Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Spinnenspuk

Dem Medizinalrat Heuberger sein Fritz war das jüngste, etwas spät hinter den anderen vieren gekommene Kind seiner Eltern. Vor ihm waren nur Schwestern, deren älteste zu der Zeit dieses wahrhaftigen Abenteuers schon zwei- oder dreiundzwanzig Jahre zählte, also recht heiratsfähig war; die anderen drei kamen im Abstande von je zwei Jahren hinterher. Waren sie aber auch im Alter ein wenig verschieden voneinander, so waren sie sich doch völlig gleich in dem Sehnen, möglichst rasch unter den gelobten Regenschirm der Ehe zu kommen, was aber – fügte der Erzähler mit einem sanften Blick auf seine weiblichen Zuhörer bei – kein Vorwurf sein soll, sintemal das ja die naturgemäße Altersversicherung aller Jungfrauen bildet, oder wenigstens bilden sollte.

Der Fritz also war das »Kind« vom Hause, und blieb es so lange, bis er später die unzweideutigsten Beweise gab, daß er eigentlich schon geraume Zeit keines mehr gewesen war. Ja, es ist sonderbar, wie schwachsichtig in diesem Punkte die meisten Eltern sind. Im übrigen war das »Kind« der widerwärtigste Bengel und eigensinnigste Giftnickel, besonders seinen Schwestern gegenüber, und es war nur ihr Glück und sein Pech, daß sie die älteren und stärkeren waren; denn sonst hätte der liebenswürdige Bruder sie auch geprügelt; so aber bekam wenigstens er die Prügel, sie nur den Ärger. Am lebhaftesten ging dieser Austausch von sich, wenn die Mädchen das Ministerium des Innern ganz 116 verwalteten, was oft und auf längere Zeit vorkam, indem die kränkliche Mutter viel in Bädern und der Vater als viel beschäftigter Arzt meist außer Hause war. Das gab dann bewegte Zeiten und gesegnete Jahrgänge für Kopfnüsse, Ohrfeigen und ähnliches Obst.

Einmal nun – es war an einem Samstag gegen Abend – gaben die Mädchen ein kleines Kaffeekränzchen. Das »Kind« war natürlich auch dabei, ein achtjähriger Bengel, und ließ sich Kuchen und Gugelhupf schmecken und dazu von den eingeladenen Freundinnen hin- und hernudeln. Das letztere war freilich etwas störend, weil es am Essen hinderte; daher gab es manches Gezappel und manche Unart, um sich dem Abküssen zu entziehen.

»Na, hören Sie!« unterbrach eine Dame hier den Erzähler. »Sie tun ja gerade, als ob ..., als ob ...«

»Als ob der Fritz Heuberger auch einmal appetitlich gewesen wäre!« ergänzte launig der Doktor. »In Anbetracht, daß es so lange her ist, finde ich Ihren Zweifel auch in Ordnung! – Aber gut«, fuhr er fort, »als es ihm einmal zu arg wurde, versetzte das kleine Rauhbein seiner stürmischen Verehrerin eine nahezu ernstliche Ohrfeige. Vielleicht hätte sie auch diese bewundernd hingenommen, wenn sie nicht – wie schrecklich! – ihre Frisur gänzlich ruiniert hätte. Als gekränkte Gastgeberinnen bildeten die vier Schwestern sofort ein ›Exekutivkomitee‹, um ein gut deutsches Wort zu gebrauchen, dem sich der Bösewicht durch schleunige Flucht unter den Tisch entzog. Vergeblich mühten sie sich mit vereinten Kräften, ihn darunter hervor zu bekommen; er wich und wankte nicht, um so mehr aber der Tisch, der nur durch besonderes Glück und unter großem Kreischen vor dem Umfallen gerettet werden konnte. Schließlich holte man den Teppichklopfer, und während die anderen den Tisch festhielten, suchte die älteste der Schwestern, die Luise, den Schlingel hervorzuklopfen, was aber ebenso gründlich mißlang, da er ständig um den Tischfuß herumturnte und diesen die Hiebe 117 abfangen ließ. Endlich stand man, der Hetzjagd müde, davon ab und ließ ihn scheinbar ruhig drunten hocken. Scheinbar, denn in Wirklichkeit verlegte sich die gescheite Luise auf eine Jägerlist, auf die der dumme kleine Teufel auch hereinfiel. Sie ließ nämlich nach wohl berechneter Pause ein Stück Kuchen zwischen sich und ihrer Nachbarin fallen. Behutsam kroch der Fritz darauf zu – und der Fall war spruchreif: wuppdich, hatte die Luise ihr Brüderlein oben, schwuppdich, langte sie ihm ein paar hinter die Ohren, und huppdich, stand er draußen auf dem Gang und ließ sein Klagegeheul erschallen. Aber vergeblich! Und ebenso vergeblich pummerte er dann eine Viertelstunde gegen die Türe. Die Fäuste taten ihm eher weh, als den Fräuleins die Ohren.

