seine Paradoxen und seine Geschichten – flog ihm in der angeregten Stimmung des Gesprächs zu. Und wenn hochstehende Persönlichkeiten oder Leute mit großem Namen zugegen waren, gelang es ihm meistens, sich selbst zu übertreffen. Jede gesellschaftliche Auszeichnung wirkte stark auf ihn ein. Eines Tages neckte ich ihn aus diesem Grunde, und gut gelaunt gab er seinen Snobismus zu.

»Ich habe sogar, wie Shakespeare, eine Vorliebe für historische Namen, Frank. Zweifellos gefällt uns allen ein Norfolk, Hamilton und Buckingham besser als ein Jones, Smith oder Robinson.«

Sobald er sein redaktionelles Amt einbüßte, befaßte er sich mit schriftstellerischen Arbeiten für die Zeitschriften, aber seine Artikel waren lediglich ein »résumé« seiner Monologe. Wenn er monatelang bei diesem oder jenem Mittag- und Abendessen geplaudert hatte, war ein Vorrat von Epigrammen und humoristischen Paradoxen aufgespeichert, die er in einem Aufsatz für die »Fortnightly Review« zum Ausdruck bringen konnte.

Diese Aufsätze bekundeten, daß Wilde endlich, in Heines Sinn, den Gipfelpunkt der Kultur seines Zeitalters erstiegen hatte und nun imstande war, Neues und Interessantes zu sagen.

Man kann behaupten, daß seine »Lehrjahre« oder seine Studienzeit zugleich mit seiner redaktionellen Stellung ihr Ende fanden. Die Abhandlungen »The Decay of Lying« (Die aussterbende Kunst des Lügens), »The Critic as Artist« (Der Kritiker als Künstler) und »Pen, Pencil and Poison« (Feder, Pinsel und Gift) – in Wirklichkeit alle Aufsätze, die im Jahre 1891 gesammelt und in Buchform unter dem Titel »Intentions« (Ziele) veröffentlicht wurden, trugen den Stempel schöpferischer Eigenart. Sie fanden großen Anklang bei den urteilsfähigsten Persönlichkeiten und bildeten die Grundlage seines Ruhmes. Jeder Aufsatz enthielt hier und da eine treffende Bemerkung, ein wohlgelungenes Epigramm oder eine humoristische Stichelei, durch die er dem Literaturfreunde unvergeßlich wurde.

Aber alle waren vom Standpunkt des Künstlers aus ersonnen und niedergeschrieben, und zwar nur jenes Künstlers, der die Ethik überhaupt unberücksichtigt läßt und Recht und Unrecht unterschiedslos als Farben seiner Palette behandelt. In den Augen des gewöhnlichen, nüchtern-sachlichen Engländers war »The Decay of Lying« eine zynische Verteidigungsschrift zugunsten der Unwahrheit. Und die meisten Leser sahen in »Pen, Pencil and Poison« kaum mehr als einen schändlichen Versuch, den kaltblütig begangenen Mord zu entschuldigen. Gerade die Artikel, die seinen Ruhm als Schriftsteller begründeten, trugen dazu bei, seine Stellung und seinen Ruf zu untergraben.

Im Jahre 1889 veröffentlichte er eine Abhandlung, die ihn sogar noch mehr schädigte, da sie die eigentümlichen Gerüchte über sein Privatleben zu rechtfertigen schien. Er vertrat die zur damaligen Zeit allgemein verbreitete Anschauung, daß Shakespeare pervers gewesen war. Im Verein mit den meisten kritischen Forschern glaubte er, daß der erste Zyklus der Sonette an Lord William Herbert gerichtet sei. Aber sein verfeinertes Gefühl oder vielmehr sein eigenartiges Temperament veranlaßte ihn, zu bezweifeln, daß die Mr. W. H. zugeeignete Widmung des Verlegers Thorpe Lord William Herbert gelten könnte Diese Widmung lautet:
Dem alleinigen Erzeuger
dieser nachstehenden Sonette
Mr. W. H. wünscht alles Glück
Und jene Unsterblichkeit
verheißen von
unserem ewig lebenden Dichter
der wohlwollende Unternehmer
beim Beginne T. T.
. Er bevorzugte die alte Hypothese, daß die Widmung für einen jungen Schauspieler namens William Hughes bestimmt war – eine Vermutung, die durch ein sehr bekanntes Sonett unterstützt wird. Diese Anschauung machte er mit großer Ausführlichkeit und erheblichem Scharfsinn in einer Abhandlung geltend, die er mir zur Veröffentlichung in der »Fortnightly Review« übersandte. Das Thema war heikel, aber die Art seiner Behandlung überaus zurückhaltend und behutsam. Ich fand nichts Anstößiges an dieser Abhandlung und – um die Wahrheit zu sagen – betrachtete die Erörterung dieses Gegenstandes als keine hervorragende Leistung.

