Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Nasureddin Chodscha, der Narr

Es ist schon manchmal in der Welt drunter und drüber gegangen, im Abendland wie im Morgenland, denn das Hauptwerk der Menschen ging von Urbeginn an darauf aus, sich gegenseitig das Leben recht ungemütlich zu machen. Man darf nur das große Buch der Weltgeschichte aufschlagen und ein paar Kapitel lesen, gleichviel in welchem Bande.

Nur im Stil gibt es einige Unterschiede, wie ja auch die Handschriften derer, die an jenem großen Buche mitgeschrieben haben, verschieden sind. Der eine tauchte auch seine Feder tiefer ins rote Tintenfaß, und seine Buchstaben stehen größer und klobiger da, als die eines anderen, der eine feinere Klinge schrieb und hieb.

Zu den schwersten Händen mit der gröbsten Schrift gehörte aber die des mächtigen Tataren und Mongolenkaisers Timur Lenk, des »lahmen« Timur, bekannter unter dem Namen Tamerlan, den seine Zeit den »großen Wolf« nannte. Und das war er ihr auch. Von China über Indien und Persien bis nach Moskau hatte er alle Länder aufgefressen und war noch nicht satt. Eine Milliarde Menschen lag vor ihm im Staube, oder was von ihr noch stand, das zitterte bei der Nennung seines Namens. Das Grauen vor unerhörten Taten lief vor ihm her und lähmte im voraus den Widerstand. Auf den rauchenden Trümmern der Stadt Samarkand in Turkestan hatte er als Siegesmal eine Pyramide von 90.000 Köpfen errichten lassen; das war bezeichnend für seinen Stil.

Als er aber sein blutiges Gebiss auch in die Türkei schlagen wollte, trat ihm der tapfere Sultan Bajesid der Große, der »Wetterstrahl«, mit einem großen Heere entgegen. Auf der Ebene von Angora in Kleinasien, wo die schönen Katzen zu Hause sind, 153 kam es zur Entscheidungsschlacht – man zählte 1402. Sie war furchtbar: Gegen eine Million Männer stritten darin auf Leben und Tod. Der lahme Timur erwies sich aber stärker als der Wetterstrahl und bereitete ihm eine Art Sedan; er vernichtete sein halbes Heer und nahm ihn selbst mitsamt der andern Hälfte gefangen. Und es ging dem Türkensultan nicht so gnädig wie dem letzten Franzosenkaiser. Er kam nach keinem Schloß Wilhelmshöhe, sondern ward in einen eisernen Käfig gesteckt, und seinen armen Kriegern ließ der über die eigenen Verluste ergrimmte Wolf zu vielen Tausenden die Köpfe abschlagen, so daß sie ihm freilich wenig Kommißbrot kosteten.

154 Unter den Gefangenen war nun auch der lustige Rat, das heißt, der Narr des Sultans, Nasureddin Chodscha mit Namen. Seine Narrheit tat übrigens seiner Gescheidheit keinen Abbruch und verhinderte ihn nicht, ein wahrer Philosoph zu sein, der Leben und Sterben zu nehmen pflegt, wie's eben kommt, und über das eine ebenso wenig jubelt wie übers andere klagt.

»Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer beim erhabenen Gott!« sprach er andächtig zu sich, breitete seinen Gebetsteppich aus, zog die Pantoffeln ab, hockte sich nieder und sah gleichmütig zu, wie wenig Federlesens Tamerlan mit seinen Gefangenen machte. »Wie Allah will, ist es wohlgetan!« fuhr er sinnierend fort. »Drum will ich ruhig warten, bis die Reihe an mich kommt, und den Kopf nicht eher verlieren, als der Henker ihn mir abschlägt. Müssen wir nicht alle einmal sterben? Hinunter gleitet unser Leben, wie die Welle im Bache, über Kiesel hüpfend, über Klippen springend, durch Schlingkraut spielend, über den Sand schleichend; keinen Augenblick wissen wir, wo wir im nächsten sein werden; doch am Ende überfällt uns die Gewißheit: die Mündung in ein größer Wasser. Ob früher oder später – nur der Tor jammert oder freut sich darüber; dem wahrhaft Weisen bleibt es sich gleich. Wir schnappen alle dieselbe Luft, wir essen alle aus dem einen Topf – so müssen auch wir alle in den gleichen Tod!«

Wie er aber so still und nachdenklich auf seinem Teppich saß, bemerkte ihn Tamerlan; denn im allgemeinen Trubel fällt die Ruhe auf, wie unter lauter blitzenden Uniformen der Zivilrock.