Grollend zog er endlich ab und drückte sich an den Wänden entlang, Rache brütend. Und als er an den Zimmern der Schwestern vorbei kam und das Sonntagskleid der Luise, frisch für den morgigen Messtag gebügelt und gesteift, wie es damals Mode war, an einem Türpfosten hängen sah, da wußte er nichts Boshafteres zu tun, als sein Gift daran zu – spucken.

Eine abscheuliche Fratze geschnitten und – spautz! Da hing der Klecks! Befriedigt schlich die Krabbe davon und auf die Gasse. –

Am anderen Morgen ging es in sonntäglichem Staat zur Kirche, die Minna und die Lore voraus, die Luise mit der Klara und dem Fritz im zweiten Gliede.

Aber den ganzen Weg war es ein Geschelte.

»Kannst du denn nicht ordentlich neben mir bleiben? Was du nur immer da hinten herum zu wuseln und zu fisseln hast?«

Der Fritz aber lachte boshaft, jedoch unzufrieden; er fand nicht, was er suchte.

In der Kirche nun hörte das Lachen auf und die Langeweile begann. Das Herumgucken nutzte nur wenig; es waren ja immer die gleichen Gesichter, und andächtig sein, wie die Luise ihn wohl ein Dutzend mal mahnte, das war ein Ding, von dem er 118 noch nicht wußte, wie man's machte.

Auf einmal entstand ein Tuscheln hinter ihm. Also endlich ein bißchen Zerstreuung. Er brauchte nicht umzuschauen, denn es waren bekannte Töne, die von zwei alten Damen herrührten, weitläufigen Basen oder Tanten von Vater und Mutter.

Er lehnte sich zurück, um besser zu verstehen.

»Gegen wen haben sie's heut?« dachte er boshaft.

Aber es waren nur wenige, ziemlich friedliche Worte.

»Das kommt von einer Spinne!« sagte die eine.

»Von einer Kreuzspinne!« setzte die andere nachdrücklich hinzu.

»Und bedeutet einen Verlobungsring!« fuhr die erste fort.

»Nein, einen Brautkranz!« erklärte die zweite.

»Also eine baldige Verlobung!« schloß Nummer eins.

»Sogar Hochzeit!« trumpfte Nummer zwei darauf.

Damit hatte die Sache vorläufig ein Ende.

Der Fritz war enttäuscht. Sonst war es vergnüglicher gewesen, ihnen zuzuhören! – Spinne – Kreuzspinne, Verlobungsring Hochzeit – das war recht mager und uninteressant.

Als aber das »Ite missa« verklungen war und das andächtige Volk der Kirche entströmte, fühlte sich Fräulein Luise Heuberger fast noch auf der Türschwelle gezupft, und eine kichernde Flüsterstimme meckerte:

»Ich gratuliere von Herzen, Luise!«

Überrascht wollte diese sich nach der Gratulantin umsehen, da zupfte man sie auch von der anderen Seite, und eine ähnliche, nur schärfere Stimme flüsterte:

»Meine innigsten Glückwünsche, Luischen!«

Das Mädchen stand nun betroffen zwischen den beiden und fragte unsicher lächelnd:

»Aber wozu denn?«

»Nun – zur demnächstigen Verlobung ...« hieß es von links.

