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5. Die Ausgänge der Sophisten

Wir sahen schon aus dem Auftreten des Hsün tse, daß die Richtung der »Sophisten« zu seiner Zeit noch am Werke war und Einfluß hatte. Einer von ihnen, den er speziell bei seinen Widerlegungen im Auge hatte, war Sung tse, »der Philosoph von Sung«, einem der damaligen kleineren Staaten. Im ersten Kapitel von Tschuang tses Buch heißt er »Sung Jung tse« und in dem später an das Buch Tschuang tse angehängten Kapitel 33, wo er an die Seite von Yin Wên tse (vgl. oben S. 152) gestellt wird, lautet sein Name Sung Hsing. Er muß Ende des dritten und Anfang des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gelebt haben und wird als Zeitgenosse des Menzius erwähnt. Sowohl was in Hsün tses Werk von ihm gesagt wird [R382], als die Charakteristik, welche Tschuang tse Kap. 33 ihm erteilt, läßt annehmen, daß Sung tse nur insofern zu den Sophisten gehörte, als er sich paradox auszudrücken liebte, wohl um Interesse für seine Behauptungen zu wecken. Seine Ideen scheinen aber übrigens in allgemeiner Menschenliebe und Verträglichkeit gegipfelt zu haben. Er wollte, daß man alle Wesen mit der gleichen Güte behandle, und meinte, daß derjenige die höchste Herrscherkrone verdiene, welcher die Menschen glücklich machen und unter allen den Frieden aufrichten könne. Friedfertigkeit liegt auch dem von ihm geäußerten, aber von Hsün tse bekämpften Satze zugrunde: »Wenn die Menschen begreifen wollten, daß es keine Schande sei, beleidigt zu werden, so würden sie vom Streiten abkommen.« Ein anderer seiner Sätze, den Hsün tse erwähnt, war, daß der Mensch von Natur aus nur wenig begehre, daß aber verkehrterweise die meisten sich einbildeten, ihre natürliche Anlage begehre vielerlei. Er suchte also wohl die Begehrlichkeit (als eine Quelle des Haders) zu dämpfen.

Der deutlichste Typus der Sophisten dieser Zeit ist für uns Kung sun Lung, ein Mann des Staates Tschao, der um die Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. lebte [R383]. Er war sehr angesehen am Hofe von Tschao. Sowohl der Herrscher Hui wên wie dessen Bruder, der Premierminister des Reiches Tschao (bekannt als der Fürst von P'ing yüen) schätzten ihn hoch. Er hatte zahlreiche Anhänger und begründete eine eigene Schule.

Die Besonderheit dieses Sophisten liegt darin, daß seine absichtlich verwirrend gehaltenen Behauptungen dahin zielten, gewisse neue logische Erkenntnisse zu erfassen, die dem Autor selbst aber wohl nur dunkel vorschwebten und nicht klar vor dem Geist standen. Kung sun Lung hat es im Grunde zu tun mit den Unterschieden von Allgemeinbegriffen und Individuen, man könnte auch sagen, mit dem, was wir Substanz und Akzidenz, Wesen und Eigenschaften nennen. Doch muten seine Ausführungen noch recht ungeschickt an, wobei freilich die Ungeeignetheit der chinesischen Sprache für solche Begriffserörterungen das Ihre tut. Es sei hier als Beispiel seiner Argumentation der Anfang des zweiten Kapitels der von ihm erhaltenen Schriften (im Anschluß an Forke) wiedergegeben. Die Erörterung bewegt sich in der Form von Frage und Antwort.

Frage: Ist es möglich, daß ein weißes Pferd kein Pferd ist?

Antwort: Ja.

Frage: Wieso?

Antwort: Ein Pferd bezeichnet etwas Gestaltetes, weiß bezeichnet eine Farbe. Was eine Farbe bezeichnet, das bezeichnet nicht ein Gestaltetes. Darum sage ich, daß ein weißes Pferd kein Pferd ist.

Frage: Da aber weiße Pferde existieren, so läßt sich doch nicht sagen, sie seien keine Pferde. Da man nicht sagen kann, sie seien keine Pferde, kann da das Pferd-Sein geleugnet werden? Ein weißes Pferd muß als Pferd gelten; wie kann man dann in dem Weiß eine Aufhebung des Begriffes Pferd sehen?