Einigermaßen verwundert ließ ihn der Gewaltherr vor sich rufen. Nasureddin folgte gefaßt, und wenn er sich auch nach morgenländischer Sitte vor ihm niederwarf, so blieb doch sein Herz aufrecht.

Tamerlan hieß ihn sich erheben und fragte ihn, wer er sei.

»Augenblicklich ein kleines Stück vom großen Leben, in der Hand des Herrn der Welt.«

155 Und wie das Stück Leben heiße?

»Nasureddin Chodscha!«

Und was er hier täte?

»Das Weitere abwarten!«

Was er für ein Amt bekleide?

156 »Er sei des Sultans lustiger Rat gewesen.«

So? Hat der da – und Tamerlan wies mit dem Kopf nach dem Käfig, in dem der gefangene Sultan das Schicksal seiner Armee mit ansehen mußte – noch mehr solcher Narren zu Ministern gehabt?

»Leider nein, ich war der einzige, sonst wär es nicht so traurig gegangen. Man täte besser, mehr auf die offenkundigen Narren zu hören, als auf die heimlichen. Bei jenen geht die Vernunft im Gewande der Narrheit, bei diesen die Narrheit in der Maske der Weisheit.«

»So? Ich will mir's merken« – er sprach's mit einem Anflug von Laune – »wie gefällt dir die Komödie da?«

»Nicht besonders, wenn ich's sagen darf, ich habe schon bessere gesehen!«

»Wo?«

»Nun, bei uns daheim, zu Jengischehr. Da stutzt man die Maulbeerbäume jedes Jahr auch so, aber sie treiben immer wieder. Ob denen da die Köpfe wieder ausschlagen, daran zweifle ich!«

Das werde er am besten an sich selber erproben können! Ob er keine Angst davor habe?

»Angst? Ich weiß nicht, ich meine alleweil, ein kurzer Tod sei eigentlich leichter zu ertragen als ein langes Leben. Übrigens kommt es doch auch häufig vor, daß man einen armen Schelm hängt, doch seine Laus laufen läßt!«

»Nun denn!« sagte Tamerlan belustigt. »So will ich dich auch laufen lassen. Leb dein Lauseleben weiter! Fort und – jucke mich nicht mehr!«

»Nun, ich dank schön, Majestät, soviel oder sowenig dabei zu danken ist!« sagte Nasureddin, trollte sich zu seinem Teppich, rollte ihn zusammen, fuhr in seine gelben Pantoffeln und schlurfte langsam davon.

Die flüchtige Heiterkeit aber, die er auf die eisige Miene des 157 Gewaltigen gelockt hatte, pflanzte sich fort und wurde zum Sonnenstrahl der Gnade in dem blutigen, düstern Wetter, das noch dampfend über der Walstatt von Angora lag: er befahl, die Hinrichtungen einzustellen.

158 Nasureddin aber hatte sich nach seiner Vaterstadt Jengischehr in Kleinasien begeben, wo er auch seine Frau hatte. Sie empfing ihn recht übel, weil er so lange weg gewesen war und zudem mit leeren Händen und Taschen heimkam. Sie schalt ihn Tagedieb, Ziehfetzen und Nixnutz, der in seinem Leben nix auf die Bahn bringe und sie zum ärmsten und unglücklichsten Weibe mache, das es zwischen Samarkand und Konstantinopel gäbe, und was derartige Quälereien und Quengeleien mehr sind. Dazu kochte sie ihm schlecht und nur, was er nicht mochte, dreimal in der Woche Spinat und dreimal gelbe Rüben, am Freitag einen Reisbrei. Dazu entzog sie ihm den Hausschlüssel, so daß der arme Mann manchmal seufzte: 159

O Timur Lenk
Krieg du die Kränk
Für dein Geschenk.

Und er erwog ernstlich den Gedanken, einfach durchzubrennen. Nun geschah es aber, daß Tamerlan auf seinem weiteren Kriegszug durch Kleinasien sich auch der Stadt Jengischehr näherte. Die Bürger derselben, denen die Flammen von hundert Städten und tausend Dörfern vor Augen standen, waren ratlos gegenüber der ihnen drohenden Gefahr; denn wenn schon mit gewöhnlichen großen Herren nicht gut Kirschen essen ist, um so schlechter pflegt es mit tatarischen Khanen zu sein.

Was tun?

