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Die erste Begegnung mit Lord Alfred Douglas

»Du führtest mich gleich wie ein heidnisch Opfertier
Wohl mit Gesang und unheilvoller Blumenzier
Zum ewigen Verderben.«

Webster: The White Devil.

 

»Lady Windermeres Fächer« war im vollen Sinne des Wortes ein Erfolg, und solange er währte, lag London Oscar zu Füßen. Einige Häuser blieben ihm zwar verschlossen. Aber er durfte es sich jetzt gestatten, die Leute, die ihn kritisierten, auszulachen, sie philiströs und altmodisch nennen und erklären, daß sie nicht zehn, sondern tausend Gebote hätten, die von verbotenen Sünden und geächteten Menschen handelten: denn es wäre leichter zu verdammen als zu verstehen.

Ich entsinne mich, daß er einmal beim Mittagessen äußerst geistreich plauderte und zum Schluß die Geschichte erzählte, die jetzt in seinen Werken unter dem Namen »A Florentine Tragedy« (Eine Florentinische Tragödie) veröffentlicht ist. Er trug sie meisterhaft vor, so daß sie viel wirksamer zum Ausdruck kam als in ihrer schriftlichen Gestalt. Ein sehr bekannter Schauspieler, der sich gekränkt fühlte, weil er sich zum Zuschauer hergeben mußte, machte sich lächerlich, weil er dem Erzähler fast den Rücken drehte. Nach dem Essen aber kam Willie Grenfell (der jetzige Lord Desborough), ein vorbildlicher englischer Sportsmann, der besonders vielgeistigen Gerechtigkeitssinn besitzt, zu mir: »Oscar Wilde ist ein ganz merkwürdiger, ganz bezaubernder Mensch – ein glänzender Redner.«

In demselben Augenblick trat Mr. K. H. zu uns, ein Mann, der überall verkehrte und alle Welt kannte. Er hatte ein ruhiges, gewinnendes Benehmen, sprach stets in einer sanften, lächelnden Art und hatte für jeden, insbesondere für die Frauen, immer ein freundliches Wort. Überdies war er Junggeselle und vollkommen unabhängig. Ich war überrascht, als er in Grenfells Lob einstimmte und ganz lyrisch wurde.

»Der beste Redner, der je gelebt hat«, sagte er, »etwas ganz Außergewöhnliches. Ich bin Ihnen unendlich dankbar, daß Sie mich mit ihm zusammen eingeladen haben. Er ist eine neue Freude und verleiht dem Leben einen Hauch aus höheren Sphären. Ich bin Ihnen wirklich zu Dank verpflichtet –« Das wurde alles in einem gezierten Ton gesagt, der mich an das Schnurren einer Katze erinnerte. Zum erstenmal bemerkte ich, daß sein Gesicht etwas geschminkt war, und Grenfell ließ uns meines Erachtens ziemlich unvermittelt stehen.

Bei diesem ersten rosenfarbenen Morgenlicht des ungeteilten Erfolges und allgemeinen Beifalls traten bei Oscar neue Vorzüge zutage. Die Anerkennung bildete die treibende Kraft, deren er bedurfte, um sich selbst zu übertreffen. Seine Rede gewann eine gewisse herbstlich-farbenreife Fülle und zeigte eine neue Vielseitigkeit. Zum Humor gesellte er jetzt noch das Pathos und flocht meistens eine Fabel oder ein Gleichnis ein, um die Unterhaltung abwechslungsreich zu gestalten. Auch seine kleinen Schwächen begannen sich geltend zu machen und gediehen üppig im Sonnenschein. Er tat sich – wie man zu sagen pflegt – stets gern etwas zugute, jetzt aber fing er an, ausgiebiger zu essen und zu trinken als zuvor, und seine Eitelkeit wurde herausfordernd. So bemerkte ich eines Tages, daß er mit seinem vollen Namen Oscar O'Flahertie Wilde unterzeichnete; ich glaube, es handelte sich dabei um ein paar Verse, die er vor einigen Jahren für seine Universitätszeitschrift geschrieben hatte. Ich fragte ihn scherzend, was »O'Flahertie« zu bedeuten habe, und erhielt zu meiner Verwunderung die ernsthafte Antwort:

»Die O'Flaherties waren ein irisches Königsgeschlecht, und ich habe ein Recht, diesen Namen zu führen, denn ich stamme von ihnen ab.«

Da konnte ich nicht anders, – ich mußte schallend lachen.