Antwort: Wenn jemand ein Pferd haben will, so kann man ihm falbe oder schwarze Pferde bringen; aber wenn jemand ein weißes Pferd verlangt, so kann man falbe oder schwarze Pferde nicht gebrauchen. (D. h. gewisse Pferde fallen aus der Kategorie »weißes Pferd« heraus.) Nehmen wir aber an, ein weißes Pferd sei ein Pferd, – es ist doch nur eins von denen, die man verlangen könnte! Da es nur eins unter den verlangten ist, soll ein weißes Pferd dann unterschiedslos ein Pferd sein? Verlangt man unterschiedslos ein Pferd, würden es dann falbe oder schwarze auch sein dürfen oder nicht? Sofern sie dem Verlangen entsprechen oder nicht, schließen sie einander aus. Falbe und schwarze Pferde sind allerdings von einer Art und entsprechen dem Verlangen nach einem Pferde, aber nicht dem Verlangen nach einem weißen Pferde. Daraus ergibt sich, daß ein weißes Pferd kein Pferd sein kann.

Frage: Also ein bestimmt gefärbtes Pferd ist kein Pferd. Aber farblose Pferde existieren auf Erden nicht. Gibt es denn keine Pferde auf Erden?

Antwort: Natürlich haben Pferde Farbe, und daher gibt es auch weiße Pferde. Hätten Pferde keine Farbe, so gäbe es einfach Pferde als solche. Aber wie kann man weiße Pferde (als Pferde) annehmen? Die Weißheit ist kein Pferd. Ein weißes Pferd ist ein Pferd verbunden mit weißer Färbung. Da es sich so verhält, sage ich: ein weißes Pferd ist kein Pferd. – –

Diese Ausführung erscheint vielleicht zunächst wie Haarspalterei. Doch liegt mehr darin. Offenbar versucht hier ein Denker zum ersten Male einzudringen in das Geheimnis von Allgemeinbegriff und Einzelgröße. Dem Kung sun Lung, der behauptet, daß ein weißes Pferd kein Pferd sei, schwebt der Allgemeinbegriff »Pferd« vor, und er will betonen, daß man den Allgemeinbegriff sondern muß von zufälligen Einzeleigenschaften. Sein Gegner vertritt den Standpunkt des einfachen Menschen, der diese Unterscheidung nicht kennt, der von Allgemeinbegriffen nichts weiß. Es handelt sich hier durchaus nicht um leere Sophismen, sondern um Fragen, die auch die scharfsinnigsten griechischen Denker viel beschäftigt haben, Fragen, die selbst mit der Platonischen Lehre von den Ideen sich berühren.

Daß Kung sun Lung kein hohler Wortklauber, sondern ein wirklicher Denker war, zeigt sich noch klarer an seinen Erörterungen über die Eigenschaften der Härte und des Weißen. Kung sun Lung nimmt einen Stein, der die Eigenschaften der Härte und der weißen Farbe zeigt. Die Härte empfindet man durch Berührung (den Gefühls- oder Tastsinn), die weiße Färbung durch den Anblick (den Gesichtssinn). Nun argumentiert er mit seinem Gegner, ob die Eigenschaften der Härte und des Weißen dem Steine angehören, seine inhärenten Eigenschaften sind, wie wir sagen, oder nicht. Er behauptet das Letztere. Er weist darauf hin, daß wir die Härte nur dann wahrnehmen und nur insoweit wahrnehmen, als unser Tastsinn sie uns vermittelt; daß wir das Weiße des Steins ebenso nur wahrnehmen, sofern unser Sehen, unsre Sehkraft es uns vermittelt. Härte und Weiße sind nicht dem Stein zugehörig als ein dauerndes Etwas in ihm, sondern sie existieren losgelöst von ihm. Sie existieren, indem unsre Sinneswahrnehmung auf den Stein stößt. Sie existieren auch nur, solange die Sinne auf den Stein gerichtet sind, und verschwinden, wenn die Sinne nicht tätig sind. Wenn die Bedingungen fehlen, unter denen die Sinne arbeiten können, so sind jene Eigenschaften nicht da. Wenn z. B. das Licht fehlt, so ist das Weiße des Steins nicht wahrzunehmen, obwohl der Stein da ist. Oder wenn der Geist nicht in den Sinnen arbeitet, wenn das Auge nicht sehfähig, oder die Hand empfindungslos ist, so besitzt der Stein keine weiße Farbe und keine Härte.