Er sprach mit mir über die Abhandlung, während sie in Arbeit war, und ich sagte ihm, daß ich die ganze Theorie für vollkommen falsch hielt. Shakespeare war so sinnlich, wie man wohl nur sein kann, aber es lagen keine Beweismittel für seine Perversität vor. Alle Beweise schienen mir sogar gegen diese allgemeine Überzeugung zu sprechen.

Ich hatte die Annahme, daß die Widmung an Lord William Herbert gerichtet sein sollte, anfangs kaum glaubhaft gefunden: denn ihr Wortlaut ist nicht nur unklar, sondern vertraulich. Wenn ich annahm, daß »Mr. W. H.« Lord William Herbert bedeuten sollte, so beruhte das nur auf der Tatsache, daß mir diese Lösung des Rätsels als die einfachste erschien. Und schließlich wies ich Oscar darauf hin, daß seine Theorie sehr wenig Neues und mehr Unwahres an sich habe, und riet ihm von der Veröffentlichung der Abhandlung ab. Meine Überzeugung, daß Shakespeare nicht pervers veranlagt war, und daß der erste Zyklus seiner Sonette nur seinen Snobismus und sein unterwürfig schmeichlerisches Wesen, aber keine verwerfliche Leidenschaftlichkeit bekundete, erschien Oscar geradezu als eine tolle Ausgeburt des Parteigeistes.

Lächelnd schlug er meine Argumente in den Wind und sandte seine Abhandlung an die Geschäftsstelle der »Fortnightly Review«, als ich zufällig im Ausland war. Zu meinem großen Leidwesen wies mein Vertreter sie in unhöflicher Form zurück, und Oscar sandte sie darauf an Blackwood, der sie in seiner Zeitschrift veröffentlichte. Sie wurde vom Publikum eifrig besprochen und erörtert. Wenn man die Abhandlung nach den Debatten, die sie heraufbeschwor, und nach dem Sturm des Abscheus oder Lobes, den sie entfachte, beurteilen wollte, hätte man meinen müssen, daß sie ein Meisterwerk wäre, obgleich sie in Wirklichkeit nichts Außergewöhnliches war. Hätte irgendein anderer Mensch sie geschrieben, so wäre sie unbeachtet geblieben. Aber Oscar Wilde hatte bereits einen merkwürdig bekannten Namen, und alles, was er sprach und tat, wurde in sämtlichen Gesellschaftskreisen durchgehechelt. »Das Bildnis des Mr. W. H.« schädigte Oscar in unberechenbarer Weise. Es gab seinen Feinden zum ersten Male gerade die Waffen in die Hand, die sie haben wollten, und sie benutzten sie gewissenlos und unermüdlich mit der grausamen Wollust des Hasses. Oscar schien sich an dem Zusammenprall der widerstreitenden Meinungen zu ergötzen, der durch die Abhandlung veranlaßt wurde. Er wußte ja besser als die meisten Menschen, daß ein vielbesprochener Name oft der Herold eines berühmten Namens und in kaufmännischer Beziehung stets wertvoller ist. Er rieb sich vor Freude die Hände, als die Debatte scharf wurde, und belustigte sich sogar über den Hohn der Neidischen. Er wußte ja, daß der Wind, der das kleine Feuer auslöscht, zum Blasebalg für das große wird. Mochten die Leute reden, was sie wollten, wenn sie nur über ihn sprachen, und zweifellos sprachen sie unaufhörlich über alles, was er schrieb.

Der unmäßige Erfolg beim Publikum steigerte sein Selbstvertrauen, und mit der Zeit bekam seine Anmaßung einen etwas herausfordernden Einschlag. Das erste auffallende Zeichen dieser allmählichen Veränderung war der Roman »The Picture of Dorian Gray« (Das Bildnis des Dorian Gray), der in »Lippincott's Magazine« erschien. Er wurde sofort im »Daily Chronicle«, einem liberalen Blatt, das sich im allgemeinen durch eine gewisse Vorliebe für Künstler und Literaten auszeichnete, als eine »Erzählung« gebrandmarkt, »die aus der verseuchten Literatur der französischen Dekadenz hervorgegangen ist« – als »ein vergiftetes Buch« heruntergerissen, »dessen Atmosphäre von den atembeklemmenden Gerüchen der moralischen und geistigen Fäulnis durchsetzt ist«.