Im hohen Stadtrat von Jengischehr ging es drunter und drüber; die einen rieten zur Flucht, aber wohin? Die Reiterhorden Tamerlans überschwemmten schon das ganz Land. Einige wenige waren für Kampf bis aufs Messer, mit heldenhaftem Untergang; denen sagte man, sie sollten's für ihre Person immerhin probieren, aber gefälligst anderswo; in Jengischehr sei verblitzt wenig Stimmung für solche Untergänge; ein lebendiger Hund habe mehr vom Leben als ein toter Löwe. Das sei von jeher das Leitmotiv für die auswärtige Politik der Stadt gewesen, und sie habe, wie man sehe, dabei bis heute wohl prosperiert. Die meisten waren für freiwillige Unterwerfung, und diese Ansicht drang auch durch. Als es sich aber darum handelte, wer als Gesandter zu Tamerlan gehen sollte, da wollte jeder dem andern den Vortritt lassen. Denn es war nur zu gut bekannt, wie gefährlich diese hohe Ehre dem Träger werden konnte und wie mancher schon ohne Nase, Ohren oder gar ohne Haut zurückgekommen war, da man sie ihm über den Kopf gezogen hatte. Wie aber die Not so groß war, da kam doch einem eine Idee:

»Wie wär's«, sagte er, »wenn wir den Nasureddin schickten? Er ist zwar nicht Stadtrat, gehört auch sonst nicht zu den bessern 160 Bürgern, hat auch nichts Rechtes studiert und nicht einmal ein Examen gemacht, ist aber trotzdem sogar bei den allerhöchsten Herrschaften merkwürdig gut angeschrieben gewesen und hat ein sonderbares Glück. Ist er so neulich nicht auch der Köpferei von Angora entwischt und soll Schuld gewesen sein, daß der große Wolf damit aufgehört hat? Wenn er nun damals den Kopf oben behalten hat, wo sie zu Tausenden kugelten, als ob es Klicker wären, wird es ihm vielleicht auch heute gelingen! Wenn nicht, so ist nicht viel an ihm verloren und wir wissen wenigstens, wo wir dran sind, und daß Matthäi am letzten ist! Wollen wir?«

»Natürlich wollen wir«, hieß es, »wenn nur er will.«

Wenn es brennt, springt auch ein Oberbürgermeister und eine Frau Superintendent zum Fenster hinaus, und es denkt der eine nicht an die fehlende Halsbinde, die andre nicht an die falschen Zöpfe, die sie anzuziehen vergessen haben.

161 Sie ließen ihn aufs Rathaus holen. Er kam, wie er immer kam: in seinem alten, verfärbten und geflickten Kaftan, noch älterem und schäbigerem Turban, darunter das alte, zerfurchte, launige Gesicht mit den knitzen Äuglein und dem langen braunen Bart, wie ihn jedes Kind in Jengischehr und Konstantinopel kannte. Mitleidig fast schauten die weisen, wohlhabenden und gut genährten Väter der Stadt auf den armen, mageren Nasureddin herunter, und der Stadtrat Aman, der Obermeister der Schneiderinnung, sagte dem Beigeordnenten Beman laut genug ins Ohr:

»Aber so kann man ihn wirklich nicht gehen lassen; er muß wenigstens einen besseren Anzug haben, wie wär's auf städtische Kosten! Was meint ihr, Gevatter?«

»Selbstverständlich! Aber auch ein Paar anständige Pantoffeln! Seht nur die alten Schlappen an!« sagte Beman, der Schuster, und beide sahen sich verständnisvoll an.

Jetzt trug ihm der Bürgermeister die Not der Stadt und den Beschluß des hohen Rates vor, wonach er einstimmig zum Gesandten an Tamerlan ernannt worden sei. Man bäte ihn, das Ehrenamt anzunehmen und verspräche ihm den wärmsten Dank der Stadt dafür. Nasureddin zupfte sich nachdenklich an der länglichen gelben Nase, wackelte mit den Ohren und fragte, wie es mit der Unfallversicherung bestellt sei.

Man antwortete aber tröstend, die Sache sei nicht halb so gefährlich, wie sie aussähe, namentlich wenn einer mit den großen Herren so geschickt umzugehen verstehe wie er. Das allein hätte sie bestimmt, ihn zu wählen.