»Und zur recht baldigen Hochzeit!« von rechts.

119 Dazu ermächtigten sich die beiden Tanten je einer Hand des erstaunten und errötenden Mädchens, das nicht wußte, wie ihm geschah, und streichelten und herzten sie in eifersüchtiger Zudringlichkeit.

»Aber – aber – ich weiß ja von gar nichts!« stammelte die Erdrückte in höchster Verwirrung.

»Tut nichts – macht nichts!« sagten die Tanten gleichzeitig und faßten ebenso das Kleid des Mädchens, zogen eine Falte hoch, breiteten sie aus und wiesen auf ein kleines, weißes, matt schimmerndes Reifchen und sagten:

»Das kommt von einer Spinne, Luise!«

»Von einer Kreuzspinne, Luischen!«

Der Fritz riß die Äuglein auf und biß sich auf den Daumen, um nicht herauszuplatzen und den kostbaren Spaß zu verderben. Das war ja sein Speichel, der über Nacht so eingetrocknet war und den er auf dem Herweg zur Kirche zu seinem Leidwesen nicht hatte finden können.

»Und weißt du, was das zu bedeuten hat? Einen Brautring an das Goldfingerchen, Luise!«

»Nein, einen Myrtenkranz ins Haar, Luischen!«

»Verlobung, Luise!«

»Hochzeit, Luischen!«

»Freu dich doch, Luise!«

»Denk an die Aussteuer, Luischen!«

So schwirrte es von links und rechts um das verdutzte und aufgeregte Mädchen, und die Stelle mit der Reliquie der braven Kreuzspinne ging von Hand zu Hand; denn mit begreiflichem Interesse wollten auch die anderen drei Mädchen, und ebenso ein Dutzend anderer Frauensleute, die sich allmählich um die Gruppe angesammelt hatten, den merkwürdigen Spinnenzauber sehen, von dem niemand eine Ahnung hatte, wie faul er war.

Die Spinne aber war unterdessen seinen Hüterinnen ausgerissen, um sich irgendwo zu wälzen vor Lachen!

120 Nun kommt aber erst die Hauptsache.

Im Hochsommer desselben Jahres ging der Medizinalrat Heuberger selbst auf einige Zeit zu seiner Frau ins Seebad und nahm zu einstweiliger Vertretung einen jungen Arzt, frisch von der Hochschule. Bevor der aber nach zwei Monaten das Haus wieder verließ, hielt er um die Hand der ältesten Tochter an und – die wunderbare Kreuzspinne hatte also wahr prophezeit: Das Brautpaar war da, das Ringlein steckte am Goldfingerchen, das Myrtenkränzlein war bestellt und der Hochzeitstag festgesetzt.

Strahlend kamen die beiden Tanten zur Gratulation. Im Hintergrunde aber hopste die Spinne wie närrisch herum und kam deswegen in den schnöden Verdacht, daß er sich über den Wegzug der bösen, strengen Luise freue.