»Worüber lachst du denn, Frank?« fragte er mit leisem Verdruß.

»Es kommt mir komisch vor«, erklärte ich ihm, »daß Oscar Wilde ein O'Flahertie sein möchte.« Und während ich sprach, tauchte plötzlich das Bild des berühmtesten Mannes aus dem Stamme der O'Flaherties mit buschigem Kopf und schmutzigen Lumpen vor mir auf, der seine gewaltigen behaarten Beine an einem qualmenden Torffeuer wärmt. Ich glaube, auch Oscar muß an etwas Ähnliches gedacht haben, denn er bemühte sich zwar, ernst zu bleiben, konnte aber das Lachen nicht unterdrücken.

»Das ist lieblos von dir, Frank«, sagte er. »Die Iren waren bereits ein zivilisiertes christliches Volk, als die Engländer sich noch mit blauer Farbe anstrichen, um sich gegen die Kälte zu schützen.«

Er konnte es sich auch nicht versagen, im vertraulichen Gespräch von den Clumbers oder irgendeiner anderen vornehmen Familie zu erzählen, die er besucht hatte. Er war von seiner eigenen Beliebtheit berauscht und vielleicht ein wenig erstaunt, daß er so mühelos und auf blumigem Pfade Ruhm erworben hatte. Aber man mußte ihm alles verzeihen, denn er plauderte köstlicher denn je.

Fast unerklärlich ist es, aber dennoch wahr, daß das Leben uns alle auf die Probe stellt, jede schwache Stelle auf ihre Brüchigkeit prüft und unsere Fälligkeiten auf die Spitze treibt und überspannt. Das hat Burns erkannt, als er die Worte schrieb:

»Wer tut das Äußerste, was er vermag,
Will alleweil noch mehr.«

Und diese Bemerkung entspricht der Wahrheit: wer gewohnheitsmäßig einer Schwäche nachgibt, geht eines Tages weiter, als es jemals seine Absicht gewesen ist, und kommt mehr zu Schaden, als er es verdient hat. Vielleicht ist die alte Bitte »Führe uns nicht in Versuchung« eine halb bewußte Anerkennung dieser Tatsache. Aber wir modernen Menschen sind geneigt, sorglos unseren Weg zu gehen, da wir an Fallgruben oder an die Gefährlichkeit gestillter Begierden nicht mehr glauben. Und Oscar Wilde war nicht nur ungläubig, sondern hatte die ganze sorglose Zuversicht des Künstlers, der sich einen Weltruf erworben hat, den Heiligenschein des Ruhmes auf seinem Haupte trägt. Mit frohem Mut und lächelnden Augen ging er ahnungslos seinem Schicksal entgegen.

Im Herbst des Jahres 1891 traf er zum erstenmal mit Lord Alfred Douglas zusammen. Er war sechsunddreißig Jahre alt, und Lord Alfred Douglas ein schöner, schlanker einundzwanzigjähriger Jüngling mit großen, blauen Augen und goldblondem Haar. Seine Mutter, die verwitwete Lady Queensberry, besitzt noch eine Photographie von ihm, die einige Jahre früher, während seines Aufenthaltes in Winchester, aufgenommen worden ist und den sechzehnjährigen Knaben mit einem Gesichtsausdruck darstellt, den man wohl engelhaft nennen könnte.

Als ich ihn kennen lernte, war er noch mädchenhaft hübsch, – in der Schönheit der Jugend, mit den frischen Farben und der weißen Haut, obwohl seine Züge nur alltäglich waren. Der Schriftsteller Lionel Johnson, Douglas' Kamerad und guter Freund in Winchester, brachte ihn mit zum Tee, als er Oscar in der Tite Street besuchte. Die Anziehungskraft, die sie aufeinander ausübten, hatte zahllose magnetische Punkte. Oscar wurde durch die körperliche Schönheit des jungen Menschen gefesselt, und überdies reizte ihn Lord Alfred Douglas' Name und Stellung über die Maßen. Denn er war ein Snob in dem Sinne, in dem nur ein englischer Künstler es zu sein vermag. Er liebte die Würde des Titels, und der Name Douglas ist einer der wenigen großen Namen in der britischen Geschichte, der den goldenen Schimmer der Romantik an sich trägt. Zweifellos plauderte Oscar so gut, daß er seine besten Leistungen übertraf, weil er mit Lord Alfred Douglas plauderte. Und bis zum Ende bereitete es ihm außerordentliches Vergnügen, wenn er nur den Namen schlürfen konnte. Außerdem bewunderte ihn der Knabe, er hing an seinen Lippen, und die Seele leuchtete ihm aus den Augen. Dabei äußerte er seine Wertschätzung in einer sehr klugen Form und gestand ihm, daß er selbst dichtete und die Literatur leidenschaftlich liebte. Konnte man sich wohl mehr wünschen als die Vollkommenheit in ihrer höchsten Form?