Selbstverständlich konnte Oscar diesen Angriff nicht unerwidert lassen, und die Tonart seiner Erwiderung ist für seine gesteigerte Selbstsicherheit bezeichnend. Er scheut die auf Perversität hindeutende Beschuldigung nicht mehr, sondern fordert sie heraus: »Es mag wohl giftig sein – aber es läßt sich nicht leugnen, daß es meisterhaft ist, und nach Meisterschaft streben wir Künstler.«

Als Oscar im April 1891 »Das Bildnis des Dorian Gray« in Buchform veröffentlichte, sandte er mir ein Exemplar der Luxusausgabe und einen Brief, mit der Bitte, ihm meine Meinung über das Buch zu sagen. Ich erhielt beides eines Morgens früh und las bis zur Mittagsstunde in dem Buch. Dann schickte ich ihm ein paar selbstgeschriebene Zeilen folgenden Inhalts: »Andere Menschen haben uns Wein gespendet, zum Teil französischen Rotwein, zum Teil Burgunder, zum Teil Moselwein. Du bist der erste, der uns unverfälschten Champagner spendet. Dieses Buch enthält viele Stellen, die noch witziger sind als Congreves Schriften, und es steht geistig auf derselben Höhe. Ich finde, daß Du Dir endlich selbst gerecht geworden bist.«

Eine halbe Stunde später ließ sich Oscar Wilde bei mir melden, und ich ging sofort hinunter, um ihn zu empfangen. Seine Freude war überschwenglich.

»Es ist ganz reizend von dir, Frank«, rief er, »daß du mir solch einen himmlischen Brief geschrieben hast.«

»Ich habe erst hundert Seiten in dem Buch gelesen«, sagte ich, »aber sie sind köstlich. Nun kann dir niemand deinen Platz unter den witzigsten und humoristischsten englischen Schriftstellern streitig machen.«

»Es ist ganz wundervoll von dir, Frank, daß du mir das sagst; was gefällt dir denn so gut?«

Wie alle Künstler, wollte er gern gelobt werden, und ich war begeistert. Ich war glücklich über die Gelegenheit, manchen früheren Zweifel wieder gutzumachen, der jetzt unangebracht erschien.

»Gleichviel, was neidische Menschen sagen – du gehörst neben Burke und Sheridan zu den allerbegabtesten Iren …

»Natürlich habe ich die meisten Epigramme schon früher von dir gehört, aber du hast sie in diesem Buch noch besser zum Ausdruck gebracht.«

»Meinst du das wirklich?« fragte er mit wohlgefälligem Lächeln.

Es ist erwähnenswert, daß er einige der im »Dorian Gray« enthaltenen Epigramme nochmals verbesserte, ehe sie in sein erstes Theaterstück aufgenommen wurden. So lautet z. B. die Bemerkung, die Lord Henry Wotton – Oscars persönliches Sprachrohr – im »Dorian Gray« hinzufügt, als er von seinem Feilschen um ein Stück alten Brokats in Wardour Street berichtet: »Heutzutage kennen die Leute immer nur den Preis und nie den Wert« (Nowadays people know the price of everything and the value of nothing). Während dasselbe Epigramm in »Lady Windermere's Fan« (Lady Windermeres Fächer) folgendermaßen verbessert ist: »Der Zyniker ist ein Mensch, der immer nur den Preis kennt und nie den Wert« (The cynic is one who knows the price of everything and the value of nothing).

Fast sämtliche literarischen Erscheinungen unserer Zeit leiden durch die Hast der Arbeit: der Schriftsteller muß, um von den Erzeugnissen seiner Feder zu leben, ziemlich viel schaffen, besonders solange sein Ruf im Werden begriffen ist. Aber die Gestaltung großer Werke erfordert Zeit, und edle Schöpfungen sind oft durch die Schönheitsfehler der verfrüht eingeleiteten Geburtswehen entstellt. Oscar Wilde bewerkstelligte es, diesen Mangel dadurch zu verringern, daß er seine Werke erst mündlich zum Ausdruck brachte, ehe er sie niederschrieb.

Lord Henry Wottons Gespräch mit seinem Onkel und dann beim Mittagsmahl, als er Dorian Gray bezaubern will, gibt die Art, in der Oscar Wilde zu plaudern pflegte, vortrefflich wieder. Der Onkel wundert sich, daß Lord Dartmoor eine Amerikanerin heiraten will, und spricht seinen Unmut über ihre Familie in der Frage aus: »Hat sie denn überhaupt eine?«

Lord Henry schüttelt den Kopf: »Die amerikanischen Mädchen verstehen es ebenso geschickt, ihre Eltern zu verbergen, wie die englischen Frauen ihre Vergangenheit«, sagte er und stand auf, um sich zu entfernen.

