Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Meine Geige und der Großmutter ihr Geigebogen

Ich war ein Bub von so sechs oder sieben Jahren und wußte von Gott und der Welt, Mensch und Leben soviel, wie man in dem Alter weiß, wo man gerade anfängt, die Augen aufzumachen, nämlich nichts. Ein Apfel war noch mein höchster Genuß, eine kleine Lüge meine größte Sünde und Prügel der größte Schmerz. Was die Kunst anbelangt, so war mir die Militärmusik das höchste; mit den Trommlern und Pfeifern war ich schon vollauf zufrieden.

Aber auch für mich kam der Tag, wo mit eine Ahnung von der höheren Kunst in der Seele aufstieg.

Eines Tages gab mein Lehrer mir ein Briefchen an einen anderen Lehrer mit, der an meinem Schulweg wohnte. Als ich in den Hausflur trat, hörte ich aus einer halb offenen Tür Geigenspiel. Ich lauschte; die Töne zogen mich eigentümlich an. Leise trat ich näher und schaute in das Zimmer. Das Bild, das sich mir bot, ergriff mich: vor seinem Notenpult, aber mit glänzenden Augen darüber hinweg und in die Ferne sehend, stand der Lehrer 42 selbst und spielte mit tief und schmerzlich bewegtem Gesichte ein schwermütiges, manchmal leidenschaftlich anschwellendes, dann wieder in sich versinkendes Tonstück. Als er mich nach einer Weile bemerkte, brach er ab. Stotternd entledigte ich mich meines Auftrags, mit den Gedanken noch ganz bei der Musik.

Von dem Augenblick an war ich ganz in den Gedanken verrannt, auch so spielen zu können wie der Lehrer Haitz; und es kam mir das auch ganz leicht und einfach vor: die Geige in die Linke, den Bogen in die Rechte, und dann heraus mit den Tönen aus der Brust, aus der sie mir nur so zu quellen schienen.

Ich fing also an, meine Eltern zu bitten und zu quälen, mir doch eine Geige zu kaufen. Aber der Vater meinte, selbst wenn es mir ernst damit wäre, sollte ich noch ein paar Jahre warten; ich sei noch zu jung, das Lernen so schwer, eine Geige arg teuer und der Unterricht noch teurer – und wir waren ja auch kleine, arme Leute – also abwarten.

Da es beim Vater nichts half, fing ich also bei der Mutter zu betteln an, und siehe da – es war gerade Jahrmarkt – eines schönen Morgens bringt sie mir als Meßkram eine kleine Kindergeige vom Dreibatzenstand mit. Es sah wenigstens aus wie eine Geige, das knallrot angestrichene Ding! Man kann sich also meine Freude denken, als ich es in Empfang nahm, aber –

»Ja, wo ist denn der Bogen dazu?« fragte ich.

»Es ist keiner dabei gewesen; drum hab ich sie auch billiger gekriegt, auch weil es das letzte Stück war!« lautete die Antwort.

»Ja, was mach ich denn mit einer Geige, wo ich kein Geigebogen dazu hab?« rief ich.

»Ja, lieb's Kind!« sagte die Mutter. »Da kann ich dir nicht helfen. Du kannst aber einstweilen mit den Fingern drauf Gitärrle spielen!«

»Das ist aber gar nix, so mit den Fingern! Einen Bogen muß man doch haben!« so maulte ich, mißvergnügt im höchsten Grade.

43 Da kam im selben Augenblick wie ein rettender Engel die Großmutter zu Besuch vom Dorfe herein.

»Aber Sepple«, sagte sie nach dem ersten Gruß, »was machst du denn für ein wüst' Gesicht?«

»Ja!« rief ich. »Da hat mir die Mutter zum Meßkram eine Geig kauft und keinen Bogen dazu! Jetzt, was mach ich denn mit einer Geige, wo ich keinen Geigebogen dazu hab?«

Die alte Frau lachte gutmütig über mein Unglück und meinen Zorn.

»He, bis' nur ruhig, Sepple! Vielleicht findet sich doch einer!« sagte sie.

»Kaufst du mir einen?« fragte ich in hoffnungsvoller Begier.

»Ich will emal mein Geld zähle.«

»O, es wird schon langen!« drängte ich schmeichelnd. »So ein Bogen kostet ja nicht soviel!«

Am Abend nach der Schule saß ich auf der Haustreppe draußen und schaute in banger Spannung die Straße entlang. Die Großmutter sei noch auf der Messe, hatte mir die Mutter verheißungsvoll zugesteckt.

›Ob sie mir einen bringen wird?‹ so dachte ich und klimperte zärtlich auf meiner Geige ..., dip-dip-dip hinauf ... und dip-dip-dip hinunter ...

Da stand auf einmal Kleisers Karl vor mir, ein Nachbarbub, vier Jahre älter und dreimal so stark wie ich, der schlimmste Strick des Viertels.

»Was hast du da, Sepple? Zeig' mal!« fragte er.

Ich traute ihm aber nicht und zögerte.

»Ich mach nix dran, gib mal her!«

Ängstlich barg ich meinen Schatz an der Brust.

