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10. Kuan tse

In der Mitte des siebenten Jahrhunderts v. Chr. lebte in dem Staate Tch'i, (benachbart dem Staate Lu, in dem Konfuzius heimisch war) ein Mann namens Kuan I wu oder Kuan Tschung, der zu den berühmtesten Männern des chinesischen Altertums gehört. In Konfuzius' Gesprächen wird er mehrfach erwähnt, ebenfalls bei Menzius [R296]. Das Geschichtswerk des Szï'-ma Tch'ien handelt ausführlich von ihm [R297]. Er wurde der allmächtige Minister des Herzogs Huan von Tch'i und förderte das Staatswesen so beträchtlich, daß Konfuzius später gelegentlich äußerte, ohne Kuan Tschungs Einfluß würde zu seinen (des Konfuzius) Zeiten noch Barbarei in jenen Gegenden herrschen. Hochgepriesen wurde auch sein inniges Freundschaftsverhältnis zu Pao Schu ya, einem andern Minister des Huan.

Diesem Manne nun, der gewöhnlich Kuan tse heißt, wird ein umfangreiches Werk zugeschrieben, dessen Inhalt uns hier, wenn auch nur kurz, beschäftigen muß. Allerdings ist von vornherein zu bemerken, daß von einer Autorschaft des Kuan tse in Wirklichkeit nicht die Rede sein kann. Wir haben eine der vielen pseudepigraphischen Schriften der chinesischen Literatur vor uns. Dennoch darf man wenigstens von den ersten sechzehn Kapiteln ( tchüen) wohl behaupten, daß sie allerlei altes Gedankengut enthalten, wenn auch die literarische Untersuchung erst noch des genaueren geführt werden muß und bis jetzt nicht feststeht, wer der Autor war und wann er lebte. Doch wird er irgendwann zwischen dem 5. und 3. Jahrhundert v. Chr. anzusetzen sein. Daß wir ihn an dieser Stelle behandeln, hat seinen Anlaß nur darin, daß das große chinesische Sammelwerk der taoistischen Schriftsteller, Schï tse tchüen schu, ihn auf Tschuang tse folgen läßt.

Die Gedanken des Kuan tse sind in den älteren Partien des Werkes meist echt taoistisch (während die späteren Kapitel 17-24 sich allen möglichen Fragen des Staats- und Wirtschaftslebens zuwenden). Sie bringen uns inhaltlich darum nichts Neues. Was aber an seiner Lehre besonders Beachtung verdient, ist die Art, wie er die taoistischen Vorstellungen von vornherein und sehr nachdrücklich nach dem Ethischen hin verarbeitet. Das Tao ist natürlich die Grundlage alles Seins: »Es hat Himmel und Erde hervorgebracht.« Es weilt auch als das erhaltende und bewegende Prinzip in allem, was es hervorgebracht hat, so insbesondere im Menschen. Als dem Tao wesentlich wird nun von Kuan tse vor allem hervorgehoben, daß es leer, für unsere Aussagen rein negativ ist. »Tao nenne ich Leerheit und Nichtsein, Körperlosigkeit (Immaterialität).« Dies betont er deswegen, weil er aus dieser Eigenschaft des Tao das Prinzip seiner Ethik macht. Denn das Wichtigste für den Menschen ist, daß er sich entleert von Begierden, daß er das Unreine in sich beseitigt, daß er nicht strebt nach irgend etwas, daß er das Ich wegwirft, still und regungslos wird. »Wer die Schweigsamkeit und Regungslosigkeit gründlich versteht, der versteht das Grundgewebe des Tao.« Das Wesen des Tao wohnt im Menschen, und daher »liegen Leerheit und Mensch eng beieinander«, die Leerheit ist also dem Menschen im Grunde natürlich. Aber trotzdem ist es nicht leicht, sie sich anzueignen. Je mehr man sich aber seiner Begierden (des Unreinen) entschlägt, desto mehr kommt das Tao im Menschen zur Geltung und macht ihn klar und rein, still und ruhig. Damit zieht »Göttlichkeit« in uns ein, die vom irdischen Stoff unabhängig ist. Ein Hauptgegner solcher Entleerung, sagt Kuan tse, ist das »Wissen«. Hiermit knüpft er an bekannte Aeußerungen des Tao tê tching an (z. B. Kap. 3 und Kap. 19). Doch ist, wie de Groot richtig bemerkt hat [R298], mit dem »Wissen« nicht bloß das intellektuelle Erkennen, die Wissenschaft gemeint, sondern überhaupt Bewußtsein, bewußte Empfindung, bewußtes Streben, bis in die Leidenschaften hinein. Also möglichst unbewußtes Leben, möglichst unvorsätzliches und willenloses Hineintauchen in den natürlichen Gang der Dinge ist das Ideal. Ganz besonders muß der Fürst, der Leiter des Volks und Staates, diesem Ideal gehorchen. »Nichts machen« (Wu wei), das nenne ich Tao, Preisgabe (der Persönlichkeit) das nenne ich Tugend (Tê); es besteht also nichts, das Tao und Tê voneinander trennt, und somit machen die, welche beide lehren, zwischen beiden keinen Unterschied.« »Die Herren der Menschheit regieren im Yin (d. h. auf der Erde); das Yin ist still, und darum sage ich, daß sie, wenn sie rührig und rege sind, ihren Thron verlieren« [R299]. In der Unbewußtheit bewahrt der Mensch das Gleichgewicht seines Daseins. Bewußte Tätigkeit stört und unterbricht dies Gleichgewicht.