»Vermutlich sind diese Leute Schweinefleischkonserven-Fabrikanten?«

»Das will ich in Dartmoors Interesse hoffen, Onkel George. Ich habe gehört, daß die Schweinefleischkonserven-Fabrikation in Amerika, nach der Politik, der einträglichste Beruf ist.«

Diesen ganzen Teil finde ich entzückend humoristisch, während die zweite Hälfte des Buches zur Bedeutungslosigkeit verflacht. Die ersten hundert Seiten enthalten das Ergebnis dessen, was Oscar Wilde während vieler Monate mündlich zum Ausdruck gebracht hatte, der Rest wurde ohne Vorbereitung niedergeschrieben, um die Erzählung zum Abschluß zu bringen. »Dorian Gray« war das erste Werk, welches den Beweis erbrachte, daß Oscar Wilde endlich sein wahres Talent entdeckt hatte.

Wenn wir es etwas eingehender betrachten, wird uns zugleich Oscar Wildes Stärke und Schwäche als Schriftsteller klar. Der ursprüngliche Gedanke ist vortrefflich und durch seine größere Vertiefung feiner als der alltägliche Gedanke, der Balzacs »Peau de Chagrin« zugrunde hegt, obwohl das Buch wohl nie entstanden wäre, hätte nicht Balzac sein Werk zuerst geschrieben. Aber Balzacs Ehrlichkeit und Ernst ringen mit dem Thema, bis es etwas Segensreiches zeitigt, während der spitzfindigere Gedanke in Oscars Fingern allmählich zusammenschrumpft, bis man nicht recht weiß, ob das Buch in Form einer kleinen Novelle nicht wirksamer gewesen wäre. Oscar kannte das Leben nicht genug oder bewertete den menschlichen Charakter zu wenig, um eine tief durchdachte psychologische Studie zu schreiben: die kurze Novelle oder das Theaterstück war sein eigentliches Gebiet.

Um dieselbe Zeit zeigte mir Oscar eines Tages zum erstenmal die Aphorismen, die er als Einleitung zu »Dorian Gray« geschrieben hatte. Manche fand ich ausgezeichnet, aber ich bemerkte, daß Oscar sich häufig wiederholt hatte. Ich strich diese Wiederholungen und bemühte mich, ihm klarzumachen, daß die zwölf besten viel wirksamer seien als achtzehn, unter denen sich sechs minderwertige befanden. Und ich fügte noch hinzu, daß ich die besten gern in der »Fortnightly Review« veröffentlichen würde. Er dankte mir mit den Worten, daß mein Anerbieten sehr freundlich sei.

Am nächsten Morgen erhielt ich einen Brief mit der Mitteilung, daß er meine Korrekturen durchgesehen habe und die Aphorismen, die ich abgelehnt hätte, gerade am besten fände; er hoffe aber, daß ich sie in ihrer ursprünglichen Form veröffentlichen würde.

Selbstverständlich schrieb ich ihm zurück, daß er darüber endgültig zu entscheiden hätte, und veröffentlichte sie ohne weiteres.

Die Freude, die mir seine unbestreitbare geniale Begabung und sein unzweifelhafter Erfolg bereiteten, wurde von anderen nicht geteilt. Meine Bekannten fühlten sich veranlaßt, mir zu sagen, daß ich nicht mit Oscar Wilde verkehren sollte.

»Warum denn nicht?« fragte ich sie.

»Weil er einen schlechten Namen hat«, lautete die Erwiderung. »Man sagt ihm sonderbare Sachen nach. Schon in Oxford war er verrufen. Sie brauchen sich ja den Mann nur anzusehen.«

»Gleichviel, was das für eine Krankheit sein mag, sie ist nicht ansteckend – leider«, erwiderte ich.

Für Leute, die keinen Neid kennen, bildet die Freude des Publikums an der hämischen Herabsetzung begabter Menschen eine der schwierigsten Fragen, die das Leben ihnen vorlegt.