»Ob du's hergibst oder nicht!« drohte er.

»Du machst mir's kaputt!« stammelte ich angstvoll und suchte die Treppe hinaufzukommen; aber er hielt mich hinten fest.

»Du Teigaff!« rief er. Damit entriß er mir das Ding. Ich schrie laut auf.

44 »Siehst du, nun hab ich's doch!« höhnte er. »Paß mal auf!«

... dip-dip-dip machte er, aber – schripp: eine Saite sprang.

Mir gab es einen Stich ins Herz.

»Gib mir meine Geige wieder!« schrie ich.

»Das Lumpenzeug!« machte er verächtlich und schwang sie hoch.

»Gib sie mir wieder!« schrie ich nochmal, »oder ...!«

»Oder?« fragte er lauernd.

»Ich sag's dem Vater!«

»Dem lahmen Esel! Meinst du, der kriegt mich?«

»Aber dem Lehrer! Wart nur!« rief ich verzweifelt, und die Tränen liefen mir übers Gesicht.

»Wem sagst du's, dem Lehrer? Du Teigaff! Sag's noch einmal!« sagte er und schlug mir die geliebte Geige um den Kopf, daß sie klapperte und der Steg mit heftigem Knalle umschnappte.

»Jawohl!« schrie ich, außer mir vor Zorn und Schmerz um die gefährdete Geige.

»Dem Lehrer willst du's sagen?« wiederholte der Quäler und schlug mir die Geige nochmals um die Ohren, daß der Boden einkrachte.

Ich heulte vor Wut auf und fuhr dem Gegner wild ins Gesicht und in die Haare. Der aber schüttelte mich leicht ab, warf mich hin und schlug die Geige an mir völlig in Trümmer, dann sprang er hohnlachend davon.

Heulend saß ich unter den traurig um mich verstreuten Resten meines Glückes, betäubt zugleich durch die Größe des Verlustes und durch die mir unfaßbare Schlechtigkeit von Kleisers Karl; da hörte ich von zwei Seiten her meinen Namen rufen. Die Stiege herunter kam die Mutter, die auf dem Speicher Wäsche aufgehängt hatte, und fragte, was los sei. Die Straße entlang kam die Großmutter gehumpelt.

»Sepple!«rief sie schon von weitem. »Rat einmal, was ich dir hab.«

45 Sie holte eine lange, graue Papierrolle unter dem rechten Arme hervor und schwenkte sie hoch.

Ich heulte weiter.

»Jesses, warum heulst denn so, was ist denn passiert? Schau her, ich hab dir ja ein Geigeboge!«

Da aber brach ich erst recht los.

»Was mach ich denn mit einem Geigeboge, wo ich kein Geig dazu hab!« rief ich schluchzend.

»Ja, wa – ?« fragte sie und stutzte, hielt aber inne, als sie beim Herankommen an den rings verstreuten Trümmern die Lage der Dinge erkannte. »Wer hat denn das gemacht?«

»'s Kleisers Karl!« würgte ich hervor.

»Der wüest Bueb, der Lausangel, der –« rief sie und fuhr dann fort: »und jetzt, was machen wir mit dem Bogen! Ein Gulden hat er 'kost!« Dann begann sie das graue Papier aufzuwickeln.

»Was!« rief die Mutter entsetzt. »Einen Gulden? Wo hast du ihn denn 'kauft?«

»He«, sagte die Großmutter, »wo ich auf der Meß keinen kriegt hab, bin ich zum Instrumentenmacher Muckrich 'gangen, in der Bertoldstraß; 's ist der billigste gewesen, für einen Gulden – aber – aber!«

»Einen Gulden!« stöhnte meine Mutter, »die ganze Geig hat nur zwölf Kreuzer gekost!«

»Jesses!« schrie nun mit einmal die Großmutter hinaus, als sie mit dem Aufwickeln zu Ende war. »Jesses, wo ist der Bogen? Er wird mir doch nicht hinten zum Papier herausgerutscht sein!«

»Auch das noch!« ächzte meine Mutter.

Aber es war wirklich so; er war im Gehen hinten herausgerutscht, ohne daß sie es gemerkt. Voller Zorn hielt mir die alte Frau mit dem langen Arme das leere Papier unter die Nase, daß meine Tränen darauf tropften, fast als ob ich schuld daran sei, daß die Rolle sich hinten geöffnet hatte.

Was half es, daß ich auf der Mutter Geheiß den von der guten 46 Großle gemachten Weg bis zu dem Musikalienladen zurückging, wo sie den Guldenbogen zur Dreibatzengeige gekauft hatte. Er war und blieb ebenso verloren, wie meine Geige kaputt. Da war nix mehr zu machen.

Die gute Folge aber war, daß dieser erste Versuch, die edle Frau Musika zu heiraten, auch mein letzter blieb. Ich hatte genug.

Heute bin ich's zufrieden. Wohin würde auch die Welt kommen, wenn alle wollten Musik machen?! Da gäb's keinen, der zuhören wollte; und fürs Zuhören ist die Musik doch vornehmlich da. 47

 


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