Wer sähe nicht, daß der chinesische Denker hier an Probleme rührt, die in der Philosophie Kants wieder im Vordergrunde stehen und dort (allerdings in viel reiferer Weise) mit Hilfe unsrer naturwissenschaftlichen Kenntnisse eine Lösung finden? Kung sun Lung sieht schon den engen Zusammenhang der sogenannten Eigenschaften der Dinge mit der körperlich-geistigen Anlage des Menschen. Er kommt noch nicht so weit, die Eigenschaften einfach als etwas Subjektives, in der Anlage des Menschen Begründetes zu erfassen, aber er ist schon nahe dabei. Eigenschaften wie Härte und Farbe sind ihm scharf von den Dingen selbst zu trennen, sie sind Vorgänge, die an dem Dinge stattfinden, wenn des Menschen Sinneswahrnehmung hinzukommt. Sie sind deshalb für ihn etwas Intermittierendes, manchmal auftretend, dann wieder verschwindend. Werden sie nicht von unsern Sinnen gleichsam hervorgelockt, dann »scheiden sie aus«, »verschwinden«. Auf jeden Fall sind sie den Dingen selbst nicht angehörig: der Stein und seine Eigenschaften, betont Kung sun Lung seinen Opponenten gegenüber immer wieder, sind zweierlei, nicht eine Einheit. – Kung sun Lung hat natürlich auch noch über andere Fragen seine eigenen Ideen gehabt, wie wir z. B. hören, daß er das Prinzip allgemeiner Menschenliebe vertrat und dementsprechend eine Beseitigung der Kriege erstrebte. Jedoch durch seine begriffstheoretischen Lehren erregte er das meiste, allerdings auch das unliebsamste Aufsehn. Es wird von mehreren angesehenen Männern erzählt, die sich ihm als Schüler anboten, wenn er jene kuriose Meinung fahren lasse, daß ein weißes Pferd und ein Pferd nicht identisch seien. In seiner natürlich ablehnenden Antwort betont der Philosoph, daß dies grade die Hauptsache sei, die er zu lehren habe. Offenbar galten ihm seine Begriffsuntersuchungen als der wichtigste Inhalt seiner Philosophie [R384].

Von andern Sophisten dieser Zeit sind uns nur die Namen (Huan Tuan, Tien Pa, Mao Kung) sowie leichte Andeutungen ihrer Meinungen überliefert. Offenbar wogen diese nicht schwer im Urteile der Mitwelt und fanden keinen Anklang.

Aus der »Sophistik«, wie wir sie bei Kung sun Lung (und früher schon bei Têng Hsi) finden, hätte sich unter günstigen Umständen die Grundlage einer strengeren Erkenntnislehre und Logik entwickeln können. Doch ist das nicht geschehen. Vielmehr bogen solche Geister, die wohl eine gewisse Verwandtschaft mit den Neigungen der Sophisten in sich fühlen mochten, nach anderen Richtungen ab, die ähnlichen Charakters, aber doch populärer waren. In späteren Berichten über die philosophischen Strömungen dieser Zeit werden uns zwei Schulen genannt, in denen die grüblerisch, sozusagen sophistisch angelegten Köpfe ihre Befriedigung gesucht haben werden, nämlich die Schule der Bezeichnungen (Ming tchiâ) und die Schule des Rechts (Fa tchiâ) [R385]. Diese zwei Schulen sind die Tummelfelder für Gelehrte gewesen, die neben einer gewissen begriffskritischen Anlage und Liebhaberei doch andrerseits Konfuzianischen Geist in sich verspürten und den Gegenständen des Konfuzianischen Systems zugeneigt waren. Die Schule der Bezeichnungen ging den Fragen nach, die wir schon mehrfach berührt haben (vgl. oben S. 209), wieweit die Bezeichnungen der Dinge dem wirklichen Wesen derselben entsprächen und entsprechen müßten. Die Schule des Rechts aber hatte es vor allem mit der Frage zu tun, wie die Gesetze geartet sein und gehandhabt werden müßten, ob strenge Bestrafung oder milde Behandlung eine bessere Grundlage für den Staat biete. Auch diese Frage sahen wir bei älteren Denkern bereits gestreift (vgl. oben S. 185f.). Daß unter der Tch'in-Dynastie mit ihrer Neuordnung aller staatlichen Verhältnisse sich viele Köpfe den Problemen der Strafgesetzbarkeit zuwandten, ist begreiflich. Doch sind größere Denker und Systeme auf diesem Gebiete trotzdem nicht erstanden.


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