Literaten, selbst Leute, die es besser verstehen mußten, ließen sich viel Zeit, ehe sie sein außergewöhnliches Talent anerkannten. Er war so schnell emporgestiegen, er war in eine solche Ausnahmestellung hineingeschoben worden, daß sie geneigt waren, ihm selbst die Gaben abzusprechen, die er unzweifelhaft besaß. Mit Verwunderung wurde ich eines Tages gewahr, daß einer meiner Bekannten denselben Standpunkt einnahm. Der Dichter und Schriftsteller Francis Adams neckte mich einmal mit meiner Vorliebe für Oscar:

»Was in aller Welt finden Sie denn an ihm so bewundernswert?« fragte er mich. »Er ist kein bedeutender, und noch nicht einmal ein guter Schriftsteller. Seine Bücher haben nichts Geniales; seine Dichtungen sind Dutzendware und seine Prosaschriften nicht viel mehr wert. Selbst seine mündlichen Worte sind unecht und überspannt.«

Ich konnte ihn nur auslachen und ihm den Rat geben, »Das Bildnis des Dorian Gray« zu lesen.

Aber dieses Buch bot Oscars puritanischen Feinden noch stärkere Waffen gegen seine Person als »Das Bildnis des Mr. W. H.« Sie behaupteten, daß das Thema beider Schriften dasselbe und die Behandlung geradezu ekelhaft wäre. Mehr als ein bürgerliches Blatt, wie z. B. »To Day« unter Jerome K. Jeromes Leitung, bezeichnete das Buch mit vernichtender Kritik als »verwerflich« und hielt seine Unterdrückung für ratsam. In England hat man mehr Angst vor der Redefreiheit als vor der freien Gewährung der Tat: ein Fleck am Außenrande der Schüssel widert den englischen Puritaner an, während das Innere nie mit dem Blick geprüft, geschweige denn erörtert wird.

Walter Pater rühmte »Dorian Gray« in der literarischen Zeitschrift »Bookman«, aber dadurch schadete er sich nur selbst, ohne seinem Freunde zu nützen. Inzwischen ging Oscar dreist seinen Weg und beantwortete jetzt die Kritik mit lächelnder Verachtung.

Ein Ereignis aus dieser Zeit wird bekunden, wie ungerecht er beurteilt wurde und wie unvorsichtig es von ihm war, der Verleumdung herausfordernd zu trotzen.

Eines Tages traf ich ihn in Begleitung eines schönen jungen Mannes namens John Gray und wunderte mich nicht, daß Oscar ihn interessant fand; denn Gray hatte nicht nur große körperliche Vorzüge, sondern auch ein reizendes Wesen und eine ausgeprägte dichterische Begabung, die Oscars Begabung bei weitem überflügelte. Er besaß außerdem einen lebhaften, wißbegierigen Verstand, und Oscars Unterhaltung wirkte selbstverständlich außerordentlich anregend auf ihn. Ich glaubte, daß eine intellektuelle Übereinstimmung und die natürliche Verehrung, die der jüngere für einen geistreichen älteren Mann empfindet, das unverkennbare Band zwischen ihnen bildete. Aber sobald Oscar »Dorian Gray« in Buchform veröffentlichte, wurde von schlechtunterrichteten und noch schlechter gesinnten Leuten das Gerücht ausgesprengt, daß der Titelheld mit John Gray identisch sei, obwohl das Buch »Dorian Gray« geschrieben wurde, ehe Oscar John Gray kennen gelernt oder von ihm gehört hatte. Man muß notwendigerweise zugeben, daß Oscar zum Teil selbst daran schuld war. Im Gespräch gab er häufig lachend zu verstehen, daß John Gray sein Held »Dorian« sei. Es ist nur ein Beispiel für die herausfordernde Verachtung, mit der er um diese Zeit die vom Haß ersonnenen Fabeln zu beantworten anfing.

Gegen Ende des Jahres 1891 veröffentlichte er unter dem Gesamttitel »A House of Pomegranates« (Ein Granatapfelhaus) vier vollkommen harmlose Geschichten. Er widmete jede einzelne Erzählung einer vornehmen Dame, und das Buch erwarb sich viele Freunde, wurde aber von der Presse geringschätzig beurteilt und erzielte keinen buchhändlerischen Erfolg.

Nun wollte das Publikum damals von Oscar Wilde nichts anderes als ein Buch, das einer ganz bestimmten Kategorie angehörte. Und es brauchte nicht lange darauf zu warten. Zu Anfang des Jahres 1892 hörten wir, daß Oscar ein Drama in französischer Sprache geschrieben hätte, das den Titel »Salome« trug. Und sofort wurden Gerüchte verbreitet, daß Sarah Bernhardt es in London auf die Bühne bringen würde. Dann gab es eine dramatische Überraschung nach der anderen. Als die Proben bereits im Gange waren, verweigerte der Lord Chamberlain Lord Chamberlain = Großkämmerer. die Genehmigung zur Aufführung mit der Begründung, daß biblische Persönlichkeiten in dem Stück zur Darstellung kämen. In einem geistreichen Interview beanstandete Oscar das Vorgehen des Zensors, das er als »gehässig und lächerlich« bezeichnete. Er wies darauf hin, daß die größten Künstler – Maler und Bildhauer, Komponisten und Schriftsteller – viele ihrer besten Motive der Bibel entnommen hatten. Und er wollte wissen, weshalb es dem dramatischen Dichter verwehrt sein sollte, die großen Seelentragödien zu behandeln, die seiner Kunstrichtung am besten entsprachen. Als er erfuhr, daß das Verbot in Kraft bleiben sollte, erklärte er zornig, daß er nach Frankreich ziehen und sich dort naturalisieren lassen würde.

