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Dreizehntes Kapitel

Mehrere Tage dauerte der Streit zwischen Lynge und der Linken um die Rekonstruktion des Ministeriums. In diesen Tagen mochte es gehen, wie es wollte mit dem »Ton der Presse«; der Ton der Presse war wirklich nicht immer, wie er sein sollte; als aber die Rechte die Nachrichten höhnisch fragte, was nun aus ihrem Ton geworden sei, hielt Lynge so weit Wort, daß er es nicht der Mühe wert erachtete, auf diesen Hohn zu antworten. Er hatte andere Aufgaben für seine Kräfte.

Es ging übrigens wie Lynge vorher gedacht hatte: Anfangs war die Linke wie mit Stummheit geschlagen, dann flüsterte der Norweger seine Bedenken, darauf antworteten die Nachrichten wieder, und der Kampf tobte im ganzen Lande aufs leidenschaftlichste. Lynge blieb übrigens nicht ohne Stütze; er stand durchaus nicht allein, seine Anhängerin der Linken des Stortings und in der Provinzpresse reichten ihm eine so hilfreiche Hand, wie nur möglich. Ein Redakteur von einer Oplandszeitung, ein Mann, dessen Ehrenhaftigkeit so groß war, daß sie nicht von mehr als der Hälfte des Landes angezweifelt wurde, – dieser Mann konnte es nicht verantworten, Lynge allein kämpfen zu lassen; er ging einfach zu der Ansicht der Nachrichten über und kämpfte mit.

Leporello hatte das Amt, die Stimmung der Stadt zu erforschen, er ging ins Grand, horchte bei Gravesen, steckte nach der Theaterzeit die Nase zu Ingebret hinein, kaperte ein Stortingsmitglied auf der Straße – alles nur, um die Stimmung der Stadt zu erfahren. Und was sagte die Stadt? Die Stadt schlug sich oder schwieg, die Stadt nahm am Schauspiel teil, oder sie beobachtete es nur, Lynge hatte durchaus nichts gewonnen.

So? Also man leistete Widerstand? Man wollte ihm den Weg zum Siege verwehren? Lynge setzte alle Segel auf und brachte wenigstens so viel Verwirrung hinein, daß der Ausgang des Kampfes eine Weile ungewiß wurde; das Heer der Anhänger stieg im Laufe von ein paar Tagen auf das Doppelte. Lynges Feder tat viele und anerkennenswerte Arbeit; aber war es nicht merkwürdig? Sie sprühte keine Funken, nicht immer, nicht unbedingt. Es war, als sei das Feuer ausgegangen.

Hier hatte Lynge nun einige Artikel geschrieben, in denen er bestrebt war, seiner nimmer welkenden Bewunderung für den Chef des Ministeriums Ausdruck zu verleihen. Die Worte waren manchesmal in seinem Blatte schärfer gefallen, es war leider nicht immer die Mäßigung in den Angriffen beobachtet worden, wie es sich für ein Blatt von dem hohen Range der Nachrichten ziemte; jetzt war aber nicht Zeit, daran zu denken; jetzt sollte die Linke versuchen, sich wie ein Mann zu sammeln, um das Land vor einer konservativen Regierung zu bewahren. Man solle dem Ministerchef wieder eine Chance geben, ihn sich noch einmal versuchen lassen mit Männern, die das Vertrauen des Landes besaßen, mit Kernmenschen aus der Elite der Linken. Dies war der einzige Ausweg, es gab keine Wahl. Und Lynge führte sogar im Ernst an, was ein Ausländer ihm im Scherz geschrieben hatte, daß, wenn man nur an der Regierung festhalte, die jetzt in Norwegen am Ruder, so tue man sehr recht, man arbeite der Reaktion in Europa entgegen.

Der Norweger war störrisch und lernunwillig wie gewöhnlich; er fragte, ob er richtig gehört habe, ob es wirklich die Absicht der Nachrichten sei, diesen Ministerchef zu behalten, den das Blatt selbst seit Jahr und Tag Lügner und Verräter gescholten hatte?

