Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Wie der Mensch mißt

Wir beten es nicht als Bitte im Vaterunser, obwohl es ganz gut drin stehen könnte, etwa im Anschluß an das verwandte: »Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern«, nämlich etwa: »Miß unseren Lohn, wie auch wir ihn messen denen, die ihn um uns verdient haben!« Wenn es aber drin stände und wenn uns Gott beim Worte nehmen wollte, so erginge es uns gerade so übel, wie wenn er es uns bei der andern täte, wenn er uns wirklich unsere Schulden nur so vergeben wollte, wie wir sie unseren Schuldigern vergeben.

Eine Kleinigkeit, die mir am Herzen nagt, läßt mich oft daran denken. Wenn ich einen Heuwagen sehe, bitzelt mir das Gewissen und ich werde rot. Gebt mal acht: Ich hatte einmal Heu in einer fremden Scheuer liegen und es dann in die Stadt verkauft. Die Ausfahrt mit dem vollen Wagen aus dem engen Tore auf die nicht sehr breite Straße ist ziemlich schwierig: gerade gegenüber geht es steil in einen Hof hinunter, und ein Gartenzaun nebenan hindert auch noch, den rechten Rank (Kurve) zu gewinnen. Es war eine recht aufregende Arbeit und lockte natürlich die Nachbarsleute und eine Kinderschar herbei, müßige, spöttische, boshafte und hilfsbereite Zuschauer. Nun, schließlich gelang es, und eben sagte ich zum Fuhrmann: »Nun in Gottsnamen fahr zu!«, da schrie einer der zuschauenden Buben plötzlich, aufgeregt auf ein Rad deutend: »D' Lunt isch huß! D' Lunt isch huß!« Ein erschrockener Blick von uns, und richtig war, vermutlich durch das Renken und Würgen oder sonstwie, die Radlunte herausgegangen. Es bedurfte einiger kleiner Ingenieurskunststücke, um das Rad am geladenen Wagen wieder ganz auf die Achse und hinter die Lunte zu bringen, und mit einem recht aus der Tiefe der Bauernseele kommenden »Gott sei 82 Dank!« konnte man endlich den Wagen davon wanken sehen, auf und nieder nickend wie ein leicht stampfendes Schiff. Ich aber tätschelte das Büble mit den aufmerksamsten Luchsaugen dankbar die Backen, griff in den Beutel – »Da, du mußt auch was haben!« – und gab ihm – zehn Pfennig. Man wird mir nun recht geben, zehn Pfennig sind für einen Blick und einen zehnjährigen Knaben ein recht netter Tagelohn, aber als ich das Geldstück in die kindliche Hand legte, ging doch eine Scham durch mich; ich überschlug den Dienst, den der Knabe mir erwiesen hatte – aber versteht: Nur der Bauer, der einmal auf der Landstraße, womöglich noch in den nassen Graben daneben, oder noch ärger, in der Stadt selber, womöglich auf der Kaiserstraße, oder eine enge Passage stundenlang sperrend, einen Heuwagen umgeschmissen hat, wird ihn ganz ermessen können. Schon den Wagen zum ersten Mal laden, ist eine ganz 83 respektable Arbeit, bis er kunstgerecht und sehenswert geladen ist, aber nun erst zum zweiten Mal, unter allerhand schwierigen Umständen, teuflischen Schikanen, zu denen in der Stadt noch die hohe Polizei kommt, – kurz also, ich verglich im Geiste rasch den Dienst, den mir der Knabe erwiesen, die Ersparnis an Arbeit, Zeit, Mühe, Ärger, Spott, Schaden, die ich ihm verdankte, mit der wahrhaft schäbigen Belohnung, die er dafür erhielt. Ich sag' euch, ich schlug seitdem das Auge nieder, wenn ich ihn traf. Nun, jetzt ist er ertrunken, in Gottsnamen; ich begegne ihm nicht mehr; aber ich kann, wie gesagt, keinen Heuwagen mehr sehen, ohne das Bitzeln an der Seele zu spüren und den sonderbaren Schreckensruf zu hören: »Die Lunt' isch huß!« – und dann an die zehn Pfennige zu denken, durch die ich mich mit dem Unbezahlbaren abgefunden habe. 84

 


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