»Ich bin kein Engländer. Ich bin Ire, – das ist etwas ganz anderes.« Selbstverständlich machte sich die Presse nach Möglichkeit über diese Gefühlsaufwallung lustig.

Nach Robert Roß' Meinung ist »Salome« das »stärkste und meisterhafteste aller Dramen, die Oscar geschrieben hat.« Meines Erachtens läßt sich die erstaunliche Beliebtheit des Werkes kaum erklären, geschweige denn rechtfertigen. Als es an die Öffentlichkeit kam, verhielt sich sowohl die französische wie die englische Presse tadelnd und geringschätzig. Aber inzwischen hatte Oscar das Publikum so für sich eingenommen, daß er sich gestatten konnte, auf den Tadel und die Verleumdung verächtlich herabzusehen. Das Stück wurde von seinen Verehrern gerühmt, als hätte es sich um ein Meisterwerk gehandelt, und in London wurde es noch mehr besprochen, weil es in französischer Sprache geschrieben war und daher nicht vom Pöbel abgegrast werden konnte.

Salomes unbeschreiblich kaltherzige Verworfenheit und Grausamkeit verschärften die Vorurteile und verstärkten die Abneigung, die das gewöhnliche lesende Publikum in England gegen seinen Verfasser hegte. Und als das Drama ins Englische übersetzt wurde und mit Aubrey Beardsleys Illustrationen erschien, wurde es von allen Wortführern auf literarischem Gebiet heruntergerissen und scharf getadelt. Die ungeheure Beliebtheit des Stückes, die Robert Roß so frohlockend nachweist, stammte aus Deutschland und Rußland und muß teilweise der Verachtung zugute geschrieben werden, die der gebildete Deutsche und Russe für die heuchlerischen Grillen der englischen Prüderie empfindet. Man muß auch zugeben, daß Aubrey Beardsleys Illustrationen für das gewöhnliche lesende Publikum in England ein weiteres Ärgernis bildeten, denn sie verdichteten die eigentümliche Atmosphäre des Dramas.

Oscar pflegte zu sagen, daß er Aubrey Beardsley entdeckt habe, aber in Wirklichkeit lernte er ihn erst durch Robert Roß kennen und wurde von ihm überredet, Beardsley mit den Illustrationen zur Salome zu beauftragen, welche der englischen Ausgabe des Buches ihren einzigartigen Wert verliehen. Merkwürdigerweise waren die Illustrationen Oscar stets zuwider, so daß er das Buch aus seinem Hause verbannte. Er übertrug seine Abneigung sogar auf den Künstler, und da Aubrey Beardsley umgänglich und angenehm im Verkehr war, bedarf der gegenseitige Widerwille eines erklärenden Wortes.

Aubrey Beardsleys geniale Begabung hatte London im Sturme erobert. Im Alter von siebzehn oder achtzehn Jahren hatte dieser zart aussehende Jüngling mit dem kastanienbraunen Haar und den blauen Augen mit seinem staunenswerten Talent, einem Talent, das ihm in jedem anderen Lande eine angesehene Stellung und ein Vermögen eingebracht hätte, die Höhe seiner Entwicklung erreicht. Durch die Vollendung der Linienführung überflügelten seine Zeichnungen alles, was wir besitzen. Aber das seltsamste an dem Knaben war, daß er die Leidenschaftlichkeit des Stolzes, der Wollust und Grausamkeit sogar noch stärker zum Ausdruck brachte als Rops und urwüchsiger als irgendeiner, der je den Stift geführt hatte. Beardsleys frühzeitige Reife war etwas ganz Wunderbares. Er schien nicht nur für seine eigene Kunstrichtung, sondern für jede Kunst und jedes Kunstgewerbe intuitives Verständnis zu besitzen, und es bedurfte einiger Zeit, ehe man gewahr wurde, daß er diese märchenhafte Virtuosität durch eine bedingungslose Geringschätzung des menschlichen Strebens in jeder anderen Gestalt erzielt hatte. Für ihn gab es keinen großen Heerführer, Kapitalisten oder Gelehrten, und ihm galten sie ebensowenig wie der Fischer oder der Omnibuskutscher. Der Strom seines Talents floß sozusagen von steinernen Dämmen eng umgrenzt dahin; und gerade die kühne Behauptung dieses Standpunkts hatte Oscars Interesse erweckt.