Eine andere Folge vom Eintreffen der Prophezeiung war die, daß sich künftig an jedem Samstagabend die drei anderen Schwestern um den Türpfosten rissen, an dem die Glücksspinne ihr Wesen trieb. Schließlich einigte man sich dahin, daß die Jüngste von der Konkurrenz vorläufig zurücktreten sollte, indes die beiden anderen abwechselten. Außerdem wurden sämtliche Spinnweben des Stockwerks für unverletzlich erklärt: kein Besen sollte an sie rühren, wie keine Axt an den Bannwald von Schwyz. Die guten Mädchen gingen aber noch weiter in ihrem Spinnenkultus: ein zierliches Näpfchen ward am Fuße des Pfostens aufgestellt und die lieben Tierchen mit Zucker und süßem Backwerk gefüttert. Die Lore war auf diesen Gedanken gekommen, indem sie meinte, was ihr schmeckte, müßte auch den Spinnen schmecken, besser als die garstigen Fliegen. Und richtig, die Spinne schien den gleichen Geschmack zu haben, denn jeden Morgen war das Näpfchen leer und jeden Sonntag war ihre sehnsüchtig erwartete, verheißungsvolle Spur zu entdecken. Und ein solcher Segen folgte ihrer Tätigkeit, daß Luisens Hochzeitstag zugleich der Geburtstag zweier neuer Brautschaften war, indem nämlich zwei Freunde des Bräutigams, ein 121 Arzt und ein Assessor, an den hübschen Schwägerinnen desselben Feuer fingen. Am Sylvesterabend darauf wurde auch schon gemeinschaftliche Verlobung gefeiert. Hoch ging es dabei her, sehr hoch! Aber am höchsten fühlte sich die Hauptperson der Geschichte, die wunderbare ehestiftende Zauberspinne. Stolz war sie, stolz wie ein Teufelchen, dem ein böser Streich gelungen, und der Glühwein stieg ihr zu Kopf. Und wie ihre bedenklich glitzernden Spitzbubenäuglein die jüngste, siebzehnjährige und noch ledige Klara erblickten, die etwas melancholisch träumerisch im allgemeinen Jubel dasaß, an das Glück der Schwestern und vermutlich auch an den Türpfosten und die Spinne dachte, da rief die letztere, übermütig krakehlend:

»Was gibst du mir, Klärle, wenn ich dir auch einen Mann auf den Sonntagsrock spucke, wie den anderen da?«

Jedermann hatte es hören müssen und –

Na, so wie da gelacht wurde, als dann der unverschämte Bengel, der Fritz, die saubere Spukgeschichte aufklärte, ist nie mehr in einem Hause gelacht worden, und die Augen der jungen Frau Luise und der beiden glücklichen Bräute, und ihre roten Köpfe, und die Augen und Köpfe der alten Schicksalstanten, und die Witze der alten und jungen Männer darüber, das läßt sich nur miterleben und mitfühlen, aber nicht beschreiben.

 

»Der Fritz Heuberger ist aber sein Leben lang recht kritisch und kühl gegenüber der Zauberkraft unheimlicher Tiere geblieben und – rät dasselbe auch Ihnen, verehrte Frau Registrator!«

Während das Lachen und Händeklatschen seiner Zuhörer allmählich verhallte, nahm der Doktor behaglich eine Prise, und sein faltiges, bewegliches Gesicht zwinkerte vor eigenem Vergnügen an dem Stückchen Jugendzeit und Jugendbosheit, das er zum Besten gegeben.

Die Frau Registrator aber fühlte sich etwas »gemopst«, und unter dem, was sie nicht gut vertragen konnte, war auch das.

122 »Lachen Sie, soviel Sie wollen!« sagte sie im Anschluß an den kleinen Stich des Doktors. »Und wenn Sie mir noch zehn solcher Geschichten aufmutzen, so überzeugen Sie mich doch nicht, und niemand wird es können!«

»Ja, weiß Gott!« schalt ihr Gatte mit komischem Seufzer ein. Sie aber fuhr nach einem etwas geschärften Blick auf ihn weiter:

»Wenn ich eine Spinne nur ansehe, so sagt es mir schon mein innerstes Gefühl – ihr Männer habt freilich keines; denn das ist die unbestrittene Domäne des Weibes! – daß es nicht ganz geheuer mit ihr ist! Ihre Geschichte beweist gar nichts, oder eher für meine Behauptung; denn hätte es nicht gerade so gut eine wirkliche Spinne können? Und alles wäre doch so gekommen!«

Der Doktor verzog schmerzhaft sein Gesicht, wie es wohl ein musikalischer Mensch vor einem zu falschen Ton tut. Dann besann er sich aber auf seine zum großen Teil weibliche Umgebung und statt »O Weiberlogik!« zu rufen, sagte er mit öligem Lächeln:

»Ich bewundere Ihren Scharfsinn! Denn in der Tat hätte es eine wirkliche Spinne sein können! Aber ..!«

»Und dann ist es überhaupt eine alte Geschichte«, fuhr seine Gegnerin kampflustig weiter, »daß Spinnen z. B. vor der Hochzeit Glück, in der Ehe Unglück bringen.«

»Das ist keine Kunst!« brummte mit wehmütigem Spott der Doktor.