Aber Lynge antwortete dem alten Dumrian mit überlegenem Hohn: Ja; merkwürdig, nicht wahr? Obgleich zwei und zwei vier sei, obgleich in China Hungersnot sei, obgleich Kaiser Ferdinand tot sei, – dennoch halte er eher auf die Rekonstruktion eines liberalen, norwegischen Ministeriums, ehe er die Rechte ans Ruder kommen lasse. Ob der Norweger das verstehe?

Aber in den Sälen und Gängen des Stortings herrschte in diesen Tagen die qualvollste Unruhe; die Repräsentanten zogen sich einander an den Knopflöchern herum und standen sich mit gespitzten Ohren gegenüber, voll unerschütterlicher Überzeugungen und voll Hintergedanken. Wenn sie nur wüßten, wem der Sieg zufallen würde! Wo war die rechte Seite? Sie dachten an die Wahlen und wußten sich keinen Rat; der alte Präsident vermochte ihnen auch nicht den leisesten Fingerzeig zu geben; alles, was sie aus ihm herauskriegen konnten, wenn er mit den Händen auf dem Rücken und das Haupt auf die Seite geneigt an ihnen vorüberkam, war, daß er leider gar nichts sagen könne; er neige nach keiner Seite; in dieser Beziehung sei sein Herz rein; müsse er sich aber einer Partei zuneigen, dann am liebsten beiden Parteien.

Und Lynge hämmerte und klopfte auf seinem Eisen, brachte die bekannten Töne hervor, schwenkte den Hut; aber war es nicht sonderbar, die Leute folgten ihm nicht, und das Eisen war kalt! Nie hatte er ausdauernder gearbeitet; er wußte, daß für ihn viel auf dem Spiel stand; verlor er hier, so würde er traurig dafür büßen müssen. Es war beinahe tragisch, diese frühere Herrlichkeit sich erheben und mit den Überbleibseln seines Talents für eine andere vergangene Herrlichkeit kämpfen zu sehen. Nichts schien zu helfen, Leporello brachte Tag für Tag trostloseren Bescheid über die Stimmung der Stadt, und Lynges Humor sank zu stiller Raserei herab. Wie! Man hatte gewagt, im Grand über ihn zu lachen? Solle man der Reaktion in Europa nicht Einhalt tun?

Aber zu all diesem Elend kam weiter noch ein Mann mit einer neuen Hiobspost. Der Mann verbeugt sich tief vor dem Redakteur und sagt, er sei Bondesen, Endre Bondesen …

Ja, der Redakteur kannte ihn. Er kannte ihn als Radikalen, als Gesinnungsgenossen, der wohl seine eigene ehrliche Furcht vor einem konservativen Ministerium teile?

Bondesen verbeugt sich wiederum; der Herr Redakteur irre nicht, und das freue ihn. Um seinen Anschluß an Lynges jüngste Politik zu erklären, sei er gekommen, übrigens habe er noch ein anderes Anliegen, – ja, erstens mal eine Notiz über eine Feuersbrunst in Bernt Ankers Straße; ob der Herr Redakteur sie brauchen könne?

Lynge liest den kleinen Artikel durch und merkt sofort, daß etwas darin steckt. Es war ein ausgezeichneter Artikel mit Leben, mit Spannung; ein Student war beinah in den Flammen umgekommen und hatte sich nur mit genauer Not durch ein Fenster in der dritten Etage gerettet; im bloßen Hemde war er hinausgekommen, aber mit dem Porträt seiner Eltern in der Hand. War das nicht schön? Und Lynge, der nicht wußte, daß an dieser ganzen lebendigen Notiz nichts anderes wahr war als der Brand selbst, war sehr dankbar für diesen Beitrag.