Eine Phase in Beardsleys außergewöhnlicher Entwicklung soll hier besprochen werden. Als ich ihn kennen lernte, wirkten seine Briefe und zuweilen auch sein mündlicher Ausdruck merkwürdig jugendlich und unreif, sie ließen das persönliche Gepräge seiner Zeichnungen vollkommen vermissen. Sobald das bemerkt wurde, packte er den Stier bei den Hörnern und behauptete, einen veralteten Stil zu schreiben, – er wollte uns einreden, daß es ihm peinlich wäre, mit seinen »archaistischen Neigungen« bei uns Anstoß zu erregen. Natürlich lachten wir und forderten ihn auf, Farbe zu bekennen. Kurze Zeit darauf erhielt ich von ihm einen Artikel, der mit merkwürdig gut gewählten Worten in einer der Mode des 18. Jahrhunderts entsprechenden, feinen englischen Sprache abgefaßt war. Er hatte ungefähr in einem Monat, anscheinend mühelos, auf einem neuen Gebiet den Ausdruck seiner Persönlichkeit gefunden. Durch Beardsleys schriftliche Äußerungen wurde Oscar zuerst zur Anerkennung seines Talents bewogen, und eine Zeitlang schien er ein unbestimmtes Interesse für das zu empfinden, was er »sein orchideenhaftes Wesen« nannte.

Als sie eines Tages beide beim Mittagessen saßen, erklärte Oscar, daß er in Beardsleys Gegenwart kein anderes Getränk genießen könnte als Absinth.

»Der Absinth«, sagte er, »ist im Vergleich zu allen anderen Getränken das, was Aubreys Zeichnungen im Vergleich zu allen anderen bildlichen Darstellungen sind: er nimmt eine Sonderstellung ein: er schillert in opalisierenden Tönungen wie das Dämmerlicht in südlichen Himmelsstrichen; er hat den verlockenden Reiz seltsamer Sünden an sich. Er ist stärker als jedes andere geistige Getränk und bringt die unterbewußte Persönlichkeit des Menschen an den Tag. Er ist genau wie Ihre Zeichnungen, Aubrey, er zerrt an den Nerven und ist erbarmungslos.

»Baudelaire nannte seine Gedichte ›Fleurs du Mal‹ (Blumen des Bösen) – ich werde Ihre Zeichnungen ›Fleurs du Péché‹, Sündenblumen, nennen.

»Wenn ich eine von Ihren Zeichnungen vor Augen habe, möchte ich Absinth trinken, der die Farbe wechselt, wie ein Nephrit im Sonnenlicht, und die Sinne versklavt. Dann kann ich mich in das kaiserliche Rom zurückversetzen, in das Rom der letzten Cäsaren.«

»Übersehen Sie aber die schlichten Zerstreuungen des damaligen Lebens nicht, Oscar«, sagte Aubrey. »Nero verbrannte die Christen, wie man große Talglichter anzündet; das einzige Licht, das die Christen je von sich leuchten ließen«, fügte er mit seiner schmachtenden, sanften Stimme hinzu.

Diese Unterhaltung bildete für mich des Rätsels Lösung. Im persönlichen Verkehr war Oscar ein echterer Engländer als die Engländer selbst: nur selten äußerte er unumwunden seine Meinung über eine Person oder ein Vorurteil. Er zog es vor, sein Mißfallen oder seine Mißbilligung nur anzudeuten. Daß er den unverhüllten Ausdruck der Wollust und Grausamkeit in Beardsleys Zeichnungen besonders betonte, war mir ein Beweis, daß die unmittelbare Aufrichtigkeit ihm nicht zusagte, denn schwerlich konnte er gegen die Eigenschaften, die sein eigenes Werk »Salome« weltberühmt machten, etwas einzuwenden haben.