»Da weiß ich einen Fall von einer sehr intimen Freundin von mir. Sie war die glücklichste Braut und – kehrte von der Hochzeitsreise als das unglücklichste Geschöpf wieder heim, und zwar – zu ihren Eltern!«

»Und daran war eine Spinne schuld?«

»Ja! – Es war am dritten Tag, sogar auf dem Rigi. Bis dahin war man ein Herz und eine Seele gewesen. Da sah die junge Frau eine Spinne am Vorhang hinaufkrabbeln und bekam gleich einen Schreck und tat einen Schrei.

123 »Was hast du?« fragte er.

»Eine Spinne!« sagte sie.

»Ach was, laß sie doch!« sagte er.

»So?« sagte sie. »Weißt du nicht, was eine Spinne bedeutet?«

»Was denn, mein Schätzchen?«

»Unglück!«

»Ach, geh doch, sei kein Närrchen!«

»Ich bin kein Närrchen!«

»Gut, liebes Kind, also laß den Unsinn!«

»Das ist auch kein Unsinn!«

»Ja, was ist es denn?«

»Ich bin kein Närrchen und das ist kein Unsinn!« sagte nun verletzt die junge Frau, »nimm diese Worte zurück, Julius!«

»Gut, ich nehme sie zurück!«

»Ja, das sagst du nur so! Du mußt es aber auch wirklich tun!«

»Ich tu es ja wirklich! Komm, sei jetzt wieder vernünftig!«

»Vernünftig? – Siehst du, daß ich recht hatte! Du hältst mich für unvernünftig!«

»Aber nein, wie kannst du so meine Worte auf die Goldwaage legen?«

»Dazu braucht man keine Goldwaage zu nehmen! Das tut schon eine Dezimalwaage, bei einem so schweren Vorwurf. Also für unvernünftig hältst du mich!«

»Nun ja denn!« fuhr er jetzt ärgerlich heraus und stand auf – sie saßen nämlich noch beim Frühstück – und zündete sich eine Zigarette an und qualmte, daß das arme Geschöpf zu husten begann.

»Jetzt weiß ich doch, woran ich mich zu halten habe!« schluchzte sie zwischen den Husten hinein. »O mein Gott, aus welch einem Traum bin ich so schrecklich erwacht! Und dieser fürchterliche Rauch –«

»Mit dem will ich uns nur die Spinnen vertreiben!« schnurrte er.

124 »Uns?« fragte sie empört. »Jetzt verhöhnt und verspottet er mich noch! Drei Tage nach der Hochzeit!«

»Ich wollte, es wäre drei Tage vorher gewesen!« stieß er hervor und stampfte mit dem Fuße.

 

»Denken Sie sich die Beleidigung, und mit dem Fuße stampfen! Damit war das Unglück so ziemlich besiegelt. Noch drei Tage stritten sie fort, am vierten reiste sie plötzlich ab, zu ihren Eltern zurück!«

»Gott sei Dank!« riefen aus einem Munde sämtliche anwesenden Männer wie erlöst, was so komisch wirkte, daß nicht nur sie in ein schallendes Gelächter ausbrachen, sondern auch die Mehrzahl der Damen, die ehrlich genug waren, in dem Falle für den jungen Mann Partei zu nehmen, darin einstimmte.

Die Frau Registrator aber sah sich verblüfft über die unerwartete Wirkung ihrer ausgezeichneten Erzählung im Kreise um.