Dann kommt Bondesen zu seinem eigentlichen Zweck. Zu seinem Kummer habe er Kenntnis von einem Komplott gegen Lynge erhalten; es wurde ein Angriff gegen ihn vorbereitet, eine Broschüre, die schon im Druck war, und wahrscheinlich schon an einem der nächsten Tage erscheinen würde. Bondesen müsse den Herrn Redakteur hierüber aufklären; es habe ihn verletzt, einen der verdienstvollsten Männer des Landes von einem Lümmel in den Schmutz hinabgezogen zu sehen; das sei Wegelagerei.

Lynge hörte diese Erzählung mit Ruhe an. Ja, was weiter? Sei er denn nicht schon so oft angegriffen worden. Aber nach und nach begann er die Gefahr einzusehen, die darin lag, daß gerade jetzt eine Broschüre gegen ihn geschleudert wurde, wo es mit seiner Rekonstruktionspolitik auf Leben und Tod ging. Er fragte nach dem Inhalt, nach der Art des Angriffs. Ob es eine politische Broschüre sei.

Beinahe. Ein lumpiges Pamphlet; Bondesen fand es doppelt lumpig, weil es natürlich anonym erschien.

Ob Herr Bondesen den Verfasser kenne?

Glücklicherweise war Bondesen imstande aufzuklären, daß der Verfasser ein gewisser Leo Höjbro sei, Angestellter in der und der Bank. Herr Redakteur erinnere sich vielleicht eines Mannes, der einmal im Arbeiterverein gegen die Linke aufgetreten sei und unter anderm sich selbst mit einem bahnlosen Komet verglichen habe? Dieser Mann war Höjbro.

Gewiß, Lynge erinnere sich seiner; er hatte ihn damals schon verhöhnen wollen, den schlechten Redner verspotten wollen, aber Frau Dagny hatte für ihn gebeten. Es war eines Abends, er hatte sich mit Frau Dagny verabredet, und sie hatte für diesen Mann gebeten. Gewiß, er erinnere sich seiner; schwarz wie ein Mulatte, ein Bär mit schweren Gliedmaßen, ein Mann, der die Nachrichten nicht las. War es nicht so?

Genau! Bondesen bewunderte das Gedächtnis des Herrn Redakteur.

Lynge überlegt.

Aber war die Broschüre persönlich? War sie vielleicht nicht nur ein sachlicher Angriff auf seine Politik?

Die Broschüre sei auch im höchsten Grade persönlich!

Lynge überlegt wieder, seine Stirn runzelt sich wie immer, wenn er erbittert nachdenkt. So weit war es gekommen; man gab Broschüren gegen ihn heraus, schmähte den Redakteur Lynge in seiner eigenen Sprache. War es eigentlich wohl überlegt von einem solchen Mulatten, so etwas zu wagen? Wie, wenn er sich zu seiner ganzen Höhe erhob, zu übernatürlicher Größe? Dann sei Gott jedem kleinen Wurm gnädig, der ihm im Wege lag!

Er fragte:

»Der Mann heißt Höjbro?«

»Leo Höjbro.«

Lynge notiert den Namen auf ein Stück Papier. Dann sieht er Bondesen an. So viel Ehrlichkeit, ein so feiner Zug bei einem Manne, dem er niemals etwas Gutes zu erweisen Gelegenheit gehabt! Lynge konnte nicht kalt bleiben, er wurde gerührt, sein Jungenherz wurde ganz bewegt, und er fragte, ob er Herrn Bondesen zum Dank irgendeinen Dienst leisten könne. Es würde ihm Freude bereiten, wenn er ihm später einmal in irgendeiner Beziehung helfen könne.

Bondesen verbeugt sich vergnügt und bittet um die Erlaubnis, wiederkommen zu dürfen, wenn es gelte. Er wollte nämlich demnächst seine Verse schreiben, seine Stimmungen, und war nun sicher, sie veröffentlichen zu können.

»Ja, tun Sie das, kommen Sie wieder. Ich danke Ihnen sowohl für die Notizen, wie für Ihre Aufklärungen.« Und indem ihm die Abschiedsworte Sr. Exzellenz an ihn selbst plötzlich einfallen, fügte er hinzu, unerforschlich, groß: »Sie haben heute vielleicht noch manchem außer mir einen Dienst erwiesen.«

Nun hatte Bondesen nur noch um die nötige Diskretion zu bitten. Er wollte nicht hineingezogen werden, was auch daraus wurde. Er hoffe doch, ungenannt zu bleiben?