Ob nun das seiner teuren Vaterstadt drohende Elend oder der Gedanke an sein böses Weib, ihren ewigen Zank, ihre gelben Rüben, Spinat und Reisbrei und den vorenthaltenen Hausschlüssel ihn willfährig stimmte, ist ungewiß. Kurz, er nahm an, und die Stadtverwaltung atmete erleichtert auf.

Nun handelte es sich aber um die Wahl eines Geschenkes, das nach morgenländischer Sitte dem Eroberer zu bringen war. 162 Wieder rieten die Ratsherren hin und her, und leider war in den städtischen Akten kein Fall verzeichnet, nach dem man sich hätte richten können. Da nahm Nasureddin Chotscha das Wort und sagte, es sei doch Brauch, das Beste und Köstlichste zu schenken, was die Stadt berge, und dabei kämen Gold und Edelsteine, Naturgaben und Kunstschätze in Betracht. Nun könne man mit den ersteren dem Tamerlan nicht imponieren, da er schon Tausende von Wagen voll mit sich führe, und an letzteren sei von jeher zu Jengischehr ein bedauerlicher Mangel gewesen, weil man kein Freund von brotlosen Künsten sei. Es blieben somit nur die Gaben der gütigen Natur, und an solchen brächte die Stadt die besten Feigen und die schönsten Quitten hervor, die vielleicht auf der ganzen Welt zu finden seien. So ein Körbchen köstlicher Früchte sei ein hübsches, bescheidenes und originelles Geschenk, ehre den Geber wie den Begabten und werde sicher dem Tamerlan Spaß machen.

Unter anderen Umständen hätten die Ratsherren spöttisch zu diesem Vorschlage gelächelt; heute aber sagten sie seufzend: Nun denn, im Namen Allahs! Es gibt keine Macht und keinen Schutz, außer bei ihm allein!

Wem das Messer bis an die Nase steht, der ist nicht wählerisch mit dem Zugreifen, er langt auch in Nesseln und Dornen. Aber da stutzte Nasureddin. Was nun wählen, Feigen oder Quitten? Was war das Bessere?

Die Wahl war schwer, und lange sann er unentschlossen. Endlich sagte er:

»Guter Rat steht hoch im Preis,
wohl dem, der ihn zu finden weiß!

Ich will also heim und meine Frau fragen!«

»Frau!« sagte er daheim. »Damit du siehst, daß ich auch noch zu was nutz bin, was du immer so sehr bezweifelst. Der Stadtrat hat mich zum außerordentlichen Gesandten an den Großkhan Timur bestellt!«

163 »Da wird viel dabei herauskommen!« sagte sie spöttisch.

»Ist dir die Ehre an sich nicht genug?«

Die Ehre? Was kaufe sie sich für eine Ehre, die nicht einmal so viel einbrächte, daß man sich mit ihr sehen lassen könnte nämlich ein anständiges Kleid an den Leib!

»Ihr Weiber denkt doch alleweil nur ans Materielle«, sagte Nasureddin, »fürs Ideelle habt ihr keinen Sinn! Aber nur zufrieden, Alte, man hat mir den wärmsten Dank der Stadt versprochen, wenn die Geschichte gut abläuft, und dazu sollst du mir helfen!«

»Ich dir?« fragte sie ungläubig und traute ihren Ohren nicht.

»Ja! – Du sollst mir nämlich raten, ob ich dem Tamerlan als Gastgeschenk der Stadt Feigen oder Quitten bringen soll?«

»O du grundgütiger Himmel!« rief sie. »Hat man je so was gehört? Feigen, Quitten? Ist das auch ein Geschenk? Das sieht ja nach gar nichts aus!«

»Wir haben nichts Besseres gefunden, und ist Jengischehr nicht berühmt darum? Übrigens ist es beschlossene Sache –«

»Das sieht man wieder, daß lauter Männer im Stadtrat sitzen! Was wißt denn ihr, was sich schickt! Danach müßte man doch uns Frauen fragen! Wenn ihr aber doch einmal die Dummheit 164 begehen wollt, dann nehmt wenigstens Quitten, sie sind doch größer, sehen schöner aus und halten besser; die Feigen würden ja ganz teigig und mudderig, bis du sie dort hast, und außerdem mögen sie manche Menschen nicht – ich auch nicht!«

»Recht hast du!« sagte Nasureddin nachdenklich. »Sie sind größer, sehen schöner aus, auch halten sie besser, und sagt nicht der Dichter: ›Ist nicht die Quitte die herrlichste der Früchte? Vereinigt sie nicht alles Köstliche der Welt? Sie schmeckt wie Wein, duftet wie Moschus, ihre Farbe ist Gold und ihre Gestalt die des Mondes.‹ Aber – aber –«