Und Alfred Douglas fühlte sich fast ebenso stark zu Oscar hingezogen. Er hatte von der Mutter alle ihre literarischen Neigungen geerbt, und mehr als das: er war bereits ein Meistersänger, mit einer poetischen Begabung, die sich mit den Größten messen durfte. War es überraschend, daß er diesen magischen, bestrickenden Plauderer mit den leuchtenden Augen, mit der bezaubernden Stimme und einer gedanklichen Vielseitigkeit und Schlagfertigkeit, die über alles hinausging, was er sich jemals vorgestellt hatte, für ein Weltwunder, eine Gottheit hielt? Man hat mir erzählt, daß der Knabe seine Bewunderung leidenschaftlich bekundete, noch ehe er Oscar lange zugehört hatte. Sie waren ein außergewöhnliches Paar und ergänzten sich in hundertfacher Art, nicht nur auf dem Gebiete des Geistes, sondern auch des Charakters. Oscar war im Besitz geistiger Ursprünglichkeit und besaß die Kultur einer klassischen Bildung, während Alfred Douglas Jugend, Rang und Schönheit für sich hatte, abgesehen davon, daß er, wortgewandt wie eine Frau, mit einer unübertrefflichen Ausdrucksfähigkeit begabt war. Merkwürdigerweise war Oscars Wesen ebenso fügsam und liebenswürdig, wie der Knabe eigenwillig, rücksichtslos, widerspenstig und herrschsüchtig war.

Nach Jahren erzählte mir Oscar, daß er sich gleich vor Alfred Douglas' aristokratischer, anmaßender Kühnheit gefürchtet habe:

»Die Angst, die er mir einflößte, Frank, war ebenso groß wie seine Anziehungskraft, und ich ging ihm aus dem Wege. Aber das wollte er nicht, immer wieder wußte er mich zu finden, und ich konnt' ihm nicht widerstehen. Das ist meine einzige Schuld. Das hat mich zugrunde gerichtet. Durch ihn wurden meine Ausgaben so vermehrt, daß ich sie nicht mehr begleichen konnte. Einmal über das andere habe ich versucht, mich von ihm loszumachen. Aber er kam wieder, und ich gab – leider – nach!«

In dieser Form hat Oscar allerdings erst später die tatsächlichen Geschehnisse erklärt, aber sie sind im wesentlichen richtig. Er hat es niemals ermessen können, wie seine Begegnung mit Lord Alfred Douglas die Welt für ihn, und ihn der Welt gegenüber verändert hatte. Ihre Wirkung auf den härteren Charakter des Knaben war hauptsächlich geistiger Art. Auf Alfred Douglas hatte Oscar nur einen anregenden, beflügelnden, intellektuellen Einfluß, aber die Wirkung des Knaben ging vom Charakter aus und reizte Oscar zur Nachahmung. Lord Alfred Douglas' Kühnheit übertrug sich auf ihn in Gestalt jener dreisten Anmaßung, die der Franzose »outrecuidance« nennt. Nach Künstlerart bemühte er sich, sein Vorbild durch aristokratische Geringschätzung zu überbieten. Ohne die Ursache zu kennen, überraschte mich die Wandlung, die mit Oscar vorgegangen war, immer von neuem, und im Verlauf dieser Schilderung werde ich noch viele Beweise für sein verändertes Wesen anführen müssen.

Diese Freundschaft hatte noch eine zweite, sehr weitreichende Wirkung. Oscar war stets für gutes Essen und Trinken, aber jahrelang mußte er sich sein Brot verdienen, er kannte den Wert des Geldes und wollte es nicht vergeuden. So pflegte er denn mittags oder abends in einem billigen italienischen Restaurant für ein paar Schilling zu speisen. Aber Lord Alfred Douglas betrachtete das Geld nur als Spielmarke und die üppigste Lebensweise als Notwendigkeit. Sobald Oscar Wilde anfing, seinen Freund zu bewirten, wurde er in die kostspieligsten Hotels und Restaurants geführt. Seine Ausgaben wuchsen ins Ungeheuerliche und überstiegen bald seine großen Einkünfte. Zum erstenmal, seitdem ich ihn kannte, borgte er unbekümmert von allen Seiten Geld und mußte deshalb, ohne genügende Zeit zur geistigen Verarbeitung, ein Theaterstück nach dem anderen schreiben.