Da das unbewußte Sichhingeben an den Gang des Tao eine innige Einigung des Menschen mit dem Tao bewirkt, so wird dem Menschen damit auch jene intuitive Tiefschau zuteil, die dem Tao eigen ist. Dies gilt nicht nur für die Welt der irdischen Objekte und Vorgänge (vgl. Tao tê tching Kap. 47: »Ohne aus der Tür zu treten, mag man die ganze Welt erkennen«), sondern auch für Jenseitiges und Zukünftiges. Wer im Tao lebt, bedarf darum keiner sonstigen Hilfsmittel zur Erkundung des Verborgenen, wie der Orakel und der Beschwörer. Vor ihm liegt durch eine Art hellseherischen Blickes alles klar und offenbar.

An diese taoistischen Gedanken werden, schon im ersten Teile des Kuan tse, Bestimmungen über die rechte Regierung und Volkserziehung geknüpft, aus denen jedoch bereits spätere Erweiterer reden mögen. Als Pflicht der Leiter des Volks wird hier hingestellt, daß man (im Einklang mit Tao tê tching Kap. 3) dafür sorge, daß das Volk immer die nötigen Bedürfnisse des Lebens befriedigen könne, aber nicht frage und grüble und unruhig werde. Die Bedürfnisse und Wünsche müssen auf niedrigem Niveau gehalten werden, denn sonst erwachen starke Begierden und machen die Leute unruhig. Auch muß man den Verkehr der Menschen miteinander durch feste Regeln (das »Li«) möglichst binden und ordnen, damit alles seinen vorgeschriebenen Weg nehme und so den Störungen des Gleichgewichts im sozialen Leben vorgebeugt werde. Der Fürst als Regent wird absolut gedacht; sein Wille ist Gesetz. Gründe dafür hat er dem Volke nicht zu geben, so wenig wie dieses darüber nachzudenken oder zu erörtern hat, ob die Gesetze berechtigt sind. Es hat zu gehorchen. Beginnt es erst die Frage des Gehorsams zur Diskussion zu stellen, so ist kein Ende abzusehen. Zu dem, was fest eingerichtet und im regelmäßigen Gange erhalten werden muß, gehört auch die Religion. Die überlieferte Weise, wie man den bestehenden Gottheiten opfert und Verehrung zeigt, muß der Staat überwachen und schützen. Durch alles dies soll erreicht werden, daß der Strom des Gemeinschaftslebens möglichst ruhig, gleichmäßig und regungslos dahinfließe. Je stiller und einförmiger das äußere Leben, desto leichter wird es dem Individuum, sich dem Einflusse der äußeren Faktoren zu entziehen und zu jener Selbstentäußerung, Selbstvergessenheit und Selbstlosigkeit zu gelangen, der »Leerheit«, in welcher die Göttlichkeit, die volle Einheit mit dem Tao, ihre Verwirklichung findet. Gleichförmigkeit führt zur Seelenruhe, Genügsamkeit führt zur Sorgenfreiheit und Reinheit; das ist die Bahn zum Tao.


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