»Was aber?«

»Maßgebend«, sagte der Schalk und sah sich um, ob die Türe auch offen wäre, »maßgebend ist mir doch, daß du für Quitten bist – ich will also Feigen nehmen!«

Und draußen auf der Gasse, als er ihrem drohend geschwungenen Pantoffel unter Zurücklassen seiner alten Turbans, in den ihre flinke Hand ihm geraten, entronnen war, verübte er vor der sich um ihn sammelnden Straßenjugend von Jengischehr verschiedene anzügliche Sprüche, wie:

»Merket, was der Weise spricht:
Weibes Rat taugt niemals nicht!«

und:

»Tut dir weh die Wahl,
Mache kurz die Qual;
Rasch die Frau gehört
Und dann – umgekehrt!«

oder auch:

»Was sie denkt ist ungesund,
Was sie spricht, hat keinen Grund,
Was sie tut, ist kindisch, und
Wer ihr traut, dem geht es bunt!«

165 Nachdem er dann den versammelten Vätern feierlich mitgeteilt, daß seine Frau für Quitten sei, er also sich für Feigen entschlossen habe, ward ihm auf Antrag des Beigeordneten Beman ein neuer Kaftan und Turban aus dem Bazar des Stadtrats Aman, und auf Antrag des Stadtrats Aman ein Paar neuer Pantoffeln aus dem Laden des Beigeordneten Beman bewilligt, und noch am selben Morgen zog er auf einem ebenfalls städtischen Esel mit einem Körbchen auserlesener Feigen ab, um sein Glück und das Heil der Stadt zu probieren. Eine sonnige Heiterkeit kam über ihn, als er aus dem Tor ins Freie ritt; er atmete wie befreit auf, trank mit vollen Zügen die warme, duftgeschwängerte Luft, die von den Obst- und Weingärten niederströmte, und mit den Augen die freie Weite, die sich vor ihm auftat. Er fühlte sich fast so jung und frisch wie vor vierzig Jahren, da er zum ersten Mal denselben Weg auszog, um in Konstantinopel Theologie zu studieren, und weder die echt asiatische Hitze noch die Gefährlichkeit seines Auftrages vermochten ihn herabzustimmen.

»Denn«, sagte er zu sich und tätschelte seinem Grauen den struppigen Nacken, »mehr als den Kopf kann es nicht kosten, höchstens wär es fatal, wenn er mich schinden oder pfählen ließe; denn ich habe eine empfindliche Haut und bin arg kitzlich. Aber auch das ginge vorbei, wie alles vorbeigeht. Und warum gleich das Schlimmste fürchten? Also vorwärts, Freundchen, Brüderchen! Es gibt doch keine Macht und keinen Schutz außer beim erhabenen Gott. Munterchen, Munterchen, Brüderchen, du sollst auch ein Futterchen haben, wie du noch keins gehabt hast! Wir passen so gut zusammen, so rührend gut: tragen wir nicht beide unsere langen Ohren offen und ungeniert, während die andern sie verstecken? Wie?«

Verständnisvoll antwortete der Esel mit einem lauten »Ja!« und schlug ein Träbchen an.

Nasureddin aber unterhielt sich weiter mit ihm, trällerte Liedchen und zitierte Dichter und machte so den mehrstündigen Ritt 166 kurz genug. Gegen Abend kam er im tatarischen Lager an. Tamerlan hielt gerade großen Diwan mit seinen Ministern, Unterfeldherren und Lehnsfürsten, als ihm gemeldet wurde, Nasureddin Chodscha verlange, vor seinem Angesicht erscheinen zu dürfen.

167 Halb unwirsch und doch gnädig gewährte ihm der Großkhan die Bitte, und bescheiden trat der Kauz in das Versammlungszelt, mit seinem Körbchen auf seinem Arm.

»Was will Bajesids Laus wieder?« grollte der Gewaltige. »Gib acht: juckst du mich, so knick ich dich!«

»Herr der Welt!« sagte Nasureddin, »Ich bin zu alt, um noch beißen zu können. Ich komme nur ganz sachte gekrabbelt als Abgesandter deiner untertänigsten Stadt Jengischehr –«

»An der ich mir übermorgen die Hände wärmen will. Kehr um und sag's daheim! – Was hast du eigentlich in dem Korbe da?«

»Vor deinem gewaltigen Willen sind unsere Bitten gleich der Spreu im Winde, Herr! – Das ist das Beste und Köstlichste, was deine arme Stadt dir zur Begrüßung zu bieten vermag – Feigen von Jengischehr!« Und er hob das Weinlaub in die Höhe, mit dem die Früchte bedeckt waren.