Lord Alfred Douglas hat kürzlich folgende Erklärung abgegeben:

»Ich habe viel mehr Geld ausgegeben, um Oscar Wilde zu bewirten, als er für mich.« Aber das beruht auf einem widersinnigen Selbstbetrug. Sein früheres Geständnis: »Ich empfand es als eine wohltuende Demütigung, Oscar Wilde alles bezahlen zu lassen und ihn um Geld zu bitten«, kommt der Wahrheit viel näher.

Es kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß Lord Alfred Douglas' gewohnheitsmäßige Verschwendung Oscar dauernde Geldverlegenheiten bereitete und ihn zu unablässiger schriftstellerischer Arbeit nötigte.

Diese vertraulichen Beziehungen hatten andere, schlimmere Folgen, die hier zwar nicht ganz ausführlich besprochen, aber doch angedeutet werden müssen. Denn sie ergaben sich notwendigerweise aus jener gesteigerten Selbstsicherheit, die ich bereits erwähnt habe. Da Oscar sich Lord Alfred Douglas vollkommen widmete und dauernd mit ihm verkehrte, lernte er dessen Freunde und Vertraute kennen und verkehrte weniger in der sogenannten Gesellschaft. Immer wieder zeigte sich Lord Alfred Douglas unverfroren mit seinen Bekannten – mit jungen Leuten aus den allerniedrigsten Kreisen. Aber keiner wußte, wer er war, oder beachtete ihn sonderlich. Oscar Wilde war hingegen bereits eine berühmte Persönlichkeit, und jeder seiner Schritte gab zu Erörterungen Anlaß. Seit dieser Zeit nahmen die Gerüchte, die über Oscar verbreitet wurden, eine greifbare Form an, sie verdichteten sich zu ausdrücklichen Beschuldigungen: und seine Feinde fingen an, seinen Sturz und seine Schande frohlockend vorauszukünden.

In der Londoner Gesellschaft bleibt nichts verborgen; wie Wasser auf dem Sande dringt die Wahrheit immer weiter, während sie allmählich tiefer sickert. In den »eleganten Londoner Kreisen« ist die Vorliebe für Lästergeschichten fast ebenso stark wie in einer Kleinstadt. Damals wurde über ein Abendessen gesprochen, das Oscar Wilde in einem Restaurant am Soho Square gegeben hatte und das gewissermaßen zu einer römischen Orgie ausgeartet sein sollte. Man erzählte mir von einem Mann, der sich Geld zu verschaffen suchte, indem er in Oscars eigenem Hause Erpressungen gegen ihn ins Werk setzte. Ich zuckte die Achseln über diese ganzen Lästergeschichten und fragte die Verbreiter des Klatsches, was über Shakespeare geredet worden war, da er immer wieder veranlaßt wurde, mit solcher Heftigkeit gegen die »hinterlistige Verleumdung« zu wettern. Und als sie sich von ihren gehässigen Berichten nicht abbringen ließen, konnte ich nichts anderes tun, als ihnen zeigen, daß ich nicht daran glaubte. Im Laufe des ersten Jahres seiner vertraulichen Beziehungen zu Lord Alfred Douglas kam ich zwar nur wenig mit Oscar zusammen, aber ein Vorkommnis, das damals stattfand, erfüllte mich doch mit Argwohn und unklaren Besorgnissen.

Ich saß eines Abends unten im Café Royal beim Schachspiel in einer Nische, und da ich warten mußte, bis mein Gegner mit seinem Zuge fertig war, ging ich einen Augenblick ins Freie, um mir die Füße zu vertreten. Als ich wieder hineinkam, thronte Oscar mit zwei jungen Leuten in derselben Nische. Selbst auf meine kurzsichtigen Augen machten sie einen ganz gewöhnlichen Eindruck; ich hielt sie wirklich für ein paar Stallknechte. Aber trotz dieses gemeinen Aussehens war der eine hübsch in seiner knabenhaften Frische, während der andere nur moralisch verkommen wirkte. Oscar begrüßte mich in gewohnter Weise, schien aber etwas verlegen zu sein. Ich setzte mich wieder auf meinen Platz, der dem seinigen fast gegenüber war, und tat, als wäre ich in das Spiel vertieft. Zu meiner Überraschung sprach er nicht minder gut wie vor einem ganz gewählten Publikum, ja, er sprach von den Olympischen Spielen und erzählte, daß die Jünglinge einst Ringkämpfe ausführten und mit den »strigulae« gebürstet wurden, daß sie den Diskos warfen, Wettläufe veranstalteten und den Myrtenkranz als Preis erhielten. Seine leidenschaftlich entflammte Beredsamkeit führte uns die sonnendurchflutete Palästra mit der Zauberkraft der Darstellungskunst vor Augen. Plötzlich stellte der jüngere Knabe die Frage:

»Hab'n Sie jesagt, die war'n nackt?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Oscar, »nackend, nur in Sonnenschein und Schönheit gehüllt.«

»Potztausend«, kicherte der Bursche in seiner unbeschreiblichen Londoner Straßenmanier. Ich konnte es nicht mit anhören und sagte zu meinem Gegner, Montagu Gattie, der lediglich aus Liebhaberei Schachspieler war:

»Meine Stellung ist unhaltbar, kommen Sie, wir wollen essen gehen.« Ich nickte Oscar zu und verließ das Café Royal. Beim Hinausgehen sagte Gattie zu mir:

»Das ist also der berühmte Oscar Wilde?«

»Ja«, erwiderte ich, »das ist Oscar, aber ich habe ihn noch niemals in solcher Gesellschaft gesehen.«

»So«, bemerkte Gattie gelassen, »er war in Oxford allgemein bekannt. Ich habe die Universität mit ihm zusammen besucht. Sein Ruf war immer – nun, wir wollen sagen – ziemlich ›stark‹.«

Ich bemühte mich, den Auftritt zu vergessen, ihn aus meiner Erinnerung zu löschen und meines Freundes zu gedenken, so wie ich ihn von seiner besten Seite kennen gelernt hatte. Aber dieser Straßenjunge ließ sich nicht bannen, da grinste mich sein rosiges Gesicht mit der pomadisierten, tief in die Stirn gezogenen Schmachtlocke und den gemeinen, listigen Augen an. Ich hatte ein unbehagliches Gefühl und wollte nicht daran denken. Ich rief mir die Tatsache ins Gedächtnis zurück, daß ich bei all unseren Gesprächen aus Oscars Munde nie ein grobes Wort gehört hatte. Wie Spenser, so sagte ich mir, hat auch er jede Roheit und Gemeinheit abgeschworen, er ist der vollendetste Geistesgefährte auf Erden. Vielleicht hat er nur vor den Knaben sprechen wollen, um zu beobachten, wie seine Worte auf sie wirken würden. Seine Eitelkeit ist so unersättlich, daß sie sogar nach solchem Beifall Verlangen trägt … Natürlich – die Eitelkeit – die erklärte ja alles. Meine Zuneigung zu ihm hatte, vom Mißtrauen gepeinigt, endlich eine befriedigende Lösung gefunden. Und ich sagte mir, seine Künstlernatur bedurfte eines Modells.

Weshalb suchte er sich aber zu diesem Zweck nicht Knaben aus seinen eigenen Gesellschaftskreisen aus? Die Antwort lag auf der Hand. Weil er von den Knaben aus seinen eigenen Kreisen nichts lernen konnte. Seine eigene Knabenzeit konnte ihm die notwendigen Aufklärungen über Kinder aus gutem Hause liefern. Aber wenn er in einem seiner Theaterstücke einen Straßenjungen darstellen wollte, so mußte er sich einen Gassenbuben suchen und ihn nach der Natur schildern. Und ich zog die Schlußfolgerung, daß es sich wohl so verhalten würde, und war über meinen Einfall so erfreut, daß ich ihn Gattie vortrug, aber er wollte nichts davon wissen.

»Gattie ist keine Künstlernatur«, lautete mein endgültiges Urteil, »deshalb hat er kein Verständnis dafür.« Und ich folgerte weiter, wenn Gattie recht hatte, – weshalb waren es dann zwei Knaben? Ich hielt es für einwandfrei erwiesen, daß meine Deutung dieses Rätsels die einzig glaubwürdige war. Außerdem ließ sie meine Zuneigung unbeeinträchtigt und ungehindert bestehen. Dennoch tauchten das Gekicher, das pomadisierte, fettige Haar und die feilen, scheelen Augen immer von neuem wider meinen Willen vor mir auf.


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