Natürlich, natürlich; die Nachrichten würden den Takt beobachten. Lynge fragt aber plötzlich der Sicherheit wegen, wie Bondesen von diesem Geheimnis Wind bekommen habe?

Und Bondesen antwortet: Zufällig, durch ein glückliches Zusammentreffen. Es sei in jeder Beziehung zuverlässig, er könne mit seinem Ehrenworte für jedes Titelchen bürgen.

Darauf ging er.

Ja, ja, man verleumdete, man konspirierte! Sieh doch einer an! Lynge sah sich Höjbros Namen noch einmal an und verschloß das Papier dann in eine Schieblade. Es war nicht übel angebracht, wenn man wußte, wen man vor sich hatte; es konnte immer von Nutzen sein; die Leute sollten wenigstens staunen, wie gut unterrichtet die Nachrichten seien. Ja, man möchte ihn gern herabziehen, stürzen; das Gewürm wollte nicht aus dem Wege gehen, es setzte sich auf die Hinterbeine und zeterte! Nein, der Fehler war, daß er zu milde gewesen, zu viel nachgesehen hatte; ein Mann mit der spitzesten Feder des Reichs durfte sich nicht alles bieten lassen. Fortan sollte es anders werden!

Da saß nun dieser Ihlen in dem äußeren Bureau und verschwendete nutzlos Tinte; es war das reine Mitleid von Lynge, daß er ihm seinen Platz ließ. Jetzt aber sollte er fort. Was zum Teufel sollte er mit diesem Menschen, wenn sogar seine rothaarige Schwester ihm auf der Straße auszuweichen suchte?! Hatte das Blatt nicht durch seine Unionsartikel viele Abonnenten verloren? Jetzt war er auf die elendeste Spaltenbezahlung herabgesetzt, und die Hälfte seiner blödsinnigen Notizen von Markt und Gassen wurde nie benutzt; aber der Mann begriff nichts; er stand nicht auf und ging, er verdoppelte nur seine Anstrengungen, um doch ein wenig zu verdienen, und immer saß er noch da und wurde von Tag zu Tag magerer. Nein, Lynge war zu gutmütig gewesen; von jetzt an sollte es anders werden!

Und wieder begann er seine mühevolle Arbeit, das Ministerium zu rekonstruieren. Er war gerade in der rechten Stimmung, die Anwendung des groben Geschützes nicht zu scheuen; und in diesen Stunden schrieb er zwei Aufsätze, so gewaltsam, so vernichtend, wie nichts zuvor während der ganzen Fehde. Damit sollte die Sache zur Entscheidung kommen.

Am Abend, bevor Lynge das Bureau verließ, konnte er nicht länger schweigen; er rief den Sekretär zu sich herein und sagte:

»In den nächsten Tagen erscheint eine Broschüre gegen mich. Ich wünsche die Broschüre gerade so besprochen, als ob sie nicht gegen mich gerichtet wäre.«

Der Sekretär versteht diese Order nicht richtig. Der Redakteur war doch der erste, der die Broschüre in die Hände bekommen würde; alle Postsendungen wurden ihm ins Bureau gebracht.

»Über dergleichen muß man erhaben sein,« fährt der Redakteur fort; »man muß Edelmut beweisen.«

Aber um zu erklären, daß er jetzt bereits an diese Broschüre dachte, die noch nicht einmal erschienen war, fügte er hinzu:

»Ich fürchtete nämlich, Sie könnten sie in meiner Abwesenheit besprechen; ich reise vielleicht in meine Heimat, für ein paar Tage aufs Land.«

Ja, nun verstand der Sekretär die Ordre.

Aber Lynge dachte nicht einmal daran, aufs Land zu reisen, und reiste auch nicht.


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