Die vollständige Geschichte der Beziehungen zwischen Oscar Wilde und Beardsley und ihrer gegenseitigen Abneigung bekundet nur, wie schwierig es für schöpferische Künstler ist, sich gegenseitig richtig zu würdigen: wie Bergesgipfel stehen sie einsam da. In seinem Verkehr mit Beardsley zeigte Oscar einen etwas gönnerhaften Einschlag und die Überlegenheit des Älteren. Häufig rühmte er ihn in törichter Weise, während Beardsley Oscar stets einen Blender nannte und mit dürren Worten der Hoffnung Ausdruck gab, daß er von der Literatur mehr verstände als von der Kunst. Ganz kurze Zeit arbeiteten sie gemeinschaftlich, und es ist wichtig, nicht zu vergessen, daß Beardsley Oscar beeinflußte, während Beardsley von Oscar unbeeinflußt blieb. Beardsleys verächtliche Stellungnahme zur Kritik und zum Publikum, seine künstlerische Kühnheit und Selbstsicherheit übten gewissermaßen einen stählenden Einfluß und, wie sich die Dinge gestalteten, einen höchst unseligen Einfluß auf Oscar aus.

Im Gegensatz zu Robert Roß' Anschauung halte ich die »Salome« für eine schülerhafte Arbeit, – für ein Ergebnis der Bewunderung, die Oscar einerseits für Flaubert und seine »Herodias« und andererseits für Maeterlincks »Les sept Princesses« empfand. Dem Franzosen hat er die Stimmung und die orientalische Grausamkeit für die Bankettszene und dem Flamen die Schlichtheit der Sprache und die unheimliche Wirkung abgelauscht, die durch die Wiederholung bedeutsamer Sätze hervorgerufen wird. Dennoch ist die »Salome« durch die Mischung von Wollust und Haß im Charakter der Heldin eine schöpferische Gestaltung. Und durch den Gedanken, diese seltsame Jungfrau zur Hauptfigur und zum Mittelpunkt des Dramas zu machen, hat Oscar das Interesse an der Fabel gesteigert und Flauberts Idee vervollkommnet. Ich bin überzeugt, daß er Maeterlincks schlichten Stil nachgeahmt hat, um seine mangelhaften Kenntnisse in der französischen Sprache zu verbergen, aber gerade diese ungekünstelte Form erhöht die schicksalshafte Wirkung des Dramas.

Die Wollust, von der die Tragödie erfüllt ist, war für Oscar charakteristisch, aber die Grausamkeit war ihm fremd, – beides hätte ihn in England geschädigt, wären ihm nicht zwei Tatsachen zustatten gekommen. Zuvörderst beherrschen überhaupt nur wenige Engländer, die den besten Kreisen des Volkes angehören, die französische Sprache, und zum größten Teil verachten sie die Geschlechtsmoral jener Rasse; während die breite Masse des englischen Publikums das Französische an sich als unmoralisches Ausdrucksmittel betrachtet und die Neigung besitzt, alles, was diese Sprache bietet, mit geringschätziger Gleichgültigkeit zu behandeln. Man kann nur sagen, daß durch die »Salome« die immer häufigeren Gerüchte über Oscars Perversität verstärkt wurden.

Im Jahre 1892 fiel es mir zum ersten Male auf, daß einige von Oscars Freunden – um mich gelinde auszudrücken – zweifelhaft waren. Ich entsinne mich, daß ich ein kleines Herrenessen in meiner Wohnung in der Jermyn Street veranstaltete und Oscar dazu einlud, der einen jungen Bekannten mitbrachte. Nach dem Essen bemerkte ich, daß der junge Mann Oscar zürnte und kaum mit ihm sprach, während Oscar ihn versöhnen wollte. Und ich hörte aus Oscars Munde einzelne entschuldigende Wendungen: »Ich bitte dich … Es ist nicht wahr … Dazu liegt kein Grund vor …« Während der ganzen Zeit hatte sich Oscar von der Gesellschaft zurückgezogen und legte den Arm auf des jungen Mannes Schulter. Aber sein Schmeicheln war erfolglos, denn der Jüngling wandte sich verdrießlich und schlecht gelaunt von ihm ab. Das ist nur eine Momentaufnahme, die ich im Gedächtnis bewahrt habe, ein Anlaß, der mich später zu der Frage bewog, wie ich so schwer von Begriffen sein konnte.

Wenn ich nun, rückwärts schauend, alles in Erwägung ziehe – seinen gesellschaftlichen Erfolg, das grelle Licht der Öffentlichkeit, das auf seinem Leben ruhte, das zischelnde Geschwätz und Gerede über alles, was er tat und sprach, das wachsende Interesse und die steigende Wertschätzung seiner Leistungen, und vor allem die stetig zunehmende Kühnheit seiner Schriften und sein herausforderndes Benehmen – so ist es nicht verwunderlich, daß die finstere Wolke des Hasses und der Verlästerung, die nicht von ihm wich, immer bedrohlicher wurde.


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