Der Doktor aber fragte sie:

»Ja, halten Sie denn wirklich jene Spinne für die Ursache an dem so früh eingetretenen Unglück?«

»Ja, ist denn das nicht klar?«

»Nein, verehrte Frau, sondern Sie verwechseln wieder einmal Ursache und Anlaß. Die Ursache lag in dem angenehmen Charakter Ihrer Freundin, womit ich Sie aber nicht beleidigen möchte, und die Spinne war der unschuldige Anlaß. Und das gilt nicht nur von Ihrem vortrefflichen Falle, sondern überhaupt: Niemals sind außer uns liegende, zufällige Gegenstände die Träger eines geheimnisvoll wirkenden Zaubers, sondern nur willkürlich von uns Menschen gewählte Zeichen eines solchen und der Zauber liegt in uns selbst, geht von uns aus, kehrt oft auch unerklärlich und wunderbar zur Quelle zurück. Der Hokuspokus, den man daran und darum hängt, ist unwesentlich, willkürlich, zufällig. Der eine schaut auf die Spinnen, der andere auf die Vögel, der eine guckt auf die Wolken, der andere ins Wasser, der eine zählt 125 die Knöpfe, die andere zerrupft ein Gänseblümchen, wieder andere gießen Blei, lesen im Kaffeesatz, lassen Kerzen schwimmen, als ob das Leben des gottähnlichen Menschen von irgend einem Wurm, Vogel, Wind, Wasser, Rockknopf, Gänseblümchen, Bleinudel, Kaffeesatz oder Wachslicht regiert und beeindruckt würde, und was derlei Zaubermittel noch mehr sind. Ja,

Die Träume, die den Busen uns erregen,
Sie finden ihre Zeichen allerwegen.

Und der Aberwitz und Wunderfitz des Menschen, der mit der einzigen Gewißheit, die die Zukunft uns bringt, nämlich mit dem sicheren Tode nicht zufrieden ist, sondern alles Mögliche im voraus wissen möchte, was die kurze Spanne zwischen Wiege und Sarg ihm Wichtiges birgt, war von jeher ungemein tätig und erfinderisch, solche Zeichen zu entdecken, zu beobachten und zu deuten, und den Wahn von Geschlecht zu Geschlecht, von Volk zu Volk zu vererben. – Übrigens, bei der Erwähnung der Wachskerze fiel mir ein Volksbrauch aus meinem Heimatgau und mit ihm wieder eine Geschichte ein, die ich ganz gerne erzählen würde, wenn es nicht, meine ich,« – und er sah nach dem Stand der Sonne – »gescheiter wäre, wieder ein Stück Weg unter die Sohlen zu nehmen, damit wir an unserem Mittagshalt ankommen, bevor die Sonne auf diese Bergseite tritt. Nachher, wenn die Karawane sich anmutig unter den Palmen des Schwarzwalds um den duftenden Mokka gelagert hat, mag meinetwegen die Märchenerzählerei weitergehen!«

»Bravo, alter Marabu! So wollen wir's halten!«

 

Man brach also auf und zog den sanft ansteigenden Rücken weiter hinauf zum vorausbestimmten Platz, wo man Mittag halten wollte. Mehr anmutiges als wildes Felsgetrümmer und die spärlichen Reste einer uralten Burg krönte die Spitze des Berges und bildete niedliche Winkel zum Niederlassen, indes von den 126 Felsen das entzückte Auge ungemessen ins Weite schweifen und die ganze Pracht des Schwarzwaldes, des Rheintals und der Vogesen in langen, durstigen Zügen trinken durfte.

Nachdem aber das Mittagsmahl eingenommen war und jeder sein Schälchen Kaffee erobert hatte, das er nun so sicher wie möglich auf dem Grasboden aufzustellen suchte, und die blauen Wölkchen aus den Zigarren der Genüßlinge langsam in der warmen Luft verschwammen, da hieß es:

»Also, Derwisch, beginne!«

Der Doktor rückte sich bequem, überlegte eine Weile und hub dann an:


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