Der Schreckliche schlug eine kurze, bellende Lache an:

»Feigen? Lumpige Feigen?« rief er und lachte.

Armer Nasureddin! Dein hübsches, bescheidenes und originelles Geschenk ist an die falsche Adresse gelangt. Der blutige Wolf ist anderes Obst gewohnt.

Der Gewaltige besann sich kurz, und siehe da, seine finstere Stirn gewann einen Schein, wie wenn drohende Wolkenmassen sich in Lämmerwölkchen aufzulösen beginnen.

»Man schere dem Gesandten von Jengischehr den Schädel kahl!« befahl er.

Nasureddin aber fiel ein:

»O Herr, das wird nicht nötig sein!«

Er nahm den funkelnagelneuen Turban ab und wies, sich tief verbeugend, den blanken Schädel dar, der mild wie der Vollmond leuchtete.

»Um so besser!« sagte Tamerlan, und seine Stirn wurde noch heller. »Nun werfe man ihm das Gastgeschenk der Stadt Jengischehr stückweise an den Kopf, eins nach dem andern!«

168 Unter dem Jubel der Versammlung traten ein paar Leibschützen an. Nasureddin ward mit dem Gesicht gegen die Wand gestellt und das Lustspiel begann. Wohlgezielt, von kräftigen Händen entsandt, sausten die Feigen, klatschend platzten sie auf dem nackten Schädel, und, teig und mutterig, wie sie waren, spritzten sie wie ein Heiligenschein auseinander. Und ein unendliches Gelächter erscholl, denn wer konnte selbst im Angesicht Tamerlans seine Wonne verhalten. Der große Wolf allein lachte nicht; aber sichtlich schwer kam's ihm an, die große, gelassene Miene zu wahren.

Das Unbegreiflichste und darum das Lächerlichste war aber, daß bei jedem gelungenen Treffer Nasureddin andächtig die 169 Arme emporbreitete und mit erhobener Stimme wie ein Gebetsrufer ausrief:

»Allah sei gelobt und gepriesen, und mit ihm Mohammed, sein Prophet!«

Und je heftiger es auf dem Schädel klatschte, um so lauter und inniger erscholl sein Dankruf:

»Allah sei gelobt und gepriesen, und mit ihm Mohammed, sein Prophet!«

Sooft aber ein Wurf daneben ging, wie es in der Hitze des lustigen Gefechts mitunter vorkam, schwieg er ganz stille. Dieses sonderbare ungereimte Gebaren steigerte aber nicht nur die Heiterkeit der Zuschauer ins Ungemessene, sondern erregte auch die Verwunderung Tamerlans. Er hob schließlich die Hand, gebot Schweigen und ließ innehalten.

»Sag mir doch«, fragte er den Narren, »warum dankst du denn Allah jedesmal, wenn sie dich trifft, und schweigst, wenn sie vorbeifliegt?«

»O Herr!« antwortete der süßklebrig triefende Nasureddin und verbeugte sich ehrfürchtig, »ich danke Allah, daß ich meiner Frau nicht gefolgt habe. Wär's nach ihr gegangen, so hätt ich Unglücklicher dir – Quitten gebracht! Und nun denk ich, wenn es klatscht: O Gott, wenn das eine Quitte wäre!«

Nun konnte selbst der große Wolf sich nicht mehr halten; er legte die Linke über die Augen und – lachte.

Timur Lenk lachte!

Sein Volk sah's und jauchzte.

Und Nasureddin Chodscha hatte Jengischehr gerettet.

 

»Freundchen, Brüderchen!« sagte er nach einer Weile draußen vor dem Zelte zu seinem Grauen, der melancholisch am bitteren Stamm der Tamarinde knabberte, an die er angepflockt war, »merk dir, was ich immer gesagt hab: 170

Zweischneidig ist jeder Rat,
Eindeutig ist nur die Tat!
Der Schlechteste beim klugen Mann
Richtet keinen Schaden an,
Aber beim Toren
Ist der Beste verloren! –

171 Ich hab dir übrigens ein Futterchen versprochen, wie du noch keins gehabt hast, da – leck mich ab!« 172

 


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